Millionen von Menschen leiden an Schlafstörungen und versuchen mit Tabletten das Problem in den Griff zu bekommen. Baldrian (Valeriana officinalis L.), bietet einen natürlichen Weg in Morpheus’ Arme und eine wichtige Alternative zu chemischen Präparaten.
Fast geschlossene Baldrianblüten
Die Ursachen von Schlafstörungen können vielfältig sein: Stress, Überforderung durch Doppel- und Dreifachbelastungen, psychische Probleme wie Angst oder Sorgen. Das nächtliche Herumwälzen im Bett wird zur Qual. Um dieser zu entkommen, und nur für ein paar Stunden Ruhe und Schlaf zu finden, greifen viele zu Tabletten. Es sind vor allem Frauen, die wegen regelmäßiger und zudem steigernder Einnahme chemischer Schlafmittel tablettenabhängig geworden sind. Die erhobenen Daten der ‘Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme’ bei einer Gesundheitsbefragung (2002) konkretisiert den Medikamentenmissbrauch: 3,2 Prozent der Schweizer Frauen nehmen täglich Schlaf- (Schmerz‑,) und Beruhigungsmittel ein; bei den Männern sind es 1,3 Prozent. Die Befragung von Jugendlichen ergab, dass über 19 Prozent der über 15-jährigen schon mindestens einmal die Woche Medikamente aus der Gruppe der Schlaf‑, Beruhigungs‑, Schmerz‑, oder Anregungsmittel regelmäßig einnimmt. Eine besorgniserregende Erkenntnis. Denn diese Medikamentengruppe birgt eine besondere Gefahr: Schon bei häufigerer Einnahme geringer Dosen kann eine Medikamenten-Abhängigkeit entwickelt werden, die sich nicht so schnell wieder beheben läßt.
Wirksamkeit belegt
Um gar nicht erst in den Teufelskreislauf der abwechselnden Einnahme von Beruhigungs- und Anregungsmitteln zu gelangen bieten sich Phytotherapeutika auf Baldrian-Basis an. Ihre sedativen, d.h. beruhigenden, entkrampfenden, also spannungslösenden Eigenschaften sind schon seit 2000 Jahren bekannt. Griechische wie römische Ärzte nutzten nachweislich die Heilpflanze, wobei nicht eindeutig geklärt werden kann, ob es sich um die heutige Valeriana officinalis oder um andere Valeriana-Arten handelte. Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836), Zeitgenosse Goethe und Schillers, und einer der berühmtesten Ärzte Deutschlands pries Baldrian als “eines der besten Nervenmittel” an. Die Anwendung von Baldrian bei leichtem oder mittleren Grad von Schlaflosigkeit ist am bekanntesten und seine Wirkweise ist durch verschiedene klinische Studien belegt: Die Einnahme von Baldrian führt zu einer eindeutigen Abnahme der Nerven-Hyperaktivität in Gehirn und Rückenmark (ZNS). Im Körper tritt eine allgemeine Entspannung durch Muskelberuhigung ein. Folgen dieser, klassischerweise als sedativ bezeichneten zentralen Wirkungen sind u. a. eine gut nachweisbar Verkürzung der Einschlafzeit sowie eine deutliche Verbesserung der Schlafqualität, z. B. wird das unruhige, nächtliche Aufwachen seltener oder bleibt ganz aus. Am Tag darauf sind die Betroffenen dann wesentlich ausgeruhter und ausgeglichener, was sich wiederum positiv auf die gesamte Tagesbefindlichkeit, körperliche und geistige Leistungsfähigkeit auswirkt. Wie alle Pflanzenheilmittel besteht Baldrian aus vielen Einzelbestandteilen, die jedoch erst in ihrer Gesamtheit die sedative Wirkung und die wenigen, nur selten auftretenden Nebenwirkungen ausmachen. Beim Baldrian wird vermutet, das ein Zusammenspiel verschiedener Inhaltstoffe und Abbauprodukte wie u. a. Lignane, Valerensäuren, Valepotriate dabei helfen, den Erregungszustand des Körpers herabsenken. Baldrian wirkt auch bei geistiger Überarbeitung oder nervösen Beschwerden des Alltags. Motorische Unruhe, Erregungszustände, die z. B. von Sorgen geprägt sind, verlieren nach Einnahme von Baldrian-Präparaten ihren Anschub. Beispielsweise kann einer Prüfungsangst der anstrengende und beängstigende Widerhaken gezogen werden. Weil Baldrian “nur” sedativ und nicht bewußtseinsbeeinträchtigend wirkt, bleibt die Konzentration auf das Wesentliche, nämlich Bestehen der Prüfung möglich.
Beispiel Teerezept:
Teemischung aus getrockneten Drogen mit 50 Gramm Baldrian und 50 Gramm Hopfen. Ein Esslöffel der Mischung wird mit siedendem Wasser (150–250 Milliliter) übergossen, 15 Minuten bedeckt stehen gelassen und dann abgeseiht. Soweit nicht anders verordnet, eine halbe Stunde vor dem Schlafen gehen eine Tasse frisch bereiteten Tee trinken.
