Berberis in der Homöopathie: Arthritisch-rheumatische Schmerzen stehen im Vordergrund

Berberis

Seit der Anti­ke war Ber­be­ris vul­ga­ris (Sau­er­dorn, Ber­be­ris) eine bedeu­ten­de Heil­pflan­ze, die aber in der ratio­na­len Phy­to­the­ra­pie der Gegen­wart kaum noch ein­ge­setzt wird (was in Deutsch­land auch durch eine Nega­tiv-Mono­gra­phie der Kom­mis­si­on E aus den 80er Jah­ren bedingt ist). Dass die Exper­ten damals viel­leicht irr­ten, zeigt die stei­gen­de Zahl wis­sen­schaft­li­cher Stu­di­en, die in den letz­ten Jah­ren mit Extrak­ten der Heil­pflan­ze durch­ge­führt wor­den sind. Neben der phy­to­the­ra­peu­ti­schen Ver­wen­dung steht heu­te der homöo­pa­thi­sche Ein­satz von Ber­be­ris im Vor­der­grund (Erst­prü­fung durch Hes­se, ca. 1835). Meis­tens in Kom­plex-Homöo­pa­thi­ka, die über­wie­gend für Magen‑, Leber- oder Nie­ren­er­kran­kun­gen gedacht sind. Doch das Homöo­pa­thi­kum Ber­be­ris ist auch ein Mit­tel der ers­ten Wahl bei Erkran­kun­gen aus dem rheu­ma­ti­schen Formen­kreis, wie erfah­re­ne Homöo­pa­then immer wie­der betont haben.

Das homöo­pa­thi­sche Arz­nei­mit­tel Ber­be­ris wird aus der getrock­ne­ten Rin­de ober- und unter­ir­di­scher Tei­le von Ber­be­ris vul­ga­ris L., mit einem Gehalt von mind. 2% Alka­lo­iden, berech­net als Ber­be­rin, her­ge­stellt (nach HAB 1; hom. Mono­gra­phie im Bun­des­an­zei­ger 22.11.1985). Das Arz­nei­mit­tel­bild ent­spricht in der Gesamt­heit sei­ner Sym­pto­me den sog. “arthri­ti­schen, rheu­ma­ti­schen und gich­t­i­schen Erschei­nun­gen”, schreibt z. B. Gil­bert Cha­ret­te, einer der renom­mier­tes­ten fran­zö­si­schen Homöo­pa­then. Und: Es ist “eines unse­rer füh­ren­den Mit­tel gegen Lum­ba­go”, stellt der erfah­re­ne US-Homöo­path Geor­ge Roy­al fest. Eines der Leit­sym­pto­me des Sau­er­dorns ist denn auch Lum­ba­go (Hexen­schuss) mit in die Bei­ne aus­strah­len­den Schmer­zen. Wer selbst aku­ten Hexen­schuss erlit­ten hat, wird eini­ge der nach­fol­gend berich­te­ten Cha­rak­te­ris­ti­ka von Ber­be­ris sehr gut nach­voll­zie­hen kön­nen. Die bedeut­sams­te Moda­li­tät des Mit­tels ist die Ver­schlim­me­rung aller Beschwer­den durch jed­we­de Form von Bewe­gung (ähn­lich wie bei Bel­la­don­na) oder Anstren­gung. Sei es eine plötz­li­che Erschüt­te­rung, selbst Auf­ste­hen, ein­fa­ches Spa­zie­ren­ge­hen oder die Fort­be­we­gung im Auto. Fast selbst­ver­ständ­lich: Ruhe bes­sert alle Beschwer­den von Berberis-Kranken.

