Das Grüne Rezept – Rettung für Pflanzen-Heilmittel?

Grünes Rezept
Grü­nes Rezept

Mit dem Gegen­teil eines April­scher­zes begann 2004 eine gesund­heits­po­li­ti­sche Kaprio­le der Bun­des­re­gie­rung, deren kata­stro­pha­le Fol­gen teil­wei­se erst heu­te klar wer­den: Den gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen wur­de im Rah­men des Gesund­heits­mo­der­ni­sie­rungs­ge­set­zes (GMG) ab 1.4.2008 unter­sagt, die Kos­ten für all jene Arz­nei­mit­tel zu über­neh­men, für die die Pati­en­ten kei­ne ärzt­li­che Ver­ord­nung, also kein Rezept benö­ti­gen. Grund: Rezep­te sei­en ja nur für Prä­pa­ra­te mit Neben­wir­kun­gen not­wen­dig, sei­en also ein Instru­ment der Risi­ko­ab­wehr. Doch Medi­ka­men­te ohne Neben­wir­kun­gen, so die Gesund­heits­mi­nis­te­rin Ulla Schmidt wei­ter, hät­ten auch kei­ne rich­ti­ge the­ra­peu­ti­sche Wirk­sam­keit. Des­halb brau­che die gesetz­li­che Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV) sol­che Mit­tel nicht zu bezah­len, war ihr mes­ser­schar­fer (Trug)schluß. Daß es ihr nicht um Pati­en­ten­schutz oder Kos­ten­er­spar­nis ging, wur­de rasch klar: Vor allem die umsatz­star­ken und neben­wir­kungs­rei­chen „Schnell-Dre­her“ der rie­si­gen Phar­ma­kon­zer­ne pro­fi­tie­ren seit­her mit jähr­lich stei­gen­den Umsät­zen von der Aus­gren­zung der rezept­frei­en (over the coun­ter, OTC-)Medikamente aus dem GKV-Sys­tem. Pflanz­li­che, homöo­pa­thi­sche oder ande­re Arz­nei­mit­tel hin­ge­gen müs­sen seit­her von den Ver­si­cher­ten der gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen weit­ge­hend selbst bezahlt wer­den, sie pro­fi­tie­ren von der Umver­tei­lung nicht.

Im Stil eines japa­ni­schen Koans äußert sich die Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­rin para­dox, unver­ständ­lich und unsin­nig: Ein auf­wen­dig vom Bun­des­in­sti­tut für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (BfArM) zuge­las­se­nes Arz­nei­mit­tel ohne Neben­wir­kun­gen darf nicht von den gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen bezahlt wer­den. Auch wenn es der Hei­lung von Krank­hei­ten oder der Lin­de­rung von Beschwer­den dient. Die Kas­sen dür­fen seit 1. April 2004 nur noch sol­che Arz­nei­mit­tel bezah­len, die Neben­wir­kun­gen haben.

Der intel­lek­tu­el­le Rück­wärts-Sal­to im Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um ver­un­si­chert seit­her nicht nur Ärz­te, Apo­the­ker oder Her­stel­ler, son­dern vor allem auch Pati­en­ten. So ist der Glau­be an den the­ra­peu­ti­schen Nut­zen rezept­frei­er Prä­pa­ra­te bei vie­len Pati­en­ten nach­hal­tig erschüt­tert wor­den, weil die ärzt­li­che Ver­ord­nung als “ver­trau­ens­bil­den­de Maß­nah­me” weg­ge­fal­len sei, ana­ly­siert der Vor­sit­zen­de des Bun­des­ver­band der Arz­nei­mit­tel­her­stel­ler (BAH), Hans-Georg Hoff­mann, im Dezem­ber 2008 die aktu­el­le Sach­la­ge. Wer als Arzt ein­mal Rheu­ma­pa­ti­en­ten mit lebens­be­droh­li­chem Magen­durch­bruch wegen häu­fi­ger Ver­wen­dung eines – rezept­frei­en – Schmerz­mit­tels gese­hen hat, weiß von der angeb­li­chen “Neben­wir­kungs­frei­heit” sol­cher Prä­pa­ra­te. Genau­so wie alle natur­heil­kund­lich arbei­ten­den Heil­prak­ti­ker oder Ärz­te wis­sen, wie hilf­reich ein neben­wir­kungs­frei­es Herz und Kreis­lauf stär­ken­des Heil­pflan­zen-Arz­nei­mit­tel Beschwer­den lin­dern kann.

