Fernsehfolgen: Gehirnschwund, Übergewicht, vorzeitiger Tod

Fern­se­hen im Fit­ness-Stu­dio: Koch­sen­dung beim Lau­fen nötig?

Ger­ne wird zur Ent­span­nung vor dem Fern­se­her “abge­han­gen”. Zum Bei­spiel nach einem anstren­gen­den Arbeits­tag, wenn zu allem ande­ren die rech­te Lust fehlt, scheint das TV-Gerät Erho­lung zu bie­ten. Doch das Gegen­teil ist der Fall: Wis­sen­schaft­ler haben her­aus­ge­fun­den, dass fern­se­hen tat­säch­lich Stress aus­löst. Ver­schie­de­ne Fak­to­ren sind dafür ver­ant­wort­lich. So die Hel­lig­keit des Bild­schirms, die schnel­le Bil­der­ab­fol­ge wie auch das Flim­mern, wel­ches durch die Abstrah­lung der Licht­in­for­ma­tio­nen in unter­schied­lichs­ten Wel­len­be­rei­chen ent­steht. Außer­dem gelan­gen über die Augen Mil­li­ar­den von Bild­in­for­ma­tio­nen zum Gehirn und müs­sen dort zu einem ver­steh­ba­ren Gan­zen zusam­men­ge­fügt wer­den. Um all dies bewäl­ti­gen zu kön­nen, wird unter ande­rem das Streß­hor­mon Adre­na­lin aus­ge­schüt­tet. Bes­ser: Der Kör­per wird in Alarm­be­reit­schaft ver­setzt. Außer­dem wird die Hirn­an­hangs­drü­se (Hypo­phy­se) akti­viert, das bedeu­tends­te Steu­er­or­gan aller Lebens­vor­gän­ge. Als wis­sen­schaft­lich erwie­sen gilt: Die Hypo­phy­se schüt­tet beim Fern­se­hen Hor­mo­ne aus, die eng mit dem Fett­stoff­wech­sel ver­knüpft sind.

Zunahme von Adipositas und Diabetes

Kein Wun­der also, dass die vie­len werb­li­chen Bot­schaf­ten für Scho­ko­la­de, Chips, Fer­tig­nah­rung oder Alko­hol, die täg­lich über die Moni­to­re flim­mern, viel­fäl­ti­ge hor­mo­nel­le Reak­tio­nen aus­lö­sen. Hun­ger­ge­füh­le kön­nen sich leicht ein­stel­len und wer­den oft auch mit Hoch­ka­lo­ri­schem aller Art befrie­digt. Eine Ver­qui­ckung und Stei­ge­rung die­ser ungüns­ti­gen Umstän­de wird beson­ders stark bei Men­schen aus­ge­löst, die sich auf­grund ihres ohne­hin schon vor­han­de­nen Über­ge­wichts wenig bewe­gen: For­scher konn­ten zei­gen, dass die Bewe­gungs­lo­sig­keit vor dem Fern­se­her die Anzahl adi­pö­ser Men­schen (Über­ge­wicht mit einem Body-Mass-Index > 25) deut­lich erhöht. Sie bil­den damit einen unüber­seh­ba­ren Wider­spruch zu den in der Wer­bung gezeig­ten schlan­ken Men­schen der Wer­be­welt. Wunsch und Wirk­lich­keit könn­ten zukünf­tig noch wei­ter aus­ein­an­der­klaf­fen: So wur­de der ste­tig anstei­gen­de Fern­seh­kon­sum bei allen Alters­grup­pen unter die Lupe genom­men. Ärz­te einer Kin­der­kli­nik der US-ame­ri­ka­ni­schen Stadt Onta­rio zum Bei­spiel unter­such­ten über­ge­wich­ti­ge Jugend­li­che und brach­ten einen mehr­stün­di­gen Fern­seh­kon­sum mit dem Anstieg der Rate an jugend­li­chen Dia­be­ti­kern in Ver­bin­dung [1]. In einer Lang­zeit­stu­die einer Grup­pe neu­see­län­di­scher For­scher der Onta­go-Uni­ver­si­tät wur­de fest­ge­stellt: TV-Sehen in Kind­heit und Jugend führt oft zu Über­ge­wicht (ver­mehr­tem Kon­sum von Fer­tig­nah­rung), schlech­ter Fit­ness (wenig Bewe­gung), ver­mehr­tem Rau­chen oder hohen Cho­le­ste­rin­wer­ten im Erwach­se­nen­al­ter [2], [3].

