Haitianer
© Thomas Kern
Einfachste Maßnahmen könnten für sauberes Wasser sorgen, sofort!
“Sauberes Wasser ist Haitis größter Mangel”, titelt die Zeit am 19. November 2010. Und das, obwohl allein deutsche Spendensammler mehr als 195 Millionen Euro für die Erdbebenopfer in Haiti bis März 2010 eingesammelt haben. Eine beachtliche Summe! Weltweit sind sogar mehrere Milliarden Euro an privater und öffentlicher Hilfe für das ärmste Land der Erde zusammengekommen. Dem schlechten Gewissen sei Dank.
Klar ist, dass das von Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser für die Erdbeben-Opfer gutmeinend gespendete Geld bei den zahlreichen “gemeinnützigen” Sammel-Organisationen mit Spenden-TÜV-Siegel sicher angekommen ist. Und wohl verwahrt auf Gehalts- und Bankkonten verteilt worden ist. Klar ist auch, dass bei keiner der vielen Hilfsorganisationen auch nur ein einziger der großzügig bezahlten Arbeitsplätze gestrichen worden ist. Oder gar eines der Vorstandgehälter gekürzt wurde.
Wartende Frauen
© Thomas Kern
Ein wenig unkontrollierbar ist hingegen, wo denn nun die Hilfs-Milliarden für Haiti versickert sind. Auf Haiti jedenfalls sickert nur erreger-verseuchtes Wasser durch zerborstene Leitungen. Und ist jetzt Ursache der Cholera. Aber keine Sorge! In den Unterkünften der unzähligen aus den USA und Europa eingereisten Profi-Helfer gibt es sauberes, keimfreies Trinkwasser. Keine Cholera also für Profi-Helfer – Gott sein Dank! Sonst könnten die Profi-Helfer auch nicht ihre “wichtigen” Besichtigungstouren in den großen, mit sauberem Wasser geputzten Geländewagen unternehmen. Quer durch pittoresk zerstörte Städte, Dörfer und Landschaften Haitis. Und das würde der notleidenden Bevölkerung Haitis wirklich fehlen, oder nicht!?
Gibt es Alternativen? Ja, natürlich! Anstatt den auf Haiti allgegenwärtigen Plastikmüll zum Recycling nach China zu schicken, kann in den leeren Wasserflaschen aus PET-Plastik sauberes Wasser, keimfreies Trinkwasser, hergestellt werden. Mit einem seit Jahrzehnten in Notgebieten erprobten Verfahren. Natürlich müssen auch die Wasserwerke wieder aufgebaut werden und die Wasserleitungen überall im Land repariert werden, das ist die ideale Lösung. Viel wichtiger aber ist, dass die Menschen auf Haiti sofort, also jetzt!, wieder sauberes Trinkwasser bekommen. Das folgende Interview beschreibt, wie dies tausendfach erprobte und praktizierte Verfahren funktioniert.
Versickerte Haiti-Milliarden, Cholera-Epidemie: Warum nicht auch mal Low-Tech?
SODIS (engl. Abkürzung für Solar Water Disinfection) ist ein Low-Tech-Verfahren zur Wasserentkeimung, das unter anderem von der WHO als effektive Methode zur Wasserbehandlung auf Haushaltsebene empfohlen wird. Der wesentliche Wegbereiter und wohl engagierteste Vertreter von SODIS ist Martin Wegelin vom Wasserforschungs-Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Dübendorf/Schweiz (www.sodis.ch). Wegelin erläutert im Interview die wesentlichen Grundlagen und Zielsetzungen von SODIS.
? SODIS, das Verfahren zur Trinkwasser-Desinfektion mit Sonnenlicht, für das Sie sich seit mehr als zwei Jahrzehnten einsetzen, ist fast unglaublich einfach. Funktioniert es wirklich?
Wegelin: Ja, es funktioniert. Einfach dadurch, dass mit Krankheitserregern belastetes Trinkwasser in handelsübliche, ungefärbte PET-Plastikflaschen gefüllt wird. Dann werden die wassergefüllten Flaschen über mindestens sechs Stunden dem Sonnenlicht ausgesetzt (bei Bewölkung etwa doppelt so lang). Anschließend ist das Wasser nachhaltig desinfiziert und kann ohne weitere Maßnahmen getrunken werden, also ohne Abkochen oder Chlorierung. Viele seit Ende der 90er Jahre durchgeführte Studien belegen die grundsätzlich hohe Wirksamkeit der Solar-Desinfektion. Tatsächlich ist das Verfahren derartig einfach, dass – selbst in Kreisen von Wissenschaftlern, Ingenieuren oder Wasseraufbereitungs-Experten – immer wieder mal ungläubiges Staunen herrscht. Dennoch: SODIS funktioniert, überall in der Welt, tagtäglich, mit geringstem Aufwand.
