Während vom bislang lebenspraktischsten ‘Lehrbuch der Phytotherapie’ durch unselige Überarbeitung nur noch ein ‘Leerbuch’ übrig geblieben ist, schickt sich das Autorenduo Hildebert Wagner und Markus Wiesenauer an, mit dem Basiswerk “Phytotherapie – Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathika” in zweiter Auflage die entstandene Lücke zu füllen. Die Kombination von Phytotherapie und Homöopathie in diesem Werk erscheint aus naturheilkundlicher Sicht natürlich logisch, macht aber hinsichtlich der weitgehend wissenschaftlich orientierten Darstellung gespannt, wie die Autoren diesen Spagat wohl lösen.
Natürlich kann kein Werk im Umfang von ca. 460 Seiten einen Anspruch auf Vollständigkeit stellen – trotzdem enthält es neben den monographischen Informationen zahlreiche kurze Abhandlungen, deren Informationen dem Praktiker oder beratenden Apotheker durchaus von hohem Nutzen sein können. Beispielsweise das Kapitel “Arzneidrogenqualität und Standardisierung” oder die Darstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen von Phyto- und Homöopathie in Deutschland. Im speziellen Teil des Buches werden indikationsbezogen die wesentlichen Behandlungsmöglichkeiten dargestellt, wobei besonders die jeweilige Einleitung der Kapitel gefällt: Sie zeigt in aller gebotenen Kürze auf, welche Indikationen einer Therapie mit pflanzlichen Präparaten zugänglich sind, und welche nicht. Natürlich mag hier der Kritiker, z. B. aus dem Lager der klassischen Homöopathie, einwänden, dass die Möglichkeiten doch viel weiter reichen, als in dem Wagner-Wiesenauerschen Werk. Das ist in vielen Fällen auch richtig, doch setzt dies eine individuell-unabhängige Qualifizierung in der Komplementärmedizin und zudem hohe therapeutische Erfahrung voraus, die erst durch viele Jahre mühevoller Praxis erworben wird. Angesichts des Konzeptes der “Rationalen Phytotherapie”, wie es die Autoren vertreten, und die sich natürlich auch an “allopathisch” arbeitende Ärzte wenden soll, ist ein gewisser Reduktionismus vertretbar. Zumal die Autoren wohl nicht dem Irrtum unterliegen, Phytotherapie oder Homöopathie seien alleine durch Beschlüsse der entsprechenden BGA-/BfArm-Kommissionen wissenschaftlich zu begründen.
Sehr schön gelungen ist die minimalistische, aber trotzdem verständliche Präsentation zahlreicher Studienergebnisse mit pflanzlichen Arzneimitteln bzw. Homöopathika. Diese didaktisch gelungene Übersichtlichkeit steht etwas im Widerspruch zu den endlos langen Literaturlisten an den Kapitelenden, die im praktischen Alltag weder perzipiert, geschweige denn zum Literaturstudium animieren und nur Platz verschwenden (hier sollte der Verlag besser eine Online-Bibliographieliste aufbauen, die gleichzeitig mit den Kurzfassungen bei einer einschlägigen Literaturdatenbank verknüpft ist – dies hätte erheblichen praktischen und zudem aktuellen Zusatznutzen für viele Leser). Die Neuauflage des Werkes begründen die Autoren mit den vielen und großen Fortschritten auf dem Gebiet der Phytotherapie (welche sie meinen, bleibt jedoch offen). Leider wurde dabei nicht berücksichtigt, dass mit den Auswirkungen der immer noch nicht endgültig abgeschlossenen Nachzulassungen vieler phytotherapeutischer Präparate sowie dem fatalen Kahlschlag der Produktpalette durch die aktuelle Gesundheits-“Reform” auch etliche Informationen zu Anfang 2003 noch erhältlichen Produkte hinfällig werden.
Die Hinweise zur homöopathischen Therapie richten sich nach den, durch die von Metzger, Stiegele oder Stauffer konzipierte wissenschaftliche, auch “deutsch” genannte Niedrigpotenz-Homöopathie. Also eine als “rational” bezeichnete Homöopathie, bei der Heilmittel weitgehend indikationsbezogen und nur durch schwache Individual-Modalitäten verändert eingesetzt werden (hier stand natürlich auch die langjährige Arbeit der Kommission D Pate). Dieser Ansatz ist glänzend für den Alltag des “Allopathen”, für viele Homöopathie-Sympathisanten, aber auch für die Apotheken-Beratung und selbst zur Selbstmedikation geeignet, schöpft jedoch nicht alle Möglichkeiten dieser Medizinschule aus. Apropos Apotheke und Selbstmedikation: Schön sind die zahlreichen Hinweise (Zusammensetzung, Zubereitung) auf Heilkräutertees. Im Maße wie jetzt pflanzenheilkundliche Heilmittel als Fertigprodukte vom Markt verschwinden, werden Apotheker als Produzenten von “rationalen” und wirksamen Heiltees wieder vermehrt gefragt sein. Je klarer die Vorzüge eines Buches sind, desto mehr fallen kritische Punkte auf – besonders dieser: Es tut einem wissenschaftlich basierten Werk zur Phytotherapie keinen Abbruch, wenn anstatt von Strukturformeln, die außer Biochemikern, Pharmakologen und anderen Wissenschaftlern kaum etwas sagen, auch mal typische Abbildungen von Heilpflanzen aufgenommen werden. Dies könnte die ohnehin hohe Lese- und Lernfreude, die dieses Buch weckt, noch weiter erhöhen.
Resümee:
Phytotherapie und Homöopathie werden in diesem Werk auf den – wissenschaftlichen – Punkt gebracht. Es präsentiert viele praktische Therapie-Konzept, regt zum weiteren Studium der Phytotherapie an – “der Mutter aller Therapie…”. Und am wichtigsten: Das Buch macht klar, dass ohne Mit- und Nachdenken anhand der vielen Pflanzen- bzw. Indikationsbeispiele keine eigenverantwortlich praktizierte und verantwortete Pflanzenheilkunde möglich ist – Phytotherapie und Homöopathie als Listenmedizin war und bleibt suboptimal. Tipp: Trotz der zumeist erfreulich verständlichen und erklärenden Sprache, ist das Werk nicht als Handbuch für die Selbstmedikation gedacht. Planen Sie den Kauf, lesen Sie erstmal in Ruhe Probe …
Wagner / Wiesenauer: Phytotherapie – Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathika
2. Auflage, 2003. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
Gebunden 474 S. 224 Abb. 103 Tab. ISBN 3804718159.
Preis: € 89 (Buch bei Amazon bestellen).
Autor
• Rainer H. Bubenzer, Heilpflanzen-Welt (2004).