Johanniskraut (Hypericum perforatum)
Untersuchungen haben gezeigt, dass heute zwischen 12 und 25 Prozent der Patienten, die in eine allgemeinärztliche Praxis kommen, an depressiven Verstimmungen leiden. Besonders die Zahl junger Menschen mit Depressionen ist in den letzten Jahren geradezu dramatisch angestiegen.
Das Wort “depressio” kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: Das Gefühl der inneren Schwere und des Niedergezogenwerdens, der Gedrücktheit. Die depressive Verstimmung ist vor allem durch das Erleben einer scheinbar unüberwindlichen Licht- und Aussichtslosigkeit, eines inneren Dunkels charakterisiert. Der Dichter Lenau beschreibt ein solches Gefühl in einem seiner Briefe mit den Worten: “Um und um schwarz ist meine Seele”. Es wundert daher nicht, dass depressive Verstimmungen sehr viel häufiger in den Licht- beziehungsweise sonnenarmen Jahreszeiten, also vor allem im Winter (Winterdepression), auftreten.
Depression, das Gefühl der Bedrückung, ist einem Menschen sehr häufig auch ganz äußerlich anzusehen: Er beziehungsweise sie geht gebückt, als wenn die Last des eigenen Körpers nicht zu ertragen sei. Depressive Menschen wirken oft müde, antriebs- und interessenlos, sie machen sich ständig Selbstvorwürfe und entwickeln Schuldgefühle in jeder vorstellbaren und unvorstellbaren Situation. Auch die Selbstmordgefahr ist – zumindest bei schweren Formen der Depression – sehr hoch.
Formen der Depression
Ärzte und Wissenschaftler unterscheiden heute drei Gruppen von Depressionen:
- Die reaktive Depression: Das ist gewissermaßen die seelische Antwort auf eine tiefe Erschütterung beziehungsweise eine gestörte, stark belastende Lebenssituation. Zum Beispiel: Der Tod eines Ehepartners oder Kindes, eine konfliktreiche Ehe oder gar die Trennung von einem langjährigen Partner, eine ständige intellektuelle Überforderung im Beruf, die unerwartete Mitteilung, an einer schweren Erkrankung zu leiden oder eine durch einen Unfall hervorgerufene Körperbehinderung können schwere, das heißt behandlungsbedürftige depressive Verstimmungen auslösen. In einigen Fällen spricht man auch von einer neurotischen Depression (unter Neurose ist zu verstehen: Die Bereitschaft bestimmter Persönlichkeiten, auf Grund unbewusster Konflikte oder Erfahrungen in der Kindheit, auf bestimmte Belastungen im Leben abnorm, das heißt mit körperlichen oder seelischen Symptomen, zu antworten). Die Abgrenzung der neurotischen zur reaktiven Depression ist allerdings sehr schwierig, die Übergänge sind oft fließend.
- Die Depression als Symptom einer körperlichen oder seelischen Krankheit. Hirntumore, Lebererkrankungen und Multiple Sklerose beispielsweise können die Persönlichkeit eines Menschen so nachhaltig beeinflussen, dass auf diese Weise depressive Verstimmungen hervorgerufen werden – unter Umständen sogar ohne dass der betroffene Mensch schon von seiner Erkrankung weiß.
- Die Depression als eigenständige psychische Krankheit. Diese Form der Erkrankung, man spricht hier auch von einer endogenen Depression, ist in der Regel erblich bedingt. Sie tritt auch ohne äußeren Anlass in Abständen von Wochen, Monaten oder auch Jahren auf klingt meist auch nach einiger Zeit von selbst wieder ab.
Auch gegen Depressionen ist ein Kraut gewachsen
Johanniskraut (Hypericum perforatum)
Die tragende Säule der Depressionsbehandlung ist die Psychotherapie, sei es als Gesprächstherapie, Psychoanalyse, Gruppentherapie, oder ähnliche. Auch die Behandlung mit Schlafentzug und die Lichttherapie haben in einigen Fällen zum Erfolg geführt. Das sind natürlich nur einige, wenige Beispiele. Es würde zu weit führen an dieser Stelle auf alle nichtmedikamentösen Behandlungsmöglichkeiten im Einzelnen einzugehen. Die medikamentöse Depressionsbehandlung, also der Einsatz von Psychopharmaka, von Antidepressiva oder Tranquilizern, hat sich besonders in akuten Situationen bewährt. Die Medikamente unterdrücken rasch und zuverlässig die depressiven, schwarzen Gefühle. Sie werden jedoch auch von einer Reihe von Nebenwirkungen begleitet.