Petflaschen auf dem Dach
© SODIS
? Ist bekannt, wie die Entkeimung mit Sonnenlicht funktioniert?
Wegelin: Nach dem Beleg der keimtötenden Wirkung im Labor, und noch viel wichtiger, durch viele Wirksamkeits-Studien direkt in Regionen mit belastetem Wasser, wird seit einigen Jahren auch der genaue Mechanismus der Solar-Desinfektion untersucht. Klar ist, dass es der Ultraviolett(UV)-A-Anteil des Sonnenlichtes ist, der zur nachhaltigen und irreversiblen Schädigung von Krankheitserregern im Wasser führt (Bakterien, Viren und andere). Für SODIS können Glasflaschen oder Flaschen aus PET-Kunststoff verwendet werden. Dieser heutzutage für fast alle Plastikflaschen verwendete Kunststoff ist durchlässig für UV-A-Licht (wenn er nicht braun oder grün eingefärbt oder sehr stark zerkratzt ist). Im Bereich der Trinkwasseraufbereitung wird übrigens schon seit vielen Jahren UV-Licht eingesetzt, allerdings nur das technisch erzeugte, kurzwellige, harte UV-C-Licht.
? Schränken Wasser-Verschmutzungen die desinfizierende Wirkung von Sonnenlicht ein?
Wegelin: Je höher die Trübung durch Wasser-Verschmutzungen ist, zum Beispiel durch mineralische Schwebstoffe, desto geringer ist die Eindringtiefe des UV-A-Lichtes in das Wasser. Der Tipp unserer Instruktoren in den Entwicklungsländern lautet: “Solange Sie durch eine wassergefüllte Flasche hindurch noch den Titel einer Zeitung lesen können, funktioniert die Solar-Desinfektion”. Ist dies nicht möglich, ist eine vorherige Wasser-Filterung sinnvoll – selbst wenn sie mit einfachsten Mitteln erfolgt.
? Gibt es Alternativen, wenn keine entleerten PET-Flaschen zur Verfügung stehen?
Wegelin: Auch heute gibt es noch Weltregionen, die nicht von oft allgegenwärtigem Zivilisations-Plastikmüll überzogen sind. Es gab schon Fälle, dass Hilfsorganisationen dann z. B. PET-Leergut dorthin transportiert haben. Allerdings finde ich diese Möglichkeit nicht optimal – schließlich sollen sich die Menschen mit einfachsten, lokal verfügbaren Mitteln selbst helfen. Für Gebiete mit aktuellem Notstand entwickeln wir derzeit Kunststoffsäcke, die alternativ zu PET-Flaschen genutzt werden können.
? Verseuchtes Trinkwasser könnte doch auch einfach abgekocht werden?
Wegelin: Bitte bedenken Sie, dass viele Menschen, denen nur mikrobiell belastetes Trinkwasser zur Verfügung steht, in Regionen wie der ausgedörrten Sahel-Zone leben. Dort ist das wenige verfügbare Holz dringend zum Kochen der Nahrung notwendig, nicht zur Desinfektion von Trinkwasser.
? Welche Bedeutung hat Schulung bei Ihrem Konzept der Solar-Desinfektion?
Wegelin: So einfach das Verfahren selbst ist, so hoch ist der Aufklärungsbedarf. Bereits der Zusammenhang zwischen Trinkwasser-Qualität und den, in vielen Ländern der Welt allgegenwärtigen Durchfallerkrankungen, ist vielen Menschen nicht bewusst. Es muss also über die Ursachen, die Übertragungswege von Erregern und über möglichst einfache Abhilfen informiert werden. Die Schulung, die nach meiner Auffassung immer von lokalen Instruktoren durchgeführt werden sollte, umfasst aber auch spätere Kontrollen, ob SODIS tatsächlich im Alltag der Menschen angekommen ist. Eines unserer Ziele ist erreicht, wenn die heimische Trinkwasser-Aufbereitung mit SODIS zur Normalität, zur Gewohnheit im Lebensalltag geworden ist. Erst dann können wir einen nachhaltigen Rückgang endemischer Durchfallerkrankungen und dadurch bedingter Todesfälle messen. Zur Schulung motivierter Instruktoren sind nach meiner Erfahrung kaum mehr als ein bis zwei Tage nötig.
SODIS-Flaschen in Equador
© SODIS
? Sind die PET-Flaschen von SODIS die Lösung des Milleniums-Ziels der UNO “Verbesserung der Trinkwasserversorgung für mehr als eine Milliarde Menschen”?
