Wunderbare Kamille

Kamil­le (Cha­mo­mil­la recutitia)

Die Kamil­le ist ein viel­fäl­tig ein­setz­ba­res Haus­mit­tel. Neben den vie­len, wich­ti­gen Anwen­dungs­be­rei­chen zeich­net sie sich vor allem durch gerin­ge Neben­wir­kun­gen aus. Doch gera­de letz­te­res ist in Gefahr: Die Her­stel­ler von Kos­me­ti­ka, Hygie­ne­ar­ti­kel oder Rei­ni­gungs­mit­teln haben die Heil­pflan­ze als ver­kaufs­för­dern­den Zusatz ent­deckt. Durch den häu­fi­gen und medi­zi­nisch sinn­lo­sen Kon­takt mit Heil­pflan­zen­ex­trak­ten könn­ten Men­schen sen­si­bi­li­siert wer­den, die bei einer mög­li­chen Erkran­kung einen hohen the­ra­peu­ti­schen Nut­zen von der Heil­pflan­zen gehabt hät­ten – wenn sie denn kei­ne völ­lig über­flüs­si­gen all­er­gi­schen Reak­tio­nen ent­wi­ckelt hätten.

Die Kamil­le (Cha­mo­mil­la recu­ti­ta) ist eine bekann­te Heil­pflan­ze. Prak­tisch jeder Mensch hat ihre hei­len­den Kräf­te schon erlebt – meist schon als Baby. Denn als eines der schon­ends­ten und wirk­sams­ten Mit­tel gegen einen wun­den Po gilt ein Bad in lau­war­mem Was­ser mit Kamil­le-Zusatz. Gera­de wegen ihrer der­ma­to­lo­gi­schen Anwen­dun­gen ist die Heil­pflan­ze nicht nur bei Anhän­gern der Natur­heil­kun­de beliebt, son­dern beson­ders auch bei Schul­me­di­zi­nern. Sie wird wegen der zwei­fels­frei erwie­se­nen Wirk­sam­keit geschätzt und häu­fig ein­ge­setzt. Zudem hat sie bei bestim­mungs­ge­mä­ßem Gebrauch kei­ne rele­van­ten Nebenwirkungen.

Wer sich die Pflan­ze genau anse­hen möch­te, hat jetzt genü­gend Gele­gen­heit: Ech­te Kamil­le blüht von Mai bis August und ist in jedem bota­ni­schen oder Arz­nei-Pflan­zen­gar­ten zu bewun­dern. Sie ist nicht so präch­tig anzu­se­hen, wie ande­re Heil­pflan­zen, die durch Blü­ten­for­men-Reich­tum oder Far­ben­präch­tig­keit auf­fal­len (zum Bei­spiel Cal­en­du­la). Sie ist eher schlicht, hat weis­se, zart­blätt­ri­ge Blü­ten und einen gold­gel­ben Blü­ten­kopf. Die nor­di­schen Völ­ker ver­ehr­ten sie als hei­li­ge Pflan­ze eben wegen die­ser “gol­de­nen Blü­ten­schei­ben”, die dem Son­nen­gott Bal­dur zuord­net wur­den. Auch die Alt­vor­de­ren kann­ten schon ihre viel­fäl­ti­gen Anwen­dungs­ge­bie­te und schätz­ten sie des­we­gen hoch ein.

Wun­der­schö­ne Kamillenblüten

Aber nicht nur die Ger­ma­nen kann­ten und nutz­ten sie, son­dern auch die Heil­kun­di­gen und Ärz­te der Anti­ke und des Mit­tel­al­ters. So beschreibt sie der bedeu­ten­de grie­chi­sche Arzt Dio­s­ku­r­i­des mit den Wor­ten: “Die Wur­zeln, Blüt­hen und das Kraut haben erwär­men­de und ver­dün­nen­de Kraft; im Trank und im Sitz­ba­de beför­dern sie die Mens­trua­ti­on, trei­ben den Embryo aus, sowie den Stein und Urin. Sie wer­den fer­ner gegen Blä­hun­gen und Darm­ver­schlin­gung getrun­ken, ver­trei­ben Gelb­sucht und Leber­lei­den … als Umschlag hel­fen sie bei Geissau­ge, gekaut hei­len sie Soor … Eini­ge wen­den sie auch, indem sie die­sel­ben fein rei­ben, mit Oel zum Ein­sal­ben an, um peri­odi­sches Fie­ber zu vertreiben”.

