Die Kniee des Großvaters reissen wieder, und schon weiss die Familie zuverlässig, dass das Wetter bald umschlägt. Andere, häufig genannte körperliche Anzeiger sind Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit oder Müdigkeit. Etwa 50 Prozent der Menschen geben an, dass Wetter in seinen unterschiedlichen Ausprägungen Einfluss auf sie ausübe. Entsprechend überfüllt können die Wartezimmer von Ärzten bei Föhn, Bise, Sturm oder extremen Kaltfronten sein. “Wetterfühligkeit ist eine komplexe Angelegenheit. Sie ist eine Reaktion, jedoch keine Krankheit”, stellt Dr. Thomas Herren von MeteoSchweiz, Zürich, eindeutig klar.
Verschiedene Definitionen beachten
Bei der Behandlung des Themas legt der Biometeorologe Wert auf noch andere Unterscheidungen. So die Wetterreaktion: “Im Grunde reagieren wir alle auf das Wetter. Es gibt Menschen, denen Hitze nichts ausmacht, andere hingegen fühlen sich bei kühleren Wetterlagen wohler”, so Herren. Wissenschaftler kennzeichnen dann noch die Wetterempfindlichkeit. “Hier wird von einer sogenannten, erworbenen Empfindlichkeit gesprochen. Sie können sich an Operationsnarben, amputierten Gliedmaßen (Phantomschmerzen) oder chronischen Erkrankungen manifestieren”, erklärt Herren.
Vielschichtiges Problem: Wetterfühligkeit
Unter dem Begriff Wetterfühligkeit verstehen Wissenschaftler Einschränkungen des Wohlbefindens und/oder das Auftreten von Krankheitssymptomen, die mit Wettervorgängen in Verbindung gebracht werden können. “Gegenwärtig wird davon ausgegangen, dass Wetterfühligkeit Ausdruck eines geschwächten Organismus ist, der bei atmosphärischen Veränderungen Anpassungsschwierigkeiten hat”, so Herren, “doch tatsächlich wissen wir nicht, wie alles zusammenhängt”. Denn obwohl relativ viele Menschen von diesem Phänomen betroffen sind, wird heute kaum auf diesem Gebiet geforscht. Viele Arbeiten stammen aus dem deutschen Sprachraum und aus den 70iger Jahren. Es gab immer wieder Versuche messbare Elemente wie beispielsweise Blutdruck, Sterblichkeitesrate, Zunahme von Schmerzen bei chronischen Erkrankungen oder psychische Probleme mit Luftdruck, Feuchtigkeit und Windstärke in Verbindung zu bringen. Einige Untersuchungen zeigten zwar einen statistischen Zusammenhang, der ursächliche Zusammenhang blieb aber weitgehend ungeklärt. Möglicherweise wird deshalb der Wetterfühligkeit wissenschaftlich keine große Bedeutung beigemessen. Ganz anders beurteilen dies jedoch Betroffene: Sie fühlen sich oftmals mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen.
Daten einer Befragung:
28 Prozent der Frauen und 9,6 Prozent der Männer gaben an, von Wettereinflüssen abhängig zu sein. 68,3 Prozent älterer Menschen (über 60) und 40,5 Prozent der 16 – 29 Jährigen klagten über gesundheitliche wetterbedingte Beschwerden. Bei den Berufsgruppen stellte sich heraus, dass leitende Angestellte (63 Prozent) und Landwirte bis zu 76,9 Prozent sich als am wetterfühligsten herausstellten. Die häufigsten angegebenen Beschwerden waren: Kopfschmerzen/ Migräne (46 %), Abgeschlagenheit (47 %), Schlafstörungen (46 %), Gelenkschmerzen (40 %), Gereiztheit (31 %), Narbenschmerzen (26%), Schwindel (25,8%).
