Senf ist eine Würzpaste mit unglaublicher Geschmacksvielfalt. Mittlerweile gibt es unzählige Sorten, die zum Würzen von Fleischwaren einladen. Das ist jedoch längst nicht alles. Er eignet sich zum Andicken von Saucen und ist als natürliches Konservierungsmittel einsetzbar. Ein wenig in Vergessenheit geraten sind Senfumschläge als wichtiger Bestandteil naturheilkundlicher Therapien.
Der gelbe Klacks Senf zur Wurst ist fester Bestandteil bei Würstchen aus dem Imbiss. Ohne Senf geht da nichts. Der Grund liegt in seiner Würze. Die verhilft – vordergründig – der Wurst, gebraten oder gekocht, zum richtigen Geschmack. Mindestens ebenso wichtig aber: Senf regt durch Sekretions-Steigerung der Verdauungsdrüsen zur schnelleren Verdauung an. Damit liegt eine fette Wurst nicht so lange im Magen. Einen weiteren ernährungsphysiologischen Vorteil entdeckten vor einigen Jahren indische Forscher. Sie fanden heraus, dass schon kleine Mengen Senf Benzpyren – ein Schadstoff der beim Grillen entsteht – unschädlich machen. Mit diesem Wissen ausgestattet, steht dem Verzehr einer oft dauergegrillten Wurst aus der Imbissbude oder während der nächsten Grillsaison zuhause nichts mehr im Wege. Mit einer ordentlichen Portion Senf können Fleisch oder Würste ohne Bedenken genossen werden. Während in den Würstchenbuden der mittelscharfe Senf zum Standard avanciert ist, lohnt sich für zuhause der Kauf verschiedener Sorten. Die wirken mit ihren unterschiedlichen Geschmacksrichtungen auch appetitanregend und es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Das Sortiment an Tafel‑, Speisesenf oder Mostrich ist gross. Auch länder- oder regionalspezifische Spezialitäten laden zum Probieren ein. Den Kompositionen sind weder farblich noch geschmacklich Grenzen gesetzt. Es gibt süssen, milden Senf oder besonders scharfen, wie z.B. den englischen Mustard, der einem wegen der Cayennepfeffer-Komponente Tränen in die Augen treiben kann. Französischer Moutarde hat hingegen oft einen pikanten, reizvollen Geschmack. Für Experimentierfreudige gibt es Sorten, die beispielsweise mit Champagner, Cognac, Nüssen, Honig, Kräutern oder Orangen versetzt sind.
Rund und scharf
Wer beim Senf nur an eine Würzpaste für Fleischwaren denkt, wird ihm nicht gerecht. Senf ist vielseitig einsetzbar. Er sorgt für Sämigkeit in Marinaden oder macht Fleisch, wie die beliebten Rouladen, durch seinen Anteil an ätherischen Ölen zarter. Senf bindet Saucen, sorgt für Farbe, Würze und Aroma. Eine Senfsauce mit Dill ist delikat und eignet sich sowohl für Fleisch als auch Fisch. Mit ein wenig Senf bekommt Vinaigrette eine ganz besonders pikante Note. Gleich welche Farbe oder Konsistenz die Würzpaste hat, ihre Grundlage beruht immer auf Senfkörnern. Diese sind klein, kugelrund und geruchlos. Sie werden aus verschiedenen Brassica- und Sinapis-Arten (Brassicaceae) einjähriger Kreuzblütler gewonnen, die in den gemässigten Zonen der Erde kultiviert werden. Unterschieden wird zwischen weissem und schwarzem Senf. Weisse Senfsamen werden aus dem sogenannten Gelben Senf (Sinapis albae L.) gewonnen und am häufigsten zur Herstellung von Tafel- oder Speisesenf verwendet. Sie sind mild und verleihen dem Senf seinen typischen Geschmack durch das Senföl Sinalbin. Schwarze Senfsamen werden aus Schwarzem oder Braunem Senf (Brassica nigra) gewonnen. Bei dieser Sorte sorgt Allylsenföl für die Schärfe. Senf aus Sarepta- oder Indischem Senf (Brassica juncea L.) ist der Schärfste von allen.
Die Herstellung ist kein Geheimnis, aber…
Jeder Senfhersteller hat seine eigenen Rezepte und hütet die Zusammensetzung und Produktionsabläufe wie ein Geheimnis. Grundsätzlich werden jedoch bei der Senfherstellung geschälte oder ungeschälte Samen gemahlen oder zerstossen. Das Mischungsverhältnis der Senfsorten bestimmt Schärfe und Geschmack. Beides entfaltet sich erst allmählich (mind. 10 Minuten) nach dem Hinzufügen von Flüssigkeiten wie Wasser, Essig, Wein oder unreifem Most. Dann wird die entstandene Paste oder der körnige, sämige Brei mit Salz, Zucker, getrockneten Kräutern oder anderen Zutaten abgerundet.
