Daucus Carota – viel mehr als nur eine Möhre

Möh­ren (Dau­cus Caro­ta)

Jedes Baby weiss: Nach der Mut­ter­milch kommt Möh­ren­brei. Trotz der frü­hen Erfah­run­gen mit der lecke­ren Pfahl­wur­zel, wis­sen nur wenig Erwach­se­ne vom enor­men Poten­ti­al der Möh­ren. Sie sind nicht nur ernäh­rungs­phy­sio­lo­gisch bedeut­sam, son­dern haben breit ange­leg­te, hete­ro­ge­ne Heilwirkungen.

Ergebnis vieler Kreuzungen

Die Mut­ter aller Möh­ren ist die Wil­de Möh­re (Dau­cus caro­ta L.). Sie gehört zur Fami­lie der Dol­den­blüt­ler (Umbel­li­fer­ae) und ist in Asi­en und Euro­pa behei­ma­tet. Sie wächst auf mage­ren, tro­cke­nen Böden, im Berg- und Flach­land an Stra­ßen- und Weg­rän­dern. Die Pflan­ze ist unüber­seh­bar und kann bis zu einem Meter hoch auf­schies­sen. Sie hat weis­se oder rosa­far­be­ne viel­strah­li­ge Dol­den, ihre Blät­ter sind fie­der­tei­lig zer­schlitzt und haben haar­fei­ne Zip­fel. Sie blüht von Mai bis Okto­ber und ent­wi­ckelt zwei bis vier Mil­li­me­ter lan­ge Früch­te, die läng­lich-eiför­mig aus­se­hen. Ihre Wur­zel ist rüben­för­mig, hol­zig, innen und aus­sen weiss. Die wil­de Möh­re hat mit der moder­nen, oran­ge­far­be­nen und stark caro­tin­hal­ti­gen Möh­re nur noch weni­ge Gemein­sam­kei­ten. Wie die heu­ti­ge Möh­re ent­stand, aus wel­chen Kreu­zun­gen oder Muta­tio­nen sie her­vor­ging, dar­über sind sich Bota­ni­ker nicht einig. Eine Theo­rie, die häu­fi­ger kol­por­tiert wird, geht davon aus, dass sich unse­re Möh­re in meh­re­ren Muta­ti­ons­schrit­ten ent­wi­ckel­te. Im 10. Jahr­hun­dert sol­len afgha­ni­sche Wild­möh­ren mit pur­pur­ro­ter Wur­zel (Antho­cya­ne, was­ser­lös­li­che Pflan­zen­farb­stof­fe) in den Mit­tel­meer­raum gelangt sein und dort gel­be Mutan­ten ent­wi­ckelt haben. Im 14. und 15. Jahr­hun­dert sol­len wei­ße, rote und gel­be Sor­ten nach Mit­tel­eu­ro­pa gelangt sein. Die heu­ti­ge, oran­ge Möh­re, die welt­weit Ver­brei­tung fin­det, ent­wi­ckel­te sich aus der Weis­sen Möh­re und ist ein Zucht­er­geb­nis des 20. Jahr­hun­derts. Die Möh­re, Karot­te, Wur­zel oder Gel­be Rübe wie sie auch genannt wird, gehört zu den wich­tigs­ten Gemü­se­pflan­zen. Ihre Beliebt­heit beruht auf dem süss­li­chen, mil­den Geschmack und den wert­vol­len Inhalt­stof­fen. Möh­ren wer­den von der Nah­rungs­mit­tel­in­dus­trie zu Nass‑, Gefrier­kon­ser­ven, Tro­cken­pro­duk­ten und Säf­ten ver­ar­bei­tet. Für die Phar­ma­in­dus­trie sind sie wegen der medi­zi­nisch wirk­sa­men Inhalt­stof­fe Grund­la­ge ver­schie­de­ner Präparate.

