Liebstöckel: Gewürz, Aphrodisiakum und Arznei

Lieb­stö­ckel (Levi­sti­cum officiale)

Das Kraut schafft Abhil­fe, wenn das “Lie­bes­stö­ckel” des Man­nes nicht mehr steht – behaup­ten Erfah­rungs­heil­kun­di­ge. Ande­re lächeln dar­über nur. Fest steht jedoch: Lieb­stö­ckel ist ein Kraut mit star­ker Würz­kraft und medi­zi­na­ler Wirkung.

“Maggi-Kraut”

Wem Lieb­stö­ckel (Levi­sti­cum offi­ci­a­le KOCH) nichts sagt, wird bei “Mag­gi-Kraut” ver­stän­dig mit dem Kopf nicken. Das Gewürz wird wegen sei­ner Geschmacks­ähn­lich­keit mit der welt­be­kann­ten, schwei­zer Uni­ver­sal­sauce in Ver­bin­dung gebracht. Fälsch­li­cher­wei­se, denn es hat nichts mit ihr zu tun. Bei der Her­stel­lung der Wür­ze wird kein Lieb­stö­ckel ver­wen­det, noch nicht ein­mal als Aro­ma. Der Erfin­der Juli­us Mag­gi ent­wi­ckel­te die Wür­ze sei­ner Sau­ce aus einem Gär­ver­fah­ren. Viel­leicht gelang es fin­di­gen Wer­be­stra­te­gen, Lieb­stö­ckel in Mag­gi-Kraut umzu­be­nen­nen – nach­zu­le­sen ist es nir­gends. Fest steht jedoch: Das Gewürz gibt es län­ger bei uns als die Mag­gi-Sau­ce. Die weni­gen Gemein­sam­kei­ten bestehen in der Geschmacks­in­ten­si­tät und Würz­fül­le, die bei­de ent­wi­ckeln: Bei der Mag­gi-Sau­ce rei­chen ein paar Trop­fen, beim Lieb­stö­ckel zwei klei­ne­re Blät­ter, um eine gan­ze Sup­pe zu würzen.

Eine unverkennbare Pflanze

Genau­so wie­der­erkenn­bar wie der Geschmack, sind der Geruch und auch die Pflan­ze selbst. Wer sich Lieb­stö­ckel ein­mal rich­tig ange­se­hen hat, ein Blatt geschmeckt oder gero­chen hat, wird die kräf­ti­ge Pflan­ze immer wie­der­erken­nen. Lieb­stö­ckel gehört zur Fami­lie der Dol­den­ge­wäch­se (Umbel­li­fe­re) und wächst z. B. in vie­len Bau­ern­gär­ten. Die mehr­jäh­ri­ge Stau­de mit cha­rak­te­ris­ti­schem Aus­se­hen kann bis zu zwei Metern hoch wer­den. Aus den lan­gen, kräf­ti­gen und flei­schi­gen Pfahl­wur­zeln ent­wi­ckeln sich auf­rech­te, hoh­le Stän­gel, die sich stark ver­zwei­gen. Die Blät­ter sind groß, dun­kel­grün und zwei- bis drei­fach gefie­dert. Die Pflan­ze erin­nert mit ihren led­rig-flei­schi­gen, gezahn­ten Blät­tern an einen über­gro­ßen Sel­le­rie – und riecht auch so. Die mit­tel­gro­ßen Dol­den sind 8- bis 20-strah­lig mit klei­nen, blass­gel­ben Blü­ten. Blü­te­zeit ist von Juli bis Sep­tem­ber, danach ent­wi­ckelt Lieb­stö­ckel längs­ge­ripp­te Dop­pel­spalt­früch­te. Die aus­dau­ern­de Pflan­ze ist mit ande­ren unver­träg­lich und braucht des­halb einen geson­der­ten Platz im Gar­ten. Ihr Umset­zen nach spä­tes­tens drei Jah­ren oder Ver­meh­rung durch Wur­zel­tei­lung hält die Pflan­ze jung, und wird sie wei­ter üppig wach­sen lassen.