Lange Zeit galten pflanzliche Arzneimittel im Rahmen der psychiatrischen Therapie als Mittel der zweiten oder gar dritten Wahl. Den Pflanzenheilmitteln wurde die klinisch relevante Wirksamkeit abgesprochen; sie galten als Plazebos, das heißt als Scheinmedikamente, oder bestenfalls als unspezifische Beruhigungsmittel. Diese Behauptung konnte in den letzten zwanzig Jahren eindeutig widerlegt werden. In mehr als 25 kontrollierten klinischen Studien an zusammengerechnet mehr als 2000 Patienten wurde mittlerweile nachgewiesen, dass insbesondere Johanniskraut stimmungsstabilisierende und antidepressive Wirkungen entfaltet, die denen synthetischer Antidepressiva in nichts nachstehen.
Hypericum perforatum L. – das Tüpfeljohanniskraut – und seine Inhaltsstoffe
Hypericum, das Johanniskraut, ist mit etwa 400 Arten eine große Pflanzengattung, die der Familie der Hypericaceae (Hartheugewächse) angehört. Eine andere Bezeichnung für die Hartheugewächse ist “Guttiferae”. Der Name weist auf das Vorkommen von exkretgefüllten Gewebslücken, einem wichtigem Merkmal dieser Pflanzenfamilie, hin.
Die Gattung Hypericum ist die einzige mit krautigen und außertropischen Vertretern der Hartheugewächse. Von den zahlreichen Arten des Johanniskrauts findet nur das Tüpfeljohanniskraut arzneiliche Verwendung. Häufig wird es auch Echtes Johanniskraut genannt. Sein wissenschaftlicher Name ist Hypericum perforatum L.
Der Volksmund gab dem Johanniskraut eine ganze Reihe von Namen, die alle Bezug auf seine Gestalt oder auf die Mystik nehmen, die diese Pflanze umgibt: Blutkraut, Hartheu, Jesuwundenkraut, Mannsblut, Tausendlochkraut und Wundkraut sind nur einige Beispiele.
Der lateinische Name Hypericum stammt aus dem Griechischen und wurde schon zu Beginn unserer Zeitrechnung verwendet. Man findet ihn bereits in einem Kräuterbuch des römischen Enzyklopädisten Celsus, der 47 nach Christus starb. Der Name setzt sich aus den griechischen Wörtern für “über” und “Bild” zusammen und beschreibt den antiken Brauch, Johanniskrautpflanzen über den Götterfiguren aufzuhängen, um böse Geister zu vertreiben. Andere Autoren interpretieren die Begriffe “über” und “Bild” so, dass durch die scheinbar perforierten Blätter der Pflanze ein Bild zu sehen ist. Eine weitere Übersetzungsmöglichkeit des griechischen Wortes “Hypericum” ist “ein auf der Heide wachsendes Kraut”. Der Beiname perforatum (lateinisch: “durchlöchert”) tritt im Mittelalter erstmals auf und spielt auf die besondere Gestalt der Blätter der Pflanze an.
Ein wichtiger Inhaltsstoff von Hypericum perforatum L. ist der rote Farbstoff des Pflanzensaftes, das Hypericin. Er wird auch als Hypericumrot bezeichnet und ist in den Gewebslücken der Pflanze, vorwiegend in den Blütenblättern, lokalisiert. Er gilt als ein Charakteristikum der Gattung Johanniskraut. In der arzneilich verwendeten, getrockneten Droge Hyperici herba sind Hypericin und hypericinähnliche Substanzen zu 0,1 bis 0,15 Prozent enthalten.
