Die Misteltherapie ist ein etabliertes Verfahren in der integrativen Onkologie. Sie hilft Krebspatienten auf verschiedenen Ebenen mit der systemischen Erkrankung fertig zu werden.
Mistel mit ihren “Glasfrüchten”
Jede Krankheit bringt Leid für Betroffene – die Diagnose “Krebs” jedoch wird von Patienten besonders schwer aufgenommen. Häufig wird sie als Todesurteil empfunden, denn keine andere Erkrankung trägt den Nimbus des Bösartigen wie Krebs. Dabei hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan dank millardenschwerer Investitionen in die Krebs-Forschung seit den frühen 80iger Jahren (siehe Kasten). “In Deutschland kann jede zweite Krebserkrankung mittlerweile erfolgreich behandelt werden”, erklärte Dr. Annette Jänsch während der Veranstaltung “Misteltherapie – Stellenwert in der integrativen Onkologie, in Rosenfeld bei Balingen. So überleben beispielsweise 80 Prozent der Kinder ihre Krebserkrankungen. Oder Frauen mit Brustkrebs haben eine bis zu 87 prozentige Überlebensrate – gute Nachrichten also. In den Fällen, in denen Krebs nicht geheilt werden kann, gelingt immer häufiger eine Umwandlung einer aktuten Krebs-Erkrankung in eine chronische, wie auch die stetig ansteigenden Zahlen chronischer Krebskranker beweisen.
Krebs: Eine systemische Erkrankung
Weibliche Mistelblüte im Winter
Doch aller Erfolge und Fortschritte zum Trotz bleibt Krebs eine ernstzunehmende und vor allem systemische (den ganzen Körper betreffende) Erkrankung. Jänsch verwies auch auf die Grenzen der schulmedizinischen Maßnahmen: “So nützen beispielsweise eingesetzte Chemotherapien nicht allen Patienten. Außerdem können diese Behandlungen oft Jahre danach schwere, lebenslange Folgen hinterlassen”, erklärte die Ärztin. So manche akut behandelten, aber auch chronische Krebspatienten nehmen das Fehlen von Perspektiven oder die Mängel beispielsweise einer onkologischen Langzeitversorgung innerhalb der Schulmedizin sehr deutlich wahr. Sie suchen deshalb nach Alternativen und finden diese oft in komplementärmedizinischen (also die schulmedizinisch ergänzenden) Verfahren.
Krieg gegen Krebs
Die Amerikanerin Mary Woodard Lasker, Lobbyistin, gründete 1938 die amerikanische Gesellschaft zur Bekämpfung von Krebs und eröffnete als erste Kampagnen “Krieg gegen Krebs”. Diese wurden in den nachfolgenden Jahrzehnten erfolgreich durch Privatpersonen und Politiker weitergeführt. Einer der bekanntesten war der amerikanische Präsiden Richard Nixon, der nach dem Vietnam-Krieg 1971 – weil nun nicht mehr in die Rüstung investiert wurde – die Initiative “War on Cancer” (“National Cancer Act”) startete. Er stellte dem amerikanischen Nationalen Krebs-Institut (NCI) Gelder zur Verfügung mit dem Ziel, eine Heilungsmöglichkeit für Krebs zu finden. Seither flossen allein in den USA geschätzt 200 Milliarden Dollar in Forschung, Aufklärung aber leider ebenso in ideologische Desinformation – wodurch Krebs auch den Nimbus des Bösen erhielt. Zuletzt wurde 2003 der “NCI Challenge Goal 2015” zum endgültigen Besiegen von Krebs ausgerufen. Auch andere Industrienationen haben sich mit der Bereitstellung von Milliarden Forschungsgeldern diesem “Kampf” angeschlossen.
