Tiergifte in der Homöopathie

Nicht allein die Phy­to­the­ra­pie, son­dern auch die Homöo­pa­thie Samu­el Hah­ne­manns hat in den ver­gan­ge­nen zwei Jahr­hun­der­ten vie­len Phar­ma­ko­poen neue Anre­gun­gen gege­ben. So lie­fer­te die homöo­pa­thi­sche For­schung zahl­rei­che Aus­sa­gen über die Toxi­ko­lo­gie, Phar­ma­ko­lo­gie und Bio­che­mie von Tier­gif­ten, da die­se in dem Hah­ne­mann­schen The­ra­pie­sys­tem eine bedeut­sa­me Rol­le spielen.

Vie­le der ver­wen­de­ten Tie­re gehö­ren in die Grup­pe der “Ekel­tie­re” – ein taxo­no­misch aller­dings “unsi­che­rer Begriff”. Schlan­gen, Spin­nen oder Krö­ten mögen zwar bei vie­len Men­schen Aver­sio­nen aus­lö­sen, in der Homöo­pa­thie aber wer­den sie vor­ur­teils­los ein­ge­setzt: Hier zeigt sich, was auch die Öko­lo­gie immer wie­der zu zei­gen ver­sucht, daß die­se “Ekel­tie­re” in der Regel äußerst nütz­li­che und fried­li­che Tie­re sind.

Erster Schritt: Herstellung einer Urtinktur nach HAB

Biene

Quel­le: © 2003 Mari­on Kaden, Berlin.

Die phar­ma­ko­lo­gi­sche Zube­rei­tung nach dem homöo­pa­thi­schen Arz­nei­buch (HAB) erfolgt je nach ver­wen­de­tem Tier unter­schied­lich. Vie­le Insek­ten, wie Bie­nen (Apis mel­li­fi­ca) oder Hor­nis­sen (Ves­pa crab­ro), wer­den bei­spiels­wei­se in Wein­geist getö­tet und anschlie­ßend voll­stän­dig ver­rie­ben und bis zu der homöo­pa­thi­schen “Urtink­tur”, die die Grund­la­ge der poten­zier­ten Arz­nei ist, wei­ter­ver­ar­bei­tet. Wird die­se Urtink­tur anschlie­ßend einem rhyth­mi­schen Ver­dün­nungs­ver­fah­ren unter­wor­fen, von Hah­ne­mann “Poten­zie­rung” genannt, ent­wi­ckelt sich – wie die Homöo­pa­then für erwie­sen hal­ten – eine dem Medi­ka­ment eige­ne beson­de­re Heil­kraft. Zudem ver­mag sowohl die Urtink­tur, was phar­ma­ko­lo­gisch ver­ständ­lich erscheint, als auch die poten­zier­te Arz­nei bei Gesun­den Sym­pto­me her­vor­zu­ru­fen. Die­se Sym­pto­me, das soge­nann­te Arz­nei­mit­tel­bild, sind cha­rak­te­ris­tisch für jedes Medi­ka­ment und die­nen als Grund­la­ge für die homöo­pa­thi­sche Arz­nei­mit­tel­fin­dung. Wie immer auch Samu­el Hah­ne­mann beur­teilt wer­den mag, er hat als ers­ter vor rund 200 Jah­ren sys­te­ma­ti­sche Arz­nei­mit­tel­prü­fun­gen an Gesun­den in die sei­ner­zeit völ­lig unwis­sen­schaft­li­che Phar­ma­ko­lo­gie ein­ge­führt und somit die Grund­la­gen für exak­te toxi­ko­lo­gi­sche Erkennt­nis­se gelegt.

