Mistel (Viscum album)
Nicht zuletzt weil Bluthochdruck (Hypertonie) eine Volkskrankheit ist, gehören Medikamente gegen Bluthochdruck (Antihypertonika) zu den umsatzstärksten Pharmaprodukten überhaupt [1, 2]. Zum Leidwesen der Hersteller hat sich jetzt das “Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)” in einem Gutachten dafür ausgesprochen, ausgerechnet die umsatzschwächste, kostengünstigste Gruppe von Antihypertonika – die Entwässerungsmittel (Diuretika) – zu favorisieren [3]. Das Gutachten wurde für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA) erstellt, der über das Wohl und Wehe von Arzneimitteln entscheidet, die von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Für Experten der Phytotherapie kommt dieses Votum nicht überraschend, da schon seit geraumer Zeit bekannt ist, dass auch etliche Heilpflanzen über Steigerung der Wasserausscheidung eine blutdrucksenkende Wirkung haben [4].
Um es gleich vorwegzunehmen: Hypertonie ist überhaupt erst seit den 20iger Jahren des 20. Jahrhunderts als Krankheit bekannt. Traditionelle, seit Jahrtausenden gegen Hypertonie eingesetzte pflanzliche Medikamente kann es also nicht geben [5]. Auch gegen spezifische Hypertonie-Symptome gerichtete, erfahrungsheilkundliche Phytotherapien gibt es nicht, weil Bluthochdruck eine extrem beschwerdearme Erkrankung ist [6]. Entwässernde pflanzliche Diuretika (teilweise auch Aquaretika genannt) sind hingegen seit Urzeiten bekannt, beispielsweise um Ödeme auszuschwemmen (gegen “Wassersucht”), zur Entschlackung oder zur Behandlung von Nieren- und Blaseninfekten.
Typische pflanzliche Diuretika
Birke (Betula pendula), Schachtelhalm (Equisetum arvense), Orthosiphon (Orthosiphon stamineus), Liebstöckl (Levisticum officinale), Petersilie (Petroselinum crispum), Hauhechel (Onosis spinosa), Buschklee (Lespedeza capitata), Feuerröschen (Adonis aestivalis), Küchenzwiebel (Allium cepa), Bischofskraut (Ammi visnaga), Ackergauchheil (Annagallis arvensis), Dill (Anethum graveolens), Engelwurz (Angelica archangelica), Kerbel (Anthriscus cerefolium), Sellerie (Apium graveolens), Goldrute (Solidago virgaurea), schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum) [7, 8].
Größere klinische Studien zur Blutdrucksenkung mit pflanzlichen Diuretika liegen nicht vor. Kleinere Untersuchungen, die eher Pilotcharakter haben, wurden allerdings immer wieder mit Erfolg durchgeführt. Beispielsweise mit Spargel (Asparagus officinalis) [9] oder Hibiscus (Hibiscus sabdariffa) [10]. Zahlreiche andere pflanzliche Diuretika konnten zudem in Tierversuchen ihre blutdrucksenkende Wirkung zeigen. Insgesamt ist das Datenmaterial erstaunlich dünn, weshalb manche Autoren zu verstärkten Forschungen aufrufen, damit die Optionen phytotherapeutischer Diuretika bei Hypertonie endlich einmal ausgelotet werden [11]. Hinweis: Dass die Pflanzenheilkunde bereits große Beiträge zur Hypertonie-Therapie geliefert hat, wird an der Heilpflanze Schlangenwurz (Rauwolfia serpentina) deutlich. Rauwolfia war lange Zeit eines der am meisten gebrauchten Hypertoniemittel überhaupt [12], ist jedoch wegen angeblich krebserzeugender Wirkung nicht mehr als standardisierter Pflanzenextrakt, sondern nur noch in Form seines wesentlichen Wirkstoffes Reserpin erhältlich. Andere Heilpflanzen mit belegter blutdrucksenkender Wirkung sind die Mistel (Viscum album), der Ölbaum (Olea europaea) oder Bärlauch (Allium ursinum) [7]. Die Blutdrucksenkung kommt bei diesen Pflanzen weniger durch diuretische Effekte, sondern durch andere Mechanismen zustande. Beispielsweise durch Enzym-Hemmung ähnlich wie bei den chemisch-synthetischen Wirkstoffen aus der Gruppe Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer [13].