Wegelin: Den Beschlüssen des Millenium-Gipfels vorausgegangene Zielsetzungen forderten sogar, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben sollten. Dies wurde nicht erreicht. Auch das jetzige Millenium-Ziel, “die Zahl der Menschen, die über keinen nachhaltigen Zugang zu gesundem Trinkwasser verfügen, um die Hälfte zu senken”, wird wohl nicht zu schaffen sein. SODIS ist und bleibt deshalb für viele Millionen Menschen die einzige Möglichkeit, selber für sauberes Wasser zu sorgen. Besonders dann, wenn die lokalen Regierungen, die globalen Unternehmen oder die Hilfsorganisationen dies nicht schaffen. Natürlich ist Solar-Desinfektion nur einer von vielen Bausteinen für eine gesunde, menschengerechte Trinkwasser-Versorgung. Doch er ist eben auch ein besonderer Baustein, bei dem die Betroffenen nicht zu Empfängern zweischneidiger Entwicklungsprojekte werden, befangen in langfristigen Abhängigkeiten, sondern zu “eigenverantwortlichen Wasser-Managern” für sich, ihre Familien oder ihre Dörfer.
? Ein Projekt wie SODIS wird sicherlich auch manch einen Kritiker haben.
Wegelin: SODIS ist ein ausgesprochenes Low-Tech-Projekt, dessen Funktion fast vollständig durch die Endnutzer bestimmt ist (deshalb wehre ich mich auch dagegen, im Rahmen von Hilfsaktion kostenlos PET-Flaschen zu verteilen) und keine externe Finanzierungen benötigt (außer vielleicht für die Ausbildung von Instruktoren). Damit widerspricht es all jenen, meist politisch initiierten High-Tech-Projekten, bei denen wesentliche Anteile der Entwicklungshilfe wieder in die Geberländer zurückfliessen bzw. zurückfliessen sollen. Auch manchen Großinvestoren, die ein Auge auf die globale Wasserversorgung geworfen haben, sind die nachhaltigen Entwicklungsziele von SODIS ein Dorn im Auge. Besonders schade finde ich jedoch, wenn humanitäre Zielsetzungen akademischem Karrieredenken geopfert werden, und zum Beispiel fachlich kaum zu rechtfertigende Negativ-Studien zu unserem Verfahren durchgeführt und publiziert werden.
? Kann SODIS auch bei aktuellen Notsituationen wie der Cholera-Epidemie auf Haiti Hilfen anbieten?
Wegelin: Ja, aber nur dann, wenn im Rahmen der milliardenschweren Hilfen für Haiti auch Projekte finanziert werden, die die betroffene Bevölkerung tatsächlich erreicht. Dies scheint bislang, besonders im Bereich der Wasserversorgung außerhalb von Port-au-Prince, eher nicht der Fall zu sein. Allerdings: Unser kanadischer Kooperationspartner, die Nicht-Regierungsorganisation “The Water School” (www.thewaterschool.org), versucht auf Haiti derzeit, die Trinkwasser-Versorgung auch mit Hilfe von SODIS zu verbessern.
! Herr Wegelin, vielen Dank für das Interview!
Spendenkonto:
“Die Overhead-Kosten der SODIS Projekte (Büroräumlichkeiten, Finanz- und Personalabteilung, Audit, Sekretariat, Verbrauchsmaterial in der Schweiz, etc.) werden durch die Eawag (www.eawag.ch) finanziert. Jeder gespendete Euro geht daher vollumfänglich in die Projekte.”
Eawag, SODIS
8600 Dübendorf
IBAN: CH09 0900 0000 3059 8667 8
BIC: POFICHBEXXX
Weitere Informationen
* Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI): Deutschland: 195 Millionen Euro Spenden für Haiti (Pressemitteilung). Berlin, 12. März 2010 (https://www.dzi.de/pressemitteilungen/DZI-PM_Haiti_12Maerz10.pdf).
* Infos zur Solar-Desinfektion (https://www.sodis.ch). SODIS-Seite “So funktioniert’s” (https://www.sodis.ch/methode/anwendung).
* DIE ZEIT (19.11.2010): Cholera – Sauberes Wasser – Haitis größter Mangel (https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010–11/haiti-cholera-proteste).
Herzlicher Dank gebührt dem Schweizer Fotografen Thomas Kern, der uns Fotos zur Verfügung stellte. Aufgrund des Standardausschnittes sind die Fotos nicht im Original abbildbar bei Heilpflanzen-Welt.de. Die Originale, sowie die hervorragende und eindrückliche Reportage des Fotografen sind bei coalmineonline.com und bei Thomas Kern einsehbar.
Autor
• Rainer H. Bubenzer, Heilpflanzen-Welt (19.11.2010).