Seit Dio­s­ku­r­i­des hat sich kaum etwas ver­än­dert: Kamil­le ist prak­tisch ein Mul­ti-Talent und in unter­schied­lichs­ten medi­zi­na­len Pro­duk­ten wie Sal­ben, Extrak­ten, Bade­zu­sät­zen, Ölen oder Tees zu fin­den. All­jähr­lich wer­den tau­sen­de von Ton­nen Kamil­le welt­weit ange­baut. Die Haupt­pro­duk­ti­ons­län­der sind Argen­ti­ni­en, Ägyp­ten, Chi­le und – bis Anfang der 90er Jah­re – das ehe­ma­li­ge Jugoslawien.

Gut zum Sammeln geeignet

Die ech­te Kamil­le kann in den gemäs­sig­ten Zonen Euro­pas seit der jün­ge­ren Stein­zeit nach­ge­wie­sen wer­den. Längst hat sie sich dem Kli­ma ange­passt und ent­wi­ckelt auch bei uns genü­gend äthe­ri­sche Öle. Sie eig­net sich des­halb auch gut zum Selbst­sam­meln. Da die Kamil­le sich zum Teil sogar so stark ver­brei­tet hat, dass Bau­ern ihr als Acker­un­kraut mit Her­bi­zi­den zu Lei­be rücken, ist dabei jedoch Umsicht gebo­ten: Selbst­samm­ler soll­ten dar­auf ach­ten, die Blü­ten­köp­fe nicht in der Nähe gespitz­ter Fel­der abzuern­ten. Aus­ser­dem ist wich­tig: Nur die Kamil­le ist echt, die beim Spal­ten des Blü­ten­köpf­chens einen hoh­len Blü­ten­bo­den hat (s. u.). Anfän­gern kann zur Sicher­heit beim Sam­meln auch noch ein Bestim­mungs­buch emp­foh­len werden.

Tipps zum Sammeln und Trocknen

Kamil­le wird zwi­schen Mai und August gesam­melt. Der idea­le Zeit­punkt für die Ern­te sind 3–5 Tage nach dem Auf­blü­hen, weil der Gehalt an äthe­ri­schen Ölen dann am höchs­ten ist. Das Wet­ter soll­te nicht zu tro­cken und nicht zu feucht sein, ide­al ist son­ni­ges Wet­ter. Gesam­melt wird die Kamil­le am bes­ten an abge­le­ge­nen Orten, z. B. im Acker (Ach­tung Dün­gung), an Weg­rän­dern (Ach­tung Schad­stof­fe), auf Schutt­plät­zen, auf Ödland, in Wein­ber­gen und auf Mau­ern. Kamil­le wächst noch in Lagen bis zu 1.600 Metern. Gesam­melt wer­den nur die Blü­ten­köp­fe. Die­se soll­ten so wenig wie mög­lich berührt wer­den, um sie nicht zu beschä­di­gen. Die Pflan­zen müs­sen frei von Schim­mel, Fäul­nis oder Unge­zie­fer sein. Die gesam­mel­te Kamil­le wird nicht gewa­schen. Die Kamil­­le-Köpf­chen ist sehr licht‑, wär­­me- und druck­emp­find­lich. Um Aro­ma­ver­lus­te zu ver­mei­den, soll­te sie sofort nach der Ern­te ver­ar­bei­tet wer­den. Zum Trock­nen wird sie auf Papier­blät­ter an einem luf­ti­gen Ort aus­ge­legt. Die Tem­pe­ra­tur soll­te zwi­schen 21°C und 27°C haben (wenn mög­lich kon­stant). Anschlies­send wer­den die tro­cke­nen Blü­ten­blät­ter ent­fernt. Die Köpf­chen wer­den am bes­ten in geschlos­se­nen, licht­ge­schütz­ten Dosen auf­be­wahrt. So hal­ten sie sich etwa ein Jahr lang. Quel­le: Streu­li Phar­ma AG, Uznach, Mar­got Lie­ber­herr, Head of Sci­en­ti­fic Affairs & Pharmacovigilance.

Qualitätsstufen beachten

Nur die Kamil­le mit dem Blü­ten­bo­den ist die Echte!

