Entspannungstherapie (Teil 2): Progressive Muskelentspannung nach Jacobson (PME)

Das in Deutsch­land vor­wie­gend als pro­gres­si­ve Mus­kel­ent­span­nung (auch pro­gres­si­ve Mus­kel­re­la­xa­ti­on oder Tie­fen­mus­kel-Ent­span­nung genannt) bekann­te Ent­span­nungs­ver­fah­ren, geht auf den ame­ri­ka­ni­schen Arzt, Phy­sio­lo­gen und Psy­cho­lo­gen Edmund Jacob­son (1885–1976) zurück. Jacob­son ent­stammt einer wohl­ha­ben­den ame­ri­ka­ni­schen Fami­lie und stu­dier­te zunächst Psy­cho­lo­gie an der Har­vard Uni­ver­si­tät in Boston/​ Mas­sa­chu­setts. Auf­grund per­sön­li­cher Erfah­run­gen inter­es­sier­te ihn schon früh die Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen mus­ku­lä­rer Anspan­nung und see­li­schem Wohlbefinden.

Nach sei­nem Stu­di­en­ab­schluss in Psy­cho­lo­gie (1912) schloss sich eine medi­zi­ni­sche und im wei­te­ren ins­be­son­de­re eine phy­sio­lo­gisch Aus­bil­dung an. Jakobson wirk­te eine Zeit­lang an der Cor­nell University/​New York und ging dann nach Chi­ca­go, wo er zunächst über­wie­gend kli­nisch arbei­te­te, und ab 1936 — weit­ge­hend aus eige­nen Mit­teln finan­ziert — ein eige­nes Labor eröff­nen konn­te. Die nach­fol­gen­den vier Lebens­jahr­zehn­te waren ganz der wei­te­ren Aus­ar­bei­tung, der wis­sen­schaft­li­chen Fun­die­rung und der kli­ni­schen Anwen­dungs­über­prü­fung der pro­gres­si­ven Mus­kel­re­la­xa­ti­on gewidmet.

Nach zahl­rei­chen weg­wei­sen­den Vor­ar­bei­ten erschien die Bezeich­nung “pro­gres­si­ve mus­cle rela­xa­ti­on” erst­mals im Jah­re 1925 in einem eigen­stän­di­gen Zeit­schrif­ten­auf­satz. Eini­ge Jah­re spä­ter (1929) leg­te Jacob­son ein umfas­send doku­men­tier­tes und auf der euro­päi­schen und nord­ame­ri­ka­ni­schen Expe­ri­men­tal­phy­sio­lo­gie und ‑psy­cho­lo­gie begrün­de­tes Kom­pen­di­um zu die­ser The­ma­tik vor. Im Jah­re 1934 erschien unter dem Titel “You must relax” eine an das all­ge­mei­ne Publi­kum gerich­te­te Fas­sung, die bis in die 1970er Jah­re wie­der­holt neu auf­ge­legt wur­de und seit 1990 auch in deut­scher Spra­che vorliegt.

Konzeption der PME

Die pro­gres­si­ve Mus­kel­ent­span­nung nach Jacob­son (PME) stellt ein üben­des, auf die Mus­keln gerich­te­te Ver­fah­ren dar. Auf den ers­ten Blick scheint es eine gewis­se Ähn­lich­keit mit der Gym­nas­tik oder sons­ti­ger kör­per­li­cher Übun­gen zu haben. Aber auch nur auf den ers­ten Blick: Bei der PME wird durch bewusst voll­zo­ge­ne mus­ku­lä­re Übun­gen – genau­er gesagt durch eine geziel­te Schu­lung der Wahr­neh­mung der Mus­kel­span­nung – im Gesamt­or­ga­nis­mus ein gewis­ser Ent­span­nungs­re­ak­ti­on aus­ge­löst wird. Kon­kret heißt das, dass nach­ein­an­der ver­schie­de­ne Mus­kel­grup­pen ange­spannt und wie­der ent­spannt wer­den, wobei der betref­fen­de Mensch sich auf die Wahr­neh­mung der Span­nungs­un­ter­schie­de zwi­schen An- und Ent­span­nung kon­zen­triert. Dadurch wird — nach den Unter­su­chun­gen von Jacob­son — eine mehr oder weni­ger gene­ra­li­sier­te psy­cho­phy­si­sche Ent­span­nungs­re­ak­ti­on herbeiführt.

