Schätze des Friedhofs: Heilpflanzen und Naturheilkundliches

Olaf Tet­zinski

Dort, wo zum Bei­spiel E.T.A Hoff­mann (Schrift­stel­ler 1776–1822) oder Felix Men­dels­sohn-Bar­thol­dy (Kom­po­nist 1809–1847) begra­ben sind, fin­det oft unbe­merkt, eine beson­de­re Form des Lebens statt: Auf Fried­hö­fen haben Flo­ra und Fau­na klei­ne Refu­gi­en in der Groß­stadt Ber­lins gefun­den. Unter den ver­schie­dens­ten Spe­zi­es und Arten sind auch Heil­pflan­zen anzu­tref­fen. Ein Grund für Olaf Tet­zinski, Heil­prak­ti­ker und Gärt­ner­meis­ter, sei­ne pflan­zen­heil­kund­li­chen Füh­run­gen auch auf Fried­hö­fen anzubieten.

Beson­de­rer Rückzugsort

“Das mag merk­wür­dig erschei­nen, doch Fried­hö­fe sind in ver­schie­de­ner Hin­sicht beson­de­re Orte”, erklärt er zu Beginn. “Ange­hö­ri­ge oder Freun­de legen für sich und im lie­be­vol­len Andenken an den Ver­stor­be­nen beson­de­re Bee­te an”. Die­se Grab­bepflan­zung, so hat er beob­ach­tet, ist häu­fig viel­fäl­ti­ger, arten­rei­cher und bun­ter als im eige­nen Gar­ten oder Schre­ber­gar­ten ange­legt. Ent­fernt von den Bli­cken gestren­ger Nach­barn oder Auf­la­gen des Schre­ber­gar­ten­ver­eins gestat­ten sich Men­schen bei der Grab­bepflan­zung ein biss­chen mehr Frei­heit. Und: Weil auf dem Fried­hof weder Dün­ger noch Unkraut­ver­til­gungs­mit­tel ein­ge­setzt wer­den, wach­sen über­all Pflan­zen, die sonst häu­fi­ger als Unkraut ver­nich­tet wür­den. Nicht zuletzt, so erzählt Tet­zinski, hat er Fried­hö­fe als Rück­zugs­or­te inner­halb der lau­ten Groß­stadt ken­nen­ge­lernt: “Sie bie­ten Raum zum Nach­den­ken und für die Besin­nung. Durch häu­fi­ge Besu­che habe ich mei­ne Scheu ver­lo­ren und erkannt, dass der Tod zum Leben gehört”.

Buchen sollst du suchen

Der Heil­prak­ti­ker beginnt sei­ne Füh­rung bei einer aus­la­dend und schön gewach­se­nen Blut­bu­che (Fagus syl­va­tia). Wie schon ihr Name ver­rät, ist der Baum an der typi­schen Rot­fär­bung der Blät­ter leicht zu erken­nen. Tet­zinski pflückt einen Zweig und erklärt: “Die Blät­ter ent­hal­ten einen star­ken Farb­stoff Antu­zi­an; der auch in den Holun­der- oder Maul­beer­früch­ten vor­kommt. Die­ser wirkt anti­oxi­da­tiv und hemmt die frei­en Radi­ka­le. Das sind wert­vol­le Inhalt­stof­fe, die eine Oxi­da­ti­on inner­halb der Zel­len des mensch­li­chen Kör­pers ver­hin­dern kön­nen”. Wegen der posi­ti­ven, auch vor­beu­gen­den Gesund­heits­wir­kun­gen emp­fiehlt er jeden Tag Sala­te, fri­sches Obst oder Gemü­se zu sich zu neh­men. Ein paar Blät­ter der Blut­bu­che zum Bei­spiel klein geschnit­ten im Salat sind also nicht nur lecker, son­dern auch gesund. Das glei­che gilt für das Buch­eckern­öl. “Nur Pri­vat­leu­te machen sich im Herbst noch auf den Weg, um Buch­eckern zu sam­meln und dar­aus ein reich­hal­ti­ges, lan­ge halt­ba­res Öl her­zu­stel­len”, sagt Tet­zinski. Wegen des hohen Arbeits­auf­wands – die Buch­eckern­ker­ne wer­den gepresst – und der rela­tiv gerin­gen Aus­beu­te gibt es das wert­vol­le Öl nicht kau­fen. Auch im Win­ter kann die Blut­bu­che etwas zur gesun­den Ernäh­rung bei­tra­gen: “Die Knos­pen der Blut­bu­che wer­den ähn­lich wie Kapern in Essig und Öl ein­ge­legt und schme­cken sehr lecker”, ver­si­chert der Heilpraktiker.