Senf-Eigenschaften
Senf ist ein natürliches Konservierungsmittel, dafür sorgt das Senföl. Deshalb sind auch keine weiteren chemischen Konservierungsstoffe nötig. Allerdings wird er durch Licht, Luft und Wärme beeinflusst und verändert hierdurch seine Farbe, Schärfe oder Geschmack. Am besten hält sich Senf gut verschlossen im Kühlschrank. Dort kann er bis zu zwei Jahre aufbewahrt werden. Auch bei normaler Zimmertemperatur hält sich Senf, einmal geöffnet, über mehrere Monate. Doch seine Farbe wird im Laufe der Zeit dunkler, die Schärfe verliert sich, wodurch er im Geschmack milder wird. Die Veränderungen der Würzeigenschaften z. B. durch Wärme oder Hitze müssen beim Kochen berücksichtigt werden. Senf in Rouladen oder heisser Sauce schmeckt anders als z. B. bei kaltem Schweinebraten.
Von der Mathematik zur Medizin
Pythagoras schwor auf Senf, behauptete, dass Senf den Verstand schärfe. Ob wir jedoch scharfem griechischem Senf seinen berühmten Lehrsatz zu verdanken haben, bleibt im Dunkel. Den pythagoräischen Lehrsatz “scharfer Senf = scharfer Verstand” kennt jedoch jeder Koch. Eine Volksweisheit aus unseren Landen besagt hingegen, dass Senf dumm macht. Und dies bestätigten sogar Wissenschaftler, als sie herausfanden, dass ein Bestandteil des Senföls, Isothiozyanat, hirnschädigende Wirkungen haben kann – jedoch nur beim Konsum vieler Kilogramm Senf auf einmal! Senf ist eine der ältesten Kulturpflanzen mit gleichzeitig nutritiven und gesundheitsfördernden Eigenschaften: Senf hilft nicht nur bei der Verdauung, sondern hemmt die Vermehrung pathogener Keime, lindert Schmerzen, wirkt entzündungshemmend und hautreizend (durchblutungsfördernd). Letzteres wurde schon von Hippokrates (ca. 460–370 vor Chr.) therapeutisch genutzt. Der berühmte Arzt von Kos verordnete seinen Patienten Senf-Umschläge, wenn sie unter Schmerzen litten. Senf galt bei ihm als sogenanntes ausleitendes Mittel, das durch Reizung der Haut reflektorisch Heilung erkrankter Organe bewirken konnte. Als Begründer der Humoralpathologie beeinflussten seine Vorstellungen jahrtausendelang nachfolgende Ärztegenerationen und sind wirksamer Bestandteil moderner Naturheilkunde.
Senfmehl-Kompresse:
Vier Esslöffel pulverisiertes schwarzes Senfmehl (z. B. aus der Apotheke) wird mit 50 Grad Celsius warmem Wasser angerührt bis es eine breiartige Konsistenz hat. Dann wird der Brei messerrückendick auf ein Gazetuch gestrichen und – nach Abkühlung auf Körpertemperatur! – auf die Gelenke gelegt. Hierum wird ein trockenes Baumwolltuch gewickelt. Wichtig: Die Dauer der Anwendung sollte bei Erwachsenen nur 3–6 Minuten betragen – bis die Hautrötung einsetzt. Dann wird die Gaze entfernt, die Paste vollständig von der Haut abgewaschen, abgetrocknet und anschliessend mit Hautöl einreiben. Sehen Sie eine Ruhephase von mind. 30 Min. vor, am besten zugedeckt im Liegen. Hinweis: Senfumschläge nicht bei entzündeten (überwärmten, geröteten) Gelenken anwenden, nicht bei empfindlicher Haut (Blasenbildung möglich!) Dafür ist eine Probe auf dem Unterarm zu empfehlen. Ohne ärztliche Kontrolle sollen Senfumschläge oder ‑wickel nicht länger als 2 Wochen regelmässig eingesetzt werden. Bei Kindern unter 6 Jahren sowie Nierenkranken sind Senfanwendungen nicht erlaubt.
Gestörte Säfte
Hippokrates sah Krankheit als Störung von Funktionen an, die durch eine fehlerhafte Zusammensetzung der – aus heutiger Sicht energetisch interpretierten – Körpersäfte (lat. humores = Blut, Schweiss, schwarze Galle, gelbe Galle) entstanden. Hippokrates beobachtete zudem funktionelle Zusammenhänge zwischen Körperinnerem und Hautoberfläche und folgerte daraus, dass kranke Organe durch äussere Massnahmen beeinflusst oder gereinigt werden konnten. Grundsätzlich wurden diese, vor allem über komplexe Nervenverschaltungen realisierten Zusammenhänge zwischen Haut und Organen in der Neuzeit wissenschaftlich bestätigt. Diese Vorstellungen sind Grundlage der heute als “ausleitende Verfahren” bezeichneten Methoden, vor allem in der Naturheilkunde. Anwendung finden Ausleitungstherapien z. B. in der alternativen Schmerztherapie, bei der Behandlung von orthopädischen Krankheiten oder zur Immunmodulation. So werden bei rheumatischen Erkrankungen beispielsweise Senfpflaster oder Senfumschläge auf die schmerzenden Gelenke aufgelegt. Das hautreizende Benzyl-Senföl wird neben der reflektorischen Wirkung auf das Gelenkinnere (führt u. a. zu vermehrter Durchblutung) für die entzündungs- und schmerzhemmende Wirkung verantwortlich gemacht. Weitere Indikationen für Senfbreiumschläge sind chronisch degenerative Gelenkerkrankungen (Arthrose), Weichteilrheumatismus (Fibromyalgie) oder Katarrhe der Luftwege.
Autorin
• Marion Kaden, Natürlich (2005).
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• Monographie