Wichtig für Patienten: Integrative Onkologie
Typische “Mistelkugel”
Vielleicht durch die Bedürfnisse der Patienten angestoßen, entwickelte sich in den letzten Jahren die sogenannte “Integrative Onkologie”. Hinter dem Begriff wird die Kombination der bisherigen schulmedizinischen (rationalen) und komplementärmedizinischer Methoden verstanden. Innerhalb der Integrativen Onkologie werden sowohl schulmedizinische (Operation, Chemo‑, Strahlen- oder medikamentöse Therapie) wie auch komplementärmedizinische Verfahren parallel ‚unter einem Dach’ und zum Wohle des Patienten angeboten. Zu den komplementärmedizinischen Verfahren gehören die Naturheilkunde (z.B. Kneipp, Pflanzenheilkunde, Bewegung, Ernährung), Mind-Body-Medizin (Entspannungsverfahren, soziale Unterstützung) oder auch besondere Ausrichtungen wie die Anthroposophische Medizin (Misteltherapie, Euryhmie). Durch zahlreiche Studien konnte der neue, integrative Ansatz in seiner Richtigkeit bestätigt werden: Patienten zeigen eine deutlich verbesserte Krankheitsbewältigung. Auch bezüglich verbesserter Einflüsse auf die Therapiewirkungen, der Lebensqualität und einer Verlängerung der Lebenserwartung konnten als positive Ergebnisse vorgelegt werden.
Individuell angepasste Misteltherapie
Mistelstängel: Ein Mensch mit erhobenen Armen
Unter den komplementärmedizinischen Maßnahmen ist die Misteltherapie ein etabliertes Verfahren. “Die Misteltherapie wird von Ärzten verordnet”, so Jänsch. “Wichtig ist die individuelle Anpassung der Misteltherapie für die jeweiligen Patienten. Wozu die Auswahl der Mistelart, Dosierung und Dauer der Therapie gehören”, sagte die Internistin. Sie betreut in der Abteilung für Naturheilkunde des Immanuel-Krankenhauses der Hochschulambulanz der Charité alljährlich zahlreiche KrebspatientInnen. Beispielhaft zeigte sie den eindrücklichen Fall einer Brustkrebspatientin auf: “Eine junge Mutter zweier Kinder stellte sich bei uns vor: Nach einer organerhaltenden Operation, Chemotherapie, Bestrahlung und anschließender Hormontherpie hatte die Patientin große Probleme, wieder in ihren Alltag zurück zu finden. Am schwersten litt sie unter fortwährender Erschöpfung und Müdigkeit (Fatigue), die auch durch Schlaf nicht verbessert wurden”, erzählte Jänsch. Die Patientin wurde in der naturheilkundlich-onkologischen Tagesklinik des Immanuel-Krankenhauses aufgenommen. Das Therapieangebot der Tagesklinik umfasst unter anderem das Erlernen von Entspannungsverfahren wie Meditiation oder Stressbewältigung. Außerdem stehen Kurse zur Ernährung oder Bewegung auf dem Programm. Die Patienten können auch – je nach Behandlungsplan – Wasser- oder Akupressuranwendungen bekommen oder pflanzenheilkundliche Medikationen. “Im Falle der jungen Mutter wurde mit der Verabreichung einer Tannenmistel-Therapie begonnen”, erläuterte Jänsch. “Bei der Entlassung waren die Kräfte der Patientin zurückgekehrt, und sie konnte sich ihren Alltagsanforderungen wieder stellen”. Außerdem spritzte sie sich zwei Jahre weitere lang zwei mal wöchtenlich ein Apfel-Mistelpräparat und führte die Mistel-Behandlung somit (mit Therapiepausen) selbstständig fort.
Die Wirkungen der Misteltherapie
Dr. Annette Jänsch
“Beeindruckend war für mich der Wandel, den die Patientin während des Aufenthaltes in der Tagesklinik durchgemacht hatte: Von der Kraftlosigkeit und Depression zu Beginn hin zur Kraft und Lebensfreude am Ende”, berichtete die Ärztin. Sie setzt die Misteltherapie in der Klinik ebenso bei chronischen oder palliativmedizinischen Krebspatienten ein. Die Wirkungen der Misteltherapie für die Patienten:
- eine Verbesserung des Allgemeinbefindens
- eine Verbesserung des Müdigkeitssyndroms während und nach der Chemotherapie
- eine Verminderung der Übelkeit während und nach der Chemotherapie
- eine Verbesserung des Appetits
- eine Verringerung des Schmerzempfindens. Außerdem konnte beobachtet werden, dass der Einsatz von Schmerz- wie Beruhigungsmitteln gesenkt werden konnte
- eine Verminderung des Auftretens von depressiven Verstimmungen.
