Vegetarier leben länger und sind weniger krank

Ein Apfel pro Tag

Anfang Juli 2013 wur­den die Ergeb­nis­se der 2. “Sie­ben-Tage-Adven­tis­ten-Gesund­heits­stu­die 2” (Adven­tist Health Stu­dy 2, AHS‑2) ver­öf­fent­licht [1]. Sie hat­te schon im Vor­feld für inter­es­san­te Ergeb­nis­se gesorgt. Das Beson­de­re: Mit über 96.000 teil­neh­men­den Adven­tis­ten aus Ame­ri­ka und Kana­da (Aus­wer­tung: 73.308) war die Stu­die eine der bis­her welt­weit größ­ten Unter­su­chun­gen zu Fra­gen der Ernäh­rung und Gesund­heits­ver­hal­ten. Auch ohne die Gesund­heits­stu­die erregt der Lebens­stil der ame­ri­ka­ni­schen Adven­tis­ten immer wie­der wis­sen­schaft­li­ches Inter­es­se. Denn die meis­ten Mit­glie­der der ame­ri­ka­nisch-pro­tes­tan­ti­schen Frei­kir­che rau­chen grund­sätz­lich nicht, trin­ken ent­we­der gar kei­nen oder nur sehr wenig Alko­hol. Über die Hälf­te der Adven­tis­ten lebt zudem vege­ta­risch. Letz­te­re trei­ben – die Grün­de sind nicht bekannt – aus­ser­dem über­durch­schnitt­lich viel Sport. Die AHS-2-Stu­die basier­te auf Befra­gung (umfang­rei­che Fra­ge­bö­gen) von ver­schie­de­nen Adven­tis­ten-Grup­pen und genau­en Unter­su­chun­gen (Blut­wer­te, Gewicht, Fett­an­teil­mes­sung etc.). Unter­schie­den wur­den die Grup­pen (sie­he Kas­ten) der Nicht-Vege­ta­ri­er (35.359), Men­schen, die sel­ten Fleisch essen (4.031), Pesce­tari­er (7.194), Lak­to-Ovo-Vege­ga­ri­er (21.177) und Vega­ner (5.548).

Ergebnisse:

Die wesent­li­chen, jetzt ver­öf­fent­lich­ten Ergeb­nis­se der Gesund­heits­stu­die 2:

* Vege­ta­ri­er haben ins­ge­samt einen “gesün­de­ren” Lebens­stil: Sie essen mehr Früch­te, Gemü­se, bevor­zu­gen Nah­rungs­mit­tel mit nied­ri­gem glyk­ämischen Index (Hül­sen­früch­te, Nüs­se). Sie neh­men weni­ger gesät­tig­te Fett­säu­ren zu sich. Außer­dem sehen sie weni­ger fern und schla­fen mehr Stun­den pro Nacht.

* Vege­ta­ri­er sind sel­te­ner über­ge­wich­tig – sie haben einen deut­lich nied­ri­ge­ren Body-Mass-Index (BMI) als Fleischesser.

* Das Dia­be­tes-Risi­ko von Vega­nern und Lak­to-Ovo-Vege­ta­ri­ern ist halb so hoch wie das von Fleischessern.

* Vega­ner hat­ten im Ver­gleich zu Fleisch­essern ein 50 Pro­zent nied­ri­ge­res, Lak­to-Ovo-Vege­ta­ri­er ein etwa 15 Pro­zent nied­ri­ge­res Blut­hoch­druck-Risi­ko. Auch das Erkran­kungs­ri­si­ko bei ande­ren Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen, Dia­be­tes mel­li­tus Typ 2 oder meta­bo­li­schem Syn­drom ist deut­lich geringer.

* Bei Lak­to-Ovo-Vege­ta­ri­ern zeig­te sich ein gering­fü­gig ver­rin­ger­tes Gesamt-Krebs­ri­si­ko (minus sie­ben Pro­zent) gegen­über Nicht-Vege­ta­ri­ern. Bei Tumo­ren des Ver­dau­ungs­trakts lag das Risi­ko von Lak­to-Ovo-Vege­ta­ri­ern sogar um 24 Pro­zent niedriger.

* Vega­ner wie­sen ein um 16 Pro­zent nied­ri­ge­res Risi­ko für alle Krebs­ar­ten auf und ein 34 Pro­zent nied­ri­ge­res Risi­ko für frau­en­spe­zi­fi­sche Krebsarten.

