Blumenkatzes’ Heilsalbe

Fri­scher Stein­klee im auf­ge­lös­ten Fett

Im Wes­ten Ber­lins liegt das klei­ne Dörf­chen Gatow, rund­her­um ein Natur­schutz­ge­biet. Das ist genau die rich­ti­ge Umge­bung für Rita Rei­ni­cke. Die Sozi­al­päd­ago­gin lebt seit 20 Jah­ren in Gatow. Dort hat sie sich mit ihrem Mann einen Teil eines Rest­ho­fes gekauft und lie­be­voll restau­riert. Ein Neben­ge­bäu­de wur­de zu einem Ver­an­stal­tungs­haus umge­baut. Die Decken­bal­ken sind zu sehen, ein dicker Ofen sorgt für Wär­me und eine klei­ne Küche ist auch ein­ge­baut. Abge­trennt ist außer­dem ein Ver­kaufs­raum “das ist mein Offi­zin”, sagt Rei­ni­cke lachend. Dort ver­kauft sie selbst gemach­te Sal­ben, Getöp­fer­tes, Kräu­ter aus ihrem Gar­ten, Brenn­nes­sel­jau­che oder was sonst noch auf dem alter­na­ti­ven Hof so alles entsteht.

Herstellung Ringelblumen-Steinklee-Salbe

Rita Rei­ni­cke

Die Sozi­al­päd­ago­gin hat im Lau­fe der Jah­re Vie­les aus­pro­biert. Ihre “Blu­men­ver­rückt­heit”, wie sie sagt, hat durch die Erwei­te­rung auf Heil­pflan­zen zusätz­lich Wich­ti­ges und Bedeut­sa­mes in ihr Leben gebracht. So bie­tet Rei­ni­cke zum Bei­spiel Semi­na­re im Ste­cken von Wild- und Heil­pflan­zen an oder zur Her­stel­lung von Sal­ben und Tink­tu­ren. Zum “Lan­gen­Tag der Stadt­Na­tur” [1] haben sich zehn Frau­en und ein Mann zur Sal­ben­her­stel­lung ein­ge­fun­den. Doch bevor es los­ge­hen soll, führt Rei­ni­cke die Grup­pe erst ein­mal in ihren Heil­pflan­zen- und Kräu­ter­gar­ten. Sie ist stolz auf ihn, und außer­dem bezieht die pas­sio­nier­te Kräu­ter­kun­di­ge dar­aus den größ­ten Teil ihrer Rohstoffe.

Eigener Heilpfanzengarten

Heil­kräu­ter­gar­ten

Beim Betre­ten des Gar­tens wird die Grup­pe von einer laut miau­en­den Kat­ze begrüßt. “Das ist Frau Katz­mann”, stellt Rei­ni­cke vor. Die Grup­pe ist beein­druckt von der gesprä­chi­gen Kat­ze. Die sich jedoch wie­der zurück­zieht, als sie bemerkt, dass kei­ne Zeit für Strei­chel­ein­hei­ten da ist. Auf einem nahe­ge­le­ge­nen Holz­stoß nimmt sie Platz, um das Trei­ben in ihrem Revier aus ange­mes­se­ner Fer­ne zu beob­ach­ten. Im Gar­ten ist Rei­ni­cke in ihrem Ele­ment: Er ist in einen älte­ren und neu­en Bereich unter­teilt. Im älte­ren Teil wach­sen ver­schie­de­ne Heil­pflan­zen. Kräf­tig und statt­lich zei­gen sie, dass es ihnen gut geht. Auch eine drei­jäh­ri­ge Ange­li­kas­tau­de ist dabei, die schon über zwei Meter groß gewor­den ist. Eibisch, Wein­rau­te, Brenn­nes­sel, Zist­ro­sen – die Pflan­ze sind mit klei­nen Schild­chen aus­ge­zeich­net, wor­auf die wich­tigs­ten Ein­satz­mög­lich­kei­ten auf­ge­lis­tet sind. Eine Maß­nah­me für Wochen­end­be­su­cher, denn der Gar­ten ist am Wochen­en­de öffent­lich zugäng­lich erklärt die Kräuterfrau.

Rationale Phytotherapie? Nein Danke!