Mistel – Teil der Anthroposophischen Medizin
Die Misteltherpie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthoposophie wie der Ärztin Ida Wegmann entwickelt. Sie entdeckten die Anregungen der körpereigenen Abwehrkräfte durch die besondere Herstellung von Mistelextrakten. Durch moderne labortechnische Forschungen konnten über 1000 verschiedene Inhaltsstoffe der Mistel ausgemacht werden. Die Forschung ist aufgrund der Wirkstoff-Komplexität nicht am Ende: Als Hauptwirkkomponenten wurden bisher unter anderem Mistel-Toxine ausgemacht. Auch Wirkstoffe wie Eiweiss-Stoffe (Lektine, Polypeptide), kompliziert aufgebaute Kohlenhydrate (Polysaccharide) oder Aminosäuren (Arginin) werden eine Rolle spielen. Doch die Wissenschaftler sind mittlerweile überzeugt, dass nicht einzelne Komponenten bedeutsam sind, sondern die Wirkkomposition des Mistelextrakt als Ganzes.
Medikation, Verordnung & Kostenübernahme
Medikation: Die verordneten Mistelpräparate werden als Ampullen von den Apotheken an die Patienten abgegeben. Das Präparat wird dann von den Patienten selbst unter die Haut (subkutan) gespritzt. Die erste Spritze der Patienten findet immer unter einer sehr genauen Anleitung zum Beispiel einer Arzthelferin oder Arztes statt. Die Patienten erlernen so das Öffnen der Ampullen, Aufziehen der Spritze und das Spritzen in die Haut (Bauch – oder Oberschenkel). Das Spritzen kann auch vom Pflegepersonal oder angeleiteten Angehörigen erfolgen. Das Medikament wird zwei bis drei Mal pro Woche gespritzt. Manchmal kommt es rund um den Einstich der Nadel zu einer unmittelbaren Rötung (etwa in der Größe eines Zwei-Euro-Stücks) und Schwellung der Haut. Diese Reaktion ist eine gewünschte Wirkung, genauso wie der mögliche leichte Körpertemperaturanstieg. Bei größeren Rötungen, Schwellungen oder dem Auftreten von Fieber sollte unbedingt der behandelnde Arzt informiert werden.
Verordnung und Kostenübernahme: Die Misteltherapie kann von jedem Arzt und Heilpraktiker verordnet werden. Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die Kosten der Misteltherapie bei palliativen Behandlungen. Das heißt bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, insbesondere inoperablen oder metastasierten Tumoren. Die Misteltherapie kann als die Heilung unterstützende Therapie verordnet werden – wie zum Beispiel während und nach einer Chemotherapie, oder zur Verbessung der Symptome der Krebsbehandlung. Private Krankenkassen übernehmen, je nach vertraglicher Vereinbarung, die Kosten der Misteltherapie. Bei Zusatzversicherungen muss häufig abgeklärt werden, ob die Misteltherapie darin enthalten ist.
Botanisches: Die Mistel – eine ganz besondere Heilpflanze
Dr. Dietrich Schlodder
Mit den Worten: “Nichts ist an dieser Pflanze normal”, eröffnete Dr. Dietrich Schlodder, anthroposophischer Arzt, seinen botanischen Vortrag über die Mistel. Die Blätter der immergrünen Heilpflanze gleichen sich sowohl an der Ober- wie Unterseite. Deshalb muss sie sich nie nach dem Licht ausrichten, sondern kann unabhängig davon wachsen. Genauer betrachtet, richten sich die einzelnen Mistelstängel individuell in alle möglichen Richtungen aus oder drehen sich. “Ihr Wachstum ist anmutig, fast tänzerisch”, erzählte Schlodder, der sich seit 23 Jahren mit dieser Heilpflanze beschäftigt. “Ihre Lichtunabhängigkeit ist auch eine ihrer besonderen Freiheiten, die sonst selten in der Natur vorkommt”, so der Arzt. Faszinierend an der Heilpflanze ist ebenso ihre Gegensätzlichkeit: Wenn die meisten Pflanzen sich für ihren Winterschlaf zurückgezogen haben, werden Misteln am Aktivsten: Sie blühen im Spätwinter und neun Monate nach der Bestäubung entwickeln sich Früchte. Diese sehen wie zarte Glaskugeln aus. In den Früchten stecken Keimlinge, die durch eine Schleimschicht geschützt werden. Die Früchte sind begehrte Nahrung vieler Vögel im Winter: Nachdem der zucker- und kohlenhydratreiche Fruchtinhalt verdaut ist, scheiden die Vögel den Keimling weit entfernt von Mutterpflanze wieder aus und sorgen somit für die Verbreitung der Mistel. Der Keimling wird mit Schleim ausgeschieden, der an den rauen Rinden von Bäumen haften bleiben kann.
