Verführung am Wegesrand

Eine Kräu­t­er­wan­de­rung mit dem Mot­to “Ver­füh­rung am Weges­rand” macht neu­gie­rig. Als Treff­punkt hat Eva West­phal, Grü­ne Liga Ber­lin, Lobe­tal gewählt. Das Dörf­chen liegt beschau­lich fern­ab von Ber­lin und besteht vor­wie­gend aus Häu­sern einer Bodel­schwingschen Ein­rich­tung. Es ist schon Teil des Natur­schutz­ge­bie­tes Bar­nim. Der idyl­li­sche Land­strich wur­de geprägt von der “Mär­ki­schen Eis­zeit”. Glet­scher hin­ter­lies­sen eine typi­sche End­mo­rä­nen­land­schaft mit Seen, Flüs­sen oder lieb­li­chen Hügeln. Ein­sa­me Buchen‑, Misch­wäl­der oder weit­läu­fi­ge Wie­sen prä­gen das Bild – ein Dora­do für vie­le Pflan­zen und Tie­re also.

Eva West­phal

Die Bio­lo­gin und Kräu­ter­frau beginnt ihre Füh­rung mit der Vor­stel­lung ver­schie­de­ner Bestim­mungs- oder Wild­kräu­ter­bü­cher. “Vie­le Wild­pflan­zen sind ess­bar”, sagt sie, “doch soll­ten die Rich­ti­gen gesam­melt wer­den”. Da man­che Wild­pflan­zen ein gif­ti­ges, zum Ver­wech­seln ähn­li­ches Eben­bild haben, emp­fiehlt sie bei Unsi­cher­heit lie­ber die frag­li­che Wild­pflan­ze weg­zu­las­sen und kein Risi­ko ein­zu­ge­hen. “Wer Inter­es­se an Wild­pflan­zen hat, wird bei jeder Wan­de­rung ein neu­es Kraut ken­nen­ler­nen und so bald eine gan­ze Rei­he an Pflan­zen sicher bestim­men kön­nen”, so West­phal. Sie holt zwei Tabel­len aus ihrer Tasche und läßt die­se in der Grup­pe her­um­ge­hen. Auf­ge­führt sind die Vit­ami­ne und Nähr­wer­te ver­schie­de­ner Kräu­ter. Man­che der Wild­pflan­zen ent­hal­ten erstaun­lich vie­le Vit­ami­ne oder haben beson­ders hohe Mine­ral­stoff­wer­te. “Auch der Bit­ter­stoff­an­teil vie­ler Wild­pflan­zen ist wesent­lich höher als in gezüch­te­ten Pflan­zen”, erzählt West­phal. “Der bit­te­re Geschmack ist häu­fig gewöh­nungs­be­dürf­tig. Doch vor­teil­haft ist gleich­zei­tig die stoff­wech­sel­an­re­gen­de Wir­kung”. Das der Bit­ter­stoff­an­teil oft höher ist, liegt dar­an, dass die Pflan­zen sich mehr behaup­ten müs­sen oder ihre Wur­zeln tie­fer in die Erde gra­ben, so Wesphal. Wei­te­re Kri­te­ri­en wie Boden­be­schaf­fen­heit, Gesteins­ar­ten oder Kli­ma wir­ken eben­falls an den Inhalts­stof­fen mit. “Die meis­ten Wild­pflan­zen schme­cken inten­si­ver, wür­zi­ger oder anders­ar­ti­ger als gezüch­te­te Pflan­zen”, sagt West­phal, aber gera­de das mache den Reiz aus.