Bachtherapie

“Haben Sie schon ein­mal bemerkt, dass in einem Buchen­wald eine beson­de­re, ruhi­ge Stim­mung herrscht?” fragt er in die Run­de. Die Buche steht in der ger­ma­ni­schen Sym­bo­lik für Schutz und Müt­ter­lich­keit. Vie­le Men­schen kön­nen in einem Buchen­wald noch die­sen Schutz ver­spü­ren und dort gut zu sich selbst fin­den, erklärt der Heil­prak­ti­ker wei­ter. Eine ande­re Ver­wen­dung fand Edward Bach, der Begrün­der der Bach­blü­ten­the­ra­pie. Er gab Men­schen, die häu­fig nega­ti­ve Gefüh­le hegen oder zur Eng­stir­nig­keit wie Ver­bis­sen­heit nei­gen, das von ihm ent­wi­ckel­te Buchen­prä­pa­rat. “So wird auf ener­ge­ti­scher Ebe­ne der Man­gel an Offen­heit und Ver­trau­en aus­ge­gli­chen”, so Tetzinski.

Rucola – ein vitales Kraut

Rau­ke (Eru­ca sati­va)

Wei­ter geht es über den ruhi­gen Fried­hof. Nur in der Fer­ne ist das Rau­schen des Ver­kehrs zu hören. Auf einer klei­nen Rasen­flä­che zwi­schen den Grä­bern ver­brei­tet eine Pflan­ze einen inten­si­ven Duft, wodurch der Heil­prak­ti­ker auf sie auf­merk­sam wird. “Die Rau­ke (Eru­ca sati­va) oder Ruco­la kommt wahr­schein­lich aus einem nahe­ge­le­ge­nen Gar­ten. Sie hat sich selbst aus­ge­sät oder kam über Vogel­fut­ter hier­her,” ver­mu­tet er. “ihre Blät­ter, Blü­ten, Samen kön­nen geges­sen wer­den”. Tet­zinski gibt eini­ge Stän­gel in die Run­de. Die Pflan­ze hat den bekann­ten Ruco­la­ge­schmack, nur inten­si­ver. “Ler­nen Sie Wild­pflan­zen schät­zen, bevor Sie die­se ver­nich­ten,” sagt Tet­zinski. Vie­le Wild­pflan­zen ent­hal­ten wert­vol­le Inhalts­stof­fe, die in den gezüch­te­ten Pflan­zen nur noch abge­schwächt ent­hal­ten sind. Sie sind oft bit­te­rer, geschmacks­in­ten­si­ver und ent­hal­ten vie­le Faser­stof­fe (Bal­last­stof­fe). “Trai­nie­ren Sie ihren Dick­darm damit”, so der Heil­prak­ti­ker. “Außer­dem wis­sen wir alle, dass uns nicht die leich­ten Bege­ben­hei­ten des Lebens etwas bei­brin­gen. Wir wach­sen und sam­meln oft wich­ti­ge Erfah­run­gen durch Lebens­um­stän­de, wo wir uns durch­bei­ßen müs­sen. Das Glei­che gilt für unse­re Ernährung”.

