Das natürliche Multi-Talent Lein (Flachs) – mehr als ein functional food

Lein­frucht-Kap­seln

Der gemei­ne Lein oder Flachs (Linum usi­ta­tis­si­mum L.) ist eine uralte Kul­tur­pflan­ze. Die ältes­te Ver­wen­dung von Lein wur­de in der Schweiz bei stein­zeit­li­chen Pfahl­bau­ten nach­ge­wie­sen: Über­res­te von Klei­dungs­stü­cken, Fischer­net­zen und nicht ver­ar­bei­te­te Lein­pflan­zen bezeu­gen den viel­sei­ti­gen Ein­satz der Pflan­ze schon vor 10.000 Jah­ren. Auch die in Lei­nen­tü­cher ein­ge­wi­ckel­ten ägyp­ti­schen Mumi­en sind ein Beweis der frü­hen und hoch­ent­wi­ckel­ten Ver­wen­dung von Lein. Es sind die bis zu 50 cm lan­gen, im Stän­gel der Pflan­ze befind­li­chen Fasern, die auf­wän­dig gewon­nen, zu Gar­nen und spä­ter zu Stof­fen ver­ar­bei­tet wer­den. Jahr­tau­sen­de lang hat­te Flachs eine unan­ge­foch­te­ne Stel­lung sowohl bei der tex­ti­len Nut­zung wie auch bei der Her­stel­lung von reiss- und zug­fes­ten Garnen.

Ihre Bedeu­tung ver­lor die Pflan­ze im Ver­lauf der indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on, als die Lein­fa­ser vor allem durch Baum­wol­le abge­löst wur­de. Etwa zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts stell­te sich Baum­wol­le als der leich­ter zu ver­ar­bei­ten­de und bil­li­ge­re Roh­stoff her­aus (durch Skla­ven­ein­satz bei der Pro­duk­ti­on in den USA und hoch­me­cha­ni­sier­te Verarbeitung).

Inhaltsstoffe

Lein­sa­men ent­hal­ten Bal­last- und Schleim­stof­fe (Hemi­zel­lu­lo­se, Zel­lu­lo­se, Lignin), fet­tes Öl, davon 52–76% Lin­o­len­säu­re, Eiweis­se (20–27%), Ligna­ne, Linu­s­ta­tin, bzw. Linamarin.

Leinöl: Hochwertiges Speiseöl

Noch heu­te wird Flachs in begrenz­tem Umfang für die Tex­til­pro­duk­ti­on ange­baut (die größ­ten Pro­du­zen­ten sind Russ­land und Chi­na). Der Groß­teil des Anbaus geht jedoch in die Ölver­ar­bei­tung, denn Lein ist auch ein bedeut­sa­mer Öl-Lie­fe­rant. Die Samen (“Lini semen”) der Pflan­ze haben einen Ölge­halt von bis zu 44 Pro­zent. Lein­öl ent­hält essen­ti­el­le Fett­säu­ren (= nicht vom Men­schen her­stell­ba­re, mehr­fach unge­sät­tig­te Fett­säu­ren), unter ande­rem alpha-Lin­o­len­säu­re (40–62%) und ande­re Ome­ga-3-Fett­säu­ren oder die wert­vol­le Lin­ol­säu­re (14–26%). Ein Vier­tel des Samens besteht aus leicht ver­dau­li­chem Eiweiss, dar­un­ter auch eini­ge vom Kör­per nicht selbst her­stell­ba­re essen­ti­el­le Ami­no­säu­ren. Lein­sa­men ent­hält aus­ser­dem wert­vol­le Mine­ral­stof­fe wie Cal­ci­um, Phos­phor oder Spu­ren­ele­men­te. Wei­ter­hin kom­men in den Lein­sa­men sekun­dä­re Pflan­zen­stof­fe vor (Phy­to­hor­mo­ne oder Ligna­ne), denen eine krebs­schüt­zen­de Eigen­schaft nach­ge­sagt wird.

Leinprodukte: In Haus und Hof kaum wegzudenken

Auch in Land­wirt­schaft, Hand­werk oder der moder­nen Indus­trie fin­den Zwi­schen­pro­duk­te der Lein­ver­ar­bei­tung oder Lein­pro­duk­te viel­fäl­ti­ge Ver­wen­dung. So ent­hält der soge­nann­te Lein­ku­chen, der nach der Extrak­ti­on des Öls aus den Samen übrig­bleibt, bis zu 40 Pro­zent Roh­pro­te­in und wird als wert­vol­les Vieh­fut­ter wei­ter­ver­wer­tet. Das gewon­ne­ne Öl wird bei der Her­stel­lung von Druck­far­ben, Far­ben, Lacken oder ande­ren tech­ni­schen Ölen gebraucht. Beson­ders oft fan­den und fin­den sich Lein­pro­duk­te in Häu­sern wie­der, sei es als Fir­niss der Holz-Aus­sen­wän­de, als Anstrich­la­cke von Türen oder Fens­ter, in Form von Fens­ter­kitt oder als Mischung von Lein­öl-Har­zen mit fein­ge­mah­le­nem Kork- und Holz­mehl sowie Farb­pig­men­ten – dem Lin­ole­um. Umwelt­be­wuss­te Haus­bau­er set­zen natür­li­che Dämm­flie­sen aus Flachs mit sehr guten Wär­me­dämm­ei­gen­schaf­ten ein. Und zwar nicht nur, weil Flachs ein nach­wach­sen­der Roh­stoff ist, son­dern sich auch mit gerin­gem Ener­gie­auf­wand her­stel­len und ohne gif­ti­ge Sub­stan­zen zu sol­chen Mate­ria­len wei­ter­ver­ar­bei­ten lässt.