Eine weitere große Klasse von Naturstoffen, die auch im Tüpfeljohanniskraut zu 0,5 bis 1 Prozent vertreten ist, ist die Gruppe der Flavonoide. Flavonoide sind meist gelbe, orangefarbene, rote, blaue oder schwarze Farbstoffe und daher für die Färbung von Blüten, Blättern, Früchten und anderen Pflanzenbestandteilen verantwortlich. Die Flavonoide sind mit ihrer krebshemmenden, immunstimulierenden und verdauungsfördernden Wirkung einer der Hauptgründe für die gesundheitsfördernden Eigenschaften der vegetarischen Ernährung.
Ein dritter, bedeutender Inhaltsstoff ist das Hyperforin. Hyperforin wurde in den Jahren 1971 bis 1975 eingehend von russischen Forschungsgruppen untersucht. Es ist chemisch eng verwandt mit den für die beruhigende Wirkung des Hopfens verantwortlichen Inhaltsstoffen und könnte der Grund für die Anwendung des Johanniskrauts als Antidepressivum und Beruhigungsmittel sein.
Hyperforin ist in den frischen Blüten, Knospen und Samenkapseln von Hypericum perforatum L. in relativ hoher Konzentration vorhanden (2 bis 4 Prozent), wird während des Trocknungsvorgangs und in Drogenauszügen (zur Herstellung von Dragees) und Lösungen (Tee) jedoch rasch abgebaut.
Weitere Indikationen von Johanniskraut
Johanniskraut und seine Extrakte enthalten mindestens zehn Stoffgruppen, die wahrscheinlich alle zu den arzneilichen Wirkungen beitragen. Entsprechend vielseitig ist die Wirksamkeit der Heilpflanze.
Weitere Indikationsgebiete des Johanniskrauts sind Wechseljahr- und Menstruationsbeschwerden. Ein bis zwei Tassen Tee pro Tag können die depressiven Verstimmungen lindern, die sich bei vielen Frauen durch die Hormonumstellung in den Wechseljahren oder vor der Regelblutung einstellen. Johanniskrautpräparate eignen sich in den Wechseljahren zur Behandlung depressiver und neurotischer Beschwerden genauso wie synthetische Antidepressiva oder eine Hormontherapie und sind dabei wesentlich besser verträglich.
Als günstig hat sich auch die Kombination von Salbeitee und Johanniskrauttee erwiesen, da Salbei das Wärmeregulationszentrum im Gehirn beeinflussen soll, sodass die Häufigkeit und Intensität von Hitzewallungen und Schweißausbrüchen verringert werden.
Der hohe Gerbstoffgehalt des Johanniskrauts, speziell die Procyanidine, machen es zu einer wirksamen Heilpflanze bei Herzmuskelschwäche (Herzinsuffizienz). Zusammen mit der Herzdurchblutung fördernden Arzneipflanze Weißdorn kann es ideal bei reduzierter Sauerstoffversorgung und mangelnder Kontraktionsfähigkeit des Herzens eingesetzt werden.
Last, but not least kann Johanniskraut (als Öl) auch bei Sportverletzungen zum Einsatz gebracht werden. Blutergüsse, Muskelzerrungen, Prellungen, Quetschungen, Verrenkungen und Verstauchungen lassen sich durch die Wirkungen des Johanniskrauts schnell lindern und heilen. Bei Muskelzerrungen und Verstauchungen hilft das Öl durch seinen kühlenden, schmerzstillenden Effekt. Bei Blutergüssen und Prellungen wirkt es darüber hinaus gefäßverengend und verhindert eine weitere Ausbreitung der innerlichen Blutung.
Johannisöl sollte alle zwei Stunden vorsichtig auf die betroffenen Stellen aufgetragen werden, Umschläge aus Johanniskrauttee oder ‑extrakt sind ebenfalls alle zwei Stunden zu erneuern.
Vorsicht in der Einnahme mit anderen Medikamenten
Autor
• Jens Meyer-Wegener, Heilpflanzen-Welt (2001).
Quellen
• Dr. J. Zittlau: Lebensfreude und Gesundheit durch Johanniskraut, Südwest Verlag, 1998.
weitere Infos
• Johanniskraut: Vom Teufels- zum Herrgottskraut
• Hyperici herba (Johanniskraut).
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