Das getrock­ne­te und anschlie­ßend poten­zier­te Bie­nen­gift, Ape­sinum (Api­sin) zeigt, daß das gewon­ne­ne Arz­nei­mit­tel auch aus iso­lier­ten Frak­tio­nen eines Tie­res gewon­nen wer­den kann. Ein ande­res, weit wich­ti­ge­res Mit­tel aus die­ser Grup­pe stellt die Amei­sen­säu­re (Aci­dum for­mici­um) dar. Da die Amei­sen die­ses Gift als Ver­tei­di­gung ver­sprü­hen (“pis­sen”), kann neben der che­misch rei­nen Form der Amei­sen­säu­re auch das Sekret Aus­gangs­ma­te­ri­al des homöo­pa­thi­schen Medi­ka­ments wer­den. Aller­dings kommt, eben­so wie bei Bie­nen und Hor­nis­sen, auch das gan­ze Tier – For­mi­ca rufa – zum Einsatz.

Spinnen sind bedeutsame Lieferanten homöopathischer Medikamente

Viel mehr als die bis­her genann­ten Tie­re ent­spre­chen die Spin­nen dem Bild von Ekel­tie­ren: Sie lie­fern aber eben­falls für die Homöo­pa­thie wich­ti­ge Gif­te. Ihre extre­me Gif­tig­keit ist im Mit­tel weit­aus grö­ßer als die der Schlan­gen und ver­bie­tet die Ver­wen­dung durch unge­üb­te Homöo­pa­then. Zudem soll­ten Spin­nen­gif­te, wie bei­spiels­wei­se die spa­ni­sche Taran­tel, nur in höhe­ren Ver­dün­nungs­stu­fen ein­ge­setzt werden.

Der vege­ta­risch leben­de Bla­sen­kä­fer (Lyt­ta vesi­ca­to­ria) lie­fert das bekann­te Cant­ha­ri­din. In der Homöo­pa­thie hin­ge­gen dient das gan­ze Tier als Aus­gangs­ma­te­ri­al. Die Indi­ka­tio­nen haben zudem weit­aus mehr mit Medi­zin zu tun, als der klas­si­sche Ein­satz des Käfers als Aphro­di­sia­kum. Wegen der hohen Toxi­zi­tät – es wur­de im Mit­tel­al­ter häu­fig für Sui­zi­de “miss­braucht” – ist das Medi­ka­ment auch heu­te noch bis zur drit­ten Poten­zie­rungs­stu­fe (D3) ver­schrei­bungs­pflich­tig. Die­se Ver­schrei­bungs­pflicht bis zu einer bestimm­ten Ver­dün­nung gilt auch für die meis­ten ande­ren homöo­pa­thi­schen Medi­ka­men­te aus Tiergiften.

Kröten werden “abgemolken”

Typi­sche Ekel­tie­re wie Krö­ten (Bufo rana) lie­fern dem homöo­pa­thi­schen Phar­ma­zeu­ten nur ihr Gift. Bei dem soge­nann­ten “Abmel­ken” der Krö­ten sezer­nie­ren die Krö­ten nach elek­tri­scher Sti­mu­la­ti­on reflek­to­risch ihr Gift – Bufo­ta­lin. Auch das Gift vie­ler Schlan­gen wird vom leben­den Tier gewon­nen. Die win­zi­gen Men­gen, die dabei gesam­melt wer­den, machen Schlan­gen­gif­te zu äußerst wert­vol­len Aus­gang­stof­fen sowohl für homöo­pa­thi­sche Medi­ka­men­te als auch für Anti­se­ren. Ist die­ses Abmel­ken nicht mög­lich, müs­sen die Schlan­gen, wie z.B. Vipern, getö­tet und das Gift aus den frei­prä­pa­rier­ten Vor­rats­bläs­chen iso­liert werden.

