Die blaue Agave (Agave tequilana Weber var. Azul) ist ein wichtiger Lieferant von Inulin. Inulin, ein Zuckeraustauschstoff oder Präbiotikum, macht die menschlichen Darmbakterien glücklich, unterstützt dem Immunssystem und hat noch viele andere positive Eigenschaften. Nicht zuletzt: Es hilft beim Abnehmen.
“Die Agave ist ein Wunderbaum!”, fasste der spanische Chronist José de Acosta zusammen, als er 1556 die Kunde dieser Pflanze nach Europa brachte [1]. Er meinte damit nicht nur die dekorative Schönheit, sondern die zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten, die die Indianer der Hochplateaus Mexikos entwickelt hatten. Quasi alles war von den Agaven verwendbar: Sie lieferten Baumaterial, den Rohstoff für Matten, Körben, Werkzeugen und sogar Teile für die Musikinstrumente. Die Blätter und die “Köpfe” (cabezas) waren Nahrungsmittel für Menschen und Tiere und natürlich Grundlage für das alkoholische Getränk Pulque. Dieses lernten die Spanier kennen, und da sie über die Technik der Destillation verfügten, brauten sie Tequila – den weltberühmt gewordenen Agavenschnaps.
Agaven und ihre wirtschaftliche Bedeutung heute:
Agaven sind Rohstofflieferanten für die Herstellung von Tequila, Inulin und Agavendicksaft. Seit Neuestem lassen einige Firmen aus der Agaven-Verarbeitung nicht mehr zu verwendende Rohstoffreste zu Biogas umwandeln.
Inulin – ein natürliches Nahrungsergänzungsmittel
Echt ist Tequila nur, wenn er mindestens aus 51 Prozent aus der blauen Agave (Agave tequilana Weber var. Azul) besteht, so legt ein mexikanisches Gesetz fest (Consejo Regulador del Tequila). Auch in modernen Zeiten zeigt die blaue Agave sich vielseitig: Sie ist unter anderem Lieferantin für Inulin. Das ist ein Gemisch aus Mehrfachzuckern (Polysacchariden), die aus Fruchtzucker-Ketten (Fructose) bestehen. In der Natur sind Inuline Speicherkohlenhydrate, die als Energie-Reservestoffe von der Pflanze entwickelt werden. Im Falle der blauen Agave werden sie aus dem “Kopf” gewonnen, der sich unterhalb der Rosette im Laufe von sieben Jahren entwickelt. Inulin wird heute gerne von der Lebensmittelindustrie eingesetzt: Als weißes, fein vermahlenes Pulver wird es als Fett- oder Zuckeraustauschstoff verwendet.
Entdeckung des Inulins oder der Alantstärke
Inuline werden auch von anderen Pflanzen in den Wurzeln entwickelt, so von Artischocken, Löwenzahn, Alant oder Gemüsearten wie Topinambur, Chicorée oder Schwarzwurzeln. Das Inulin wurde ursprünglich als Alantstärke (Alantin) bekannt. Seinen Namen erhielt das weiße Pulver vom Apotheker Valentin Rose (1762–1807), der es erstmals aus der Wurzel des Alants (Inula helenium) herstellte [2].
Präbiotikum Inulin
Inulin ist jedoch nicht nur ein Zuckeraustausstoff, sondern ein Präbiotikum. Präbiotika sind nicht verdauliche Lebensmittelbestandteile für Bakterienarten im Dickdarm. Durch eine erhöhte Inulin-Zufuhr (bzw. von anderen Ballaststoffen) im Darm können sich bestimmte Bakterienstämme (Bifidobakterien) oder andere für uns besonders nützliche Mikroorganismen besser ausbreiten. Dies trägt wesentlich zu einer guten, die Gesundheit fördernde Darmflora bei (siehe Kasten), in der es z. B. Krankheitserreger schwerer haben, stellten Wissenschaftler fest [3]. Außerdem fördert Inulin eine verbesserte Aufnahme von Nähr- und Mineralstoffen (z. B. Kalzium, Magnesium) oder sorgt für eine schnellere Darmentleerung (weniger Verstopfung) [4]. Wissenschaftler des Human-Mikrobiom-Projekts (engl. Human Microbiome Project = HMP), einem großen, internationalen Forschungs-Projekt zur Entdeckung aller Mikroorganismen, die in und auf uns leben, haben kürzlich festgestellt: Es gibt allein im menschlichen Darm mindestens 1.200 unterschiedliche Bakterienstämme. Obwohl die Mikrobiomforschung erst an ihrem Anfang steht, ist jetzt schon klar, dass viele zentrale Funktionen im Organismus eng mit unseren Bakterien verknüpft sind (Abwehr, Stoffwechselsteuerung, Gewichtskontrolle, seelische Funktionen).
Darmflora
Der menschliche Magen-Darmtrakt ist von etwa 1.200 verschiedenen Bakterienstämmen besiedelt. Die Gesamtbakterienzahl im Körper übersteigt das 10-fache der Anzahl der menschlichen Körperzellen, fanden nun Wissenschaftler heraus. Die Gesamtheit aller vorkommenden Bakterienstämme (Mikroorganismen) in Dünn- und Dickdarm wird als Darmflora bezeichnet. Zur Anschauung: Bei einem gesunden, erwachsenen Menschen machen beispielsweise die Bakterien, die alleine den Dickdarm beleben, drei Kilo seines gesamten Körpergewichts aus. Eine gesunde Darmflora ist Grundlage für die Abwehrfunktionen des Körpers (“Immunsystem”). Störungen des bakteriellen Lebens im Darm (“Dysbiose”) erhöhen zum Beispiel die Gefahr von Infektionskrankheiten und anderen Erkrankungen. Eine Störung neben vielen anderen kann z.B. eine Antibiotika-Behandlung sein. Sie tötet viele Darmbakterien ab. Die Darmflora kann bis zu sechs Monaten nach einer Behandlung benötigen, um ihr Gleichgewicht wieder herzustellen. Mehr Informationen.