Nordamerikanische Einwanderer

Nacht­ker­ze (Oeno­the­ra bien­nis)

Ein Grab, dass augen­schein­lich wenig Pfle­ge erhält, ist mit der Gold­ru­te (Soli­da­go cana­den­sis) und Nacht­ker­ze (Oeno­the­ra bien­nis) über­wu­chert. Dort macht Tet­zinski sei­nen nächs­ten Halt. Die Nacht­ker­ze kam im 16. Jahr­hun­dert gemein­sam mit der Baum­wol­le aus Nord­ame­ri­ka nach Euro­pa erfährt die Grup­pe. Über die Bota­ni­schen Gär­ten fand sie wei­te­re Ver­brei­tung. Heu­te ist die Pflan­ze prak­tisch über­all zuhau­se – in Stra­ßen­grä­ben, auf Wie­sen oder in der Stadt auf den Ver­kehrs­in­seln fühlt sie sich wohl. Die Nacht­ker­ze trägt ihren Namen, weil sie zum Abend hin ihre Blü­ten öff­net, um mit ihrem zar­ten, lieb­li­chen Duft Mot­ten und Fal­ter zur Bestäu­bung ein­zu­la­den. Sie weist den Insek­ten in der Nacht den Weg. “Auch den Men­schen ist sie eine nütz­li­che Heil­pflan­ze”, sagt Tet­zinski. Vie­le ken­nen das Nacht­ker­zen­öl, dass aus den Samen der Pflan­ze gewon­nen wird. Es wirkt ent­zün­dungs­hem­mend und wird bei Haut­ek­ze­men ein­ge­setzt. Es kann den Juck­reiz wie Tro­cken­heit der Haut hem­men (unge­fähr Ein­nah­me­dau­er 8 Wochen) oder wie bei der Akne den Gesamt­zu­standstand der Haut ver­bes­sern. “Die meis­ten wis­sen jedoch nicht, dass von der Nacht­ker­ze alles ver­wend­bar ist: Sowohl die Wur­zel, Blü­ten, Blät­ter, als auch die Knos­pen sind ess­bar – die wun­der­schö­nen gel­ben Blü­ten krö­nen jeden Salat mit ihrem fei­nen Geschmack”.

Gold­ru­te (Soli­da­go cana­den­sis)

“Auch die Gold­ru­te kam aus Nord­ame­ri­ka”, so Tet­zinski, “die Kali­for­ni­sche Gold­ru­te hat mitt­ler­wei­le fast die ein­hei­mi­sche Art ver­drängt”. Bei­de Arten gel­ten als gro­ße Wund­heil­pflan­zen. Aus dem Mit­tel­al­ter ist bei­spiels­wei­se bekannt, dass Sol­da­ten ihre Wun­den damit ver­sorg­ten. Denn ihre Wirk­stof­fe sind zusam­men­zie­hend (adstrin­gie­rend) und bewir­ken eine Blu­tungs­stil­lung. “Wer also zum Bei­spiel eine Schnitt­wun­de hat, kann sich aus dem Gar­ten Blät­ter der Gold­ru­te neh­men, sie mit dem Nudel­holz bear­bei­ten, bis sie leicht mat­schig sind. Dann wer­den die Blät­ter als ers­te Hil­fe­maß­nah­me zur Stil­lung des Blu­tes auf die Wun­de gelegt und mit einem Ver­band ver­sorgt”, sagt Tet­zinski. (Nach zwei Stun­den wird der Ver­band ohne neue Blät­ter erneuert).

Verwendung von Rotöl

Die nächs­te Pflan­ze, die der Heil­prak­ti­ker vor­stellt, ist das blü­hen­de Johan­nis­kraut (Hyperi­cum per­fo­ra­tum). Er emp­fiehlt aus den Blü­ten eige­nes Rot­öl her­zu­stel­len. Rot­öl kann zur Ein­rei­bung eines Son­nen­brands, zur Ver­bes­se­rung der Haut­struk­tur von ver­här­te­ten Nar­ben ver­wen­det wer­den – oder als attrak­ti­ves Salat­öl mit beru­hi­gen­der Wirkung.