Geschmackvoll und vielfältig

Giersch blü­hend

Nach die­ser Ein­lei­tung führt sie die etwa zwan­zig-köp­fi­ge Grup­pe aus dem Dorf her­aus zum nahe­ge­le­ge­nen Meche­see. Über­all am Weges­rand wach­sen Wild­pflan­zen, die sie vor­stel­len kann: Der schleim­lö­sen­de Breit­we­ge­rich (Plan­ta­gi­nis mayo­ris her­ba), der all­ge­gen­wär­ti­ge Löwen­zahn (Tar­a­xa­cum offi­ci­na­le), Gun­der­mann (Gle­cho­mae hederaceae her­ba), der mas­sen­haft wach­sen­de Giersch (Aego­po­di­um podagra­ria) oder die Brenn­nes­sel (Urti­cae her­ba). “Auch sämt­li­che Grä­ser sind ess­bar. Da wir aber kei­ne Wie­der­käu­er sind, müss­ten sie mit einem Pür­rier­stab gut zer­klei­nert wer­den, um über­haupt ver­daut zu wer­den”, sagt West­phal. Grä­ser bie­ten einen hohen Bal­last­stoff­an­teil, doch mehr nicht. Da gibt es wesent­lich geschmack­vol­le­re Pflan­zen – wie das Gän­se­fin­ger­kraut (Poten­til­la anse­ri­na) zum Bei­spiel. Die Pflan­ze ist auf­grund ihres cha­rak­te­ris­ti­schen Wuch­ses leicht zu iden­ti­fi­zie­ren. Die Bio­lo­gin hält eine Pflan­ze hoch: Von einem Stän­gel aus wach­sen jeweils gegen­über­lie­gend gesäg­te Blät­ter, die zur Spit­ze hin immer fei­ner wer­den. Sie haben eine grau-grü­ne Far­be und sind leicht behaart. Auch die klei­nen gelb leuch­ten­den Blü­ten sind ess­bar. “Gän­se­fin­ger­kraut ent­hält vie­le Vital­stof­fe und ist gut zum Salat geeig­net”, so die Kräuterfrau.

Löwenzahn zeigt Pestizide an

Kräu­ter­körb­chen

Löwen­zahn weist auf einen über­düng­ten Boden hin, erfährt die Grup­pe. “Es ist eine soge­nann­te Zei­ger­pflan­ze”, so West­phal. Wenn nur noch Löwen­zahn die Wie­sen bevöl­kert und sonst gar nichts mehr, dann wur­de mas­sen­wei­se Dün­ger oder Pes­ti­zi­de gespritzt. “Dann ver­zich­ten Sie dar­auf, ihn mit­zu­neh­men. Denn anders als die Brenn­nes­sel nimmt der Löwen­zahn das Gift aus dem Boden auf”, warnt West­phal. Doch der Löwen­zahn aus dem Natur­schutz­ge­biet kann beden­ken­los ver­wen­det wer­den. Sie emp­fiehlt die Löwen­zahn­blät­ter mög­lichst jung in den Salat zu schnip­seln (je älter die Blät­ter, des­to dun­kel­grü­ner). Dann ist der Bit­ter­stoff­an­teil noch nicht so hoch. Im Som­mer bie­tet sich die Wur­zel zur Ver­wen­dung an: “Die kräf­ti­ge Pfahl­wur­zel wird aus der Erde gezo­gen, mit einer Gemü­se­bürs­te gerei­nigt und dann mit einer Rei­be über den Salat ver­teilt”, erklärt sie. Doch Vor­sicht: Weni­ger ist mehr, fügt West­phal hin­zu, denn die Bit­ter­stof­fe kön­nen den Salat schnell unge­nieß­bar machen. Die Rat­schlä­ge und Tipps wer­den von eini­gen eif­rig mit­ge­schrie­ben. Die eine oder ande­re hat auch ein Körb­chen mit­ge­bracht, um gleich die bespro­che­nen Wild­kräu­ter gleich mitzunehmen.

Vorsicht bei manchen Doldenblütlern

Die Brenn­nes­sel muss eine Lieb­lings­pflan­ze der Kräu­ter­frau sein. Aus­führ­lich beschäf­tigt sie sich mit der Pflan­ze (Geschich­te). Auch für den Giersch, der gera­de blüht, lässt sich die Kräu­ter­frau Zeit: Als ein­zi­ge wir­kungs­vol­le Maß­nah­me das Kraut im Gar­ten zu bekämp­fen, emp­fiehlt sie es “als Peter­si­li­en­er­satz zu essen, essen, essen”. Nur auf die­se Wei­se habe sie die Wild­pflan­ze in ihrem eige­nen Gar­ten im Zaum gehal­ten, erklärt sie. Auch die Blü­te ist ess­bar, nur Vor­sicht: Weis­se Dol­den­blü­ter gibt es vie­le – auch gif­ti­ge! Bevor die weis­sen Blü­ten gepflückt wer­den, soll­te ein­wand­frei bestimmt wor­den sein, dass sie zum Giersch gehören.