nur eine Auswahl der wichtigsten Inhaltsstoffe…

Möh­ren haben eine gan­ze Rei­he von medi­zi­ni­schen wirk­sa­men Inhalts­stof­fen (unter­sucht wur­den prak­tisch nur kul­ti­vier­te Karot­ten, bzw. deren Extrak­te). Die wich­tigs­te Grup­pe sind die Caro­ti­no­ide. Das ist eine Grup­pe von, im Pflan­zen- und Tier­reich weit ver­brei­te­ter gel­ber und roter Farb­stof­fe. Che­misch sind es hoch­un­ge­sät­tig­te, teil­wei­se grad­ket­tig, teil­wei­se grad­ket­tig-ring­för­mig auf­ge­bau­te Koh­len­was­ser­stof­fe und deren Sau­er­stoff­ver­bin­dun­gen. Die über­ra­gen­de phy­sio­lo­gi­sche Bedeu­tung der Caro­ti­no­ide liegt in ihrer Betei­li­gung an der Ener­gie­über­tra­gung bei der Pho­to­syn­the­se, sowie der Funk­ti­on, Zel­len vor schä­di­gen­dem Licht­ein­fluss zu schüt­zen, und bei der Unter­grup­pe der Caro­ti­ne in ihrer Funk­ti­on als Pro­vit­amin (=inak­ti­ve Vit­amin-Vor­stu­fe). Bekann­te Möh­ren-Caro­ti­ne sind Beta­ca­ro­tin (Pro­vit­amin des lebens­not­wen­di­gen Vit­amin A1, auch Reti­nol genannt, wird in der Leber zu Vit­amin A umge­baut) oder Lyco­pin (ein krebs­schüt­zen­der Inhalts­stoff, der beson­ders auch bei Toma­ten vor­kommt). Die Men­ge der äthe­ri­schen Öle (z. B. Limo­nen), die in der Möh­re ent­hal­ten sind, ist – zumin­dest bei der Wur­zel, nicht aber den Samen – eher gering für the­ra­peu­ti­sche Wir­kun­gen. Trotz­dem wur­den sie ger­ne in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren äthe­ri­schen Ölen ver­wen­det, z. B. für Bron­chi­al-Inha­la­ti­ons­kap­seln. Die Grup­pe der Polyine, das sind hoch-reak­ti­ve, insta­bi­le Koh­len­stoff­ver­bin­dun­gen mit meh­re­ren Drei­fach­bin­dun­gen, ist in letz­ten Jah­ren beson­ders in den Focus wis­sen­schaft­li­cher Auf­merk­sam­keit gera­ten. Ihr Haupt­ver­tre­ter bei der Möh­re, das Fal­ca­ri­nol (auch Caro­ta­to­xin genannt) schützt die Möh­re vor Pilz­be­fall, ist also ein natür­li­ches Pes­ti­zid. Bei Säu­ge­tie­ren, so zei­gen aktu­el­le Unter­su­chun­gen, kann Fal­ca­ri­nol die Krebs­ent­ste­hung aus Krebs­vor­läu­fern (Prä­kan­ze­ro­se) hem­men. Dies ist eine spä­te Bestä­ti­gung für eine Anwen­dung von Möh­ren bei der Behand­lung von offe­nen Tumo­ren in ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten. Hin­weis: Auch die Super­heil­pflan­ze Kamil­le hat höhe­re Antei­le ähn­li­cher Polyine. Der hohe Gehalt an Zucker­ver­bin­dun­gen aus den Grup­pen der Mono- und Oli­gos­ac­cha­ri­de, z. B. Glu­co­se (Trau­ben­zu­cker) oder Sac­cha­ro­se (Rohr­zu­cker), ist zwar kaum the­ra­peu­tisch bedeut­sam, bie­tet aber eine ernäh­rungs­phy­sio­lo­gi­sche Erklä­rung, war­um Möh­ren bei uns zumeist das ers­te Lebens­mit­tel über­haupt ist, das Babys beim oder nach dem Abstil­len erhal­ten (“nähr­stoff­reich und ver­träg­lich fast wie Mut­ter­milch”). Neben die­sen phar­ma­ko­lo­gisch auf­fal­len­den Inhalts­stof­fen haben Möh­ren einen hohen Anteil von Mine­ral­stof­fen, an Polys­ac­cha­ri­den wie z. B. Pek­tin, für die mensch­li­che Ver­dau­ung vor­teil­haf­ten Bal­last­stof­fen oder Vit­ami­nen der B‑Gruppe und Vit­amin C.

