Der Kräutergarten Karls des Großen: Capitulare de villis

Mus­ka­tel­ler­sal­bei

Capi­tu­la­ri­en (Capi­tu­la = Ein­tei­lung) waren die Herr­scher-Erlas­se der frän­ki­schen Köni­ge. Sie wur­den schrift­lich for­mu­liert und betra­fen wirt­schaft­li­che, reli­giö­se, poli­ti­sche oder recht­li­che Fragen.

Der­ar­ti­ge Regu­la­ri­en waren nötig, um das gewal­ti­ge, groß­frän­ki­sche Reich ver­wal­ten und regie­ren zu kön­nen. Karl der Gro­ße hat­te das groß­frän­ki­sche Reich mit Feu­er und Schwert zu dem gemacht, was ab 800 nach Chris­ti war: Es erstreck­te sich von der Elbe bis nach Rom, wel­ches als Mit­tel­punkt der christ­li­chen Welt galt. Mit den sieb­zig Kapi­teln umfas­sen­den Capi­tu­la­ri­en liess Karl der Gro­ße eine Wirt­schafts- und Sozi­al­ord­nung fest­le­gen, die meh­re­re Jah­rund­er­te Bestand haben sollte.

Karl der Gro­ße war für sei­ne Zeit ein sehr gebil­de­ter Mann. Er konn­te lesen und schrei­ben und sprach ver­schie­de­ne Spra­chen. Dies war für dama­li­ge Herr­scher durch­aus kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Weil ihm die Bil­dung beson­ders am Her­zen lag, über­trug er den Klös­tern nicht nur Macht son­dern auch beson­de­re Auf­ga­ben neben der Ver­wal­tung: Zum einen ver­füg­te er über den Auf­bau von Klos­ter-Schreib­stu­ben, um durch das Kopie­ren anti­ker Lite­ra­tur, das Wis­sen alter Zei­ten fort­füh­ren und erhal­ten zu kön­nen. Zum ande­ren über­trug Karl der Gro­ße den Klös­tern die Ver­brei­tung vom Wis­sen und Ver­brei­tung von Pflan­zen, die er als beson­ders nütz­lich, heil­sam oder ernäh­rungs­phy­sio­lo­gisch wich­tig ein­ord­ne­te. Des­halb befahl er den Bau und Unter­halt von Klos­ter­gär­ten (sie waren sozu­sa­gen “Samen­ab­tei­lun­gen”), um a) die Pflan­zen über­all im Reich anzu­sie­deln, b) Kennt­nis­se über die heil­sa­men Wir­kun­gen und ihren Anwen­dun­gen zu ver­brei­ten. Im Kapi­tel 70, dem “Capi­tu­la­re de Vil­lis” ließ der frän­ki­sche Herr­scher fest­le­gen, wel­che Pflan­zen in den Klos­ter­gär­ten anzu­pflan­zen sei­en (Aus­zug aus einer Übersetzung):

Karl der Große befiehlt:

Wir befeh­len: In den Gär­ten soll man alle genann­ten Pflan­zen zie­hen: Lili­en, Rosen, Horn­klee, Frau­en­min­ze, Sal­bei, Rau­te, Eber­reis, Gur­ken, Melo­nen, Fla­schen­kür­bis, Faseo­len, Kreuz­küm­mel, Ros­ma­rin, Feld­küm­mel, Kicher­erb­sen, Meer­zwie­bel, Schwert­li­li­en, Schlan­gen­wurz, Anis, Kolo­quin­ten, Helio­trop, Bären­wurz, Sesel, Salat, Schwarz­küm­mel, Gar­ten­rau­ke,Kres­se, Klet­te, Polei­min­ze, Myr­rhendol­de, Peter­si­lie,Sel­le­rie, Lieb­stö­ckel, Sade­baum, Dill, Fen­chel, Endi­vie, Weiß­wurz,Senf, Boh­nen­kraut, Brun­nen­kres­se,Pfef­fer­min­ze, Krau­se­min­ze, Rain­farn,Kat­zen­min­ze,Tau­send­gül­den­kraut, Schlaf­mohn, Run­kel­rü­ben, Hasel­wurz, Eibisch, Mal­ven, Karot­ten, Pas­ti­na­ken, Mel­de, Maus­kraut, Kohl­ra­bi, Kohl, Zwie­beln, Schnitt­lauch, Por­ree, Ret­tich, Scha­lot­ten, Lauch, Knob­lauch, Krapp, Kar­den­dis­teln, Pfer­de­boh­nen, mau­ri­sche Erb­sen, Kori­an­der, Ker­bel, Wolfs­milch, Mus­ka­tel­ler­sal­bei. Auf sei­nem Dach soll der Gärt­ner Haus­lauch (Don­ner­kraut) ziehen.

An Frucht­bäu­men soll man nach unse­rem Wil­len ver­schie­de­ne Sor­ten Apfel‑, Birn- und Pflau­men­bäu­me hal­ten, fer­ner Eber­esche, Mis­peln, Edel­kas­ta­ni­en und Pfir­sich­bäu­me ver­schie­de­ner Arten Quit­ten, Hasel­nüs­se, Man­­del- und Maul­beer­bäu­me, Lor­beer, Kie­fern, Feigen‑, und Nuss­bäu­me und ver­schie­de­ne Kirsch­sor­ten. Die Apfel­sor­ten hei­ßen: Gos­ma­rin­ger, Gerol­din­ger, Kre­ve­del­len, Spei­se­äp­fel, säu­ße und saue­re, durch­weg Dau­er­äp­fel; fer­ner sol­che, die man bald ver­brau­chen muß: Früh­äp­fel. Drei bis vier Arten Dau­er­bir­nen, süße­re und mehr zum Kochen geeig­ne­te und Spätbirnen.