Teufelskreislauf: Chemischer Schlaf – Stimulanzien
Voll erblühte Baldrianblüten
Im Gegensatz hierzu sind die millionenfach eingesetzten,synthetischen Benzodiazepin-Tranquilizer zu sehen. Sie werden von Ärzten häufig als schnell und zuverlässig wirkende Mittel verschrieben. Als Tranquilizer mit hypnotischer (schlaffördernder) Wirkung haben sie allerdings bildlich gesprochen eher Wirkungen eines Hammerschlags auf den Hinterkopf. Zahlreiche chemisch definierte “Schlafmittel” fördern weder Entspannung, noch Beruhigung. Sie bewirken einen “chemischen Schlaf” aus dem Betroffene oft mit einem “Kater” aufwachen. Sie fühlen sich dann eher erschöpft, denn erholt. Auch die Reaktionsfähigkeit ist oft stark eingeschränkt, was zu Stürzen durch unsicheren Gang oder zu Fahrfehlern beim Autofahren führen kann. Häufig ist dann dieser Teufelskreis: Um endlich wieder in Schwung zu kommen, und die Tagesmüdigkeit abzuschütteln, wird oft zu Anregungsmitteln (Stimulanzien, Weckaminen) gegriffen. Bei diesen Substanzen besteht ebenfalls die Gefahr medikamentenabhängig zu werden. Am Abend wiederum kann die stimulierende Wirkung nur chemisch, eben mit Tranquilizern u. a. Wirkstoffen blockiert werden.
Beruhigung in der Schaltzentrale
Diese Gefahr besteht bei Valeriana officinalis nicht. Die Baldrianaktivität auf das zentrale Nervensystem ist in den letzten Jahren mit verschiedenen pharmakologischen Nachweisverfahren belegt worden. Moderne biochemische Rezeptoruntersuchungen haben u. a. gezeigt, daß Baldrianextrakte mit einem der wichtigsten, auch für die Schlaffähigkeit bedeutenden Neurotransmitter, der Gammaaminobuttersäure (GABA), wechselwirken. EEG-Analysen sowie klinische Studien zeigen zusätzlich zur entspannend-schlaffördernden (sedativen) Wirkung auch eine Beruhigung von nervösem Herzklopfen sowie Krampflösung (z. B. krampfartige Schmerzen im Magen-Darm-Bereich wie dem Reizdarm-Syndrom und anderen). Eine stimmungsaufhellende Wirkung ist ebenfalls bekannt, neuere Hinweise deuten auf mögliche antidepressive Eigenschaften hin.
Wirkungsverstärkung durch andere Heilpflanzen
Interessanterweise wird die Wirkung des Baldrian durch Hinzufügen einer weiteren Heilpflanze noch verbessert, d. h. verstärkt. Folgende Kombinationen bieten sich an: Nervöse Erregungszustände: Melisse (Melissae folium) plus Baldrian; Nervöse Schlaflosigkeit: Hopfen (Humulus lupulus L.) plus Baldrian;
Als Pflanzenteil werden frische Wurzeln (Valerianae radix), Wurzelstock und die Ausläufer der Pflanze verwendet. Es gibt verschiedene Anwendungen wie beispielsweise Presssaft (Schönenberger naturreiner Heilpflanzensaft, Baldrian Dr. Dünner AG), Kapseln (Arkocaps (Arko Diffusion SA), Baldrian-Tropfen verschiedener Hersteller oder Tee – wichtig ist hier: Die medizinale Wirkung der Droge bleibt bei schonender, d.h. langsamer unter 40 Grad liegender Trocknung erhalten. Es sind weder Neben- noch Wechselwirkungen bekannt. Wichtig ist ausserdem, dass Baldrian kein Mittel mit Sofortwirkung ist. Bei regelmäßiger Einnahme wirken die verschiedenen Präparate nach zwei Wochen. Ein Zeitraum, der sich jedoch lohnt, weil sich keinerlei Abhängigkeiten auch bei langem Gebrauch einstellen. Wenn sich dann eine Ausgeruhtheit bzw. Normalität im eigenen Leben einstellt, empfiehlt es sich, nicht einfach mit den alten Verhaltensmustern bei Stress oder Angst weiterzumachen, sondern langfristig nach Lösungen Ausschau zu halten.