Badkrautliebstöckel, Ligusticum levisticum L.

Die gro­ßen, dun­kel­grü­nen Blät­ter (fol. levist.) sind von ähn­li­chem Geru­che, Geschma­cke und Kräf­ten, nur schwä­cher. Man braucht sie als Dampf­bad zur Erre­gung des Monat­flus­ses. Sie wer­den im Som­mer gesam­melt. Ehe­dem bewahr­te man die gros­sen, gefurch­ten, hoh­len Sten­gel (cau­les cavi ligusti­ci, Lieb­stö­ckel­röh­ren) auf, durch wel­che der gemei­ne Mann sei­ne Geträn­ke sog, um sich in Hals­weh, Hus­ten und Eng­brüs­tig­keit Erleich­te­rung zu verschaffen.[2]

Vorsicht beim Würzen

Vom Lieb­stö­ckel las­sen sich Wur­zeln, Stän­gel und Blät­ter ver­wen­den. Das kraft­vol­le Erschei­nungs­bild der Pflan­ze spricht für sich und lässt auch auf die star­ke Würz­kraft schlies­sen. Und tat­säch­lich: Wel­che Tei­le auch genutzt wer­den, eine vor­sich­ti­ge Dosie­rung ist emp­feh­lens­wert. Das gilt auch beim Ern­ten fri­scher, noch zart grü­ner Lieb­stö­ckel­blät­ter. Wer meint, dass die­se noch kei­nen inten­si­ven Geschmack haben, kann schnell das Gericht über­wür­zen. Der Geschmack und Geruch wird alles über­tö­nen. Und die Über­wür­zung wird durch Stre­cken der Sup­pe oder Hin­zu­fü­gen wei­te­rer Zuta­ten wie z. B. Sah­ne nicht auf­zu­he­ben sein. Die jun­gen Trie­be des Lieb­stö­ckel kön­nen blan­chiert wer­den und sind so eine lecke­re Gemü­se­bei­la­ge. Da die Pflan­ze üppig wächst, kann das Kraut zwei Mal im Jahr geschnit­ten wer­den und eig­net sich her­vor­ra­gend zur Her­stel­lung eines Lieb­stö­ckel-Vor­rats für den Win­ter. Dazu wird das Kraut geschnit­ten, gebün­delt und gut getrock­net. Nach der Trock­nung las­sen sich die Blät­ter leicht zwi­schen den Fin­gern zer­rei­ben. Die Würz­kraft bleibt über ca. zwei Jah­re erhal­ten, wenn die getrock­ne­ten Blät­ter in luft­dich­ten, dunk­len Glä­sern tro­cken auf­be­wahrt wer­den. Lieb­stö­ckel-Blät­ter – ob frisch oder getrock­net – eig­nen sich für Bra­ten, Ragout, Sau­ce, Sup­pen, Sala­te, Gemü­se oder Kräuterquark.