Haut und Möhre – eine besondere Beziehung

Dau­cus caro­ta hat eine mehr­fa­che und beson­de­re Bezie­hung zur mensch­li­chen Haut. Die Vor­stu­fen von Vit­amin A sind wich­tig für die Haut­ge­sund­heit. Fehlt das Vit­amin, ver­hor­nen die Talg­drü­sen, die Haut­zel­len rege­ne­rie­ren sich lang­sa­mer, die Haut trock­net aus, wird ris­sig, sprö­de und infi­ziert sich leich­ter. Die Möh­ren­farb­stof­fe haben aber noch eine ande­re Wir­kung. Die­se ist beson­ders von Säug­lin­gen oder Klein­kin­dern bekannt, denen Möh­ren­saft oder ande­re Karot­ten-Nah­rungs­mit­tel in gut­ge­mein­tem Über­maß ver­ab­reicht wer­den: Sie bekom­men hier­durch bald eine kräf­ti­ge, gelb­lich-/oran­ge-bräun­li­che, jedoch völ­lig unge­fähr­li­che Fär­bung (Hyper­ca­ro­tin­ämie), die aber nicht ganz der durch nor­ma­le Haut­bräu­nung her­vor­ge­ru­fe­nen Mela­nin­fär­bung der Euro­pä­er gleicht. Glei­che Effek­te hat die Möh­re aber bei Erwach­se­nen. Wir­kung: Die in die Haut ein­ge­la­ger­ten Karot­ten­farb­stof­fe sehen nicht nur enorm gesund aus, son­dern schüt­zen die Haut ähn­lich wie der natür­li­che Haut­farb­stoff Mela­nin vor den schä­di­gen­den Wir­kun­gen des Son­nen­lich­tes, beson­ders sei­ner UV-Antei­le. Men­schen, die wie die ver­stor­be­ne deut­sche Bun­des­kanz­ler­gat­tin Han­ne­lo­re Kohl an einer Son­nen­all­er­gie lei­den, kön­nen somit die Haut künst­lich bräu­nen und ertra­gen dadurch leich­ter den Auf­ent­halt in der Son­ne. Ent­spre­chen­de Prä­pa­ra­te gibt es zum Ein­cre­men aber auch zum Einnehmen.

Karotte – Freundin aller Augen

Bei der Wir­kung der Möh­re muss wie bei allen auch medi­zi­nisch wirk­sa­men Lebens­mit­teln oder Gewür­zen zwi­schen der pri­mär nut­ri­ti­ven, durch die Lie­fe­rung von wert­vol­len Nah­rungs­be­stand­tei­len beding­ten Wir­kung (z. B. Sti­mu­la­ti­on der Dick­darm­ak­ti­vi­tät durch Bal­last­stof­fe) und den pri­mär the­ra­peu­ti­schen Wir­kun­gen (z. B. durch­fall-hem­men­de Wir­kung der Möh­ren-Pek­ti­ne) unter­schie­den wer­den. Zudem ist zwi­schen tra­di­tio­nel­len, z. B. durch Erfah­rungs­heil­kun­de oder Signa­tur­leh­re vor­ge­ge­be­nen Wir­kun­gen (Bei­spiel: Die Möh­re gilt aus ver­ständ­li­chen Gestalt-Grün­den seit alters her als Aphro­di­sia­kum für Män­ner…, sie­he Kas­ten) und wis­sen­schaft­lich beleg­ten Effek­ten zu unter­schei­den. Klar ist: Zube­rei­tun­gen aus der Möh­ren­wur­zel begüns­ti­gen die Seh­schär­fe und das Däm­me­rungs­se­hen (beu­gen Nacht­blind­heit vor), wir­ken vor­teil­haft bei bestimm­ten Augen­krank­hei­ten (Ret­in­i­tis pig­ment­o­sa) und beein­flus­sen die Harn­aus­schei­dung posi­tiv (wir­ken diure­tisch, u. a. wegen des hohen Kali­um­ge­hal­tes). Wei­te­re beleg­te Effek­te: Möh­ren­zu­be­rei­tun­gen wir­ken als Wurm­mit­tel (Ant­hel­m­in­ti­ka) und haben anti­mi­kro­biel­le Effek­te. Die wurm­trei­ben­de (ver­mi­fu­ge) Wir­kung ist ver­mut­lich pri­mär durch den Gehalt an äthe­ri­schen Ölen bedingt: Die­se wir­ken auf die uner­wünsch­ten Darm­be­woh­ner zunächst leicht erre­gend und dann läh­mend. Auch die bak­te­ri­zi­de Wir­kung, beson­ders auf gram­po­si­ti­ve Bak­te­ri­en (z. B. die Erre­ger der Lun­gen­ent­zün­dung – Pneu­mo­kok­ken), ent­steht durch die äthe­ri­schen Öle der Möh­re. In zahl­rei­chen Unter­su­chun­gen der letz­ten Jah­re sind eine Rei­he wei­te­rer poten­ti­ell the­ra­peu­ti­scher Wir­kun­gen bekannt geworden:

