Mit Kosten von 90 Millionen Euro war es nicht nur die bislang teuerste Fernsehproduktion, sondern auch eine der erfolgreichsten: Zeitweilig holte der RTL-Dreiteiler Anfang November 2002 bis zu rund 7 Millionen Menschen vor die Mattscheiben. Sowohl in dem Film als auch dem gezeichneten Original von James Gurney (Dinotopia – A Land Apart From Time/Das Land jenseits der Zeit) werden Heilpflanzen beschrieben. Eine davon ist zwar eine ebenso phantastische Erfindung wie das ganze Buch, hat jedoch nach Aussagen des Heilpflanzen-Experten Rust, durchaus konkrete Bezüge zu Heilpflanzen “aus unserer Welt”. Doch zuvor die Originalbeschreibung:
Arcticum Longevus
(fiktives Heilkraut aus dem Buch “Dinotopia”)
Arcticum Longevus
Diese seltene Pflanzenart ist nur auf Dinotopia bekannt; sie ist verwandt mit der gewöhnlichen Klette aus der Alten und Neuen Welt. Ihre Wurzeln reichen tief, und sie wächst bis zu einer Höhe von ein bis zwei Metern. Ihre purpurroten Blüten sind mit borstigen Widerhaken ausgestattet. Aus den Blüten werden medizinische Tinkturen hergestellt, die vor allem dazu verwendet werden, die Flügelhäute bei den Flugsauriern zu stärken.
Aus den getrockneten Wurzeln wird ein Aufguss hergestellt, für den das Wasser aus den Quellen am Heidesaum verwendet wird; dieser Heiltee ist für Menschen bestimmt, die ihren vierundzwanzigsten Sommer erreicht haben. Man sagt, dass er die Chemie des Körpers so verändere, dass der Alterungsprozess rückgängig gemacht wird. So kann ein Mensch die Lebensspanne eines Dinosauriers, die oft mehr als 250 Jahre beträgt, erreichen oder sogar überschreiten.
Ich habe einen kleinen, verhutzelten Mann aus der Füllhornstadt Cornucopia getroffen, der angab, dass er Cornelius Huyghen heisse, im Jahre 1618 in Holland geboren wurde und einer der vier Seeleute sei, die auf einer Ostindienfahrt Schiffbruch erlitten hätten. Er sprach mit einer solchen Vertrautheit über die alten Pfefferhäfen an der Küste von Java und über andere Altertümlichkeiten, dass ich ihm seine Geschichte wohl oder übel glauben musste.
Ob alle diese Behauptungen stimmen, kann ich nicht beurteilen. Trotz alledem, als ein praktischer Mann und als Wissenschaftler, der auch an solchen Langzeitexperimenten ein tiefes Interesse hat, trinke ich jetzt regelmässig den Arctium-longevus-Tee. Dies ist offenbar das “Kraut”, von dem Nallab in der Wasserfallstadt (waterfall city) so unbekümmert gesprochen hatte. (1)
Kommentar von Heilpflanzen-Welt
“Die Abbildung zeigt uns eindeutig eine Klette”, stellt Stefan Rust, Gartenkustos (Berufsbezeichnung eines Wissenschaftlers, der wissenschaftliche Sammlungen betreut) des Botanischen Gartens in Hamburg, fest. “Leider hat unsere irdische Klette (Arctium lappa) keine so wundersame, lebensverlängernde Wirkung wie die dinotopische Klette Arcticum longevus”. Ob die Häute von Flugsauriern, die bei uns vor 65 Millionen Jahren ausgestorben sind, tatsächlich durch die Heilkräfte der Klette gestärkt werden konnten, ist unbekannt.
Überhaupt ist es nach moderner Auffassung nicht weit her mit der arzneilichen Wirkung der Klette. Zwar wird ihr Öl gelegentlich noch als Haarwuchsmittel verkauft, doch echte arzneiliche Wirkungen mag ihr z.B. die Heilpflanzen-Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes eigentlich nicht zugestehen (siehe unsere Negativ-Monographie hier von 1990). Im Gegensatz dazu stehen die Äußerungen der Heilpflanzen-Experten der vorherigen Generation bis in die 50iger Jahre: Sie stellen unisono zahlreiche Wirkungen fest und berichten vom alltäglichen Einsatz der Klette in der Gesundheitsversorgung (siehe nachfolgenden Textausschnitt von Gerhard Madaus, 1938).