Liebesfrust und Fleischeslust

Ver­schie­de­ne ein­hei­mi­sche Pflan­zen wie die Alrau­ne oder Lieb­stö­ckel wer­den seit Jahr­hun­der­ten aphro­di­sie­ren­de Wir­kun­gen zuge­spro­chen und als sol­che ver­wen­det. Beim Lieb­stö­ckel gibt schon der Name einen ein­deu­ti­gen Hin­weis. Die Pflan­ze wird wegen der kräf­ti­gen, flei­schi­gen Pfahl­wur­zel, dem “Stö­ckel der Lie­be” als för­dern­des Mit­tel bei man­geln­dem Lie­bes­in­ter­es­se des Part­ners ein­ge­setzt. Die mäch­ti­ge phal­li­sche Sym­bo­lik, lässt Frau­en manch­mal auch heu­te noch hof­fen, dass durch die Ver­ar­bei­tung der Wur­zel zum Lie­bes­trank, dem “Stö­ckel des Man­nes” zu eben­sol­chen kräf­ti­gen For­men ver­hol­fen wer­den kön­ne. Auch die Samen der Pflan­ze gel­ten als aphro­di­sie­rend: Sie kön­nen in die Schu­he der ange­be­te­ten Per­son gestreut wer­den und sol­len sowohl bei Män­nern wie Frau­en Lie­bes­feu­er ent­fa­chen kön­nen. Die aphro­di­sie­ren­de Wir­kung der Pflan­zen bewirkt eine “Erhit­zung” des Kör­pers, so die theo­re­ti­sche Vor­stel­lung, und för­dert damit fleisch­li­che Lust. Stu­di­en zu die­sem The­ma gibt es kei­ne. Doch an die­ser Stel­le soll die Jahr­hun­der­te alte Erfah­rungs- und Volks­me­di­zin nicht in Fra­ge gestellt wer­den. Klar ist, dass Lieb­stö­ckel kei­ne Neben­wir­kun­gen wie bei­spiels­wei­se Via­gra hat. Am Ende bleibt nur das Zitie­ren einer Volks­weis­heit, die besagt: Pro­bie­ren geht übers Studieren.

Medizinische Verwendung

Die Wur­zel des Lieb­stö­ckel wird zwar auch als Sup­pen­ge­mü­se gebraucht, von Bedeu­tung ist jedoch ihre medi­zi­ni­sche Ver­wen­dung. Die Wur­zel ent­hält äthe­ri­sches Öl mit den Haupt­kom­po­nen­ten Alkyl­ph­ta­li­den (70 Pro­zent, Geruchs­trä­ger) und E- und Z- Ligustil­id, die vor­wie­gend für die krampf­lö­sen­de Wir­kung ver­ant­wort­lich sein sol­len. Wei­te­re Wirk­stof­fe sind unter ande­rem alpha- und beta-Pinen und die Fura­no­cu­ma­ri­ne Berg­ap­ten und Apt­ein. Lieb­stö­ckel hat krampf­lö­sen­de Wir­kun­gen, z. B. bei Blä­hun­gen und Auf­sto­ßen. Auch sind Ver­dau­ungs­be­schwer­den wie Sod­bren­nen oder Völ­le­ge­fühl durch frisch auf­ge­brüh­ten Lieb­stö­ckel­wur­zel-Tee zu bes­sern. Schliess­lich haben die Wur­zeln noch anti­mi­kro­biel­le und harn­trei­ben­de Wir­kung. Wes­halb Lieb­stö­ckel-Wur­zel­tee bei der Behand­lung ent­zünd­li­cher Erkran­kun­gen der ablei­ten­den Harn­we­ge (v. a. der Bla­se) oder zur Harn­wegs-Durch­spü­lung (Vor­beu­gung von Nie­ren­griess) sinn­voll sein kann. Kon­tra­in­di­ka­tio­nen: Bei aku­ten ent­zünd­li­chen Erkran­kun­gen des Nie­ren­pa­ren­chyms (Glome­ru­lo­n­e­phri­tis) oder ein­ge­schränk­ter Nie­ren­funk­ti­on darf der Tee nicht ver­wen­det wer­den, auch nicht bei Öde­men infol­ge ein­ge­schränk­ter Herz- oder Nierenfunktion.


Harn­wegs-Durch­spü­lung: Zur Durch­spü­lungs­the­ra­pie mehr­mals täg­lich 1 Tas­se frisch zube­rei­te­ten Tee­auf­guss zwi­schen den Mahl­zei­ten trin­ken. Als Mit­tel zur Ent­kramp­fung etwa eine hal­be Stun­de vor den Mahlzeiten.