Quelle: Höppe, Peter et al: Prävalenz von Wetterfühligkeit in Deutschland: Deutsche Medizinische Wochenschrift 2002; 127: 15–20
Keine Simulanten
“Doch diese Menschen leiden wirklich”, so Herren. Ihm wurde dies bewusst, als er als Wetter-Experte zu einer Telefon-Serviceaktion berufen wurde. Betroffene klagten über die unterschiedlichsten Symptome. “Die Problematik ist umfassend und beinhaltet mehr als nur eindeutig medizinische Aspekte wie Migräne oder die Zunahme von Schmerzen bei chronischen Gelenkproblemen”, erklärt Herren. Er hörte von Klagen über Konzentrationsstörungen bei Kindern in der Schule oder die Zunahme stressiger Auseinandersetzungen zwischen Arbeitskollegen. Manche Menschen fühlten sich auch so stark beeinträchtigt, dass überhaupt nicht mehr zur Arbeit gehen konnten. Bestätigt wurden diese Angaben durch eine Befragungsstichprobe von 1064 Bundesbürgern des Instituts für Demoskopie Allensbach, Deutschland (durchgeführt 2001): In einem Fragenkatalog zur Wetterfühligkeit erklärten sogar 32 Prozent der Befragen ihrer täglichen Arbeit im Beruf oder Haushalt bei bestimmten Wetterlagen nicht nachgehen zu können. Das ergab, so errechneten Mitarbeiter des Instituts, einen durchschnittlichen Wert von 10,2 Tagen/Jahr an wetterbedingter Arbeitsunfähigkeit.
Das vegetative Nervensystem, welches die Regelung der unwillentlichen Lebensfunktionen wie Atmung, Verdauung, Stoffwechsel usw. übernimmt, kann möglicherweise noch mehr: Es soll einer Antenne gleich Wetterschwankungen empfangen können, nehmen manche Wetterexperten an. Insbesondere soll es Luftdruckschwankungen wahrnehmen, die durch Warm- und Kaltfronten entstehen. Vielleicht ist dem vegetativen Nervensystem auch möglich, die elektrischen Ladungen ausmachen, die bei Luftmassen durch Verschiebung oder Überlagerung entstehen. Manche Medizin-Meteorologen deuten diese besonderen Fähigkeiten als eine Art Schutzreflex bei Menschen und Tieren, der sie vor bedrohlichen Wetterumschwüngen warnt. Übrigens: Stürmischer Wind, extreme Kaltluftfronten werden von den meisten Wetterfühligen als besonders unangenehm empfunden und natürlich Föhn.
Kein Kampf, sondern Annahme lindert Probleme
“Der psychologische Einfluss sollte nicht unterschätzt werden”, so Herren, “allgemein bekannt ist beispielsweise, dass Menschen nach der Ankündigung eines Föhns im Radio bald darauf Kopfschmerzen bekommen können”. Bei der Bewertung dieser Phänomene hält sich Herren zurück. “Dazu ist das Problem zu unerforscht”, sagt er. Doch eine Betroffene der besagten Telefonaktion ist ihm lebhaft in Erinnerung geblieben. Denn sie teilte Herren eine wichtige Erfahrung mit: “Seitdem die Waliserin sich mit ihren Beschwerden abfindet, ging es ihr wesentlich besser”. Mit der Anerkennung der Beschwerden und der Einsicht, dass sie ohnehin nichts ausrichten könne, veränderte sich etwas Entscheidendes: Ihre Beschwerden erschienen ihr seither nur noch halb so schlimm. “Sie erklärte noch, dass wohl auch der Kampf um die Symptome offensichtlich unnötige Energie verbrauche”, so Herren.
Dieser Einschätzung kann der Experte durchaus zustimmen. Wenig hält er hingegen davon, sich durch Informationen des sogenannten Bio-Wetters gegen Unpässlichkeiten wappnen zu wollen. Er steht der sogenannten Wetterfühligkeitsprognose inzwischen kritisch gegenüber: Da die Prognose auf statistischen Zusammenhängen basiert, können die Aussagen für Betroffene völlig falsch sein oder sie sogar negativ beeinflussen. Abschließend meint Herren: “Wir können dem Wetter als natürlichem Element unseres Lebens nicht entfliehen. Am besten suchen wir uns vor allem die schönen, uns wohltuenden Seiten und nutzen diese entsprechend aus”.