* Bei vege­ta­risch leben­den Frau­en wur­de eine mitt­le­re Lebens­ver­län­ge­rung von 9,1 Jah­ren, bei vege­ta­ri­schen Män­nern von bis zu 6,5 Jah­ren erfasst.

Zusammenfassung:

Die Daten der Stu­die zei­gen, dass Vege­ta­ri­er im Durch­schnitt schlan­ker und weni­ger von ver­schie­de­nen Zivi­li­sa­ti­ons­er­kran­kun­gen betrof­fen sind. Zwar schützt Vege­ta­ris­mus nicht grund­sätz­lich vor dem Auf­tre­ten von Krebs. Vege­ta­ri­ern wird jedoch durch ihre Lebens­wei­se ein deut­lich nied­ri­ge­res Krebs­ri­si­ko – vor allem Vege­ta­rie­rin­nen das gerin­ge­re Auf­tre­ten frau­en­spe­zi­fi­schen Krebs­ar­ten beschei­nigt. Beein­dru­ckend ist die erheb­li­che Lebens­ver­län­ge­rung bei vege­ta­ri­scher Lebensweise.

Vegetarier sind nicht gleich Vegetarier

Als Vege­ta­rie­rer wer­den Men­schen bezeich­net, die den Ver­zehr von Fleisch (Warm­blüt­ler) kom­plett ableh­nen. Statt des­sen wäh­len sie vor­wie­gend pflanz­li­che Nah­rung. Zum Teil wer­den auch Pro­duk­te von Tie­ren akzep­tiert. Gän­gi­ge Unter­schei­dun­gen:Ovo-Lac­­to-Vege­­ta­ri­er essen Eier und Milchprodukte

Ovo-Vege­­ta­ri­er essen Eier

Lac­­to-Vege­­ta­ri­er essen Milch­pro­duk­teVega­ner ver­zich­ten kom­plett auf den Ver­zehr von Nah­rungs­mit­tel tie­ri­schen Ursprungs

Zentrale Frage bleibt unbeantwortet

Gemü­se­pa­pri­ka

Natür­lich wur­de die AHS-2-Stu­die auch von Kri­ti­kern unter die Lupe genom­men. Die Ergeb­nis­se der gro­ßen epi­de­mio­lo­gi­schen Unter­su­chung stüt­zen die Aus­sa­gen klei­ner Inter­ven­ti­ons­stu­di­en. Die­se konn­ten in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten mehr­fach zei­gen, dass vege­ta­ri­sche Ernäh­rung eine Viel­zahl von Gesund­heits­ri­si­ken posi­tiv beein­flusst. Ein schluss­end­li­cher Beweis, dass Vege­ta­ris­mus die Ursa­che für einen bes­se­ren Gesund­heits­sta­tus und eine ver­län­ger­te Lebens­er­war­tung ist, kann eine Stu­die die­ser Art metho­den­be­dingt nicht erbrin­gen, so die Kri­ti­ker. Ob also tat­säch­lich Vege­ta­ris­mus die Ursa­che der beob­ach­te­ten sta­tis­ti­schen Asso­zia­tio­nen ist, bleibt wei­ter­hin unklar. Natur­heil­kund­lich arbei­ten­de Ärz­te oder The­ra­peu­ten sehen einen ursäch­li­chen Zusam­men­hang jedoch als gege­ben an. Sie ver­mu­ten tief­grei­fen­de, gesund­heits­för­dern­de Ver­än­de­run­gen im gesam­ten Stoff­wech­sel durch den weit­ge­hen­den Ver­zicht auf tie­ri­sche Lebens­mit­tel. Schon Lebens­re­for­mer wie bei­spiels­wei­se Alfred Vogel oder Maxi­mi­li­an Oskar Bir­cher-Ben­ner hat­ten viel­fäl­ti­ge gesund­heit­li­che Vor­tei­le durch Roh­kost oder natür­lich auf­be­rei­te­te Nah­rungs­mit­tel beob­ach­tet (Ver­zicht auf Indus­trie­zu­cker, Weiss­mehl, Fleisch) und sol­che Ernäh­rungs­wei­sen propagiert.