  • Möh­ren­sa­men­öl besei­tigt im Tier­ver­such bis zu 30% aller Heli­co­bac­ter pylo­ri-Infek­tio­nen des Magens (Ursa­che für Magen­ge­schwü­re, Sod­bren­nen etc.)
  • Schmerz- und ent­zün­dungs­hem­men­de Wirk­stof­fe der Samen wir­ken fast eben­so stark wie typi­sche Schmerz- und Rheu­ma­mit­tel (Aspi­rin, Ibu­profen, Naproxen).
  • Möh­ren sind das dritt­wich­tigs­te Lebens­mit­tel mit krebs­prä­ven­ti­ver Wir­kung (nach Papri­ka und Brok­ko­li), unter­such­te Krebs­ar­ten u. a. Prostata‑, Leber­zell- oder Lungenkrebs.
  • Die Caro­ti­ne aus fri­schen Möh­ren schüt­zen vor hohen Blut­zu­cker-Wer­ten (Dia­be­tes mel­li­tus). Der Ver­zehr von Möh­ren führt nach dem Essen zu einer bes­se­ren “meta­bo­li­schen Ant­wort”, d. h. ver­rin­gert den Anstieg von Blut­zu­cker und Insu­lin­aus­schüt­tung, führt zu rasche­rem Sättigungsgefühl.
  • Sau­re Oli­gos­ac­cha­ri­de in nor­ma­ler Möh­ren­sup­pe machen es krank­ma­chen­den Bak­te­ri­en unmög­lich, sich an die Darm­wand anzu­hef­ten und so eine Infek­ti­ons­krank­heit aus­zu­lö­sen (sie­he Kas­ten Moro’sche Karottensuppe).
  • Möh­ren­saft hat mem­bran­pro­tek­ti­ve und anti­oxi­da­tive Effek­te, wirkt des­halb leber­schüt­zend und hat unter­stüt­zen­de Heil­wir­kun­gen bei aku­ter Leberentzündung.
  • Frisch gerie­be­ne Karot­ten ver­bes­sern die Vit­amin A- und Eisen-Wer­te im Blut stil­len­der Müt­ter min­des­tens eben­so gut wie ent­spre­chen­de Betacarotin-Präparate.
  • Möh­ren ent­hal­ten blut­druck­sen­ken­de Wirk­stof­fe ähn­lich den oft ein­ge­setz­ten Kal­zi­um-Kanal­blo­ckern (füh­ren zu Gefäßerweiterung).
  • Möh­ren­saft beein­flusst das Immun­sys­tem, kann über­mä­ßi­ge all­er­gi­sche Reak­tio­nen und ana­phy­lak­ti­schen Schock unter­drü­cken (Tier­ver­such).
  • Möh­ren­kon­sum mehr als 2x die Woche ist mit ver­rin­ger­tem Brust­krebs-Risi­ko asso­zi­iert. Unklar ist, ob dies kau­sal zusam­men­hängt, oder bei­des eher auf eine gesün­de­re und damit schüt­zen­de Lebens­wei­se hindeutet.
  • Möh­ren­saft schützt die Magen­schleim­haut vor alko­hol­be­ding­ten Schä­den (z. B. als Ursa­che von Magen­ge­schwü­ren bei Alkohlkranken).
  • Die Heil­nah­rung aus Reis und Möh­ren nach Bes­sau ist bei mas­si­ven, aku­ten Durch­fall­erkran­kun­gen von Säug­lin­gen und Kin­dern wirk­sa­mer als her­kömm­li­che Glu­ko­se-Elek­tro­lyt-Lösun­gen gegen Dehydratation.

Dau­cus caro­ta als Aphrodisiakum

Die gel­be Rübe, gemein­hin Mohr­rü­be, Karot­te wur­de von den Grie­chen gera­de­zu “phil­tron” (Lie­bes­mit­tel) genannt. Ihr Genuss soll­te den Geschlechts­trieb auf­fäl­lig stei­gern. Dioscu­r­i­des: “Der Same getrun­ken oder in Zäpf­chen ein­ge­legt beför­dert die Mens­trua­ti­on, fer­ner beför­dert er die Emp­fäng­nis. Die Wur­zel aber reizt zum Bei­schlaf, im Zäpf­chen ein­ge­legt wirft sie den Embryo hin­aus.” – Von den Römern über­nah­men die Deut­schen früh­zei­tig den Anbau der gel­ben Rübe (schon im Capi­tu­la­re erwähnt). Auch bei uns galt sie sehr frü­he als belieb­tes Aphro­di­sia­cum. So heißt es spä­ter bei Mat­tio­li: “die gel­ben Rüben brin­gen die Lust zu ehe­li­chen Wer­ken. – Auch die andern Arten der Rüben (Kohl­rü­ben, rote Rüben) fül­len, blä­hen den Bauch und machen Begier zur Unkeusch­heit”, und “Der Rüben­sa­men mit The­riack genom­men, bewegt die unkeu­schen Gelüs­te. Die Steck­rü­ben (Kohl­rü­ben), mit lan­gem Pfef­fer bestreut, erre­gen das­sel­be”. Heut­zu­ta­ge wird auch noch in Ober­ägyp­ten Karot­ten­sa­men mit Honig gekocht als Sti­mu­la­ti­ons­mit­tel geges­sen. – Auch in Japan gel­ten die Rüben als her­vor­ra­gen­des Aphrodisiacum.

aus: Hirsch­feld M, Lin­sert, R: Lie­bes­mit­tel – Eine Dar­stel­lung der geschlecht­li­chen Reiz­mit­tel (Aphro­di­sia­ca). MAN Ver­lag, Ber­lin, 1930.