Abschalten ist gesund

Die sei­ten­in­ter­ne Sta­tis­tik der welt­weit renom­mier­ten Natio­na­len Ame­ri­ka­ni­schen Online-Biblio­thek für Medi­zin (Natio­nal Libra­ry of Medi­ci­ne, Pub­med) spie­gelt das wis­sen­schaft­li­che Inter­es­se am Fern­se­hen und sei­nen gesund­heit­li­chen Aus­wir­kun­gen wider. Die ste­tig wach­sen­de Anzahl der Stu­di­en in den letz­ten Jahr­zehn­ten zeigt die zuneh­men­de Rele­vanz in der Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sem Medi­um. Nun konn­te nicht nur die Zuord­nung von Fern­se­hen mit Zuwachs von Adi­po­si­tas oder der Erwach­se­nen-Zucker­krank­heit (Dia­be­tes mel­li­tus Typ II) zwei­fels­frei dar­ge­stellt wer­den. Vie­le Arbei­ten beschäf­ti­gen sich zudem mit moto­ri­schen wie see­lisch-geis­ti­gen Fähig­kei­ten von fern­se­hen­den Kin­dern, Jugend­li­chen und Erwach­se­nen. Die Ame­ri­ka­ni­sche Aka­de­mie für Päd­ia­trie (AAP) finan­zier­te zahl­rei­che Stu­di­en und warnt regel­mäs­sig vor den krank­ma­chen­den und ent­wick­lungs­schä­di­gen­den TV-Aus­wir­kun­gen. Auch wenn Kin­der­pro­gram­me oder Klein­kind-DVDs noch so päd­ago­gisch auf­ge­zo­gen sein sol­len oder sogar gross­ar­ti­ge Lern­erfol­ge ver­spre­chen, so kommt her­aus: Kin­der, die fern­se­hen, ler­nen lang­sa­mer spre­chen, haben einen gerin­ge­ren Wort­schatz, weni­ger moto­ri­sche Fähig­kei­ten, ver­schie­de­ne sozia­le Defi­zi­te (ver­rin­ger­te sozia­le Kon­trol­le, schlech­te­re Inter­ak­ti­on mit ande­ren) und kön­nen Ver­hal­tens­stö­run­gen zei­gen. Zudem haben sie häu­fi­ger Kon­zen­tra­ti­ons­stö­run­gen und schla­fen schlech­ter. Das Resü­mee der AAP: Die Erwach­se­nen soll­ten ihren Fern­se­her aus­schal­ten und sich lie­ber um ihre Spröss­lin­ge kümmern.

TV-Konsum fördert Demenz und senkt die Lebenserwartung

Beim War­ten auf die U‑Bahn: Nutz­lo­se Nachrichten

Fern­se­hen scha­det aber auch Erwach­se­nen. Erwei­tert wer­den die AAP-Erkennt­nis frei nach dem Mot­to “was Häns­chen nicht lernt, lernt Hans nim­mer­mehr”. Kin­der mit Defi­zi­ten im Kin­des­al­ter holen die­se im Erwach­se­nen­al­ter schlecht auf. Vor allem sind die­se Erwach­se­nen mit die­ser neu­zeit­li­chen “Errun­gen­schaft” sozia­li­siert und kön­nen sich ein Leben “ohne TV” eigent­lich nicht mehr vor­stel­len. Die oben genann­ten nega­ti­ven Fol­gen sind auch bei Erwach­se­nen mit wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en belegt: Zunah­me von Adi­po­si­tas, Dia­be­tes Typ II, unge­sün­de­re Essens­ge­wohn­hei­ten oder man­geln­de kör­per­li­che Akti­vi­tät. Sogar die unsäg­li­chen, sich in ihrer Dumm­heit und Bana­li­tät kaum zu über­tref­fen­den Talk-Shows, Seri­en oder Soaps wur­den an Frau­en unter­sucht. Fazit: Durch regel­mäs­si­ges Schau­en die­ser Mach­wer­ke konn­ten sich die Frau­en weni­ger mer­ken, zeig­ten gene­rell eine ver­rin­ger­te Kon­zen­tra­ti­on und all­ge­mein gerin­ge­re Wahr­neh­mungs­fä­hig­kei­ten im All­tag [5]. Mitt­ler­wei­le haben Neu­ro­lo­gen das fern­se­hen hin­sicht­lich eines mög­li­chen Anstiegs von Demenz-Erkran­kun­gen unter­sucht und bestä­tigt. Und nicht zuletzt: Fern­se­hen ver­kürzt die Lebens­zeit stell­ten ame­ri­ka­ni­sche Wis­sen­schaft­ler schon 2008 fest [6].