Ein Bei­spiel: Der Pati­ent sitzt gera­de auf einem Stuhl (die Grund­hal­tung). Unter Anlei­tung eines PME-Leh­rers, The­ra­peu­ten (oder beim Abhö­ren einer ent­spre­chen­den Kas­set­te), der mit ruhi­ger Stim­me die nöti­gen Anwei­su­un­gen erteilt, wer­den die Arm­mus­keln für kur­ze Zeit im ange­spann­ten Zustand gehal­ten und wie­der ent­spannt, es fol­gen die Schul­tern, der Rumpf und die Bei­ne. Die­ses sog. 4‑Schritt-Pro­gramm kann mehr­fach wie­der­holt wer­den, um den Lern- und Ent­span­nungs­ef­fekt noch zu stei­gern. Je nach Ziel­set­zung wer­den ganz bestimm­te Mus­kel­par­tien in die Behand­lung einbezogen.

Die PME hat sich bei zahl­rei­chen Indi­ka­tio­nen bewährt. Hier die “klas­si­schen” PME-Indikationen:

  • Mus­ku­lä­ren Verspannungszuständen
  • Angst- und Zwangsstörungen,
  • Funk­tio­nel­len Herz- und Kreislaufstörungen
  • Funk­tio­nel­le Magen-Darm-Störungen
  • Schlaf­stö­run­gen

Allein oder in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren Behand­lungs­stra­te­gie­en wird sie heu­te auch bei fol­gen­den Erkran­kun­gen ein­ge­setzt: bei Sucht­er­kran­kun­gen z.B. oder bei Atem­wegs­er­kran­kun­gen, bei Tin­ni­tus und Fibro­my­al­gie. Bei mas­si­ven Angst­zu­stän­den und Psy­cho­sen wird von der Anwen­dung der PME abge­ra­ten, da es zu einer Ver­stär­kung der Sym­pto­me kom­men kann (para­do­xe Konditionierung).

In jedem Fall soll­te der The­ra­peut, der die­se Behand­lung anbie­tet und bei sei­nem Pati­en­ten ein­set­zen will, eine entspr. Aus­bil­dung durch­lau­fen haben und entspr. Qua­li­fi­ka­tio­nen vor­wei­sen kön­nen. Genaue Vor­ga­ben über Aus­bil­dungs­stun­den etc. fin­den sich in den Berufs- und Wei­ter­bil­dungs­ord­nun­gen (für Ärz­te z.B.).

Die Kos­ten für eine PME-The­ra­pie wer­den mitt­ler­wei­le von eini­gen Kran­ken­kas­sen erstat­tet, es ist aber rat­sam, sich vor Beginn der Behand­lung bei dem jew. Ver­si­che­rer zu erkunden.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Heil­pflan­­zen-Welt (2002).
Quel­len
• Kohl F.: Die pro­gres­si­ve Mus­kel­ent­span­nung nach E. Jacob­son — ein “natür­li­ches Ent­span­nungs­ver­fah­ren”, Ärz­te­zeit­schrift für Natur­heil­ver­fah­ren, 12, 2000, S. 800–809.
• Kohl F.: Die Pro­gres­si­ve Mus­kel­ent­span­nung nach Jacob­son (=PME) – prag­ma­ti­sche und indi­ka­ti­ve Aspek­te, Ärz­te­zeit­schrift für Natur­heil­ver­fah­ren, 1, 2002, S. 14–24.
wei­te­re Infos
Ent­span­nungs­the­ra­pie (Teil 1)
Ent­span­nungs­the­ra­pie (Teil 3)

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