Alzheimer-Demenz-Therapie: Musik als (Wieder-)Zugang zur Welt

Musik beein­flusst unser Leben, ob wir gesund oder krank sind. Musik kann sogar hel­fen, wenn ande­re the­ra­peu­ti­sche Mit­tel schein­bar aus­ge­schöpft sind. Dies wur­de beim “1. Inter­na­tio­na­len Kon­gress für Musik in The­ra­pie, Medi­zin und Bera­tung” Ende Juni in Ham­burg deut­lich [1]. Nach den Wor­ten der Musik­pro­fes­so­rin Prof. Dr. Rosa­lie Robol­lo Pratt von der Brig­ham Young Uni­ver­si­tät in Pro­vo, Utah/​USA, gibt es zwar kei­ne Lang­zeit­stu­di­en, wie sich bei­spiels­wei­se die Musik auf alte Men­schen aus­wirkt. Unter­su­chun­gen hät­ten aber erge­ben, dass Musik z. B. das Tumor­wachs­tum redu­ziert, auch die häu­fig The­ra­pie beglei­ten­de Übel­keit ver­schwin­de [2].

Vom oft segens­rei­chen Ein­satz der Musik in mitt­ler­wei­le elf Ein­rich­tun­gen des Ham­bur­ger Trä­gers “pfle­gen & woh­nen” berich­te­ten die Ham­bur­ger Musik­the­ra­peu­ten Arni­ka Schwarz und Jan Sonn­tag: “Den­ken Sie sich den All­tag auf einer Demen­ten­sta­ti­on etwa so”, erklär­te Schwarz: “Eine alte Frau hält still eine Pup­pe auf dem Arm, eine ande­re schiebt einen Ein­kaufs­wa­gen hin und her, dort geht ein altes Pär­chen Hand in Hand, eine mehr als 90jährige ruft laut nach ihrer Mut­ter.” Gemein­sam sei allen die­sen Men­schen, dass sie in ihrer Welt leb­ten, zu der offen­bar nie­mand Zugang habe. Errei­chen kön­ne man die­se Welt aber mit Hil­fe der Musik.

Wie­der­ho­lun­gen sind ein wich­ti­ger Bestand­teil der Musik­the­ra­pie mit demen­ten Pati­en­ten – sie schla­gen immer wie­der das­sel­be stets erneut vor, und: Sie kön­nen sich meist nicht erin­nern, was sie gera­de gehört haben. Sonn­tag ver­wies auf einen ande­ren Aspekt: “In der Arbeit mit Men­schen mit Demenz kom­men wir nicht ohne die Sing­stim­me aus. Dies ist zum einen durch die Lebens­ge­schich­te alter Men­schen bedingt; zum ande­ren bleibt die Stim­me als Res­sour­ce häu­fig bis in weit fort­ge­schrit­te­ne Sta­di­en der Krank­heit erhal­ten.” Lie­der und Sin­gen sei­en daher Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel und zugleich Medi­um für zwi­schen­mensch­li­che Interaktion.

Bei vie­len demen­ten alten Men­schen funk­tio­niert das Lang­zeit­ge­dächt­nis – sie erin­nern sich bei­spiels­wei­se an die Zei­ten, in denen sie noch ein Gram­mo­phon hat­ten. Da set­zen die The­ra­peu­ten häu­fig ein: Die Pati­en­ten schaf­fen es, die Kur­bel zu dre­hen und den Ton­arm vor­sich­tig auf die alte Schall­plat­te zu set­zen. Frau D., damals Mit­te 90, sang plötz­lich das Lied “Wir machen Musik”. Auf­grund ihrer Demenz war die Pati­en­tin nicht mehr in der Lage, all­tags­prak­ti­sche Din­ge wie Essen oder Anzie­hen allein zu ver­rich­ten: “Und dann war da die­ses Lied”, berich­te­te Schwarz, “es wur­de zum Schlüs­sel­lied in der Musik­the­ra­pie.” Da Frau D. unter star­ken Hör­be­ein­träch­ti­gun­gen litt, boten ihr die The­ra­peu­ten die Musik über Kopf­hö­rer: “Das Lied beglei­te­te sie bis zu ihrem Tod im letz­ten Win­ter.” Anzu­neh­men ist, dass Frau D. dank die­ser hör­ba­ren Erin­ne­rung einen Zugang zu ihrer eige­nen Ver­gan­gen­heit bekom­men hat.

Musik, um Men­schen zu errei­chen, bei denen das sonst schwie­rig ist, um Stress abzu­bau­en oder Lei­den zu lin­dern: Trotz sol­cher Erfol­ge ist die Musik­the­ra­pie weit davon ent­fernt, ange­sichts der Finanz­la­ge in unse­rem Gesund­heits­sys­tem zu einer Regel­leis­tung zu wer­den. Immer­hin so berich­tet die Ber­li­ner Musik­the­ra­peu­tin und Sozio­lo­gin Doro­thea Muthe­si­us: In Ber­lin wird mitt­ler­wei­le an einem Modell­pro­jekt “Musik­the­ra­pie in der häus­li­chen Ver­sor­gung alter Men­schen” gearbeitet.

Autor
• Wer­ner Loo­sen (DJV), Fach­me­di­zin­jour­na­list, Juli 2003.
Quel­len
[1] 1. Inter­na­tio­na­ler Kon­gress für Musik in The­ra­pie, Medi­zin und Bera­tung in Ver­bin­dung mit dem VIII. Sym­po­si­um für Musik­me­di­zin der Inter­na­tio­nal Socie­ty for Music in Medi­ci­ne (ISMM). Ver­an­stal­ter: Inter­na­tio­nal Asso­scia­ti­on of Music in Medi­ci­ne (ISMM) und Insti­tut für Musik­the­ra­pie der Hoch­schu­le für Musik und Thea­ter Ham­burg. 24.–27. Juni 2003, Hamburg.
[2] Wil­manns W, Nüss­ler V, Weber S: A Pilot Stu­dy on the Influence of Recep­ti­ve Music Lis­tening on Can­cer Pati­ents During Che­mo­the­ra­py. Int J Arts Medi­ci­ne. Vol. 5 No. 2, 2002.
• Deut­sche Gesell­schaft für Musik­the­ra­pie: www.musiktherapie.de.
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