Bewährtes Volksarzneimittel

Lein (Linum usi­ta­tis­si­mum L.)

Schliess­lich ist Lein ein bedeut­sa­mes und seit Men­schen­ge­den­ken ein­ge­setz­tes Arz­nei­mit­tel. Schon in den Schrif­ten des Hip­po­kra­tes (460–370 v. u. Z.) wird Lein erwähnt: Lein­sa­men kamen – inner­lich wie äus­ser­lich ange­wandt – gegen Katar­rhe, Unter­leibs­schmer­zen, Aus­fluss oder als schmerz­lin­dern­de heis­se Umschlä­ge zum Ein­satz. Dio­s­ku­r­i­des (Mit­te des 1. Jahr­hun­dert n. u. Z.) emp­fahl Lein­sa­men als Mit­tel gegen Hus­ten. Hie­ro­ny­mus Bock (1498–1554) beschrieb die Pflan­ze als ent­zün­dungs­hem­mend, hus­ten­mil­dernd und als Klis­tier darm­öff­nend. Sebas­ti­an Kneipp (1821–1897) setz­te Lein­sa­men zur Schmerz­stil­lung und Lin­de­rung von geschwü­ri­ger sowie ent­zünd­li­cher Pro­zes­se des Ver­dau­ungs­ap­pa­ra­tes ein. Als volks­me­di­zi­ni­sche Anwen­dun­gen sind Abko­chun­gen zur Schmerz­be­kämp­fung oder Krampf­lin­de­rung bekannt, sowie der Ein­satz gegen Bla­sen­ka­tar­rhe und ‑ent­zün­dun­gen, Lun­gen­lei­den oder Krampfhusten.

Natürlich Abführen

Auch für die moder­ne Medi­zin ist Flachs noch eine bedeut­sa­me Pflan­ze mit vie­len wich­ti­gen Anwen­dungs­ge­bie­ten. Die Fasern der Pflan­ze wer­den bei­spiels­wei­se zu ste­ri­len Lein­fä­den (filum lini asep­ti­cum) ver­spon­nen. Trotz guter Eigen­schaf­ten wird in der Chir­ur­gie jedoch nur noch in spe­zi­el­len Fäl­len natür­li­ches Naht­ma­te­ri­al wie Sei­de, Flachs oder tie­ri­sches Gewe­be ein­ge­setzt – zu bestechend sind die Vor­tei­le von voll­stän­dig ent­fern­ba­ren, syn­the­ti­schen Poly­me­ren. Dafür gibt es einen aktu­el­len Anwen­dungs­be­reich, der vor allem durch die sich seit 150 Jah­ren zuneh­mend aus­brei­ten­de, über­wie­gend sit­zen­de Lebens­wei­se bedingt: Die fla­chen, brau­nen und glän­zen­den Lein­sa­men wer­den ger­ne bei chro­ni­scher Ver­stop­fung (“habi­tu­el­ler Obs­ti­pa­ti­on”), Reiz­darm-Erkran­kung mit Durch­fall und Ver­stop­fung abwech­selnd (“Colon irri­ta­bi­le”) oder chro­nisch-ent­zünd­li­chen Darm­wand-Aus­sa­ckun­gen (“Diver­ti­ku­li­tis”) verordnet.

Wie Lein mit dem “Darm-Gehirn” spricht

Che­mi­sche Abführ­mit­tel (“Laxan­ti­en”) sind wegen ihrer viel­fäl­ti­gen Neben­wir­kun­gen und teil­wei­se schwe­ren Kom­pli­ka­tio­nen nicht zur Lang­zeit­an­wen­dung bei Obs­ti­pa­ti­on geeig­net. Im Gegen­satz dazu wir­ken neben­wir­kungs­frei Lein­sa­men auf mehr­fa­che Wei­se: Sie quel­len im Darm um ein 2- bis 3‑faches auf und fül­len ihn damit auf risi­ko­ar­me Wei­se. Die Quel­lung bewirkt im Dick­darm einen Deh­nungs­reiz im aus­ge­dehn­ten “Darm-Gehirn” (“Auer­bach­scher Ple­xus”), der wie­der­um die Rich­tung Darm­aus­gang füh­ren­de Eigen­be­we­gung des Darms (“Peris­tal­tik”) ver­stärkt anregt und so zum Wei­ter­trans­port des Darm­in­hal­tes und schliess­lich der erfolg­rei­chen Aus­schei­dung führt. Die­ser Lein­sa­men-Effekt wird “natür­lich” genannt, weil er bio­lo­gi­sche Ver­hält­nis­se nach­bil­det – näm­lich durch Aus­lö­sung von Deh­nungs­rei­zen im Dick- und End­darm den Abtrans­port sti­mu­liert. Doch Lein­sa­men tun dem Darm noch mehr Gutes: Sie ent­wi­ckeln beim Auf­quel­len einen Pflan­zen­schleim, der an die Darm­um­ge­bung abge­ge­ben wird und für einen weich geform­ten Stuhl und ver­bes­ser­tes Glei­ten im Darm sorgt. Somit hel­fen Lein­sa­men dop­pelt dabei, durch har­ten Stuhl ver­ur­sach­te schmerz­haf­te Ver­stop­fung und quä­len­de Toi­let­ten­gän­ge vor­zu­beu­gen oder zu behandeln.

Autorin
• Mari­on Kaden, Natür­lich (2006).
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