Traditionelle Kombinationspräparate aus Bärlauch, Mistel und Weißdorn (Crataegus oxyacantha) zur Unterstützung der Herz-Kreislauf-Funktion (zum Beispiel “Bärlauch Mistel Weißdorn Tabletten Dr. Pandalis N”, PZN: 16 72 144, siehe www.pandalis.de) zielen somit über leicht diuretische Wirkanteile auch in Richtung der Volkskrankheit Hypertonie, der bedeutendsten Funktionsstörung des Herz-Kreislauf-Systems. Dass bei einer solch unterstützenden Therapie andere – nicht-medikamentöse – Möglichkeiten zur Blutdrucksenkung genutzt werden sollten, ist klar. Allen voran eine obst- und gemüsereiche Ernährung, Begrenzung der Kochsalz-Zufuhr (4–6 Gramm/Tag), eine Verringerung des Körpergewichtes bei Übergewichtigen, die Beschränkung des Alkoholkonsums auf 30 Gramm/Tag oder eine Steigerung der körperlichen Aktivität bei sonst überwiegend sitzender Lebensweise [14].
Autor
• Rainer H. Bubenzer, Heilpflanzen-Welt (2007).
Quellen
1. Bundesministerium für Gesundheit (BMG): Statistisches Taschenbuch Gesundheit 2005. Berlin, Oktober, 2005 (www.bmg.bund.de/cln_040/…pdf).
2. Anlauf M: Antihypertonika. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungsreport 2005. Springer Verlag, Heidelberg, 2006.
3. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Vergleichende Nutzenbewertung verschiedener antihypertensiver Wirkstoffgruppen als Therapie der ersten Wahl bei Patienten mit essentieller Hypertonie. Köln, 12. Februar 2007 (www.iqwig.de/download/…pdf).
4. Schilcher H: Pflanzliche Diuretika. Urologe. 1987; B(27):215–22.
5. Rullière R: Geschichte der Kardiologie im 19. und 20. Jahrhundert. In: Sournia JC, Poulet J, Martiny M (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der Medizin. Verlag Andreas & Andreas, Vaduz, 1986.
6. Kaplan NM, Lieberman E, Neal W: Kaplan’s Clinical Hypertension, 8th edition. Lippincott Williams & Wilkins Publishers, Philadelphia, 2002.
7. Augustin M, Schmiedel V (Hrsg): Praxisleitfaden Naturheilkunde: Methoden, Diagnostik, Therapieverfahren in Synopsen, 4. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München, Jena, Lübeck, 2003.
8. Madaus, G: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Thieme Verlag, Leipzig 1938.
9. Chrubasik S, Droste C, Dragano N, Glimm E, Black A: Effectiveness and tolerability of the herbal mixture Asparagus P on blood pressure in treatment-requiring antihypertensives. Phytomedicine. 2006 Nov;13(9–10):740–2 (Medline).
9. Herrera-Arellano A, Miranda-Sanchez J, Avila-Castro P, Herrera-Alvarez S, Jimenez-Ferrer JE, Zamilpa A, Roman-Ramos R, Ponce-Monter H, Tortoriello J: Clinical effects produced by a standardized herbal medicinal product of Hibiscus sabdariffa on patients with hypertension. A randomized, double-blind, lisinopril-controlled clinical trial. Planta Med. 2007 Jan;73(1):6–12 (Medline).
11. Richard CL, Jurgens TM: Effects of natural health products on blood pressure. Ann Pharmacother. 2005 Apr;39(4):712–20 (Medline).
12. Weiß FR: Lehrbuch der Phytotherapie, 7. Auflage. Hippokrates Verlag, Stuttgart, 1991.
13. Nakano D, Ogura K, Miyakoshi M, Ishii F, Kawanishi H, Kurumazuka D, Kwak CJ, Ikemura K, Takaoka M, Moriguchi S, Iino T, Kusumoto A, Asami S, Shibata H, Kiso Y, Matsumura Y: Antihypertensive effect of angiotensin I‑converting enzyme inhibitory peptides from a sesame protein hydrolysate in spontaneously hypertensive rats. Biosci Biotechnol Biochem. 2006 May;70(5):1118–26 (Medline).
14. Touyz RM, Campbell N, Logan A, Gledhill N, Petrella R, Padwal R; Canadian Hypertension Education Program: The 2004 Canadian recommendations for the management of hypertension: Part III–Lifestyle modifications to prevent and control hypertension. Can J Cardiol. 2004 Jan;20(1):55–9 (Medline).