Fernsehen in Deutschland

Die Erfor­schung der Fer­seh­nut­zung wird in Deutsch­land von Markt­for­schungs­in­sti­tu­ten wie Gesell­schaft für Kon­sum­for­schung (GfK), der Arbeits­ge­mein­schaft Fern­seh­for­schung (AGF) oder den von Pri­vat­fern­seh­sen­dern selbst betrie­ben. Die Zah­len-Anga­ben vari­ie­ren natür­lich je nach Inter­es­sens­la­ge. Doch nicht so stark, dass dar­aus nichts All­ge­mei­nes gezo­gen wer­den kann: In Deutsch­land haben 72 Mil­lio­nen Haus­hal­te (knapp 88%) einen oder meh­re­re Fern­se­her. Ein­deu­tig ist auch der Anstieg der Fern­seh­nut­zung pro Tag über die letz­ten Jahr­zehn­te. Saßen 1988 die Deut­schen “nur” zwei­ein­halb Stun­den vor dem Fern­se­her, sind es 2012 über vier bis zu sechs und mehr Stun­den. Gene­rell kann auch die Aus­sa­ge getrof­fen wer­den, dass je älter Men­schen sind, des­to län­ger sind die Fernsehzeiten.

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Die Abschaf­fung des Fern­se­hers ist übri­gens auch ganz im Sin­ne der Natur­heil­kun­de: Män­ner wie Samu­el Hah­ne­mann, Chris­toph Wil­helm Hufe­land oder der Pfar­rer Sebas­ti­an Kneipp wür­den sich stän­dig rotie­rend im Gra­be umdre­hen ange­sichts der fata­len gesund­heit­li­chen Aus­wir­kun­gen die­ses Medi­ums. Schon zu ihren Leb­zei­ten ermahn­ten sie ihre Zeit­ge­nos­sen, sich der ord­nungs­po­li­ti­schen, natur­heil­kund­li­chen Regeln zu erin­nern. Die­se haben sich seit­her nicht geän­dert: Dazu gehört bei­spiels­wei­se, sich um genü­gend erhol­sa­men Schlaf oder eine aus­rei­chen­de Rege­ne­ra­ti­ons­zeit nach der Arbeit zu küm­mern. Oder sich gesund und mäßi zu ernäh­ren und zudem für Bewe­gung am bes­ten in frei­er Natur zu sor­gen. Denn so haben Men­schen Teil an den Rhyth­men der jah­res­zeit­lich beding­ten Ver­än­de­run­gen, die sich erhol­sam und gesun­dend auf den mensch­li­chen Kör­per aus­wir­ken. Hufe­land und auch Kneipp wie­sen auf die geis­tig-see­li­sche Gesund­heit hin: Es mag anti­quiert erschei­nen, aber das Lesen von Büchern, Hören guter Musik, dem Nach­ge­hen von Hob­bys ist nach wie vor wich­tig. Vie­le mei­nen nun für sol­che gera­de­zu luxu­riö­sen Tätig­kei­ten erst nach der Pen­sio­nie­rung Zeit zu haben – wie die klei­ne obi­ge Rech­nung zeigt, irren sie gewal­tig. Die­je­ni­gen, die die muti­ge Abschaf­fung des zeit­fres­sen­den Fern­se­hers schon hin­ter sich haben, wis­sen zu berich­ten, dass sie weder vom zeit­po­li­ti­schen Gesche­hen abge­schnit­ten sind, noch dass ihnen irgend etwas fehlt. Statt­des­sen hat eine Ent­schleu­ni­gung statt­ge­fun­den, die sich wohl­tu­end aus­wirkt – auf die eige­ne Per­son, Kin­der, Enkel und Freunde.