Grünes Rezept steuerlich absetzbar

Als Reak­ti­on auf den Erstat­tungs­aus­schluss vie­ler Medi­ka­men­te ent­wi­ckel­ten die Kas­sen­ärzt­li­che Bun­des­ver­ei­ni­gung (KBV), der Deut­sche Apo­the­ker­ver­band (DAV) und Ver­bän­de der Arz­nei­mit­tel­in­dus­trie (BAH, BPI) 2004 ein neu­es, für die Ver­ord­ner ver­bind­li­ches, voll­stän­dig wer­be­frei­es Mus­ter­for­mu­lar: Das „grü­ne Rezept“. Auf die­sem – grün gefärb­ten – Pri­vat­re­zept kön­nen Ärz­te ihren Pati­en­ten den Namen jener rezept­frei­en Medi­ka­men­te samt Dar­rei­chungs­form und Packungs­grö­ße auf­schrei­ben, die sie zur Behand­lung für not­wen­dig erach­ten, die aber nicht von der Kas­se bezahlt wer­den. In der Apo­the­ke signa­li­siert das grü­ne Rezept: Die­ses Mit­tel wird unter ärzt­li­cher Kon­trol­le ein­ge­nom­men, aber vom Ver­si­cher­ten selbst bezahlt.

Das Grü­ne Rezept soll dazu beitragen,

  • die The­ra­pie­treue von Pati­en­ten zu verbessern
  • den Pati­en­ten eine Merk­hil­fe für ihre Behand­lung zu bieten
  • eine nega­ti­ve Ein­schät­zung der von der Erstat­tung aus­ge­schlos­se­nen Mit­tel im Ver­gleich zu den mit erstat­tungs­fä­hi­gen Prä­pa­ra­ten zu vermeiden
  • dem Pati­en­ten einen Beleg für sei­ne Steu­er­erklä­rung (zum Nach­weis von Medi­ka­men­ten­aus­ga­ben als „außer­ge­wöhn­li­cher Belas­tung“) an die Hand zu geben. Der Apo­the­ker taxiert das abge­ge­be­ne Arz­nei­mit­tel und gibt dem Pati­en­ten das Rezept zurück.

Die Ein­füh­rung des grü­nen Rezep­tes hat den gewal­ti­gen Umsatz­rück­gang bei den nicht erstat­tungs­fä­hi­gen Medi­ka­men­ten kaum auf­hal­ten kön­nen. Die Zahl ärzt­li­cher Ver­ord­nun­gen bei den betrof­fe­nen Prä­pa­ra­te ging von 2003 (also dem letz­ten Jahr der Erstat­tungs­fä­hig­keit) bis heu­te um mehr als 50 Pro­zent zurück (das sind rund 100 Mil­lio­nen Packun­gen pro Jahr weni­ger). Auch die Ein­sicht vie­ler Pati­en­ten, dass selbst­be­zahl­te OTC-Prä­pa­ra­te oft weni­ger kos­ten, als allein die Rezept­ge­bühr eines erstat­tungs­fä­hi­gen Mit­tels, half nicht viel. Genau­so wenig wie die spe­zi­el­len Wahl­ta­ri­fe eini­ger Kran­ken­kas­sen, die die Nut­zung natur­heil­kund­li­cher Medi­zin finan­zi­ell erleich­tern sol­len (“Phy­to-Wahl­ta­ri­fe”), haben kaum Ent­las­tun­gen geschaf­fen. Zum einen, weil die meis­ten Kas­sen kein ent­spre­chen­des, vom Gesetz vor­ge­se­he­nes Ange­bot machen. Zum ande­ren, weil die Tari­fe für die meis­ten inter­es­sier­ten Ver­si­cher­ten mehr als unat­trak­tiv sind. Ob eine zu Anfang des Jah­res 2009 gestar­te­te Initia­ti­ve des Bun­des­ver­band der Arz­nei­mit­tel­her­stel­ler zur För­de­rung des grü­nen Rezep­tes Wir­kun­gen zei­gen wird, bleibt abzuwarten.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Ber­lin, Janu­ar 2009.
wei­te­re Infos
• (1) Pres­se­ge­spräch: BAH-Pro­­jekt – För­de­rung des Grü­nen Rezepts. Bonn, 11. Dezem­ber 2008.
• (2) Beschluss des Gemein­sa­men Bun­des­aus­schus­ses über die Neu­fas­sung der Arz­n­ei­­mi­t­­tel-Rich­t­­li­­nie. Ber­lin, 18. Dezem­ber 2008.