Jeder Mensch verspürt von Zeit zu Zeit das dringende Bedürfnis, sich ins Bett zu legen und zu schlafen. Schlaf ist ein fester Bestandteil unseres täglichen Lebens. Etwa ein Drittel des Lebens verbringen wir im Schlaf. Und dennoch scheint für viele Menschen heute Schlaf zu einer nebensächlichen oder gar unnützen Zeitverschwendung geworden zu sein. Ob abends vor dem Fernseher oder in der Disco, viele Menschen versuchen die Nacht zum Tag zu machen.
Kein Wunder, dass jeder vierte Bundesbürger (das sind fast 20 Millionen Menschen) mehr oder weniger häufig im Jahr unter Schlafstörungen leidet. Und jeder Zehnte schluckt regelmäßig Schlaftabletten. Schlafstörungen sind zu einer regelrechten Volkskrankheit geworden. Und Schlafstörungen sind u.U. die Ursache für organische Krankheiten.
Schlaf – was ist das überhaupt?
Die moderne Schlafforschung nimmt ihren Anfang etwa in den 30er-Jahren. 1929 wurde von dem Jenaer Neurologen und Psychiater Hans Berger eine Methode entwickelt, mit der die Aktivität des Gehirns kontinuierlich – also auch im Schlaf – gemessen werden kann: die Elektroenzephalographie (EEG). Diese und einige andere Methoden (z.B. die Elektrokardiographie ‑EKG – zur Beobachtung der Herzfrequenz, die Elektromyographie (EMG – zur Bestimmung der Muskelspannung) werden seither in so genannten Schlaflabors eingesetzt. Dort können auch die Muskelspannung, der Blutdruck, die Augenbewegung und vieles mehr systematisch erfasst und dokumentiert werden.
Mithilfe dieser sensiblen technischen Untersuchungsmethoden konnten die Wissenschaftler tatsächlich nachweisen, dass der Schlaf mehr ist als nur ein Ruhezustand des Gehirns. Durch Untersuchungen im Schlaflabor ließ sich zeigen, dass Schlaf keine homogener Prozess ist, sondern eine sehr komplexe Angelegenheit, die je nach Alter, Persönlichkeit und Konstitution mehr oder weniger stark variieren kann.
Jeder Schlaf hat ein Profil
1953 machten die amerikanischen Wissenschaftler Nathaniel Kleitman und Eugene Aserinsky eine bahnbrechende Entdeckung: Sie beobachteten, dass es während des Schlafes wiederholt Phasen auftreten, in denen das Gehirn besonders aktiv ist. Der Puls, die Gehirndurchblutung und die Atemfrequenz steigen an, die Muskeln erschlaffen. Darüber hinaus äußert sich die Gehirnaktivität in diesen Phasen in lebhaftem Träumen, die von ruckartigen Bewegungen der Augen begleitet sind und die dazu beitrugen. Daher wurde diese Phase der Name REM-Schlaf – rapid-eye-movement-Schlaf – gegeben. Bei Neugeborenen macht der REM-Schlaf etwa 60 % des Gesamtschlafes aus; mit zunehmendem Alter sinkt er kontinuierlich ab und beträgt beim Erwachsenen nur noch etwa 20 %.
Doch auch die übrigen Schlafphasen, die gemeinhin als Non-REM-Schlaf zusammengefasst werden, sind nicht weniger von Bedeutung – wenn es um die erholsame Nachtruhe geht: Beim Einschlafen durchläuft ein Mensch die Schlafstadien A, B, C und D, bis er die Tiefschlafphase (E) erreicht. Doch schon nach zwei Stunden wird er aus der Tiefschlafphase in eine Traumphase versetzt, gefolgt wieder von einer Tiefschlafphase usw. usf.. Bis zu sechs Mal durchläuft ein Erwachsener pro Nacht diesen Schlafperioden.
Und wie viel Schlaf braucht der Mensch?
Die Frage, wie viel Schlaf ein Mensch benötigt, lässt sich nicht pauschal beantworten. Das erforderliche Schlafquantum hängt u.a. von seiner Konstitution, von seinem Alter aber natürlich auch von den Belastungen ab, die er am Tag erfahren hat.
Kinder beispielsweise benötigen im Durchschnitt 12–18 Stunden Schlaf, im Gegensatz zu Erwachsenen, die in vielen Fällen schon mit 6–8 Stunden zufrieden sind. Doch das sich natürlich nur Annäherungen und es wäre gar nicht verwunderlich, wenn ein Erwachsener 10 bis 12 Stunden benötigt, wie z.B. Einstein. Andere wiederum sind eher als Kurzschläfer zu bezeichnen: Churchill z.B. kam schon mit 4–5 Stunden pro Nacht aus. Ob Kurz- oder Langschläfer, das kann sich keiner aussuchen, die Anlagen dafür liegen in der Erbsubstanz, den Genen.