Arctium lappa (Radix Bardanae)
gekürzter Ausschnitt aus: Madaus, G.: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Thieme Leipzig 1938. (2)
Botanisches
Die Kletten sind starke, derbe Kräuter. Die großen, dornenlosen, herzförmigen, etwas wolligen Blätter sind unterseits mehr oder weniger filzig. Die kugeligen Blütenköpfe haben lederartige Hüllblätter, die in eine hakenförmige, nach innen gekrümmte, steife Spitze enden. Der Haarkranz der Samen ist kurz und steif.
Arctium lappa (Große Klette) wird bis 1,80 m hoch, die Blätter erreichen eine Länge von 50 cm und eine Breite von 30 cm. Die mittelgroßen, bläulichroten Blütenköpfe bilden Doldentrauben. Auf Schutt, an Zäunen und Dorfstraßen, besonders in der Nähe menschlicher Wohnungen ist die Pflanze nicht selten. Sie liebt gut gedüngten Boden und Sonne. Bei stärkerer Lichtabdämmung wird sie zum Absterben gebracht. Blütezeit: Juli bis August. Vorkommen Europa und Asien.
Arctium minus (Kleine Klette) hat nur haselnußgroße Blütenköpfe. Die Hüllblättchen sind spinnewebig-wollig und kürzer als die Blüten. Blüten purpurn, seltener weiß. An wüsten Orten und Wegen. Blütezeit: Juli bis August.
Arctium tomentosum (Filzige Klette) hat Blütenköpfe mit dicht spinnewebig-wolligen Hüllblättchen. Die inneren Hüllblätter sind stumpf mit aufgesetzter kurzer Spitze, rot, fast strahlend. Blütenkrone trüb-dunkelpurpurn. Blütezeit: Juli bis September. Die Pflanze kommt an Wegrändern, wüsten Platzen und Ufern, gern auf fettem Boden vor.
Geschichtliches und Allgemeines
Die medizinische Verwendung der Kletten geht bis in das Altertum zurück. So waren die Kletten unter der Bezeichnung Arkeion auch schon Dioskurides und Galenus bekannt. Der erstere schreibt von der Pflanze: “Die Wurzel mit Zirbelnüssen getrunken hilft bei Blutspeien und Lungengeschwüren; fein gestoßen lindert sie die von Verrenkungen herrührenden Gliederschmerzen. Auch die Blätter sind gut als Umschlag für alte Wunden.” Auch Plinius erwähnt die Klette in seiner Historia naturalis. Als Diaphoretikum und Expektorans wurde sie in den mittelalterlichen Kräuterbüchern geschätzt und wird auch schon in der ersten in Nürnberg amtlich eingeführten Pharmakopöe genannt. In Frankreich gelangte sie zu hohem Ansehen dadurch, daß es hieß, Heinrich III. sei durch sie von der Syphilis geheilt worden. Ein Hinweis auf ihre haarwuchsfördernde Wirkung erscheint zum ersten Male in dem Herbarium des Thomas Pancovius (1673). Das Ansehen, das die Klette auch heute noch in der Volksmedizin als Haarwuchsmittel genießt, ist vielleicht teilweise in Zusammenhang mit der Signaturenlehre zu bringen (dichte Behaarung der Blütenköpfchen). Das Klettenwurzelöl, ein Haaröl, wurde früher aus Klettenwurzel hergestellt. Leider wurde den Apotheken gestattet, ein parfümiertes Öl unter dem Namen “Klettenwurzelöl” abzugeben. Die Erlaubnis besteht heute noch.
Die Klettenwurzel wird auch zur Gewinnung von Inulin gebraucht, das in der chemischen Industrie zur Herstellung von Fructose verwendet wird. Einige Klettenarten müssen narkotische Eigenschaften besitzen, da sie früher als Köder beim Vogelfang benutzt worden sind.