Arzneimittelprüfung und Arzneimittelbild

Das Grund­wis­sen der Homöo­pa­thie, näm­lich die Mate­ria medi­ca, wird seit Hah­ne­manns Zei­ten durch Arz­nei­mit­tel­prü­fun­gen erkannt (ent­we­der in Selbst­ver­su­chen oder mit ande­ren frei­wil­li­gen, aber immer weit­ge­hend gesun­den Pro­ban­den). Bei der kür­ze­ren oder län­ge­ren Ein­nah­me eines zu prü­fen­den Mit­tels (zumeist in ver­dünn­ter Form) tre­ten kör­per­li­che, see­li­sche und geis­ti­ge Phä­no­me­ne auf, die genau­es­tens ver­zeich­net wer­den. Zusam­men mit den jeweils vor­lie­gen­den toxi­ko­lo­gi­schen und phar­ma­ko­lo­gi­schen Erkennt­nis­sen ver­su­chen die Prüf­ärz­te aus die­sen Erfah­rungs­schil­de­run­gen und Beob­ach­tun­gen die wesent­li­chen Cha­rak­te­ris­ti­ka einer Prüf­sub­stanz zu abs­tra­hie­ren. Dabei ent­steht das homöo­pa­thi­sche Arz­nei­mit­tel­bild. Also prak­tisch eine indi­vi­du­el­le Signa­tur einer Prüf­sub­stanz, die bei man­chen gut beschrie­be­nen Arz­nei­mit­teln wie z. B. Arse­ni­cum album oder Sul­fur so per­sön­lich und aus­sa­ge­kräf­tig ist wie die Gesamt­heit der Eigen­schaf­ten eines ein­zel­nen Men­schen. Hah­ne­mann hat mit die­sem Ver­fah­ren die Metho­dik der sys­te­ma­ti­schen und stan­dar­di­sier­ten Arz­nei­mit­tel­prü­fung als unab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung für den Ein­satz von Phar­ma­ka bei Kran­ken in die moder­ne Medi­zin ein­ge­führt. Die homöo­pa­thi­sche The­ra­pie besteht, zusam­men­ge­fasst, aus dem Ver­gleich der indi­vi­du­el­len Viel­falt von Lebens­äu­ße­run­gen eines Kran­ken mit den bis­lang vor­han­de­nen Arz­nei­mit­tel­bil­dern (ca. 2–3.000). Fin­den sich Über­ein­stim­mun­gen, kann das Mit­tel im Sin­ne des grund­le­gen­den medi­zi­ni­schen Behand­lungs­prin­zips “Ähn­li­ches wer­de durch Ähn­li­ches geheilt” (simi­lia simi­li­bus curan­tur) als The­ra­peu­ti­kum ein­ge­setzt werden.

Berberis: Das homöopathische Analogon zu hexenschussartigen Beschwerden

Berberis

Ber­be­rit­ze: Ber­be­ris vulgaris

Die­se ein­fa­chen Ana­lo­gien zum Hexen­schuss als Cha­rak­te­ris­ti­ka des Ber­be­ris-Arz­nei­mit­tel­bil­des set­zen sich sogar noch in fei­ne­re Beschwer­de­qua­li­tä­ten fort. Bei­spiel: Bei vie­len Lum­ba­go­be­trof­fe­nen liegt bereits vor Aus­bruch der Schmer­zen eine erheb­li­che, oft auch schmerz-aus­lö­sen­de Tonus-Erhö­hung der auto­ch­to­nen Rücken­mus­ku­la­tur vor. Kommt es dann zu den typisch ein­schie­ßen­den, oft auch aus­strah­len­den Schmer­zen, steigt der Tonus im Sin­ne einer Abwehr­span­nung noch wei­ter an. Eine der Fol­ge und auch eine der Ber­be­ris-Cha­rak­te­ris­ti­ka: Ein deut­li­ches Schwä­che­ge­fühl im Rücken (bei Lum­ba­go als Über­las­tungs­fol­ge durch über­ho­he Anspan­nung der Rücken­mus­ku­la­tur), manch­mal geschil­dert als “ich füh­le mich wie zer­schla­gen und erschöpft”. Ent­spre­chend Lum­ba­go wer­den oft auch Taub­heit, Steif­heit oder Gelähmt­heit von Rücken (Kreuz) oder Glie­dern beschrie­ben. Und natür­lich: Müdig­keit beim Erwa­chen, als ob man nicht geschla­fen hät­te (was bei sol­chen Schmer­zen auch nur selbst­ver­ständ­lich erscheint). Übri­gens ein Teu­fels­kreis: Denn bei Ber­be­ris-Pati­en­ten kann Ermü­dung die Beschwer­den verschlimmern.