Die Homöopathie hat keine Probleme mit der Halbwertszeit …

Wäh­rend die vor­wie­gend natur­wis­sen­schaft­lich ori­en­tier­te Medi­zin mit immer kür­ze­ren ‘Halb­werts­zei­ten’ ihrer the­ra­peu­ti­schen Grund­la­gen zu kämp­fen hat, hat das von Hah­ne­mann inau­gu­rier­te Sys­tem bis heu­te kei­ne wesent­li­chen Ände­run­gen erfah­ren. Neben der, den alten Alche­mis­ten abge­lausch­ten, spe­zi­el­len Zube­rei­tung der Medi­ka­men­te – der Poten­zie­rung – und der Arz­nei­mit­tel­prü­fung am Gesun­den hat sich ein wei­te­res Prin­zip als Grund­säu­le die­ses Sys­tems her­aus­ge­stellt: das soge­nann­te Simi­le­prin­zip. “Simi­lia simi­li­bus curen­tur” beinhal­tet die The­se, daß Krank­hei­ten durch sol­che the­ra­peu­ti­sche Ein­wir­kun­gen geheilt wer­den kön­nen, die am Gesun­den ähn­li­che Sym­pto­me her­vor­ru­fen kön­nen. Alle, die es anders machen, sind die von den Homöo­pa­then frü­her oft geschmäh­ten “All­o­pa­then”: Die­se küh­len – im über­tra­ge­nen Sin­ne – die Ver­bren­nung der Pati­en­ten, wäh­rend die Homöo­pa­then sie mit einem gleich­sin­ni­gen Reiz (Wär­me) zu behan­deln versuchen.

Homöopathie nicht für Eilige geeignet

Der Ver­gleich des erwähn­ten “Arz­nei­mit­tel­bil­des” mit den Sym­pto­men des Kran­ken aller­dings ist die eigent­li­che Crux der Homöo­pa­thie – der Grund war­um sie nie gro­ße Krei­se zog: Denn, nach Hah­ne­mann­schen Vor­schrif­ten dür­fen nicht die krank­heits­ty­pi­schen, patho­gno­mo­ni­schen Sym­pto­me mit den Sym­pto­men der Arz­nei­mit­tel­prü­fung ver­gli­chen wer­den. Die Ver­schrei­bung des indi­vi­du­ell rich­ti­gen Medi­ka­men­tes muss viel­mehr auf­grund beson­de­rer, abwei­chen­der und äußerst indi­vi­du­el­ler Sym­pto­me des Pati­en­ten vor­ge­nom­men wer­den. Damit ent­zieht sich die Homöo­pa­thie, ähn­lich der chi­ne­si­schen Medi­zin, nahe­zu voll­stän­dig der Krank­heits­klas­si­fi­ka­ti­on der übri­gen Medi­zin. Die Indi­ka­tio­nen eines Medi­ka­men­tes sind nicht mehr die bekann­ten Krank­heits­bil­der, son­dern anfäng­lich schwer zu erfas­sen­de, indi­vi­du­el­le Krank­heits­syn­dro­me. Ein Pati­ent bekommt das poten­zier­te Schlan­gen­gift Lache­sis nicht des­we­gen, weil bei ihm eine Tri­ge­mi­nus­neur­al­gie vor­liegt. Son­dern weil sich, und das ist typisch für das Arz­nei­mit­tel­bild von Lache­sis, die Beschwer­den nach dem Auf­wa­chen ver­schlech­tert haben, sich durch Wär­me ver­schlim­mern und vor­zugs­wei­se auf der lin­ken Sei­te auftreten.

Trotz die­ser erschwer­ten Bedin­gun­gen der rich­ti­gen Arz­nei­mit­tel­fin­dung haben sich nach und nach bei eini­gen Medi­ka­men­ten zumin­dest Indi­ka­ti­ons­be­rei­che her­aus­kris­tal­li­siert. So ist bei­spiels­wei­se das Gift der Otter (Lache­sis) immer wie­der bei einem sep­ti­schem Ver­lauf von Infek­ti­ons­krank­hei­ten oder aku­tem Gelenk­rheu­ma­tis­mus ein­ge­setzt wor­den. Zudem stellt das Medi­ka­ment eines der homöo­pa­thi­schen “Poly­k­res­te” dar, also ein Heil­mit­tel mit beson­ders brei­tem Anwendungsgebiet.