Vitamin- und mineralstoffreiche Eberesche

Zuletzt bleibt Tet­zinski bei einem Vogel­beer­baum – auch Eber­esche genannt – (Sor­bus aucu­pa­ria) ste­hen. Die Bee­ren zei­gen schon eine leicht oran­ge­ne Far­be. Sie wer­den nur noch wenig Zeit brau­chen, um das tie­fe Rot zu errei­chen. “Aber die Bee­ren sind doch für Men­schen gif­tig!” wirft eine Besu­che­rin ein. Tet­zinski winkt beru­hi­gend ab. “Wenn Sie mas­sen­wei­se von die­sen Bee­ren essen, kön­nen Sie Durch­fall bekom­men”. So man­che Pflan­zen wur­den durch die Schul­me­di­zin ver­teu­felt. “Doch schau­en Sie sich die Grund­la­ge der Stu­di­en an, mit der die soge­nann­te Schäd­lich­keit man­cher Heil­pflan­zen nach­ge­wie­sen wur­de: Mäu­se oder Rat­ten bekom­men vor­wie­gend die­se Pflan­ze zu fres­sen. Das bei einer sol­chen ein­sei­ti­gen Ernäh­rung über einen lan­gen Zeit­raum Schä­den auf­tre­ten ist nach­voll­zieh­bar”, so Tet­zinski. Weder Mensch noch Tier ernäh­ren sich nur von einer Pflan­ze – es sei denn in Not­zei­ten. “Frü­her wur­de aus den getrock­ne­ten Vogel- oder Mehl­bee­ren ein Mehl zur Stre­ckung des kost­ba­ren Getrei­de­mehls her­ge­stellt, um Bro­te zu machen”, erzählt Tet­zinski. Oder Klein­kin­der erhiel­ten das soge­nann­te “Süß­mehl” in Brei­form, weil es vie­le Mine­ral­stof­fe und Vit­amin C ent­hielt, so der Heil­prak­ti­ker. Des­halb eig­nen sich Vogel­bee­ren in Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren Herbst­früch­ten wie Äpfeln oder Brom­bee­ren auch, um lecke­re Mar­me­la­den oder Chut­neys herzustellen.

Wild und gesund

“Tro­cke­ne Vogel­bee­ren wer­den auch San­ges­bee­ren genannt”, so Tet­zinski. Die Bee­ren ent­hal­ten star­ke Gerb­stof­fe, die zusam­men­zie­hend wir­ken. Sän­ger bei­spiels­wei­se bekämp­fen ihren rau­en Hals, indem sie eine getrock­ne­te Bee­re lut­schen. “Pro­bie­ren Sie es ruhig aus”, ermun­tert der Heil­prak­ti­ker sei­ne auf­merk­sam zuhö­ren­de Grup­pe. “Durch Expe­ri­men­tie­ren mit Ihnen bekann­ten Pflan­zen kön­nen Sie Pflan­zen wie­der­ent­de­cken. Mit Hil­fe von Bestimm­bü­chern oder Wild­kräu­ter­füh­run­gen kön­nen Sie spä­ter die eige­nen Kennt­nis­se erwei­tern. Dabei wird jeder ein­zel­ne die eige­nen Vor­lie­ben in den Vor­der­grund stel­len. Und wer bestimm­te, stark bit­te­re Pflan­zen gar nicht mag, kann in der “Apo­the­ke Got­tes” sicher­lich etwas ande­res für sich fin­den”. Doch eines soll­te klar sein: Wild­pflan­zen schme­cken inten­si­ver, wür­zi­ger und errei­chen nicht die Süße eines indus­tri­ell her­ge­stell­ten Zuckers. Dafür sind es mild­her­be, süß­säu­er­li­che Geschmacks­rich­tun­gen, die jedoch garan­tiert gesund sind.

Die Repor­ta­ge ent­stand im Rah­men der “lan­ger Tag der Stadt­Na­tur” (www.langertagderstadtnatur.de). Die­se Ver­an­stal­tung wird all­jähr­lich Anfang Juli von der Stif­tung Natur­schutz Ber­lin aus­ge­rich­tet. Der Ver­an­stal­ter der Füh­rung “Schät­ze des Fried­hofs – natur­heil­kund­li­cher Spa­zier­gang” ist die Stif­tung His­to­ri­sche Kirch­hö­fe und Fried­hö­fe in Ber­­lin-Bran­­den­­burg (www.stiftung-historische-friedhoefe.de).

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (2009).

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