Wer nicht selbst sam­meln möch­te, kann Kamil­le kau­fen. Sie ist ent­we­der lose, als Tee oder als Kamil­len­ex­trakt in ver­schie­dens­ten phar­ma­zeu­ti­schen Zube­rei­tun­gen zu haben. Beim Kamil­len­tee-Kauf sind die unter­schied­li­chen Qua­li­täts­stu­fen zu beach­ten. Es gibt Kamil­le-Tees in Lebens­mit­tel­qua­li­tät (Anteil äthe­ri­sches Öl mind. 0,2%, ver­wen­det wer­den Kamil­le­köpf­chen und ‑Kraut, bil­li­ger) in jedem Lebens­mit­tel­ge­schäft. Oder in “Arz­nei­buch­qua­li­tät” (Anteil äthe­ri­sches Öl mind. 0,4%, Ver­wen­dung nur Kamil­le­köpf­chen und ande­re Qua­li­täts­merk­ma­le), die­se Tees wer­den in Apo­the­ken und Dro­ge­rien ver­kauft. Zu beach­ten ist immer: Wer Kamil­le zu hei­len­den Zwe­cken braucht, soll­te am bes­ten Arz­nei­buch-Qua­li­tät kau­fen. Wich­tig ist aus­ser­dem, Kamil­le als Roh­dro­ge dann zu kau­fen, wenn sie gebraucht wird. Die äthe­ri­schen Wirk­stof­fe ver­flie­gen sonst zu leicht. Des­halb soll­ten auch offe­ne Packun­gen nicht über das ange­ge­be­ne Min­dest­halt­bar­keits­da­tum hin­aus ver­wen­det wer­den. Wem das Auf­brü­hen, Absei­hen der Blü­ten zuviel ist, kann auch auf Kamil­len-Extrak­te zurück­grei­fen. Sie haben meist einen kon­trol­lier­ten und kon­stan­ten Wirk­stoff-Gehalt. Wegen des poten­ti­ell höhe­ren Wirk­stoff-Gehal­tes soll­ten die Dosie­rungs­an­wei­sun­gen der jewei­li­gen Prä­pa­ra­te beach­tet werden.

Ein tolles Hausmittel

Die wich­tigs­te Wirk­sub­stan­zen in Kamil­len­blü­ten sind äthe­ri­sche Öle mit ihren Haupt­be­stand­tei­len Alpha-Bisabo­lol und Chama­zu­len. Die­se Sub­stan­zen wir­ken ent­zün­dungs­hem­mend und krampf­lö­send. Dann sind noch die sekun­dä­ren Pflan­zen­stof­fe zu erwäh­nen, die ent­kramp­fend und ver­dau­ungs­för­dernd wir­ken. Die Pflan­ze ent­hält zudem Schleim­stof­fe mit ent­zün­dungs­hem­men­der und reiz­lin­dern­der Wir­kung. For­schun­gen haben gezeigt, dass die Inhalts­stof­fe der Kamil­le auch Enzy­me hem­men, die bei Ent­zün­dun­gen eine ent­schei­den­de Rol­le spie­len. Schliess­lich ent­schärft Kamil­le zusätz­lich aggres­si­ve Sau­er­stoff­ver­bin­dun­gen (“freie Radikale”).

Hauptanwendungsbereiche der Kamille

  • äuße­re Anwendungen:
  • täg­li­ches Sitz­bad zur För­de­rung der Hei­lung von Ent­zün­dun­gen im Geni­tal­be­reich (z. B. Scheideninfektion);
  • zur Lin­de­rung von Beschwer­den bei Hämor­rhoi­den und ande­ren Analerkrankungen;
  • Sitz­bä­der wer­den auch zur Nach­be­hand­lung von vagi­na­len Ope­ra­tio­nen, vor allem dem Damm­schnitt empfohlen;
  • * Mund­spü­lun­gen bei ent­zün­de­tem Zahn­fleisch, nach zahn­ärzt­li­chen Ein­grif­fen, zur Ver­hin­de­rung von Entzündungen;
  • Inha­la­tio­nen bei ent­zünd­li­chen Erkran­kun­gen und Reiz­zu­stän­de der Luft­we­ge (z. B. Reiz­hus­ten bei Bronchitis);
  • Umschlä­ge bei dia­be­ti­schem Unter­schen­kel-Geschwür (“offe­nes Bein”);
  • inne­re Anwen­dun­gen:
  • krampf­ar­ti­ge Beschwer­den der obe­ren Ver­dau­ungs­we­ge, mit oder ohne ent­zünd­li­che Ver­än­de­run­gen (z. B. Gastritis;
  • chro­ni­sche Magen-Darm-Beschwerden;
  • Tee bei Blä­hun­gen oder häu­fi­gem Aufstossen.

