Arzneipflanzen oft falsch angewandt

Pur­pur­son­nen­hut (Echinacea pur­pu­rea)

Etwa zwei Drit­tel der Anwen­der von Heil­pflan­zen und Heil­pflan­zen­pro­duk­ten hält sich nicht an die wis­sen­schaft­lich gestütz­ten Anwen­dungs­ge­bie­te der natür­li­chen Heil­mit­tel (ein­zi­ge Aus­nah­me sind Ver­wen­der von Echinacea-Prä­pa­ra­ten), berich­tet jetzt eine in der Fach­zeit­schrift Pro­cee­dings der Mayo-Kli­nik ver­öf­fent­lich­te Stu­die [1]. Die Ergeb­nis­se fas­sen die Daten von mehr als 30.000 Erwach­se­nen zusam­men, die von Wis­sen­schaft­lern zur Ver­wen­dung von Heil­pflan­zen befragt wor­den waren.

Unter­sucht wur­de die evi­denz­ba­sier­te Ver­wen­dung von ins­ge­samt sechs Heilpflanzen:

  • Echinacea bei Infek­tio­nen der obe­ren Atemwege
  • Knob­lauch bei erhöh­ten Blut­fett-/Cho­le­ste­rin­wer­te
  • Gin­seng für geis­ti­ge Leis­tungs­fä­hig­keit und/​oder bei Diabetes
  • Johan­nis­kraut bei Depression
  • Soja bei erhöh­ten Blut­fett-/Cho­le­ste­rin­wer­ten und/​oder Hitzewallungen
  • Kava-Kava bei Angststörungen

Zusam­men­ge­fasst setz­ten 55 Pro­zent der Befrag­ten Heil­pflan­zen oder Heil­pflan­zen-Prä­pa­ra­te bei ange­mes­se­nen, evi­denz­ba­sier­ten Anwen­dungs­ge­bie­ten ein, so die Stu­die. Aller­dings: Bis auf die zah­len­mä­ßig über­wie­gen­de Echinacea setz­ten die meis­ten Stu­di­en­teil­neh­mer die abge­frag­ten Heil­pflan­zen meist für völ­lig fal­sche Anwen­dungs­be­rei­che ein. Am sel­tens­ten kor­rekt wur­de Gin­seng (3,8 Pro­zent evi­denz­ba­sier­te Anwen­dung) evi­denz­ba­siert ver­wen­det, am häu­figs­ten Echinacea (68 Pro­zent kor­rek­ter Einsatz).

Evi­denz­ba­sier­te Medi­zin (EbM) “ist der gewis­sen­haf­te, aus­drück­li­che und ver­nünf­ti­ge Gebrauch der gegen­wär­tig bes­ten exter­nen, wis­sen­schaft­li­chen Evi­denz für Ent­schei­dun­gen in der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung indi­vi­du­el­ler Pati­en­ten. Die Pra­xis der EbM bedeu­tet die Inte­gra­ti­on indi­vi­du­el­ler kli­ni­scher Exper­ti­se mit der best ver­füg­ba­ren exter­nen Evi­denz aus sys­te­ma­ti­scher For­schung”, for­mu­lier­te einer der Väter des Kon­zep­tes, der Kana­di­er David Sackett, in den 90er Jah­ren [2]. Die Deut­sche Natio­nal­bi­blio­thek (www.ddb.de) for­mu­liert: “Bewuss­te, aus­drück­li­che und wohl­über­leg­te Nut­zung der bes­ten Infor­ma­tio­nen für die Ent­schei­dungs­fin­dung über die Behand­lung eines Pati­en­ten” und nennt als Syn­onym “Gut­ach­ten­ba­sier­te Medi­zin”. EbM beruht dem­nach auf dem aktu­el­len Stand der wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten kli­ni­schen Medi­zin auf der Grund­la­ge kli­ni­scher Stu­di­en, die einen Sach­ver­halt erhär­ten oder wider­le­gen (= exter­ne Evi­denz). Die EbM beschäf­tigt sich nicht mit der Durch­füh­rung von kli­ni­schen Stu­di­en selbst, son­dern mit der sys­te­ma­ti­schen Nut­zung ihrer Ergeb­nis­se. Zu dem Begriff exis­tiert eine aus­führ­li­che, anhal­ten­de und kri­ti­sche Dis­kus­si­on ver­schie­de­ner Gruppen.

