Eiben-Frucht
Alljährlich werden Milliarden zur Erforschung von Naturwirkstoffen ausgegeben. Die “Erfolgsgeschichte” von Paclitaxel, einem Antikrebsmittel zeigt, wie aufwändig und teuer die Erforschung sein kann.
1966 wurde die Entdeckung des Paclitaxel (auch Taxol) als Tumor-Wachstum hemmende Substanz (Zytostatikum) weltweit als Durchbruch für die Krebstherapie gefeiert. Es schien, dass ein weiteres wirksames Zytostatikum im Kampf gegen den Krebs gefunden worden war. Doch es sollte noch drei Jahrzehnte dauern, bis das Heilmittel für die allgemeine Krebstherapie zur Verfügung stand.
Denn: Die Extrakt-Gewinnung des Naturwirkstoffes stellte sich als schwierig und ausgesprochen kostspielig heraus: Bis 1995 konnte Paclitaxel nur durch chemische Isolation aus pazifischen Eiben (Taxus brevifolia) gewonnen werden. Die Ausbeute war gering. Eine ausgewachsene Eibe lieferte etwa drei Kilogramm Rinde, der insgesamt nur 350 Milligramm Taxol entzogen werden konnten. Um eine sinnvolle Behandlung eines einzigen Krebspatienten durchführen zu können, mussten etwa sechs ausgewachsene Bäume gefällt werden. Schwierigkeiten und Konflikte waren vorprogrammiert: Der Bedarf des begehrten Wirkstoffs war riesig, der Bestand der Eiben hingegen gering. Das langsam wachsende Nadelgehölz erreicht nämlich erst in einhundert Jahren seine volle Größe. Zudem eignet es sich nicht zur schnellen Wiederaufforstung.
Folge: Schon nach wenigen Jahren traten Liefer-Engpässe des begehrten Naturwirkstoffes auf. Und es begann ein gnadenloser Kampf um die knappe Naturressource. Während Mediziner bis Ende der achtziger Jahre verschiedene klinische Studien abgeschlossen hatten, die die hohe Wirksamkeit Taxols gegen Brust- und Eierstock-Krebs und Bronchialkrebs bestätigten, kämpften Naturschützer gegen die Rodung der letzten Eiben-Bestände.
Auch bei den Chemikern und Pharmaherstellern von Zytostatika fand ein Kampf statt: Wer zuerst die komplizierte Molekular-Struktur des Eibenwirkstoffes entschlüsselte und chemisch nachbauen konnte, könnte ein wichtiges Rennen im attraktiven Zytostatika-Markt gewinnen.
Jahrzehntelang schien die synthetische Herstellung in großen Mengen überhaupt nicht durchführbar. Dennoch versuchten weltweit etwa dreißig Gruppen von Wissenschaftlern und Chemikern in Nordamerika, Europa und Asien das Geheimnis der Struktur des Paclitaxel zu entschlüsseln. 1994 bis 1996 hatten drei Forschergruppen aus den USA einen gangbaren Weg zur künstlichen Herstellung gefunden. Allerdings war die Produktion enorm aufwändig und teuer.
Ein Durchbruch und spätere Möglichkeit zur massenhaften Herstellung von Taxol zeichnete sich erst ab, als die ähnliche, einfachere Struktur der europäischen Eibe entdeckt worden war. Endlich war der halbsynthetische Nachbau des Taxols gelungen. Die industrielle Herstellung des Derivates Docetaxel (einem chemischen Verwandten des bisherigen Grundstoffes Paclitaxel) konnte aufgenommen werden. Grundlage des begehrten Naturgrundstoffs waren in diesem Falle Zweige und Nadeln der europäischen Eibe (Taxus baccata). Damit war der weltweite Liefer-Engpass des Naturwirkstoffs überwunden. Denn europäische Eiben wachsen als Hecken und größere Büsche, z. B. auf vielen Friedhöfen oder in öffentlichen Parks. Die selten gewordenen Bestände der amerikanischen Eibe waren damit gerettet.
2002 gelang einem großen amerikanischen Pharmahersteller schließlich der endgültige Durchbruch bei der künstlichen Herstellung des Naturwirkstoffes: Mit Verfahren aus der Biotechnologie konnten Eibenzellen in Kulturen erfolgreich angelegt werden. Auch die technische Isolation des gewünschten Zytostatikums aus der künstlich erzeugten Biomasse gelang. Damit war der Weg frei zur Herstellung des begehrten wirksamen Anti-Krebsmittels. Paclitaxel ist seit 1995 in Deutschland für die Therapie des Mamma‑, Ovarial- und Bronchial-Karzinoms zugelassen (Brust‑, Eierstock- und Lungenkrebs). Es kann den Krebs zwar nicht völlig beseitigen, doch die Überlebensraten der Erkrankten werden eindeutig verlängert – immerhin ein Teilsieg der modernen Naturstoffforschung!
Autorin
• Marion Kaden, Heilpflanzen-Welt (2003).
Quellen
Trueb, Lucien, Neue Züricher Zeitung, 25.05.1994, S. 72.
Nicolaou, Kyriacos C., Taxoide: neue Waffen gegen Krebs, Spektrum der Wissenschaft, August 1996, S. 76–80.
Verband Forschender Arzeinmittelhersteller e.V.: Individuell gegen den Tumor, Innovative Therapien gegen Brustkrebs, Februar 2003, S. 2.