Oxalsäure nicht für alle gesund

Wald­sauer­klee (Oxa­l­is ace­to­sel­la)

Im Wald wächst geschützt der Wald­sauer­klee (Oxa­l­is ace­to­sel­la) unter eini­gen Büschen. Genau­so wie Sau­er­amp­fer (Rum­ex ace­to­sa) ent­hält das dun­kel­blätt­ri­ge Kraut Oxal­säu­re. Wald­sauer­klee schmeckt als But­ter­brot­be­lag oder in einer Sup­pe, erfährt die Grup­pe. “Beim Kochen des Krauts ver­fällt die Oxal­säu­re”, so West­phal. Vor einem Zuviel an Oxal­säu­re warnt die Kräu­ter­frau. Für Nie­ren­kran­ke ist sie schäd­lich und bei Gesun­den kann sie Durch­fall hervorrufen.

Meister Adebar ist auch dabei

Die Brom­beer­bü­sche tra­gen noch Blü­ten. Erst im Herbst, wenn die dun­kel­ro­ten Früch­te locken, wird die Pflan­ze wirk­lich inter­es­sant. Doch auch die dunk­len Blät­ter sind ver­wend­bar: “Sie sind chlo­ro­pyhll­reich und ent­hal­ten schleim­lö­sen­de Stof­fe”, sagt West­phal. Ein Blatt für den Salat kann also nicht scha­den. Dann führt der Weg her­aus aus dem Wald auf eine gro­ße Wie­se. Wie bestellt, fliegt ein Storch ein. Er stakst in gro­ßem Sicher­heits­ab­stand zur Grup­pe durch das hohe Gras auf der Suche nach Ess­ba­rem. Da der spä­te Früh­ling in die­sem Jahr sehr regen­reich war, dürf­te er einen reich gedeck­ten Tisch vorfinden.

Johan­nis­kraut (Hyperi­ci her­ba)

Die Wie­se mit wei­tem Blick in ein Tal lädt zum Ras­ten ein. Dank­bar für die klei­ne Pau­se, las­sen sich die meis­ten in der Son­ne nie­der. Die Luft flirrt und ist erfüllt vom Sum­men der Insek­ten. Auf Wit­wen­blu­men tum­meln sich Wild­bie­nen und Schmet­ter­lin­ge, ver­ein­zelt blüht auch das Johan­nis­kraut (Hyperi­ci her­ba). “Die eige­ne Her­stel­lung von Rot­öl ist inter­es­sant”, erzählt West­phal. Nötig sind die Blü­ten vom Johan­nis­kraut (Hyperi­ci flos recens) und Son­nen­blu­men­öl. Die Blü­ten wer­den abge­zupft, von Insek­ten befreit und in eine klei­ne Fla­sche gesteckt. Die Fla­sche soll­te min­des­tens zur Hälf­te mit den Blü­ten gefüllt sein, dann wird Son­nen­blu­men­öl dar­auf gegos­sen. Die Fla­sche muss hell, am bes­ten auf dem Fens­ter­brett in der Son­ne ste­hen. Die Blü­ten geben inner­halb von 4–6 Wochen ihre Wirk­stof­fe an das Öl ab. Nach sechs Wochen (Fla­sche mehr­mals in der Woche dre­hen) ist das Öl rot. Die Blü­ten wer­den durch ein fei­nes Sieb abge­seiht. “Das Öl lässt sich als deko­ra­ti­ves Salat­öl ver­wen­den”, so Westphal.

Spä­ter geht es wie­der wei­ter in den küh­le­ren Wald. Dann stellt West­phal ess­ba­re Blät­ter von Bäu­men vor: Lin­de, Kie­fer, Lär­che, Tan­ne kön­nen viel­fäl­tig ver­wen­det wer­den (“Viel­sei­ti­ge Nadel­spit­zen”). Am Ende der Füh­rung nach vier Stun­den sind alle Körb­chen mit vie­len Wild­kräu­tern gefüllt und war­ten auf die Ver­ar­bei­tung zu Sala­ten, kräf­tig-inten­si­ven Gemü­se­bei­la­gen oder ein­fach nur zur hüb­schen, ess­ba­ren Dekoration.

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (2009).

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