Nebenwirkungen

  • Kamil­le nicht für Augen­spü­lun­gen ver­wen­den – Bin­de­haut-Ent­zün­dun­gen sind möglich;
  • manch­mal kann es zu all­er­gi­schen Haut­pro­ble­men (Kon­takt-Der­ma­ti­tis) kom­men, vor allem bei Per­so­nen mit bereits bekann­ten All­er­gien. Gele­gent­lich kommt es auch zu Kreuz­all­er­gien durch ande­re Korb­blüt­ler (“Com­po­si­tae”). Die­se Gefahr ist umso grö­ßer, je mehr Kon­takt zu unsin­ni­ger­wei­se kamil­len­hal­ti­gen “Hygiene”-Produkten bestan­den hat;
  • wie vie­le wirk­sa­me Heil­pflan­zen beein­flusst auch die Kamil­le Ent­gif­tungs-Enzy­me der Leber, zum Bei­spiel das P450-Sys­tem. Pati­en­ten, die ande­re Medi­ka­men­te neh­men, soll­ten ihrem Arzt in jedem Fall über ihre Ver­wen­dung auch von Kamil­le oder Kamil­len-Prä­pa­ra­ten berich­ten (eine Regel, die übri­gens für alle “alter­na­ti­ven” Arz­nei­mit­tel gilt). So kön­nen mög­li­che Inter­ak­tio­nen recht­zei­tig erkannt und ver­hin­dert werden.

Die Pflanze

Blü­te­zeit von Mai bis August

Die ech­te Kamil­le gehört zur Fami­lie der Korb­blüt­ler (Fami­lie Com­po­si­tae, Unter­fa­mi­lie Aster­aceae). Die ech­te Kamil­le ver­brei­tet einen aro­ma­ti­schen, typi­schen Geruch. Sie ist eine auf­recht, mit ästig ver­zweig­ten Sten­geln wach­sen­de Pflan­ze. Sie wird bis zu 50 cm hoch. Sie hat zwei- bis drei­fach fie­der­spal­tig sit­zen­de Blät­ter. Die Pflan­ze ist anspruchs­los und ist auf Acker­rai­nen, an Weg­rän­dern und auf Brach­land zu fin­den. Ihre Blü­ten sind zusam­men­ge­setzt aus etwa 15 weis­sen, Rand­blü­ten und etwa 500 zwitt­ri­gen, gel­ben, trich­ter­för­mi­gen Schei­ben­blü­ten, die sich über einem hoh­len Blü­ten­bo­den zu einem Blü­ten­köpf­chen for­men. Die ech­te Kamil­le kann leicht ver­wech­selt wer­den mit der Römi­sche Kamil­le (Ant­he­mis nobi­lis). Sie ist der Ech­ten Kamil­le weit­ge­hend ähn­lich, unter­schei­det sich jedoch in der Men­ge der Inhalt­stof­fe. Leich­ter unter­scheid­bar ist hin­ge­gen die medi­zi­nisch unbe­deu­ten­de Acker-Hunds­ka­mil­le (Ant­he­mis arven­sis). Sie hat geruchs­lo­se Blü­ten­köpf­chen und einen gefüll­ten Blü­ten­bo­den. Die Stin­ken­de Hunds­ka­mil­le (Ant­he­mis cotula) macht ihrem Namen alle Ehre: Sie ver­rät sich durch ihren Geruch und hat eben­falls gefüll­te Blütenköpfchen.

Viel hilft nicht immer viel

Weil die Kamil­le als Heil­mit­tel so über­aus bekannt und beliebt ist, wur­de sie von der Kos­me­tik­in­dus­trie und sogar von Rei­ni­gungs­mit­tel-Her­stel­lern zum Zwe­cke der Ver­kaufs­för­de­rung ent­frem­det. Und so wer­den Hand­cremes, Gesichts­lo­tio­nen, Wasch- oder Rei­ni­gungs­mit­tel oder Toi­let­ten­pa­pier mit Kamil­le­zu­satz ange­bo­ten. Dies ist eine der Heil­pflan­ze unwür­di­ge, wenn nicht sogar ver­ant­wor­tungs­lo­se Ent­wick­lung: Denn bei der Kamil­le han­delt es sich um ein ech­tes Heil­mit­tel. Die­ses soll­te den Men­schen eben zu Zwe­cken der Hei­lung erhal­ten blei­ben. Durch den mas­sen­haf­ten zweck­ent­frem­de­ten Ein­satz häu­fen sich All­er­gien. Damit steigt die Gefahr, dass die­ses Heil­mit­tel im – medi­zi­ni­schen – Ernst­fall nicht mehr ein­ge­setzt wer­den kann. Dass sich sogar soge­nann­te Bio-Her­stel­ler die­sen Trend unter­stüt­zen, und z. B. Bio-Geschirr­spül­mit­tel oder Sei­fen mit Kamil­len­zu­satz anbie­ten, ist beson­ders erschreckend.

Autorin
• Mari­on Kaden, natür­lich leben (2007).

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