Dau­cus caro­ta in der Literatur

Aus­zug: E.T.A. Hoff­mann: Die Sera­pi­ons­brü­der. Die Königsbraut

“Es ist der Gemü­se­kö­nig Dau­cus Caro­ta der Ers­te, der Ihnen, – o süßes­te Anna, sei­ne Hand und sei­ne Kro­ne dar­reicht. Alle Gemü­se­fürs­ten sind mei­ne Vasal­len, und nur einen ein­zi­gen Tag im Jah­re regiert, nach einem uralten Her­kom­men, der Boh­nen­kö­nig. ” “Also, ” rief Fräu­lein Änn­chen freu­dig, “also eine Köni­gin soll ich wer­den und die­sen herr­li­chen präch­ti­gen Gemü­se­gar­ten besit­zen?” König Dau­cus Caro­ta ver­si­cher­te noch­mals, dass dies aller­dings der Fall sei, und füg­te hin­zu, dass sei­ner und ihrer Herr­schaft alles Gemü­se unter­wor­fen sein wer­de, das nur empor­kei­me aus der Erde. So was hat­te nun Fräu­lein Änn­chen wohl gar nicht erwar­tet, und sie fand, dass der klei­ne Cor­duran­spitz seit dem Augen­blick, als er sich in den König Dau­cus Caro­ta den Ers­ten umge­setzt, gar nicht mehr so häss­lich war als vor­her, und dass ihm Kro­ne und Zep­ter sowie der Königs­man­tel ganz unge­mein artig standen..

Gut zum Darm und zur Haut

Die tra­di­tio­nell berich­te­ten Heil­wir­kun­gen oder die expe­ri­men­tel­len Hin­wei­se auf the­ra­peu­ti­sche Effek­te wer­den heu­te in eini­gen bewähr­ten Gesund­heits­stö­run­gen oder Erkran­kung umge­setzt. In der Kin­der­heil­kun­de ist die Möh­re ein bewähr­tes Mit­tel bei Man­del­ent­zün­dun­gen, bei Ernäh­rungs­stö­run­gen und als Diä­te­ti­kum zur Hei­lung von Ver­dau­ungs­stö­run­gen. Bei­spiel: Der Pek­tin­ge­halt (=eine lang­ket­ti­ge Zucker­ver­bin­dung) ist ver­mut­lich ver­ant­wort­lich für die stop­fen­de Anti­durch­fall-Wir­kung der Möh­re. Für der­ma­to­lo­gi­sche Indi­ka­tio­nen wie poly­mor­phe Licht­der­ma­to­sen (“Son­nen-All­er­gie”) und Pig­ment­an­oma­lien (Über- oder Unter­pig­men­tie­rung, auch fleck­för­mig) sind Fer­tig­arz­nei­mit­tel in der Anwen­dung. Zum Aus­trei­ben von Darm­pa­ra­si­ten ist sie auch in Tee­mi­schun­gen ent­hal­ten (u. a. als Samen – Heshi – in der chi­ne­si­schen Medi­zin). Gera­de bei Oxy­uren, Darm­wür­mern (“Maden­wür­mer”), die bei Kin­dern beson­ders häu­fig sind -, ist die Möh­re als the­ra­peu­ti­sches Hilfs­mit­tel jedoch nicht sehr zuver­läs­sig (Anwen­dung bei Wür­mern: Mor­gens 1 Glas Saft oder 1–2 gro­ße Möh­ren, bei Spul­wür­mern: fri­sche, geschab­te Möh­ren über meh­re­re Tage). Die leicht was­ser­trei­ben­de (diure­ti­sche) Wir­kung wird the­ra­peu­tisch zwar nur sel­ten genutzt. Rei­ni­gungs- und Ent­schla­ckungs­ku­ren (z. B. im Vor­we­ge einer medi­zi­ni­schen Fas­ten­kur) kön­nen Möh­ren mit ihrer leber­un­ter­stüt­zen­den und diure­ti­schen Wir­kung jedoch gut unter­stüt­zen (“Ent­gif­tung”). Wei­te­re Wir­kun­gen: Ent­blä­hung, milch­trei­bend oder im Rah­men von Nie­ren­er­kran­kun­gen harn­trei­bend (wich­tig z. B. bei Bla­sen­ent­zün­dung), stein­trei­bend (Nie­ren, Bla­sen, z. B. Nie­ren­griess) und ödem­aus­schwem­mend (z. B. bei “dicken Füßen”). Tra­di­tio­nell emp­foh­len (aber kaum belegt) wird die Möh­ren­an­wen­dung bei Stö­run­gen wie alko­hol­be­ding­tem Kater, Höhen­krank­heit, Fal­ten­bil­dun­gen oder ver­län­ger­tem Mens­trua­ti­ons­zy­klus. Für Natur­heil­kund­ler inter­es­sant: Die phytho­the­ra­peu­tisch so viel­ge­stal­tig wir­ken­de Pflan­ze führt als Dau­cus caro­ta in der Homöo­pa­thie ein Schat­ten­da­sein, wird in den meis­ten Arz­nei­mit­tel­leh­ren nicht ein­mal erwähnt.