Tee­zu­be­rei­tung: 1/​2 Tee­löf­fel voll (ent­spricht etwa 1,5 Gramm Dro­ge) fri­scher Lieb­stö­ckel­wur­zel oder getrock­ne­ter Ware aus der Apo­the­ke wer­den mit sie­den­dem Was­ser (150 ml) über­gos­sen, bedeckt ste­hen gelas­sen und nach 10 bis 15 Minu­ten durch ein Tee­sieb abge­seiht. Als Tages­do­sis wer­den 4–8 Gramm Dro­ge empfohlen.
[Zbox-gruen]

Lichtsensibilisierende Cumarine

Men­schen, die län­ger als drei Tage den medi­zi­na­len Tee trin­ken, soll­ten beach­ten, dass die Fura­no­cu­ma­ri­ne des Lieb­stö­ckels licht­sen­si­bi­li­sie­rend oder pho­to­to­xisch wir­ken kön­nen (=Her­ab­set­zung der Licht­reiz­schwel­le der Haut). Fol­ge: Inten­si­ves Son­nen­ba­den oder star­ke UV-Bestrah­lung (direk­te Mit­tags­son­ne) füh­ren – beson­ders bei Hell­häu­ti­gen – rascher als sonst zum Son­nen­brand, bei­des soll­te in die­ser Zeit also ver­mie­den wer­den. Oder die Haut muss mit Son­nen­schutz­cremes mit hohem Licht­schutz­fak­tor ab 20 geschützt werden.

Ein Kraut im Wandel der Sprache …

“Lieb­stö­ckel ist ein treff­li­ches Bei­spiel der soge­nann­ten Volks­ety­mo­lo­gie. Latein ligusti­cum deu­tet Pli­ni­us als ‚aus Ligu­ri­en stam­mend‘; bei H. Bock heisst es: ‚ein wol­rie­chent Bad­kraut, ihrer Wur­zel Tugendt ist … nutz für aller­hand Ver­gift, daher ohn Zwei­fel die Ligu­rier ihr Tugendt wol erfa­ren, das sie sol­che Wur­zel in der Kost für Pfef­fer­würz brau­chen‘. Das Latei­ni­sche ent­wi­ckelt in Anleh­nung an latei­nisch lub­et ‘es beliebt’ eine mit­tel­la­tei­ni­sche Neben­form lubi­sti­cum. Dar­aus ent­ste­hen mit Umbil­dung nach alt­hoch­deutsch (ahd) stec­co (s. Ste­cken) ahd. lub­stec­co, mit­tel­hoch­deutsch lübestecke und (mit Gedan­ken an lieb) lieb­stu­ckel. Glei­chen Aus­gangs­punkt hat das an angel­säch­si­che (ags.) lufu ‚Lie­be‘ ange­lehn­te ags. lufe­sti­ce. Die Fül­le der For­men, z. B. alt­hoch­deutsch lubisteck­al, lubisteckil, lube­stecil, lübstock.…leberstock, lewesti­cken zeigt, dass die Pflan­ze frü­her sehr bekannt war. Sie wur­de als Heil­mit­tel bei den ver­schie­de­nen inne­ren wie äuße­ren Lei­den als Bade­zu­satz (Bade­kraut) und in ande­rer Form ver­wen­det und dien­te wenigs­tens in der bäu­er­li­chen Tier­heil­kun­de bis in die neu­es­te Zeit bei Koli­ken und der­glei­chen, wes­halb sie gele­gent­lich noch in Bau­ern­gär­ten gefun­den wird.” [1]

Autorin
• Mari­on Kaden, Natür­lich (2006).
Quel­len
1. Aus­zug aus: Trüb­ners Deut­sches Wör­ter­buch, Vier­ter Band, Wal­ter de Gruy­er & Co, Ber­lin 1943, S. 467.
2. Aus: Digi­ta­le Biblio­thek Edi­ti­on “Samu­el Hah­ne­mann. Gesam­mel­te Wer­ke”, Apothekerlexikon.
wei­te­re Infos
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