Ernährungswandel und die gesundheitlichen Folgen
Übergewicht ist nicht nur ein Figurproblem, sondern macht auch langfristig krank: Herzkreislauf-Erkrankungen (Arteriosklerose, Bluthochdruck), Diabetes, Gelenkprobleme können entstehen. Übergewicht wird neben Rauchen als wichtigster vermeidbarer Risikofaktor für Krebs-Entstehung eingeschätzt. Gerne wird darauf verwiesen, dass eine zu hohe Nahrungsaufnahme und zu wenig Bewegung Schuld an der Entstehung von Übergewicht sind. Doch tatsächlich sind die Gründe wesentlich vielfältiger: Spezielle Infektionen, Giftstoff Zucker, Stress, Schlaflosigkeit, andauernde Überbelastung, Schädigung der Darmflora, steigender Fernseh- und Medienkonsum [5] können Übergewicht verursachen – und auch, wie erwähnt, eine ballaststoffarme Ernährung.
Welche Bedeutung die Darmflora für das Übergewicht hat, wurde erst im Rahmen des Humanmikrobiomprojekts deutlicher: Die Bakterien im Darm der Menschen erleiden aufgrund der ballaststoffarmen Ernährung Hunger! Nun bevölkern Bakterien die Erde schon viel länger als wir Menschen. Und können – um ihr Überleben trickreich zu sichern – über Signalstoffe und Nervenverbindungen ans menschliche Gehirn melden: “Wir sind hungrig und brauchen mehr Nahrung!” Unser Gehirn reagiert sofort, erzeugt Hunger oder Appetit – der auch gestillt wird. Doch aufgrund der weiterhin ballaststoffarmen Ernährung bleiben die Bakterien weiter hungrig – ein dick machender Teufelskreislauf ist perfekt.
Übergewichts-Epidemie
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Ernährungsweise der Menschen sehr verändert. So war früher der Ballaststoff-Anteil wesentlich höher als heute. Das heißt: Gemüse, Obst und wenig verarbeitete Getreide wurden häufiger und mehr gegessen. Die moderne Ernährung enthält hingegen viel weniger Ballaststoffe, dafür werden viele Produkte mit hohem Fleisch‑, Fett‑, Zucker‑, Milch‑, Eier oder Weißmehl-Anteilen verzehrt. Der Wandel in der Ernährung hat schwerwiegende Folgen: Laut der zweiten Nationalen Verzehrsstudie sind zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen übergewichtig. Jeder fünfte Mensch ist in Deutschland fettleibig (stark übergewichtig) [6]. Besorgniserregend ist nicht nur der weitere Gewichts-Aufwärtstrend in der deutschen Bevölkerung, sondern auch, dass immer mehr Jugendliche und Kinder übergewichtig sind. Wegen des weltweiten Phänomens und seiner infektionsartigen Ausbreitung sprechen Wissenschaftler von einer Übergewichts-Epidemie.
Unterbrechen des Teufelskreises mit Inulin
Eine komplette Nahrungsumstellung könnte helfen. Vegetarier beispielsweise kommen durch ihre fleischlose Ernährung auf die täglich empfohlenen 40 Gramm Ballaststoffe. Solche radikalen Umstellungen erscheinen vielen Menschen aber kaum umsetzbar. Der Teufelskreis kann auch durch die tägliche Einnahme von Inulin unterbrochen werden: Schon eine Inulingabe von nur wenigen Gramm täglich sättigt die Darmbakterien so sehr, dass sie keine Hungersignale mehr ans Gehirn senden. Zudem zeigen verschiedene Studien, dass Inulin als Fettersatz auch das Sättigungsgefühl beim Menschen erhöht – bei ansonsten gleich zusammen gesetzter Nahrung [7]. Die Einnahme von Inulin wirkt sich entsprechend positiv auch auf das Körpergewicht aus: Bei einer Studie aus Kanada fanden Wissenschaftler beispielsweise heraus, dass Inulin bei übergewichtigen Menschen zu einem Gewichtsverlust führen [8]. Als Ursache werden vorteilhafte Auswirkungen auf das Hungerhormon angenommen [9]. Inulin in Kapselform.
Zahlen und Fakten rund um die blaue Agave
- Die Agave tequilana Weber wächst eigentlich in allen Regionen Mexikos. Die Rohstoffe zur Herstellung des Tequilas müssen jedoch aus der “Original-Tequila-Region” (Área de Denominación de Origen del Tequila) stammen. Es sind die Bundesstaaten rund um Jalisco, sechs aus der Region von Guanajuato, sechs aus der Region Nayarit, elf in Tamaulipas und neunundzwanzig des Bundesstaates Michoacan. Aus diesen Regionen stammt jedoch nicht nur der Tequila-Rohstoff, sondern auch der Rohstoff für Inulin und die Agaven-Sirup-Produktion.
- 2014 wurden 235.2 Millionen Liter 40%iger Tequila für den Export hergestellt und 264.000 Tonnen für Inulin.
- Um 1 Kilo Inulin zu produzieren werden 5,5 Kilos von den Agaven-Köpfen (74 Grad Brix Flüssigkeitsdichte) benötigt.
- Produktion Inulin: Der Agaven-Saft enthält weitaus mehr Inulin als andere Pflanzen. Durch einen Entwässerungsprozess wird aus dem Saft hochkonzentriertes Inulin gewonnen.
- Die blauen Agaven werden auch in hohem Maße von Kleinbauern produziert.
- