Die Frage “soll die Brustdrüsen-Entzündung (“Mastitis”) von stillenden Frauen mit kühlen oder warmen Umschlägen behandelt werden?” erhitzt bei Kongressen immer wieder die Gemüter von Naturheilkundlern. Ersteres hemmt die Entzündungsaktivität und Schmerzen, letzteres stimuliert die lokale Abwehr und beschleunigt körpereigene Heilungsprozesse. Die Frage ist bis heute nicht entschieden. Zumal auch international überall anders vorgegangen wird. Doch zeigt die Frage vor allem eines auf: Die fehlende moderne theoretische Konzeption in der Schulmedizin hinsichtlich Wärme und Kälte als Elemente von Vorbeugung und Behandlung.
Aus den Konzepten der griechischen Ärzte, die bis weit ins europäische Mittelalter reichten, ergibt sich folgendes: In dem Weltbild beispielsweise des griechischen Arztes und Dichters Empedokles (483–425 v. Chr.) ist die dingliche Welt aus vier Urelementen zusammengesetzt – Erde, Luft, Feuer und Wasser. Die “Elementelehre” wird von überragenden Ärzten des Altertums wie Hippokrates oder Galen zur Säftelehre (“Humoralpathologie”) weiterentwickelt und befruchtet über Paracelsus und andere selbst die Medizin der Neuzeit.
- Diese Elemente sind jedoch nicht physikalisch aufzufassen, sondern als Ausformung (“Emanationen”) eines von Anfang an belebten Urgrundes. Gesundung ist dabei ein Vorgang, bei dem diese Urprinzipien oder Urkräfte wieder richtig “gemischt” werden (“Eukrasie”) – mit oder ohne Hilfestellung durch Therapeuten. Ist eine Krankheit – zum Beispiel von Leber, Galle, Haut oder Seele (“Depression”) – durch eine Störung des Grundprinzips “Feuer” bedingt, kann die Zuführung oder Ableitung von Wärme eine Heilung anregen.
- Nach der Entdeckung des Blutkreislaufes durch William Harvey (1578–1657) entwickelte sich die aktuelle Vorstellung, das rhythmisch bewegte Blut sei Träger für die in Leber und Muskeln erzeugte Wärme (und auch der alles belebende Sauerstoff, Abwehrstoffe und anderes). Damit bekommt die vorbeugende oder therapeutisch gedachte Durchblutungs-Förderung eine alles überragende Bedeutung.
- Im 19. Jahrhundert entwickelt und begründet der Grossmeister aller Wasserkuren, Sebastian Kneipp (1821–97), die gezielte Anwendung von Wärme und Kälte als Reiztherapie. Diese Vorstellung einer “auf den Körper zielenden Reizung” wird in den Folgejahren von anderen Naturheilkundlern immer weiter ausgearbeitet. Heilungsimpulse sollen beispielsweise über Stimulation von Reizzonen (Reflexzonen) über Nerven an innere erkrankte Organe gelangen. Oder durch massive Beeinflussung der Hautdurchblutung zu reflektorischen Organreaktionen führen. Beispielsweise einer Entspannung verkrampfter Muskelpartien. Es sind sogar wassertherapeutisch ausgelöste Veränderungen hormoneller Signalbildung und ‑übertragung im Körper beschrieben worden.
- Ein auf ungewöhnliche Weise an die Humoralpathologie anknüpfende Beobachtung stammt aus den Forschungen von Jacobus Henricus van’t Hoff (1852–1911): Die Reaktionsgeschwindigkeit (bio-)chemischer Prozesse nimmt um das zwei- bis dreifach zu, wenn die Temperatur um 10° Celsius gesteigert wird (“van’t‑Hoff-Regel”). Diese Beobachtung bestätigte die lebensnotwendige Bedeutung von natürlich entstehendem Fieber. Und wurde seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zur Grundlage einer Neubewertung der therapeutischen Möglichkeiten künstlich erzeugtem Fiebers. Schliesslich führte diese Erkenntnisse auch zu den aktuellen – schulmedizinischen – Hyperthermie-Forschungen im Bereich der Krebstherapie während der letzten Jahrzehnte (zum Beispiel bei schwarzem Hautkrebs oder grundsätzlich zur Steigerung von Immunreaktionen).