Gegen Krebs

Wesent­lich als Erklä­rung der kli­ni­schen Wir­kun­gen der Möh­re ist ihr Gehalt an Beta­ca­ro­tin und ähn­li­cher Ver­bin­dun­gen (Lyco­pin, Lut­ein u. a.): Deren stark anti­oxi­da­tive Wir­kun­gen redu­zie­ren durch Ent­schär­fung bestimm­ter Zell­gif­te (z. B. Sau­er­stoff­ra­di­ka­le) die Gefahr von Herz­in­fark­ten und Schlag­an­fäl­len. Zudem ver­bes­sern hohe Beta­ca­ro­tin-Wer­te im Blut die Rekon­va­les­zenz und erhö­hen die Über­le­bens­dau­er bei die­sen oft lebens­be­droh­li­chen Kom­pli­ka­tio­nen einer, oft mit Blut­hoch­druck kom­bi­nier­ten Arte­ri­en­ver­kal­kung. Soweit erforscht, könn­ten die anti­oxi­da­tiv­en Effek­te durch eine Sen­kung schäd­li­cher Blut­fet­te in Kom­bi­na­ti­on mit einer Erhö­hung der Vit­amin E‑Spiegel im Blut (eben­falls ein wich­ti­ges Anti­oxi­dans) durch Karot­ten­zu­be­rei­tun­gen noch ver­stärkt wer­den. Eben­falls von der anti­oxi­da­tiv­en Potenz von Beta­ca­ro­tin und ande­ren Caro­ti­no­iden sind die onko­lo­gi­schen Karot­ten­ef­fek­te abge­lei­tet: So senkt regel­mä­ßi­ger Möh­ren­kon­sum die Gefahr von Lun­gen- und Kehl­kopf­krebs deut­lich, auch bei ehe­ma­li­gen Rau­chern (bis­lang nur bei Frau­en unter­sucht). Auch Krebs­er­kran­kun­gen der Vor­ste­her­drü­se (Pro­sta­ta­kar­zi­nom) soll Beta­ca­ro­tin vor­beu­gen. Hin­zu kom­men die bereits erwähn­ten, kan­ze­ro­ge­ne­se-hem­men­den Polyine.

Natürlich natürlich!

Her­stel­ler von iso­lier­tem Beta­ca­ro­tin, Lut­ein und ande­ren ent­spre­chen­den anti­oxi­da­tiv­en Prä­pa­ra­ten in Tablet­ten­form ver­su­chen seit Jah­ren die natür­li­chen Quel­len die­ser Wirk­stof­fe und deren All­tags­kon­sum als unlieb­sa­me Kon­kur­renz aus­zu­schal­ten. Haupt­ar­gu­ment: Die Caro­ti­no­ide in Möh­ren oder ande­rem Gemü­se wür­den nicht auf­ge­nom­men, wür­den durch Zube­rei­tung oder im Magen-Darm­trakt zer­stört, sei­en also nicht bio­ver­füg­bar. Zahl­rei­che Stu­di­en der letz­ten Jah­re haben die­sen Mar­ke­ting-Ein­wand mitt­ler­wei­le voll­stän­dig ent­kräf­tet. Der Ver­zehr von qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Möh­ren als Gemü­se, Salat oder Saft bekommt also auch wei­ter­hin das Prä­di­kat “beson­ders wert­voll für die Gesundheit”.