Inhaltsstoffe:
Die beruhigende Effekt des Baldrian ist zwar durch Studien belegt, aber in welchem Zusammenspiel die Wirkung tatsächlich funktioniert, wird vielleicht immer ein Geheimnis bleiben. Bekannt ist, dass ätherisches Öl: 0,3 – 2,0 % aus beispielsweise Monoterpenen (z. B. Borneol und Bornylester, Camphen, Campher, 1,8‑Cineol, Myrcen) und Sesquiterpenen (z. B. L‑Bisabolol, Valeranon, Valerenal, Valerenol und Valerenolester) zusammengesetzt ist. Sesquiterpensäuren wie Acetoxyvalerensäure und Valerensäure (0,08 – 0,3 %) sowie Hydroxyvalerensäure spielen ebenfalls eine Rolle. Eindeutig geklärt ist, dass der charakteristische Geruch erst durch Freisetzen der Isovaleriansäure entsteht (frische Baldrianwurzel ist praktisch geruchlos). Als weiteres Zersetzungsprodukt der Isovaleriansäure entstehen die Hauptabbauprodukte Valepotriate (0,5–2 %). Weitere Inhaltsstoffe: Mono- und Diepoxylignane, geringe Mengen Alkaloide, Phenolcarbonsäuren, Aminosäuren, kurzkettige Carbonsäuren, freie Fettsäuren, Kohlenhydrate u. a.
Tee: ein bis mehrmals täglich Presssaft: 2–3 mal täglich 1/2 bis 1 Teelöffel (1–3 Milliliter) mit einem Glas Wasser verdünnt vor dem Essen trinken Dragées: 2–3 mal täglich 1–2 Tabletten vor dem Essen mit viel Wasser einnehmen.
Achtung: Es muss immer auf eine ausreichende Dosierung geachtet werden! Zu niedrig dosiert, kann Baldrian auch einen umgekehrten Effekt bewirken und anregend sein. Eine ausreichende Dosierung sind 600 Milligramm Baldrian ethanolisch-wäßriger Trockenextrakt pro Tag. [1]
Die Pflanze
Baldrian – ganze Pflanze
Während die schlaffördernde Wirkung des Baldrian vielen Menschen geläufig ist, so ist das Aussehen der Stammpflanze den meisten unbekannt. Manchmal kann es dann im botanischen Garten zum überraschten Aha-Erlebnis kommen: Baldrian ist eine kräftige bis zu eineinhalb Meter hohe Pflanze mit kantigen, hohlen Stengeln und großen, Blättern. Sie sind unpaarig gefiedert und hat pro Blatt etwa 11–21 Fiederblättchen. Einen Gegensatz zur kräftigen Pflanze bilden die zarten, rötlichweißen Blüten. Sie sind doldenartig angeordnet und blühen von Juni bis August. Baldrian gibt es nicht nur als Kultur- (nur die Valeriana officinalis L. wird als Arzneipflanze verwandt), sondern auch als Wildpflanze. Zur großen Familie der Baldriangewächse (Valerianacae) gehörend, wachsen die Valeriana-Gattungen überall in den gemäßigten Zonen Europas, Asiens und Nordamerika. Wahrscheinlich ermöglichte ihre gute Anpassungsfähigkeit die hohe Verbreitung. Denn die Valeriana-Gattungen wachsen sowohl in trockenen wie feuchten Regionen. Sie sind wild in Wäldern, an Flussufern, feuchten Wiesen oder auf trockenen Dämmen und Schutthalden zuhause. Es gibt auch alpine Baldrian-Arten wie Valeriana celtica L., Valeriana elongata Jacq., Valeriana saliunca All., Valeriana supina Ard., Valeriana saxatilis L.
Das Katzenkraut
Wirkung der Katzenminze
Einige Valeriana-Arten werden auch als Zierpflanzen kultiviert. Die einheimischen Valeriana officinalis L., Valeriana. tripteris L., Valeriana montana L. werden allerdings bevorzugt. Wird Baldrian im Garten angepflanzt, so werden Gartenbesitzer nur glücklich mit der Pflanze, wenn keine Katzen in der Nähe sind. Denn Baldrian hat sich auch als “Katzenkraut” einen Namen gemacht. Je nach dem in wie Gartenbesitzer ihr Verhältnis zu den Schnurrhaar-Trägern sehen, wird es zur Freude oder zum Leidwesen aussfallen: Denn Katzen lieben Baldrian, fühlen sich magisch davon angezogen. Sie können sich wie närrisch darin herumwälzen. Es wird vermutet, dass das Monoterpen (Iridoid) Actinidin wie es ähnlich in der Katzenminze (Nepeta cataria) enthalten ist, dieses merkwürdige Verhalten auslöst. Katzen können also durchaus Versuche, Baldrian im Garten anpflanzen zunichte machen. Im Volksglauben galt die Pflanze vor allem im Mittelalter wegen ihres Geruches auch als zauberabwehrendes Mittel. Sie wurde auch in der Parfumherstellung verwendet, doch heute hat die Pflanze nur noch als Heilmittel Relevanz.
Autorin
• Marion Kaden, Natürlich (2005).
Quelle
[1] Schilcher, Heinz, Kammerer, Susanne: Leitfaden Phytotherapie, Urban & Fischer Verlag München, Jena, November 2000, S. 36.