Wetterfühligkeit ein individuelles Problem
Das Wetter übt mit seinen jahreszeitlich bestimmten Rhythmen seit Urzeiten Einfluss auf Menschen aus. Normalerweise stellen sie sich ohne Schwierigkeiten auf die entsprechenden Wetterlagen oder ‑Änderungen ein. Nur Wetterfühlige eben nicht. Möglicherweise haben sie eine erhöhte Wahrnehmung oder Sensibilisierung ausgebildet. Das grösste Problem: Sie können höchst unspezifische Beschwerden auf körperlicher, geistiger oder seelischer Ebene entwickeln. Die Palette reicht von Befindlichkeitsstörungen, Schmerzen hin zu Ängsten. Leider gibt es keine gesicherten Aussagen darüber wer, wann, wie und welchen Ausmass betroffen sein kann. Wetterfühligkeit ist ein individuelles Problem, dass ebenso gelöst werden muss.
Verschiedenes ausprobieren
Wetterfühligen bleibt also nur, verschiedene Strategien ausprobieren: Sie können einerseits ihre Wahrnehmung auf andere Dinge lenken oder versuchen, sich abzulenken. Durch den veränderten Fokus, verändert sich die Wertigkeit von Befindlichkeiten oder sie verschwinden sogar ganz. Andererseits kann eine Wetter-Sensibilisierung auf eigene, verdrängte Bedürfnisse hinweisen. Hier hilft eine annehmende, freundliche Hinwendung sich selbst gegenüber. Ehrliche Selbstbefragung kann nützlich sein: Was wünsche ich mir, oder was brauche ich gerade? Manchmal hilft schon ein wärmendes Bad. Auch frühes Zu-Bett-gehen mit einer Wärmflasche oder ausreichend, tiefer Schlaf können Menschen wieder ins rechte Lot bringen. Dass Berührungen wohl tuen, haben wir alle schon einmal erfahren. Deshalb kann eine liebevolle Partnermassage mit viel Zeit, Wärme und Hinwendung Wunder bewirken. Ebenso Musik mit ihrem stimmungsändernden, nachweislich heilsamen Einfluss: Ein ruhiger Abend mit besonderer (klassischer) Musik oder ruhigen Stücken sind Balsam für Körper, Seele und Geist.
Tipps: Unterstützung durch Heilpflanzliches/ Naturheilkundliches
Gliederschmerzen | 1 Kilogramm Heublumen (Semina graminis) in 5 Liter kaltem Wasser ansetzen, eine halbe Stunde lang kochen, abseihen und dem Vollbad zusetzen (Heublumen-Badeextrakt auch möglich). |
Chronische Gelenkschmerzen | Einnahme standardisierte Weidenrindenextrakte wie Assalix wirken besser als chemisch hergestelltes ASS. |
Angstzustände (Schlaflosigkeit): | Tee aus Hopfenzapfen: 1–2 Teelöffel Hopfenzapfen werden mit 150 Milliliter heissem Wasser überbrüht. Abgedeckt stehen gelassen, danach abgeseiht. 2–3 mal täglich und vor dem Schlafen gehen trinken. |
Schlaflosigkeit | Baldrian-Badeextrakt für ein Vollbad |
Kopfschmerzen: | Echtes, ätherisches Pfefferminzöl direkt an die schmerzenden Stellen von Kopf und Stirn verreiben. Darauf achten, dass kein Öl in die Augen gelangt (Augenreizungen!). Mehrmals täglich auftragen. (Nicht für Kleinkinder geeignet). |
Abgeschlagenheit/Gereiztheit | 1 Teelöffel Melissengeist in einem kleinen Glas Wasser, verdünnen. Drei mal täglich. |
Schüsslersalze | Zum Beispiel: No 5: Kaluium phosphoricum; No. 7: Magnesium phosphoricum |
Heukraxenofen | Das würzig duftende Kräuteraroma des Heus der Sitznische fördert allgemeines Wohlbefinden, Erwärmung (Lockerung) der Muskulatur und körperliche Regeneneration. |
Zu guter Letzt:
Bei starken Beschwerden der Wetterfühligkeit oder bei ausgeprägten, immer wieder kehrenden Symptomatiken liegen möglicherweise Funktionsstörungen vor. Es sollte nicht versucht werden, diese durch Selbstmedikation zu beheben. Sie gehören in die Hände naturheilkundlich orientierte Ärzte oder Therapeuten. Diese werden zum einen versuchen, die aktuten Beschwerden zu beheben. Zum anderen sollten sie zur Behebung der Funktionsstörung ein langfristiges Konzept vorschlagen wie zum Beispiel eine Umstimmung.
Autorin
• Marion Kaden, natürlich leben (2010).