Bei der Suche nach den Ursa­chen wer­den sicher­lich auch noch wei­te­re Para­me­ter mit berück­sich­tigt wer­den müs­sen. So die grund­sätz­lich “gesün­de­re Lebens­hal­tung” (Ver­zicht auf Ziga­ret­ten, mehr Bewe­gung) von Vege­ta­ri­ern wie auch ihre spi­ri­tu­el­le Aus­rich­tung. Denn Vege­ta­ris­mus basiert auf brei­ter ange­leg­ten, ideo­lo­gi­schen Grund­la­gen. Er ist in vie­len Tei­len der Welt mit reli­gi­ös-spi­ri­tu­el­len und/​oder mora­lisch-ethi­schen Vor­stel­lun­gen ver­knüpft: So leh­nen Vege­ta­ri­er das Töten und Ver­zeh­ren von Tie­ren gene­rell ab, weil Tie­re ein Teil der Schöp­fung sind. Des­halb waren die Vege­ta­ri­er schon zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts auch Teil der lebens­re­for­me­ri­schen Bewe­gung. Sie wand­ten sich in Euro­pa wie in den USA gegen die Indus­tria­li­sie­rung in der Nah­rungs­mit­tel­her­stel­lung und ins­be­son­de­re auch gegen die auf­kom­men­de Mas­sen­tier­hal­tung und ‑schlach­tung (z. B. rie­si­ge Schlacht­hof­an­la­gen in Chi­ca­go). Mas­sen­tier­hal­tung leh­nen Vege­ta­ri­er als nicht art­ge­recht und unnö­tig ab. Sie ver­wei­sen zudem auf die mitt­ler­wei­le welt­weit auf­tre­ten­den öko­lo­gi­schen Pro­ble­me durch die­se Anla­gen, weil die­se z. B. mit hohem Ener­gie­auf­wand betrie­be­nen wer­den müs­sen. Vege­ta­ri­er sehen in der mas­sen­wei­sen Ver­füt­te­rung von pflanz­li­cher und damit auch mensch­li­cher Nah­rung gros­se Pro­ble­me für die Ernäh­rung der Welt­be­völ­ke­rung. Sie machen unter ande­rem die Mas­sen­tier­hal­tung für den Hun­ger und die fort­schrei­ten­de Ver­ar­mung von Men­schen in der soge­nann­ten drit­ten Welt mit ver­ant­wort­lich. Eben­so sehen Vege­ta­ri­er Aus­wir­kun­gen auf das welt­wei­te Kli­ma durch die ste­tig anstei­gen­de, mas­sen­haf­te Fleisch­pro­duk­ti­on: Denn Kühe pro­du­zie­ren beim Gras­fres­sen das Methan-Gas, wel­ches nicht abge­baut wer­den kann, in die Ozon­schicht gelangt und die­se zerstört.

Die­se Argu­men­te sind die gän­gigs­ten, wobei zahl­rei­che, ideo­lo­gi­sche Unter­schie­de inner­halb der Grup­pie­run­gen von Vege­ta­ri­ern hier unbe­rück­sich­tigt blei­ben müs­sen. Nur ein Bei­spiel: Die Vega­ner leh­nen z. B. nicht nur den Fleisch­ver­zehr ab, son­dern auch den Kon­sum sämt­li­cher tie­ri­scher Pro­duk­te gene­rell, wozu auch z. B. Milch­pro­duk­te, Honig oder Klei­dung (Leder, Pel­ze, Wol­le) gehören.

Ein persönlicher Weg

Rote Bee­te

Wer als Erwach­se­ner anfängt, sich mit Vege­ta­ris­mus aus­ein­an­der zu set­zen, wird bald auf die ideo­lo­gi­schen Unter­schie­de sto­ßen – auch mit Hil­fe der Lite­ra­tur oder im Bekann­ten­kreis. Die meis­ten Men­schen begin­nen aller­dings nicht theo­re­tisch, son­dern aus per­sön­li­cher Betrof­fen­heit: Man­che kom­men ins Grü­beln, nach­dem sie eine fil­mi­sche Doku­men­ta­ti­on über indus­tri­el­le Fleisch­pro­duk­ti­on gese­hen haben und das Gese­he­ne nicht mehr mit ihren eige­nen Vor­stel­lung ver­ein­ba­ren kön­nen. Auch die regel­mä­ßig auf­tre­ten­den Fleisch­skan­da­le, per­sön­li­cher Ekel, Wider­wil­le kön­nen Aus­lö­ser für die Suche nach fleisch­lo­sen Alter­na­ti­ven sein – oder der Wunsch nach­hal­tig etwas für sich und die Mit­ge­schöp­fe zu tun.