Arzneimittelbild: Leitsymptome – Modalitäten

Ein durch Beob­ach­tun­gen gewon­ne­nes homöo­pa­thi­sches Arz­nei­mit­tel­bild umfasst nicht nur patho­lo­gi­sche Phä­no­me­ne (Sym­pto­me, Krank­hei­ten), wie z. B. Hexen­schuss. Son­dern auch und vor allem ganz indi­vi­du­el­le Eigen­schaf­ten, die bei der Arz­nei­mit­tel­prü­fung beob­ach­tet wer­den. Sind sol­che Eigen­schaf­ten sehr domi­nant, wer­den sie Leit­sym­pto­me genannt. Bei Ber­be­ris sind dies z. B. schmerz­haf­te Emp­fin­dun­gen ver­schie­dens­ter Art in der Nie­ren- und Len­den­ge­gend. Moda­li­tä­ten hin­ge­gen sind jene Fak­to­ren, die auf eine Erkran­kung bes­sernd oder ver­schlech­ternd ein­wir­ken. Bei Ber­be­ris ver­schlech­tert jede Form von Bewe­gung, wäh­rend Ruhe bes­sert. Leit­sym­pto­me oder Moda­li­tä­ten müs­sen bei einem “Ber­be­ris-Pati­en­ten” aber gar nicht unbe­dingt alle prä­sent sein. Manch­mal sind es nur völ­lig abge­dreht erschei­nen­de Klei­nig­kei­ten eines Arz­nei­mit­tel­bil­des, die den Homöo­pa­then auf die rich­ti­ge Spur brin­gen (eines der sog. eigen­tüm­li­chen, eigen­heit­li­chen, beson­de­ren Sym­pto­me). Ber­be­ris weist auch so eines auf: Schmerz­haf­te Ner­ven­schmer­zen unter den Fin­ger­nä­geln. Wich­tig: Weder Leit­sym­pto­me, Moda­li­tä­ten oder eigen­heit­li­che Sym­pto­me müs­sen irgend­ei­nen Zusam­men­hang mit der zu behan­deln­den Erkran­kung haben.

Schmerzen: Wandern und ausstrahlend

Wei­te­re erstaun­li­che Ähn­lich­kei­ten zwi­schen dem Ber­be­ris-Arz­nei­mit­tel­bild und Lum­ba­go: Die oft ste­chen­den (“lan­zie­ren­den”), bren­nen­den, zer­rei­ßen­den Schmer­zen haben die Merk­ma­le “wan­dernd” und “aus­strah­lend”. Hin­sicht­lich Hexen­schuss, Arthri­tis oder Rheu­ma jeder Gene­se ver­wun­dert das nicht: Es gibt oft kei­ne ein­deu­tig loka­li­sier­ba­ren Aus­gangs­punk­te der Schmer­zen, beson­ders nicht, wenn der Rücken, gro­ße Gelen­ke oder grö­ße­re Mus­kel­par­tien wie z. B. bei der Fibro­my­al­gie betrof­fen sind. Aus­strah­len­de Schmer­zen sind neben Lum­ba­go auch typisch bei vie­len Rheu­ma-Betrof­fe­nen (was als Fol­ge der unspe­zi­fi­schen Rei­zung von Schmerz­re­zep­to­ren in den erkrank­ten Gelen­ken und Kör­per­ge­we­ben gedeu­tet wird). Typisch sind auch rheu­ma­ti­sche, läh­mungs­ar­ti­ge Schmer­zen in Schul­tern, Armen, Hän­den, Fin­gern, Bei­nen und Füßen. Neue­re Ber­be­ris-Prü­fun­gen unter­strei­chen zudem die Eigen­schaft des raschen Wech­sel der Beschwer­den. Noch ein Hin­weis auf den rheu­ma­ti­schen For­men­kreis sind die manch­mal geschwol­le­nen Gelen­ke von Ber­be­ris-Pati­en­ten. Sau­er­dorn, so berich­ten fast alle Homöo­pa­then, weist neben die­ser erstaun­li­chen Lum­ba­go-Ana­lo­gie noch zwei rele­van­te Orga­notro­pi­en auf, und zwar zu Nie­re und Leber. In bei­den Fäl­len medi­zi­nisch asso­zi­iert mit Stein­bil­dung und Koli­ken, homöo­pa­thisch asso­zi­iert mit Schmer­zen (wel­cher Gene­se auch immer) in der Nie­ren- und Len­den­ge­gend, übri­gens auch oft beim Was­ser­las­sen. Die­se Orga­notro­pie bil­de­te bis weit in 20. Jahr­hun­dert die Haupt­in­di­ka­tio­nen der phy­to­the­ra­peu­ti­schen Anwen­dung der Ber­be­rit­ze: Näm­lich Leber­funk­ti­ons­stö­run­gen, Gal­len­stau­un­gen und ins­be­son­de­re Steinleiden.