Wirkung
Die hl. Hildegard ließ nur das Kraut der Klette gegen Koliken gebrauchen,
während Lonicerus die Wurzel verwendet und sie als expekto-rierendes, nieren- und blasensteintreibendes Mittel lobt. Ihre hautreinigende Wirkung drückt er mit den Worten aus: “benimpt alle vngesundigkeyt im leib / darvon dann außsatz entstehn möchte.”
Das gleiche schreibt Matthiolus von der Wurzel der Kleinen Klette, während er die der Großen Klette als “ein köstliche Artzney denen / welche blut und Eyter außreuspern”, als Diaphoretikum, Expektorans, gegen Stein und Ruhr rühmt.
v. Haller schätzt besonders die blutreinigende und die schleimlösende Kraft der Klettenwurzel, die sich nicht nur bei Brustaffektionen, sondern überhaupt bei aller innerlicher Verstopfung infolge Schleim (Drüsen, Nieren usw.) bewährt habe. Ihre harn- und schweißtreibende Wirkung erwähnt er auch.
Nach Hecker wirkt die Wurzel reizend auf die Nieren und belebt die Nieren- und Hautsekretion, sie wird daher von im innerlich und äußerlich vorwiegend bei chronischen Hautausschlägen, wie Flechten, Kopfgrind, Milchschorfen, bei bösartigen, fressenden Geschwüren, zur Beschleunigung der Wundheilung, gegen Gicht und Rheumatismus, venerische Krankheiten, zum Austreiben von Grieß, Sand und kleinen Steinen aus den Harnwegen, als Diuretikum und Emmenagogum verordnet.
Med.-Rat Günther, ein Mitarbeiter Hufelands, schreibt der Klettenwurzel zusammen mit Cortex Ulmi camp. gute Wirkung bei veralteten Ulcera cruri zu.
Als Volksmittel gegen Haarausfall wird die Klettenwurzel bei Osiander genannt.
Die deutsche Volksmedizin unserer Zeit schätzt sie als Diuretikum und Diaphoretikum, das namentlich bei chronischen, insbesondere rheumatischen, und Hautleiden gute Dienste leistet und seine Wirkung auch auf inveterierte Lues erstrecken soll.
W. Demitsch bringt über die in Rußland gebräuchliche Anwendung von Lappa major und Lappa tomentosa folgenden Abschnitt:
“Im Gouvernement Perm werden die frisch zerstoßenen Blätter der Kletten (Lappa tomentosa) auf Schnitt- und andere Wunden gelegt. Ihre Wurzel wird bei Lungenkrankheiten gebraucht. – In Kleinrußland trinkt man eine Abkochung derselben bei Rheumatismus. – Im Gouvernement Tambow behandelt man mit einer Abkochung dieser Pflanze äußerlich verschiedene Kopf- und Hautausschläge. – Nach Krebel wird gegen Krätze eine Wurzelabkochung unter Beimischung von Kohlenpulver verwendet. – Die Samen der Lappa tomentosa werden für ein gutes Abführmittel gehalten. Die frischen Blätter sollen antiphlogistisch und schmerzstillend wirken. Die Wurzel wird von den Bauern bei verschiedenen Hautausschlägen und Skorbut gebraucht. – Im Gouvernement Twer werden die frischen Lappablätter auf den Kopf gelegt, um Schmerzen zu stillen. – Im Gouvernement Wladimir wird ein Branntweinaufguß von Lappa maior bei nicht fließenden Hämorrhoiden getrunken. In andere Provinzen verwendet man den Saft derselben bei Wunden und eine Wurzelabkochung bei. Kopfflechten an. – Im Gouvernement Grodno ist die Pflanze ein Mittel gegen Skrofulose. – Auch in Sibirien ist dies letztere der Fall. – In der Ukraine legt man die geschabte Wurzel mit etwas Salz auf Hühneraugen. – In Livland wird eine Wurzelabkochung bei Kinderkrämpfen eingegeben.”