Gigantische Lebenszeitverschwendung

In Anbe­tracht der zahl­rei­chen nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen die­ses Medi­ums ist Abschaf­fung des TVs am kon­se­quen­tes­ten und fol­ge­rich­tigs­ten. Wie aus­ge­führt, sorgt fern­se­hen bei Erwach­se­nen für “Gehirn­ver­flüs­si­gung”, um es böse aus­zu­drü­cken. Bei Kin­dern für Ent­wick­lungs­stö­run­gen, die oft nicht mehr auf­zu­ho­len sind. Aus­ser­dem ist der Fern­se­her, kurz gesagt, ein­fach nur ein effi­zi­en­tes Wer­be­me­di­um für zumeist unnö­ti­ge Pro­duk­te. Und es wirkt, wie die schwer­ge­wich­ti­gen auf­ge­zeig­ten Pro­ble­me bele­gen. Was kann dabei auch her­aus­kom­men, wenn älte­re Men­schen stun­den­lang bewe­gungs­los vor dem Bild­schirm sit­zen oder lie­gen? Sie wer­den pas­siv “belebt”, anstatt am Leben aktiv teil­zu­ha­ben. Dies kann poli­tisch durch­aus gewollt sein oder der Alten­pfle­ge Kos­ten spa­ren. Fern­se­hen ist eben bil­li­ger als beru­hi­gen­de Medi­ka­men­te (3S-Pfle­ge: satt, sau­ber, still). Die Alten wer­den vor dem Fern­se­her ruhig gestellt (und ster­ben frü­her). Umso bes­ser, denn so for­dern die Alten wenigs­tens den ihnen gebüh­ren­den Platz in der Gesell­schaft nicht mehr ein. Auch bei jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen könn­te sich die Abschaf­fung des Fern­se­hens durch­aus als bedenk­lich erwei­sen: Wenn Men­schen anfan­gen, wie­der selbst zu den­ken, könn­ten sie auch Zeit haben, sich für eine bes­se­re, gerech­te­re und gesün­de­re Welt ein­zu­set­zen – und wer will das denn …?

Autorin
• Mari­on Kaden, natür­lich leben (2013).
Quel­len
[1] Gold­field GS et al: Screen vie­w­ing and dia­be­tes risk fac­tors in over­weight and obe­se ado­le­s­cents. Am J Prev Med. 2013 Apr; 44(4 Sup­pl 4): S. 364–70.
[2] Han­cox RJ et al: Asso­cia­ti­on bet­ween child and ado­le­s­cent tele­vi­si­on vie­w­ing and adult health: a lon­gi­tu­di­nal birth cohort stu­dy. Lan­cet. 2004 Jul; 17–23;364(9430):257–62.
[3] Sis­son SB et al: Tele­­vi­­si­on-vie­­w­ing time and die­ta­ry qua­li­ty among U.S. child­ren and adults. Am J Prev Med. 2012 Aug;43(2):196–200.
[4] Qi Q et al: Tele­vi­si­on wat­ching, lei­su­re time phy­si­cal acti­vi­ty, and the gene­tic pre­dis­po­si­ti­on in rela­ti­on to body mass index in women and men. Cir­cu­la­ti­on. 2012 Oct 9;126(15):1821–7.
[5] Fogel J, Carlson MC: Soap operas and talk shows on tele­vi­si­on are asso­cia­ted with poorer cogni­ti­on in older women. South Med J. 2006 Mar;99(3):226–33.
[6] Muen­ning P et al: Do the psy­cho­so­cial risks asso­cia­ted with tele­vi­si­on vie­w­ing increase mor­ta­li­ty? Evi­dence from the 2008 Gene­ral Social Sur­­vey-Natio­nal Death Index data­set. Ann Epi­de­mi­ol. 2013 Jun;23(6):355–60.
[7] Spit­zer Man­fred: Digi­ta­le Demenz. Wie wir unse­re Kin­der um den Ver­stand brin­gen. Droe­mer Ver­lag. 2012.
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