Wie viel Schlaf der Einzelne benötigt, ist darüber hinaus natürlich von den Umständen abhängig: Nach anstrengender Arbeit, bei Krankheiten oder im Winter benötigen die meisten Menschen mehr, im Urlaub und bei freudigen Ereignissen (Hochzeit, Geburt eines Kindes etc.) eher weniger Schlaf. Selbst Wetterumschwünge oder der Mond können die Dauer und die Qualität des Schlafes nachhaltig beeinflussen, doch dazu später mehr.
Die Innere Uhr
Der Schlaf-Wach-Rhythmus wird von einer inneren Uhr gesteuert. Diese “Uhr” hat ihren Sitz im Hypothalamus, einem Teilbereich des Zwischenhirns und besteht aus Zellen (wie könnte es anders sein), deren Impulsrate periodisch ab- und wieder zunimmt. Nach Aussage von Experten läuft die innere Uhr des Menschen allerdings nicht exakt im 24-Stunden ‑Rhythms. Wenn man nämlich gesunde Versuchspersonen für mehrere Wochen in einen Zeitisolationsbunker schickt, in dem alle äußeren Anhaltspunkte für Zeitgebung fehlen, fallen alle Personen zuerst in einen 25 Stunden-Rhythmus. Etwas später – etwa nach 14 Tagen – entwickelt dann jeder Mensch seine individuelle Rhythmik.
Mit anderen Worten, die innere Uhr muss täglich etwas nachgestellt werden. Dazu gibt es – wie man heute weiß – spezielle Moleküle, die im Auge, in speziellen Arealen im Hirn, aber auch überall in der Haut vorkommen. Eines dieser Moleküle wird Kryptochrom genannt, von griechisch krypto = versteckt und chrom = Farbe. Kryptochrom reagiert in erster Linie auf blaues Licht. Bei Belichtung verändern es seine Gestalt und zeigt so der inneren Uhr den Tag-Nacht-Wechsel an.
Jeder fühlt seine innere Uhr ticken, besonders dann, wenn die äußere Uhr verstellt worden ist: z.B. bei Auslandaufenthalten. Müde und kaputt wachen wir nach einem mehrstündigen Flug in ein fernes Land auf, denn wenn dort die Sonne aufgeht, ist nach unserem Empfinden immer noch Nacht. Die innere Uhr hat sich noch nicht an die neue Zeitzone angepasst. Das dauert in der Regel 7 bis 8 Tage.
Gesund durch ausreichend Schlaf
Schlaf ist eine lebenswichtige Phase, in der sich die Organe und insbesondere die Nervenzellen regenerieren – daran dürfte heute kein Zweifel mehr bestehen. Was aber genau im Schlaf geschieht und warum wir eigentlich schlafen müssen – darüber wird immer noch heftig diskutiert und gestritten.
Schlaf ist nicht nur mit Entspannung, sondern auch mit Arbeit verbunden – zumindest für einige bestimmte Organe. Das merken wir vor allem dann, wenn wir eine Infektion “in den Knochen” oder ein (seelisches) Problem zu lösen haben. Schweißgebadet wachen wir nach einer solchen Nacht auf und manch einer verbraucht nachts mehr Kalorien als am Tag.
Viele Körperfunktionen laufen im Schlaf anders ab, als im Wachzustand: Die Herz- und Pulsfrequenz verringert sich auf ca. 50 Schläge pro Minute (außer im REM-Schlaf), der Blutdruck geht zurück, der Atem wird flacher, die Körpertemperatur sinkt um ca. 0,4° Celsius. In den frühen Morgenstunden ist sie am niedrigsten, die Muskelspannung lässt nach und bestimmte Hormone – das Wachstumshormon zum Beispiel – werden vor allem während der Tiefschlafphasen produziert und ausgeschüttet.
Neuere Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass auch das Immunsystem durch einen erholsamen Schlaf gestärkt wird. Die zahlreichen Abwehrzellen, deren Aufgabe darin besteht eindringende Bakterien ebenso zu bekämpfen wie entartete Zellen, können sich im Schlaf regenerieren. Diese Ergebnisse werden durch einen ganz neuen Forschungszweig erhärtet, der sich ausschließlich mit der Wechselwirkung zwischen dem Zentral-Nervensystem (ZNS) und dem Immunsystem beschäftigt: der Psycho-Neuro-Immunologie.
Autor
• Jens Meyer-Wegener, Heilpflanzen-Welt (2003).
weitere Infos
• Schlaf (Teil 2): Wenn die Nacht zum Tag wird
• Schlaf (Teil 3): Therapeutische Maßnahmen gegen Schlafstörungen