“Tanzende Mistel”
“Doch nicht jeder Baum ist als Mistelwirt geeignet”, erzählte Schlodder weiter. In dem Mistelgarten den das Unternehmen Helixor betreibt, stehen 55 verschiedene Baumarten, die versuchsweise als Mistelwirte dienen. Bei weichen Hölzern wie Pappel, Weiden gelingt Mistel-Keimlingen leichter, sich anzusiedeln. “Andere Bäume hingegen dulden keine Misteln, wie die Eiche oder Kastanie beispielsweise”, erklärt Schlodder. Es scheint, dass manche Baumarten besondere Schutzschichten bilden, um den Halbschmarotzer abzuwehren.
Die Früchte der Mistel im Winter
Gelingt dem Keimling in den Baum einzudringen, senkt er seinen sogenannten Senker bis zum Kambium des Wirtsbaumes und entnimmt über diesen Wasser und Nährstoffe. Mistelpflanzen sind im Winter in den kahlen Bäumen besonders gut an ihrer kugeligen Form auszumachen. Auch wenn sich die meisten Menschen nicht besonders gut mit Heilpflanzen auskennen – die besondere Mistel erkennen fast alle.
Ganzheitlicher Ansatz
Beispiel für Maltherapie
Die Misteltherapie wird im Rahmen der anthroposophischen Medizin niemals alleine verordnet. Im Sinne der Ganzheitlichkeit legen anthroposophisch oder naturheilkundlich arbeitende Ärzte Wert auf weitere Maßnahmen. Denn zur Bewältigung einer Krebserkrankung, die oft mit schweren Zweifeln, psychischem und/oder körperlichem Leid der Betroffenen einhergeht, ist mehr nötig: Geist und Seele wollen ebenfalls angesprochen werden. Deshalb werden entsprechend der Vorlieben der Patienten zum Beispiel Maltherapien oder Gestalterisches wie das Arbeiten mit Ton oder Stein angeregt. Bewegungstherapien (Eurhythmie), das Arbeiten mit dem eigenen Körper oder der Stimme sind ebenfalls möglich. Allen diesen Therapien ist das eigene Einbringen der Patienten, das Aktive gemeinsam. Über das Malen, Bewegen, Sprechen oder Singen können Patienten oft zum ersten Mal ihre Gefühle oder Gedanken zulassen. Mit dem begleitenden Therapeuten kann anschließend das Erfahrene besprochen werden. Auf diese Weise kann den Patienten gelingen, ihre Erkrankung zu verarbeiten, Trost, Ruhe oder Ausgleich zu finden.
Autorin
• Marion Kaden, MultiMedVision Berliner Medizinredaktion (2. Juli 2013).
Quellen
Misteltherpie – Stellenwert in der integrativen Onkologie, Helixor, Rosenfeld, 01.06.2013.
Schlodder, Dietrich, Jörg M. Schierholz: Komplementäre Tumor-Therapie mit Mistelextrakten. Deutsche Zeitschrift für Onkologie, 2003; 35: 124–133.
Tröger, W.: Helixor-Therapy during chemotherapie. Results of a randomized clinical trial. Onkologie 33 (suppl. 2), 34 (2010)
www.helixor.de
www.naturheilkunde.immanuel.de
Bild Maltherapie: Das Bild wurde freundlicherweise von Hans-Joachim Kerres zur Verfügung gestellt.
www.atelier-blankenese.de
weitere Infos
• Monographie: Mistelstängel
• Monographie: Mistelbeeren