Frau Katz­mann

Am Bein­well bleibt Rei­ni­cke ste­hen, die in Gatow auch unter der “Blu­men­kat­ze” bekannt ist. “Im Herbst wer­den die Wur­zeln aus­ge­gra­ben und ordent­lich mit der Wur­zel­bürs­te abge­rie­ben. Danach ent­steht dar­aus eine Bein­well-Tink­tur”, erzählt Rein­cke und lädt herz­lich zum Kurs ein. “Bein­well-Tink­tur wird bei Bein­lei­den ein­ge­setzt. Wie schon der Name Bein­wohl ver­rät, wuss­ten die Men­schen schon frü­her sei­ne heil­sa­me Wir­kung bei ver­schie­de­nen For­men von Bein- bezie­hungs­wei­se Venen­er­kran­kun­gen zu schät­zen”, so Rei­ni­cke wei­ter. Sie kommt dann auch gleich auf die soge­nann­ten Mono­gra­fien der Kom­mis­si­on E zu spre­chen. Die­se wur­den in den 70iger Jah­ren von Wis­sen­schaft­lern erstellt. Über Jahr­zehn­te über­prüf­ten die männ­li­chen Exper­ten die Wirk­sam­keit von Heil­pflan­zen. Wobei sie beim über­wie­gen­den Teil befan­den, dass wis­sen­schaft­lich betrach­tet tat­säch­lich kei­ne Heil­wir­kung erkenn­bar sei. Son­dern die Wir­kung eben “nur” auf die Erfah­rungs­heil­kun­de zurück­führ­bar wäre. “Das ist Blöd­sinn”, befin­det Rei­ni­cke knapp. “Über tau­sen­de von Jah­ren haben unse­re Vor­fah­ren Heil­pflan­zen Erfah­run­gen gesam­melt, ange­wandt und geheilt – selbst­ver­ständ­lich sind die Heil­pflan­zen wirk­sam! Doch nur weil sie labor­tech­nisch oder ander­wei­tig ihre Geheim­nis­se nicht preis geben wol­len, heißt das noch lan­ge nicht, dass sie unwirk­sam sind”, so lau­tet das tem­pe­ra­ment­voll vor­ge­tra­ge­ne Plä­doy­er der Sozi­al­päd­ago­gin. Sie ermu­tigt die Grup­pen­mit­glie­der ihre eige­ne Erfah­run­gen zu machen und sich mit Heil­pflan­zen aus­ein­an­der zu setz­ten. “Vie­le Wege sind dabei begeh­bar”, so Rei­ni­cke: Heil­pflan­zen als Gewür­ze im All­tag, nicht nur um Gerich­te schmack­haf­ter zu machen, son­dern um zum Bei­spiel damit die Ver­dau­ung anzu­re­gen. Heil­pflan­zen-Tees hel­fen, um Befind­lich­keits­stö­run­gen zu behe­ben oder auch Krank­hei­ten zu heilen.

Desinfizierende Ringelblumen

Rin­gel­blu­men in noch unauf­ge­lös­tem Kokosfett

Mit einer aus­la­den­den Ges­te zeigt die Kräu­ter­frau auf den übri­gen Teil des Gar­tens: “Mein neu­es Pro­jekt: Wich­ti­ge Pflan­zen und Heil­pflan­zen aus den vier Welt­re­li­gio­nen zu ver­sam­meln”, so Rei­ni­cke. “Übri­gens wird die ver­bin­den­de, die Rose sein. Unter ihrem Dach ver­ei­nen sich Juden­tum, Bud­dhis­mus, Chris­ten­tum und der Islam”. Tat­säch­lich ist ein grö­ße­res Are­al schon umge­gra­ben, Wege abge­steckt und ein­zel­ne Pflan­zen gepflanzt. Dann führt Rein­ke die Grup­pe zurück ins Ver­an­stal­tungs­haus. Bereit­ge­stell­ter Pfef­fer­minz­tee wird aus­ge­schenkt. Die Grup­pe ver­sam­melt sich um den lan­gen Holz­tisch. Schreib­blö­cke und Schrei­ber wer­den gezückt. “Ges­tern Abend habe ich schon eini­ges vor­be­rei­tet”, so Rei­ni­cke. Da die Rin­gel­blu­men noch nicht blü­hen muss­te sie getrock­ne­te Pflan­zen aus dem letz­ten Jahr neh­men. “Ich habe 750 Gramm Kokos­fett in einem Topf warm wer­den las­sen, danach zwei Dop­pel­hän­de getrock­ne­te Rin­gel­blu­men dazu gege­ben. Alles zusam­men habe ich kurz bro­delnd auf­ko­chen und über Nacht ste­hen las­sen”, erklärt Rei­ni­cke. Sie erzählt wei­ter, dass Rin­gel­blu­men des­in­fi­zie­rend bei Wun­den wir­ken, Nar­ben­wu­che­run­gen ver­hü­tet, Ent­zün­dun­gen gehemmt und Wund­schmerz gestillt wer­den. “Sie hilft offen­sicht­lich auch bei Grind”, so die Kräu­ter­frau wei­ter. Im Janu­ar sei ein Mann in ihren Laden gekom­men und hät­te Rin­gel­blu­men­sal­be gekauft. “Sei­ne schor­fi­gen Stel­len am Kopf hat er mit mei­ner Rin­gel­blu­men­sal­be behan­delt. Kürz­lich kam er, um etwas nach­zu­kau­fen – nun ist der Grind fast weg”, erzählt Rei­ni­cke begeis­tert und stolz.