Quel­le: Über­set­zung aus: Wies, Ernst W.: Capi­pu­la­re de Vil­lis et cur­tis impe­ria­li­bus. S. 21

Pflanzenbestimmung war noch nicht bekannt

Beim Lesen ist der Pflan­­zen-Lis­­te ist Vor­sicht gebo­ten. Denn wir wis­sen nichts über die Pflan­­zen-Arten, die Karl der Gro­ße oder sei­ne Gelehr­ten tat­säch­lich mein­ten. Die Pflan­zen­na­men kön­nen nicht kor­rekt bota­nisch zuge­ord­net wer­den, weil die bota­ni­sche Sys­te­ma­tik erst 1000 Jah­re spä­ter, also im 18. Jahr­hun­dert durch Carl von Lin­né ent­wi­ckelt wur­de. Ob die Pflan­zen gemeint sind, die wir heu­te unter ihrer moder­nen, bota­ni­schen Zuord­nung ken­nen, ist mehr als frag­lich. Auch über die Abbil­dun­gen der alten Arz­nei­bü­cher konn­ten Wis­sen­schaf­ter, die sich um Auf­klä­rung bemüh­ten, kei­ne siche­ren Rück­schlüs­se zie­hen. Wer Gele­gen­heit hat, die wun­der­schö­nen Wer­ke im Ori­gi­nal anzu­schau­en, wird schnell ent­de­cken war­um: Auf Detail­ge­nau­ig­keit bei der Dar­stel­lung z.B. der Blät­tern oder Blü­ten der Heil­pflan­zen wur­de damals wenig Wert gelegt. Die Wis­sen­schaft im Abend­land mit ihrer Genau­ig­keit, Ana­ly­se, genau­en Beschrei­bung ent­wi­ckel­te sich erst lang­sam und setz­te sich erst in der Neu­zeit durch. Aus die­sem Grun­de soll­ten medi­zi­ni­sche oder heil­sa­me Rezep­tu­ren nicht aus alten Arz­nei­bü­chern ver­wen­det wer­den, son­dern aus­schließ­lich aus moder­nen Arz­n­ei- oder Heilpflanzenbüchern.

Warum diese Pflanzen- und Baumauswahl?

Pfir­sich am Baum

Auch über den den Sinn der Zusam­men­stel­lung der Pflan­zen oder Baum­ar­ten strei­ten Gelehr­te. Denn bei­spiels­wei­se Man­del- oder Pfir­sich­bäu­me wach­sen nicht in den nor­di­schen Regio­nen. Auch Melo­nen gedei­hen nicht an der Elbe und selbst im son­nen­ver­wöhn­ten wär­me­ren Rhein­tal set­zen sie kaum Früch­te an. Des­halb gehen man­che Wis­sen­schaft­ler davon aus, dass der Capi­tu­la­re de Vil­lis auf den Bereich Aqui­ta­ni­ens zu beschrän­ken sei. 100-pro­zen­ti­ge Sicher­heit wird wahr­schein­lich nie bestehen, denn Karl der Gro­ße hin­ter­ließ kei­ne Hin­wei­se über die Aus­wahl­kri­te­ri­en. Es kann auch davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass Karl der Gro­ße als gläu­bi­ger Christ man­chen Pflan­zen einen sym­bo­li­schen Cha­rak­ter bei­maß, denn einem nütz­lich-wirt­schaft­li­chen. Die Frucht des Man­del­baums bezie­hungs­wei­se gal­ten als Sym­bol Chris­ti – der Kern der Man­del wur­de als Sym­bol der gött­li­chen Exis­tenz und der Erlö­sung betrach­tet. Auch Pflan­zen wie Lilie und Rose waren/​ sind bis heu­te syb­mol­träch­tig: Es sind Mari­en­sym­bo­le und Zei­chen der Liebe.

Trotz der Unge­nau­ig­keit oder der Unmög­lich­keit bestimm­te Pflan­zen anzu­sie­deln, so nah­men zahl­rei­che Äbte den Auf­trag ernst. Sie lies­sen Klös­ter­gär­ten bau­en und tru­gen damit tat­säch­lich zur Ver­brei­tung vie­ler Heil­pflan­zen bei. Spä­ter ent­wi­ckel­te sich die soge­nann­te Klos­ter­me­di­zin. Sie basier­te auf dem über­lie­fer­ten Wis­sen der Anti­ke, auf den Heil­kräu­tern Karls dem Gro­ßen, wur­de jedoch auch erwei­tert – zum Bei­spiel um das Wis­sen der Heil­pflan­zen der kräu­ter­kun­di­gen Frauen.

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (Mai 2012).
Quel­len
Wies, Ernst W.: Capi­pu­la­re de Vil­lis et cur­tis impe­ria­li­bus. (Ver­ord­nung über die Kron­gü­ter und Reichs­hö­fe) und die Geheim­nis­se des Kräu­ter­gar­tens Karls des Gro­ßen. Ein­hard-Ver­­lag 1992. Aachen.

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