- “Kälte” als Konzept in Naturheilkunde oder Badetherapie beschreibt genaugenommen nur das Fehlen von Wärme. Kälte selbst ist also – anders als Wärme – keine physikalische Größe. Deshalb gibt es auch in Wahrheit keine “Kältetherapie” (obwohl dieser Begriff häufig verwendet wird). Zudem verschleiert der Begriff die wahre Natur der Maßnahmen: Nämlich die durch einen gezielten Wärme-Entzug bedingte, dynamische Veränderung der Temperatur des Körpers oder einzelner Gewebe. Dabei ruft die erzielte Temperatur-Absenkung – im Sinne einer Reiz- oder Regulationstherapie – heilsame Reaktionen hervor. Nicht jedoch die mit der Maßnahme erzielte Temperatur. Damit zeigt sich auch die, diesen Beitrag begründende Verwandtschaft von “Kälte- und Wärmetherapie”, mit der gesundheitlichen Anwendung von Wärme. Dies hat besonders Sebastian Kneipp mit seinen Vorschlägen zu wechselwarmen Wasseranwendungen deutlich gemacht.
Anwendungen
Eine Ideen der modernen Reiz- oder Regulationstherapie – zum Beispiel im Bereich Badetherapie (“Balneotherapie”) oder Kurwesen (z. B. Moorbäder, Unterleibs-Teilbäder) – sind auch zum lockeren Bestandteil der Schulmedizin geworden. Andere Maßnahmen wie z. B. der grosse Leibwickel als umstimmende Konstitutionstherapie bei chronischen Erkrankungen sind der Naturheilkunde vorbehalten geblieben. Ähnlich den vielen Wassertherapien (“Hydrotherapie”) als wichtige Wärme-Kälte-Anwendungen: Wickel, Heil‑, Saunabäder oder Güsse gehören dazu. Die Kombination von Durchblutungs-Anregung (“Perfusions-Steigerung”), (Tiefen-)Erwärmung (“Hyperthermie”), Muskelentspannung (“Massagen”), reflektorischer Reiz-Behandlung (z. B. Schröpfen) oder Arznei-Anwendungen sucht ihresgleichen.
Warum Wickel wirken
Wickel wirken vor allem bei Organ-Entzündungen und Fieber gut. Sie sind, frühzeitig eingesetzt, eine wertvolle Behandlungs-Ergänzung besonders in Familien mit Kindern.
Örtliche Wirkung Wickel werden meist kalt oder kühl angewandt, was anfangs unangenehm sein kann. Die örtliche Abkühlung ruft sofort eine Gegenregelung des Körper hervor: Erweiterung der Blutgefäße und Steigerung der Durchblutung zur Normalisierung der abgesenkten Gewebetemperatur. Wenn dann mehr Blut z. B. im entzündeten Halsbereich fliesst, gelangen auch mehr Abwehrzellen und Immunstoffe als sonst dorthin. Doch der Körper reagiert noch mehr: Er stellt für etliche Stunden die örtliche Temperatur höher als zuvor ein, steigert damit die Aktivität aller Zellen, fördert so Heilungsvorgänge. Dies ist besonders bei chronischen Entzündungen, z. B. der Gelenke, wichtig: Wickel geben so dem Körper die Heilungsbotschaft: “Lass’ aus der chronischen Entzündung wieder eine akute werden!”, was für chronisch kranke Organe eine neue Heilungschance sein kann.
Körper-Wirkung Doch Wickel können noch mehr. Sie reizen nämlich auch die überall auf der Körperoberfläche verteilten Reflexzonen innerer Organe (“Somatotope”). Und können so vom naturheilkundlich qualifizierten Arzt auch zur sanften, nebenwirkungsarmen Behandlung innerer Erkrankungen, z. B. Asthma, chronische Darmerkrankung oder Unterleibsentzündung, eingesetzt werden. Wegen dieser Reflex-Wirkungen senken Wadenwickel Fieber im ganzen Körper, obwohl sie selbst nur zu einer geringen örtlichen Abkühlung führen. Wickel fördern auch die Durchblutung in der Tiefe, lösen so Muskelverspannungen und ‑Verkrampfungen.
Zusätze Zur Verstärkung der heilenden Reizwirkung von Wickeln können Zusätze verwendet werden, z. B. Zwiebeln, Senfmehl, Quark, Heilerde oder auch Heilpflanzenextrakte. Besonders bei kleinen Patienten sind Zusätze nicht notwendig, die Heilkraft des Wassers reicht völlig aus.
Was Sie brauchen: 1 Leinentuch, 1 Baumwolltuch, 1 Wolltuch oder Schal. Je nach Wickel, brauchen Sie unterschiedliche Größen, z. B. für Halswickel: etwa 10x70 cm, für Brustwickel: etwa 40x90 cm, für Wadenwickel: etwa 30x70 cm.