Bioaktive Substanzen in Möhren und anderen Pflanzen

Die alte Fra­ge, war­um bestimm­te Heil­pflan­zen der Gesund­heit des Men­schens so gut tun, fin­det heu­te eine recht mar­tia­li­sche, neo-dar­wi­nis­tisch gepräg­te Ant­wort: Vie­le Sub­stan­zen sind über Jahr­mil­lio­nen durch Muta­ti­on und Selek­ti­on her­aus­ge­bil­de­te che­mi­sche Kampf­stof­fe der Pflan­zen, mit denen sie sich gegen Fress- und ande­re Fein­de zu behaup­ten ver­su­chen. Vie­le die­ser Fein­de wie­der­um sehen auch uns Men­schen nur als lecke­re Spei­se oder inter­es­san­ten Brut­platz für ihre Nach­kom­men­schaft. Das bekann­tes­te Bei­spiel sind die aus Schim­mel­pil­zen her­ge­stell­ten Anti­bio­ti­ka – Aus­druck eines in die­sem Fall Mil­li­ar­den dau­ern­den Kamp­fes zwi­schen Schim­mel­pil­zen und Bak­te­ri­en. Ver­gleich­ba­res gilt auch für die ver­mi­fu­ge Potenz von Karot­ten – wäh­rend sie die Pflan­ze vor Wür­mern schützt, ver­treibt sie im Bedarfs­fall auch unan­ge­neh­me Schma­rot­zer aus unse­rem Darm.

Hausrezept Moro’sche Karottensuppe

Anhal­ten­der Durch­fall ist vor allem bei Kin­dern gefähr­lich. Auf­grund des hohen Was­­ser- und Mine­ral­stoff­ver­lus­tes kann es schnell zu lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen kom­men. Ein wich­ti­ges Haus­mit­tel: Die Moro’sche Karot­ten­sup­pe. Die­se Sup­pe wur­de zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts von dem Münch­ner Kin­der­arzt Ernst Moro ent­wi­ckelt und mit gro­ßem Erfolg gegen die hohe Kin­der­sterb­lich­keit infol­ge Durch­fall­erkran­kun­gen ein­ge­setzt. Hier­zu 500g geschäl­te Karot­ten in 1 l Was­ser ca. eine Stun­de kochen. Anschlie­ßend durch ein Sieb strei­chen oder pürie­ren. Mit Was­ser (oder auch Fleisch­brü­he) wie­der auf die Men­ge von 1l auf­fül­len. Zum Schluss einen gestri­che­nen Tee­löf­fel Salz hin­zu­fü­gen (3g). So wirkt es: Spe­zi­el­le Koh­len­hy­dra­te, Oligo­ga­lac­tur­on­säu­ren, die in Karot­ten (aber auch Äpfeln, Prei­sel­bee­ren oder Hei­del­bee­ren) vor­kom­men, ent­ste­hen erst beim Kochen oder Rei­ben die­ser Lebens­mit­tel. Die­se kön­nen sich anstel­le der Bak­te­ri­en an Rezep­to­ren der Darm­wand anhef­ten, an die nor­ma­ler­wei­se Krank­heits­er­re­ger ando­cken. Kön­nen die Bak­te­ri­en sich nicht an die Darm­schleim­haut anhef­ten, bil­den sie kei­ne Gift­stof­fe, wer­den aus­ge­schie­den und der Durch­fall wird besser.

Möhren – “functional food per se”

Karot­ten sind eine der popu­lärs­ten Gemü­se­sor­ten über­haupt und func­tion­al food per se. Abhän­gig von der Art der Zube­rei­tung (roh/​gerieben, gekocht, gepresst) wirkt die Pflan­ze ent­we­der abfüh­rend oder stop­fend und ist ein idea­les Diä­te­ti­kum bei Ver­dau­ungs­stö­run­gen aller Art. Auch bei dys­pep­ti­schen Magen­be­schwer­den (“Reiz­ma­gen”) mit Völ­le­ge­fühl, Appe­tit­lo­sig­keit oder Sod­bren­nen, bewäh­ren sich Möh­ren als adju­van­tes Nah­rungs­mit­tel immer wie­der. Und – bereits erwähnt: Auch als stän­di­ger Bestand­teil der Ernäh­rung kön­nen Möh­ren die Seh­kraft oder die Haut­ge­sund­heit verbessern.