Zusam­men­fas­send sol­len zwei wich­ti­ge Homöo­pa­then zu Wort kom­men. Cha­ret­te schreibt: “Man den­ke an Ber­be­ris bei Gal­len- und Nie­ren­stei­nen sowie bei Schmer­zen, die die bei­den Cha­rak­te­ris­ti­ka auf­wei­sen: Her­um­wan­dern und Aus­strah­len”. Nash betont: “Es kommt nicht dar­auf an, was dem Pati­en­ten fehlt, – wenn er den oben beschrie­ben, hart­nä­cki­gen Schmerz in der Nie­ren­ge­gend hat, dann ver­ges­sen Sie Ber­be­ris nicht”! Er führt dann noch wich­ti­ge Cha­rak­te­ris­ti­ka des Sau­er­dorns auf: “Zer­schla­gen­heits­ge­fühl mit Steif­heit und Lahm­heit im Kreuz”, “das Auf­ste­hen vom Sit­zen fällt ihm schwer”, “Rücken­schmerz schlim­mer beim Sit­zen oder Lie­gen, beson­ders mor­gens im Bett” und “Gefühl von Taub­heit, Steif­heit und Lahm­heit mit schmerz­haf­tem Druck in der Len­den- und Nie­ren­ge­gend” (alles übri­gens ähn­lich wie bei Rhus toxi­coden­dron). Die Ber­be­rit­ze ist also – neben ihrem indi­vi­du­ell indi­zier­ten Ein­satz in der klas­si­schen Homöo­pa­thie – eine wich­ti­ge Waf­fe der sym­pto­ma­tisch ori­en­tier­ten Kom­plex­ho­möo­pa­thie, wobei der rheu­ma­ti­sche For­men­kreis ein bedeut­sa­mes Indi­ka­ti­ons­spek­trum ist.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, mul­ti MED visi­on – Ber­li­ner Medi­zin­re­dak­ti­on (für TINA #35, 29.6.2005.
Bild­nach­weis
• © Mari­on Kaden, Berlin.
Lite­ra­tur – Homöopathie
Boe­ri­cke OE: Homöo­pa­thi­sche Mit­tel und ihre Wir­kun­gen. Grund­la­gen und Pra­xis, Leer, 1972.
Brad­ford TL: Dr. Lippe’s cha­rak­te­ris­ti­sche Sym­pto­me. Haug, Hei­del­berg, 1967.
Kent JT: Kent’s Arz­nei­mit­tel­bil­der – Vor­le­sun­gen zur homöo­pa­thi­schen Mate­ria medi­ca. Haug, Hei­del­berg, 1958.
Mez­ger J: Gesich­te­te homöo­pa­thi­sche Arz­nei­mit­tel­leh­re. Haug, Saul­gau, 1950.
Nash EB: Leit­sym­pto­me in der Homöo­pa­thi­schen The­ra­pie. Schwa­be, Leip­zig, 1935.
Roy­al G: Abriß der homöo­pa­thi­schen Arz­nei­mit­tel­leh­re. Johan­nes Sonn­tag, Regens­burg, 1926.
Lite­ra­tur – Phytotherapie
Braun H: Arz­n­ei­pflan­­zen-Lexi­­kon. Gus­tav Fischer, Stutt­gart, 1979.
Hah­ne­mann S: Apo­the­ker­le­xi­kon. Cru­si­us, Leip­zig, Bd. 1/​​1, S. 103., 1793.
Kom­mis­si­on E des Bun­des­ge­sund­heits­am­tes: Mono­gra­phie Ber­be­ris vul­ga­ris (Ber­be­rit­ze). Bun­des­an­zei­ger 43, 2.3.1998 (Voll­text).
Mad­aus, G.: Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heil­mit­tel. Thie­me. Leip­zig 1938.
wei­te­re Infos
Mono­gra­phie Kom­mis­si­on E: Ber­be­ris vul­ga­ris (Ber­be­rit­ze)

Bitte Ihre Frage, Anmerkung, Kommentar im folgenden Feld eingeben