Ein bisschen Übung muss sein

Erfah­rung muss sein

In der klei­nen Küche steht der Topf nun wie­der auf der Herd­plat­te, um das Fett mit den dar­in schwim­men­den Rin­gel­blu­men wie­der zu ver­flüs­si­gen. Als wei­te­re Zutat hat Rei­ni­cke noch fri­schen Stein­klee gepflückt. Ein gro­ßer Strauch hängt kopf­über an der Wand. Sei­ne zar­ten, gel­ben Blü­ten wer­den abge­zupft. Zwei Hän­de vol­ler Stein­klee­blü­ten fügt sie dem Topf hin­zu. “Da in sol­chen Grup­pen häu­fig Frau­en sit­zen, woll­te ich Stein­klee noch mit rein­neh­men, denn der ist gut bei Krampf­adern. Lei­der sind in unse­rem Alter die Bei­ne ja nicht mehr die Hüb­sches­ten”, sagt sie schmun­zelnd. Stein­klee hilft bei venö­sen Bei­nen, “aber er kann auch bei Gesichts­rö­te, Geschwü­ren oder stark ver­ei­ter­ten Wun­den hel­fen”, so die 48jährige. “Dann kommt noch etwas Rin­gel­blu­men­tink­tur und Johan­nis­kraut­öl in den Topf”, sagt Rei­ni­cke. Befragt nach dem genau­en Rezept, winkt sie ab. “Das ist nicht die ers­te Sal­be, die ich mache. Ein biss­chen Übung, Aus­pro­bie­ren und Erfah­rung gehö­ren schon dazu”, erklärt sie. Im Übri­gen sei­en im Inter­net genü­gend genaue Rezep­tu­ren zu fin­den. “Im Übri­gen möch­te ich euch ermu­ti­gen, auf Gefüh­le oder eure Intui­ti­on zu ach­ten. Pro­biert aus. Die Heil­pflan­zen ste­hen direkt vor der Haus­tür und war­ten dar­auf, hel­fen zu kön­nen”, so Rein­cke. Sicher­lich hät­ten Anti­bio­ti­ka oder all­o­pa­thi­sche Arz­nei­en bei ernst­haf­ten Erkran­kun­gen ihre Berech­ti­gung, “doch ein­hei­mi­sche Heil­pflan­zen ste­hen uns über­all zur Ver­fü­gung. Mit ent­spre­chen­dem Wis­sen und den rich­ti­gen Anwen­dun­gen kann vie­les erreicht wer­den”, so die Sozi­al­päd­ago­gin. Nicht zuletzt ste­hen Heil­pflan­zen auch kos­ten­los zur Ver­fü­gung. Oder Apo­the­ken­wa­re sind nur für einen Bruch­teil von Fer­tig­arz­nei­en zu haben.

Probe aufs Exempel

Der Inhalt des Top­fes bro­delt leicht. Zuletzt wird rei­nes Bie­nen­wachs auf­ge­löst, damit die Crè­me sich nach dem Abküh­len här­tet. Für die­sen Pro­zess bedarf es tat­säch­lich ein wenig Übung: Aus dem Topf wird etwas auf einen bereit­ste­hen­den Tel­ler gege­ben. “Es emp­fiehlt sich immer eine Pro­be zu machen”, so Rei­ni­cke. Nach ein paar Minu­ten im Kühl­schrank wird die Pro­be ange­schaut, betas­tet und zwi­schen zwei Fin­gern ver­rie­ben. “Zu wenig”, befin­det die Blu­men­kat­ze und gibt noch eine wei­te­re Bie­nen­wachs­ker­ze hin­zu. Die nächs­te Pro­be fällt dann zu ihrer Zufrie­den­heit aus. Zuletzt wird die flüs­si­ge Mas­se durch ein fei­nes Sieb gegos­sen, um die Blü­ten­tei­le zu ent­fer­nen. Der letz­te Arbeits­schritt besteht in der Ver­tei­lung des Topf­in­halts auf vie­le klei­ne wei­ße Plas­tik­töpf­chen. Zuletzt wird noch das Eti­kett mit der Blu­men­kat­ze auf die Tie­gel­chen geklebt. “Stellt es gleich in den Kühl­schrank zum Aus­här­ten”, emp­fiehlt Rei­ni­cke am Ende der Ver­an­stal­tung. Alle neh­men ihr Tie­gel­chen zufrie­den ent­ge­gen. Die Gesich­ter zei­gen, dass sie nicht nur die­se Pro­be, son­dern auch vie­le Anre­gun­gen mit nach Hau­se nehmen.

[1] Die Stif­tung Natur­schutz Ber­lin ver­an­stal­tet seit 2006 im Juni ein “Natur-Wochen­en­­de”. Bür­ger­initia­ti­ven, Ver­ei­ne, Stadt­grup­pie­run­gen oder auch Pri­vat­leu­te rich­ten ein bun­tes Pro­gramm rund um die Natur inner­halb der Stadt aus. Der Ver­an­stal­ter die­ser Füh­rung ist der Bota­ni­sche Ver­ein von Ber­lin und Bran­den­burg. Wei­te­re Infos:
www.die-blumenkatze.de
www.langertagderstadtnatur.de

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (2010).

Bitte Ihre Frage, Anmerkung, Kommentar im folgenden Feld eingeben