Risiken und Nebenwirkungen

Durch die Anwen­dung der Möh­re als Lebens­mit­tel auch schon bei Säug­lin­gen ist hin­läng­lich belegt, dass sie prak­tisch neben­wir­kungs­frei ist. In sehr sel­te­nen Fäl­len kön­nen hoch­do­sier­te Prä­pa­ra­te zu all­er­gi­schen Reak­tio­nen, Licht­emp­find­lich­keit oder Haut­ent­zün­dun­gen füh­ren. Ent­spre­chen­de Prä­pa­ra­te soll­ten wegen ihrer poten­ti­ell anre­gen­den Wir­kung auf die Gebär­mut­ter­mus­ku­la­tur nicht von Schwan­ge­ren ein­ge­nom­men wer­den. Gegen den Ver­zehr der Möh­re als Lebens­mit­tel durch Schwan­ge­re ist hin­ge­gen nichts einzuwenden.

Typische Zubereitungen

  • indus­tri­ell her­ge­stell­ter Möh­ren­saft (Lebens­mit­tels­han­del) – geeig­net als gele­gent­li­cher (Pro-)Vitamin- oder Mine­ral­stoff­spen­der für Kin­der und Erwach­se­ner. Wegen der Vit­amin-Degra­da­ti­on bei der nor­ma­len Saf­ther­stel­lung ist der Saft kein Ersatz für selbst her­ge­stell­ten, fri­schen Saft.
  • fri­scher Möh­ren­saft, gepresst am bes­ten aus öko­lo­gisch her­ge­stell­ten Karot­ten. Geeig­net für die Behand­lung z. B. von Vit­amin­man­gel­zu­stän­den (Alko­ho­li­ker), Rekon­va­les­zenz nach schwe­ren Erkran­kun­gen (z. B. nach einer Krebs-OP), Kin­der-Ernäh­rung, leich­ter, nicht-infek­tiö­ser Durch­fall, Ver­stop­fung (Reiz­darm). Anwen­dung in jedem Fall kur­mäs­sig, d. h. 3–5 Wochen lang, 2–3 Glä­ser fri­scher Saft täglich.
  • Frisch­pflan­zen-Press­saft aus Mohr­rü­ben, indus­tri­ell her­ge­stellt. Die­se tra­di­tio­nel­len Heil­mit­tel aus qua­li­ta­tiv höchst­wer­ti­ger Pro­duk­ti­on sind beson­ders für medi­zi­ni­sche Kuren geeig­net. Sei es eine Ent­schla­ckungs­kur im Früh­ling, sei es, um nach schwe­ren Belas­tun­gen bes­ser wie­der auf die Bei­ne zu kommen.
  • Kap­seln (inne­re Anwen­dung) zum Haut­schutz, zumeist mit dem Haupt­wirk­stoff Betacarotin.
  • Cremes oder Haut­öle aus Karotten(-samen) (kalt­ge­presst!) wir­ken einer­seits direkt tönend und licht­schüt­zend, ande­rer­seits drin­gen ihre Wirk­stof­fe in die Haut ein. Ach­tung: Rei­nes äthe­ri­sches Karot­ten­sa­men­öl nicht direkt auf die Haut auf­tra­gen, son­dern nur nach Mischung mit z. B. Avocado-Öl.
  • wei­te­re Zube­rei­tun­gen im Text.

Autorin
• Mari­on Kaden, Ham­burg, 2005.

2 Gedanken zu „Daucus Carota – viel mehr als nur eine Möhre“

  1. Hal­lo lie­bes Team,
    kön­nen gekoch­te und anschl. zer­mus­te Karot­ten dem Hun­de­fut­ter bei­gege­ben wer­den? zB. als Darm­sa­nie­rung und vor­beu­gend gegen Würmer?
    Freue mich auf eine Ant­wort von Ihnen

    Vie­le Grü­ße, Cor­ne­lia Franz

    Antworten
    • Hal­lo Cornelia,
      Mey­er & Zen­tek (“Ernäh­rung des Hun­des”) schrei­ben: “Möh­ren bestehen vor allem aus Pek­ti­nen und Zucker und ent­hal­ten hohe Men­gen des Pro­vit­amins A, das β‑Carotin. Sie kön­nen wegen ihrer guten Akzep­tanz frisch gefüt­tert wer­den. Die meis­ten Hun­de fres­sen sie aus­ge­spro­chen gern, sodass sie auch als Beloh­nung gut ein­setz­bar sind. Tro­cken­pro­duk­te ste­hen eben­falls zur Ver­fü­gung (Wür­fel, Flo­cken). Ihr Ein­satz soll­te auf 2–4 g Trockensubstanz/​kg KM/​Tag (frisch ca. 15 g) beschränkt blei­ben, da grö­ße­re Men­gen die Kot­kon­sis­tenz ungüns­tig beein­flus­sen.” Wei­te­re Anfra­gen bit­te im Forum mei­ner Web­site https://www.fressi-fressi.de
      Lie­be Grüße,
      Rainer

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