Oda und die Schlange, Ludwig Bechstein (aus Ludwig Bechstein: “Deutsches Märchenbuch”, 1846)

Lud­wig Bechstein

Es war ein­mal ein Mann, der hat­te drei Töch­ter, von denen hieß die jüngs­te Oda. Nun woll­te der Vater die­ser drei ein­mal zu Mark­te fah­ren, und frag­te sei­ne Töch­ter, was er ihnen mit­brin­gen soll­te. Da bat die Ältes­te um ein gold­nes Spinn­rad, die zwei­te um eine gold­ne Wei­fe, Oda aber sagte:

“Brin­ge mir das mit, was unter dei­nem Wagen weg­läuft, wenn du auf dem Rück­weg bist.” Da kauf­te denn nun der Vater auf dem Markt ein, was sich die älte­ren Mäd­chen gewünscht, und fuhr heim, und sie­he, da lief eine Schlan­ge unter den Wagen, die fing der Mann und brach­te sie Oda mit. Er warf sie unten­hin in den Wagen, und nach­her vor die Haus­tür, wo er sie lie­gen ließ. Wie nun Oda her­aus kam, da fing die Schlan­ge an zu spre­chen: “Oda! lie­be Oda! Soll ich nicht hin­ein auf die Die­le?” (In die Haus­flur). – “Was?” sag­te Oda: “Mein Vater hat dich bis an unse­re Türe mit­ge­nom­men, und du willst auch her­ein auf die Die­le?” Aber sie ließ sie doch ein. Da nun Oda nach ihrer Kam­mer ging, so rief die Schlan­ge wie­der: “Oda, lie­be Oda! Soll ich nicht vor dei­ner Kam­mer­tü­re lie­gen?” – “Ei seht doch!” sag­te Oda, “mein Vater hat dich bis an die Haus­tür gebracht, ich habe dich her­ein­ge­las­sen auf die Die­le, und nun willst du auch noch vor mei­ner Kam­mer­tür lie­gen? Doch es mag drum sein!” – Wie nun Oda in ihre Schlaf­kam­mer ein­ge­hen woll­te, und die Kam­mer­tür öff­ne­te, da rief die Schlan­ge wie­der: “Ach Oda, lie­be Oda! Soll ich nicht in dei­ne Kam­mer?” – “Wie?” rief Oda, “hat dich mein Vater nicht bis an die Haus­tür mit­ge­nom­men? Hab ich dich nicht auf die Die­le gelas­sen, und vor mei­ne Kam­mer­tür? Und nun willst du auch noch mit in die Kam­mer? – Aber, wenn du nun zufrie­den sein willst, so komm nur her­ein, lie­ge aber stil­le, das sag ich dir!” Damit ließ Oda die Schlan­ge ein, und fing an sich aus­zu­klei­den. Wie sie nun ihr Bett­chen bestei­gen woll­te, so rief die Schlan­ge doch wie­der: “Ach Oda, liebs­te Oda! Soll ich denn nicht mit in dein Bet­te?” – “Nun wird es aber zu toll!” rief Oda zor­nig aus. “Mein Vater hat dich bis an die Haus­tür mit­ge­nom­men; ich habe dich auf die Die­le gelas­sen, nach­her vor die Kam­mer­tür, nach­her her­ein in die Kam­mer – und nun willst du gar noch bei mich ins Bett? Aber du bist wohl erfro­ren? Nun so komm mit her­ein und wär­me dich, du armer Wurm!” Und da streck­te die gute Oda selbst ihre wei­che war­me Hand aus und hob die kal­te Schlan­ge zu sich her­auf in ihr Bet­te. Da mit einem Male ver­wan­del­te sich die Schlan­ge, die eine lan­ge Zeit ver­zau­bert gewe­sen war, und die nur erlöst wer­den konn­te, wenn alles das geschah, was mit ihr sich zuge­tra­gen hat­te – in einen jun­gen und schö­nen Prin­zen, der alsobald die gute Oda zu sei­ner Frau nahm.

Autor
• Lud­wig Bech­stein (1846).

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