Apis mellifica bei exsudativen Entzündungen

Dies gilt auch für die erwähn­te Honig­bie­ne. Kenn­zeich­nend für Apis mel­li­fi­ca sind exsu­da­tive Ent­zün­dun­gen mit cir­cum­scrip­ten Ödem­bil­dun­gen, wobei beson­ders serö­se Häu­te betrof­fen sind. Apis hat zudem eine beson­de­re Bezie­hung zu den Orga­nen des Rachen­rin­ges und des Kehl­kopfes und wird des­we­gen oft bei Angi­na ton­sil­la­ris ein­ge­setzt. Typisch für die, wie es homöo­pa­thi­sche Ärz­te nen­nen wür­den, “Apis-Pati­en­ten” sind unter ande­rem eine ner­vö­se Ruhe­lo­sig­keit und eine aus­ge­präg­te Berüh­rungs­emp­find­lich­keit der Haut. Des wei­te­ren sind Hit­ze­un­ver­träg­lich­keit und eine nach­mit­täg­li­che Beschwer­de­ver­schlim­me­rung charakteristisch.

Ameise

Quel­le: © 2013 Mari­on Kaden, Berlin.

Die Rol­le von Apis bei der homöo­pa­thi­schen Behand­lung von Krank­hei­ten des rheu­ma­ti­schen For­men­krei­ses ist bereits bedeu­tend – viel wich­ti­ger aber ist hier­bei die Amei­se (For­mi­ca rufa), sowie die poten­zier­te Amei­sen­säu­re. Die letz­te­re bewirkt vor allem bei aku­tem Gelenk­rheu­ma­tis­mus ein schnel­les Nach­las­sen der Schmer­zen. Pati­en­ten mit chro­ni­schen Arthrit­i­den dage­gen reagie­ren vor allem dann auf das Medi­ka­ment, wenn pri­mär Seh­nen und Gelenk­kap­sel betrof­fen sind. Neben die­ser Haupt­in­di­ka­ti­on ist For­mi­ca rufa eines der wich­tigs­ten homöo­pa­thi­schen Kon­sti­tu­ti­ons­mit­tel. Das bedeu­tet, daß hier­mit – sofern Arz­nei­mit­tel- und Sym­pto­men­bild des Pati­en­ten in ent­schei­den­den Punk­ten über­ein­stim­men – die grund­le­gen­de Krank­heits­be­reit­schaft (Kon­sti­tu­ti­on) posi­tiv beein­flusst wer­den kann.

Der Tin­ten­fisch des Mit­tel­mee­res (Sepia offi­ci­na­lis) lie­fert ein wei­te­res sehr bedeut­sa­mes Medi­ka­ment. Die­ses Mit­tel, aus der schwar­zen Tin­te des Kopf­füß­lers her­ge­stellt, wur­de bereits von Hah­ne­mann in die Homöo­pa­thie ein­ge­führt und hat kei­ne toxi­schen Wir­kun­gen wie die bereits erwähn­ten Tier­gif­te. Gynä­ko­lo­gi­sche Erkran­kun­gen, wie Dys­me­nor­rhoe oder Menor­rha­gien, sind wich­ti­ge Indi­ka­tio­nen die­ses Poly­kres­tes. Auch bei vie­len kli­mak­te­ri­schen Beschwer­den wird Sepia ger­ne ein­ge­setzt. Die Leit­sym­pto­me hier­bei sind depres­si­ve Ver­stim­mung und Gleich­gül­tig­keit gegen­über Fami­lie und Beruf.


Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Rai­ner H. Buben­zer (DJV, KdM) – Ham­burg (für THW /​ The­ra­peu­ti­sche Woche, 5.6.1990).
Quel­le
Ver­an­stal­tung: “Kar­ne­val der Tie­re”, Gesell­schaft Homöo­pa­thi­scher Ärz­te in Schles­wig-Hol­stein und den Han­se­städ­ten e.V., Ärz­te­kam­mer Ham­burg (1989).
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