Wie es geht: Wickel sollten immer in mindestens zwei, besser aber in drei Lagen angelegt werden. Für die innerste Lage tauchen Sie das Leinentuch in kaltes Wasser, wringen es etwas aus, und wickeln es glatt anliegend und fest, aber nicht einschnürend um das gewählte Organ, z. B. Hals, Brust, Leib, Wade (jede einzeln). Dann den Wickel mit einem trockenen Baumwolltuch umhüllen, die feuchte innere Lage darf nicht herausschauen. Dann alles mit dem Wolltuch gut abdecken. Die Patientin dann in entspannter Lage (z. B. im Bett) in eine Decke eingehüllt ruhen lassen.
Dauer: Der Wickel sollte 45–60 Minuten angelegt bleiben. Ist besonders ein schweißtreibender Effekt gewünscht, auch 1–3 Stunden. Je nach Beschwerden (z. B. akutes Halsweh mit erkältungsbedingtem Fieber) kann der Wickel tagsüber alle 1 bis 2 Stunden erneuert werden. Nach einer Wickelanwendung ca. 1/2–1 Stunde ruhen. Es ist unproblematisch, wenn ein Wickel Nachts angelegt bleibt.
Achtung:
– Keine kalten Wickel bei Patienten, die frieren oder frösteln.
– Wird ein Wickel nicht nach 5–15 Minuten als warm empfunden, ist Wärmung von außen nötig. Z. B. heißen Tee trinken oder Wärmflasche mit unter die Decke legen.
– Fühlt sich die Patientin/der Patient unwohl, kann die Anwendung jederzeit abgebrochen werden (nachher trotzdem weiter warm halten).
– Warme Wickel nur bei chronischen Erkrankungen, nicht bei akuten Entzündungen.
– Wadenwickel zur Fiebersenkung 2–3mal im Abstand von 5–10 Minuten wechseln.
– Für Leibwickel ist ein schmales, langes Tuch für die innerste Lage hilfreich, dann 2 breite, lange Handtücher zum Abdecken. Angenehm wärmend ist eine Wärmflasche am Oberkörper, eine zum Wärmen der Füße.
– Wer im Fieberverlauf sich ordentlich gesund schwitzen will, braucht viel Flüssigkeit. Gut sind mindestens 2 – 3,5 Liter Haustee (koffeinfrei) oder Kräutertee (z. B. Lindenblüten, Holunderblüten, Thymian, Pfefferminze).
Nasse Socke – die Einschlafhilfe
“Nasse Socken” sind eine besondere Form des Fußwickels. Hierzu ein Paar dünne Baumwollsocken in kühles Wasser tauchen, gut auswringen und anziehen (Achtung: nie bei kalten Füßen!). Darüber kommen noch trockene, etwas längere Wollsocken und ab geht es ins Bett. Die Socken können bis zum Morgen an den Füßen bleiben. Die “Nasse-Socken-Einschlafhilfe” wirkt kreislaufharmonisierend und entspannend, aber auch Fieber senkend.
Eiskappe: Haarausfall-Schutz bei Chemotherapie
Die Kühlung des Kopfes während der Chemotherapie erfolgt entweder mit Eisbeuteln, besser aber mit speziellen Medizinprodukten oder ‑geräten. Die Kühlung verringert die Durchblutung der Kopfhaut. So erreichen die aggressiven Antikrebs-Mittel der Chemotherapie die Haarwurzeln schlechter. Und die Stoffwechselaktivität der Haarwurzel-Zellen verringert sich. Therapiebedingte Schäden an den Haarwurzeln werden seltener.
Beschreibungen von Massnahmen zur Fieber-Förderung (Schwitzen durch Lindenblütentee oder Fliederbeersaft), dem bei Erkältungen so bedeutenden “ansteigenden Fussbad” oder anderer wichtiger Anwendungen (die grossen Kneipp-Güsse, Fangopackungen usw.) werden in den vielen Fachbüchern beschrieben. Auch und vor allem unter dem Gesichtspunkt der vorbeugenden Gesundheitshilfe oder der Familienmedizin.
Autorin
• Marion Kaden, Natürlich (2007).
Quellen
1. Milenkovics / Kunze / Krammer: Das Kneipp-Wohlfühlbuch. 180 Seiten. ISBN 3–902191–04‑X, EUR 19,90 (www.kneippverlag.com).
2. Novotny: Kneipp für Kinder. 128 Seiten. ISBN: 9783893735273, CHF 22,70 (www.medizinverlage.de/html/trias/index.html).