Bohn ist der Ansicht, daß die Klette sogar die Sarsaparilla ganz bedeutend an Wirksamkeit übertreffe und großen Heilwert bei Eiterungen und Ausschlägen auf venerischer, aber auch skrofulöser und erbvenerischer Grundlage, bei Beingeschwüren und schlechtheilenden Wunden habe. Nach ihm gehören auch Gicht und Rheumatismus, bedingt durch venerische Entartung und Trippersiechtum, in ihr Heilgebiet.
Tschirch bezeichnet die Klettenwurzel als Diuretikum, Laxans und Sudorificum.
Burnier und Leconte machten ausgezeichnete Erfahrungen mit der internen und lokalen Anwendung der Wurzel bei Furunkulose und Ödemen.
Nach Kneipp ist ein Tee aus den Blättern ein vorzügliches Mittel gegen Magengeschwüre, Magenentzündung und schlechte Verdauung. Wenn man morgens und abends 3 Löffel voll von diesem Tee nimmt, so soll dieses vollauf genügen. Der Tee soll nicht mit Zucker versetzt werden. Auffallend rasch soll nach Gurgeln und Ausspülen des Mundes mit diesem Tee Blasen im Rachen und im Munde und Wundsein der Lippen und bei äußerer Anwendung auch Geschwüre verschwinden. Die Wurzelauszüge wendet er gegen Geschwüre und Haarausfall und den Samenauszug bei schwerem, eingenommenem Kopf, verbunden mit schlechter Verdauung, an. Die von Leconte beobachtete schmerzlindernde Wirkung bei Furunkulose konnte von Leclerc bestätigt werden. Weiter lobt er den frischen Wurzelsaft in lokaler Anwendung bei der Seborrhöe des Gesichtes, schuppigen und impetiginösen Ekzemen und Akne. Nach ihm hat auch M. E. Savini eine konstante Wirkung bei Leberkoliken durch Anwendung des Fluidextraktes gesehen.
Von besonders günstiger Wirkung soll das Mittel gegen die verschiedenen Staphylokokkenerkrankungen sein.
Interessante Versuche mit Klettenwurzel stellten Krantz und Carr an: Ratten, die sie mit Kakaobutter und Klettenwurzel fütterten, wiesen gegenüber den nur mit Kakaobutter gefütterten Tieren eine fünf- bis sechsfache Menge Glykogen in der Leber auf, wahrscheinlich infolge des Inulingehaltes der Wurzel. (Bei Darreichung von reinem Inulin fand ich dagegen nur die dreifache Menge!)
Außer Inulin (bis 45%) enthält die Wurzel u. a, auch etwas ätherisches Öl mit Palmitinsäure.
In den Früchten findet sich das Glykosid Arctiin und fettes Öl.
In der chinesischen Medizin werden die Klettensamen als Niu‑p’angtzu gegen Geschwülste und als Karminativum und Antidot empfohlen.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage
Arctium lappa ist ein bewährtes Blutreinigungsmittel, das oft bei Dermatopathien verordnet wird.
Einzelindikationen: Ekzeme, Crusta lactea, Akne, nässende und borkige Exantheme, insbesondere auf venerischer und skrofulöser Grundlage, Ulcus cruri’s und andere Ulzera, Furunkel und Verbrennungen.
Infolge ihrer harn- und schweißtreibenden Wirkung ist die Klette besonders bei Arthritis urica und Rheumatismus, ferner bei Konkrementbildungen der Harnwege angezeigt.
Auch Magengeschwüre, Magenblutungen, Gastritis chronica und nach Junghans, Halle, chronischer Husten mit Tbc.-Verdacht gehören zu den Indikationen.
Sehr beliebt bei den genannten Hauterkrankungen ist auch die äußerliche Anwendung in Form von Umschlägen, Salben und Öl.
Quellen
• James Gurney: Dinotopia – A Land Apart From Time/Das Land jenseits der Zeit. Wilhelm Heyne Verlag, Münschen, 1993, S. 100.
• Madaus, G.: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Thieme Leipzig 1938.
Bildnachweis
• ebenda, S. 100.