Sprach­ver­wir­rung Im deut­schen Sprach­raum besteht – nicht nur bei Medi­­zin-Lai­en – ein beson­de­res sprach­li­ches Pro­blem: Wäh­rend “evi­dence” im Eng­li­schen vor­nehm­lich Beweis, Nach­weis oder abge­schwächt Hin­weis bedeu­tet, meint der Begriff “Evi­denz” im Deut­schen eher Augen­schein­lich­keit, Deut­lich­keit oder Gewiss­heit. Und zwar auf dem Boden einer Ein­sicht, die ohne wis­sen­schaft­li­che Ver­mitt­lung gel­tend gemacht wird, vor allem für die Recht­fer­ti­gung unbe­weis­ba­rer oder unbe­wie­se­ner Sät­ze. Evi­dence und Evi­denz mei­nen im Zusam­men­hang mit medi­zi­ni­scher Ent­schei­dungs­fin­dung also nahe­zu das Gegen­teil. Die Defi­ni­ti­on “Gut­ach­ten­ba­sier­te Medi­zin” ist gefähr­lich, weil sie die eigent­li­che Basis der EbM – die wis­sen­schaft­li­che Unter­maue­rung von Aus­sa­gen – uner­wähnt lässt.

Wei­te­re Ergeb­nis­se der Stu­die: Frau­en set­zen Heil­pflan­zen häu­fi­ger als Män­ner kor­rekt und ent­spre­chend der evi­denz­ba­sier­ten Anwen­dungs­ge­bie­te ein, eben­so wie Frau­en und Män­ner mit höhe­rer Bil­dung. Umge­kehrt neig­ten Men­schen unter 60 eher dazu, Heil­pflan­zen jen­seits ihrer evi­denz­ba­sier­ten Anwen­dungs­be­rei­che zu benutzen.

Dr. Adi­tya Bar­dia, von der Mayo-Kli­nik in Roches­ter und Stu­di­en­lei­ter, for­dert als ein Resü­mee der Stu­die beson­ders Ärz­te, Apo­the­ker und ande­re Health Pro­fes­sio­nals dazu auf, “Ver­brau­cher pro­ak­tiv über den ange­mes­se­nen Gebrauch von Heil­pflan­zen zu unter­rich­ten. Und sich dafür ein­zu­set­zen, evi­denz­ba­sier­te Infor­ma­tio­nen dies­be­züg­lich auch im Bereich des öffent­li­chen Gesund­heits­sys­tems zu verbreiten”.

Bei­spiel: Venus­ki­cher, eine Varie­tät der Kicher­erb­se (Cicer arie­ti­num L.), ent­hält Wirk­stof­fe, deren Effek­te zusam­men­ge­fasst als “östro­gen­ar­tig” bezeich­net wer­den. Sol­che als Phy­to­ös­tro­ge­ne bezeich­ne­ten Pflan­zen wer­den vor allem zur Behand­lung von Wech­­sel­­jahrs-Beschwer­­den ein­ge­setzt (Hit­­ze-Wal­­lun­­gen, Schweiß­aus­brü­che, see­li­sche Ver­stim­mun­gen, unre­gel­mä­ßi­ge Mens­trua­ti­on). Wird nun ein Venus­ki­cher-Pro­­dukt wie bei­spiels­wei­se Venusur­ki­cher® Gra­nu­lat (PZN: 4132477, sie­he www.pandalis.de) bei ganz ande­ren Anwen­dungs­ge­bie­ten ohne Zusam­men­hang mit dem weib­li­chen Hor­mon­sys­tem ver­wen­det, han­delt es sich um eine nicht ange­mes­se­ne, nicht evi­denz­ba­sier­te Anwen­dung (z. B. bei all­ge­mei­ner Leis­tungs­schwä­che oder bei Ver­wen­dung durch Män­ner). Bei ange­mes­se­ner Anwen­dung kön­nen sich hin­ge­gen die beschwer­de­lin­dern­den oder hei­len­den Wir­kun­gen eines pflanz­li­chen Heil­mit­tels ent­fal­ten (wie im Fal­le von Venus­ki­cher übri­gens erfah­rungs­ba­siert schon seit Jahrtausenden).

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Heil­pflan­­zen-Welt (2007).
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