Fleisch­lo­se Zei­ten ein­zu­läu­ten, wird erleich­tert durch einen per­sön­li­chen Beschluss wie auch den Wil­len, Ver­än­de­run­gen vor­zu­neh­men. Das eige­ne Tem­pe­ra­ment oder die per­sön­li­che Her­an­ge­hens­wei­se wird immer eine Rol­le spie­len. Manch­mal kann sich die Umstel­lung als etwas müh­sam erwei­sen. Denn die meis­ten Kan­ti­nen, Restau­rants oder auch Essen bei Freun­den sind fleisch­las­tig. Der Ein­stieg in den Vege­ta­ris­mus kann als Aus­gren­zung von den Ande­ren wahr­ge­nom­men wer­den oder das Bestehen auf die “Nicht-Extra-Wurst” als anstren­gend. Man­che Mit­men­schen brin­gen Vege­ta­ri­ern wenig Ver­ständ­nis ent­ge­gen. Mit­ge­brach­te Sala­te wer­den belä­chelt oder wenig fein­füh­lig kom­men­tiert. Somit sind ange­hen­de Vege­ta­ri­er nicht nur mit den eige­nen Bar­rie­ren im Kopf (nur Salat und Koh­len­hy­dra­te machen nicht satt) kon­fron­tiert, son­dern mit den Vor­ur­tei­len der Fleisch­esser (Vege­ta­ri­er sind man­gel­er­nährt und des­halb nicht leis­tungs­fä­hig). Da hilft nur: Sich nicht beir­ren las­sen und am bes­ten Zustim­mung durch Gleich­ge­sinn­te zu suchen.

Die Umstel­lung auf eine fleisch­lo­se Ernäh­rung geht mit dem Bre­chen alter, lieb­ge­wor­de­ner Gewohn­hei­ten ein­her. Eine bewuss­te Aus­ein­an­der­set­zung mit sich selbst eben­falls. Fra­gen wie: “Was esse ich wirk­lich ger­ne und was macht mich satt?” sind hilf­reich oder die Ent­de­ckung, mit welch’ Unnö­ti­gem oder gar nicht Lecke­rem man sich vor­her gewohn­heits­mäs­sig voll­ge­stopft hat. Vie­le Gerich­te schme­cken ohne Fleisch oder sind tra­di­tio­nell fleisch­los. Auch die Ver­wen­dung fri­scher Zuta­ten (kei­ne Tief­kühl­kost, kei­ne Fer­tig­nah­rung) ist geeig­net. Denn sie haben einen tol­len Eigen­ge­schmack und geschmacks­an­rei­che­ren­de Aro­men – die Zube­rei­tung kann bei vege­ta­risch aus­ge­rich­te­ten Koch­kur­sen erlernt wer­den. Wenn sich eine Gewichts­re­duk­ti­on ein­stellt, oder die Umstel­lung sich als gar nicht so schwie­rig erweist, sind die meis­ten inne­ren Hür­den genom­men. Und: Nie­man­dem nützt, zu Beginn die Mess­lat­te zu hoch zu hän­gen. Der Weg ist das Ziel. Und: Wider­sprü­che, wie das Hal­ten von Kar­ni­vo­ren kön­nen spä­ter noch ange­packt werden.

Vegetarier sind nicht leistungsfähig

Die­sem Vor­ur­teil begeg­net die Östrei­che­rin Dr. Katha­ri­na Wir­nit­zer. Die Sport­wis­sen­schaft­le­rin und Extrem­sport­le­rin, beschäf­tigt sich seit vie­len Jah­ren mit der Leis­tungs­fä­hig­keit von Vege­ta­ri­ern, die Sport trei­ben. Auch Extrem­sport­ar­ten wie das Moun­tain­bike Mara­thon (MTB) in den Alpen unter vega­ner Ernäh­rung hat sie in ver­schie­de­nen Arbei­ten unter­sucht. Selbst beim MTB, wel­ches phy­sio­lo­gisch sehr anspruchs­voll und schwer ist, zeig­te sich: Vega­ner kön­nen in jeder Etap­pe des Ren­nens mit­hal­ten [2].

Autorin
• Mari­on Kaden, (2013).
Quel­len
[1] Fraser GE et al: Vege­ta­ri­an die­ta­ry pat­terns and mor­ta­li­ty in Adven­tist Health Stu­dy 2. JAMA Intern Med. 2013; Jul 8; 173(13); 1230–8.
[2] Wir­nit­zer KC, Korn­exl E: Exer­cise inten­si­ty during an 8‑day moun­tain bike mara­thon race. Eur J Appl Phy­si­ol. 2008 Dec;104(6):999‑1005.

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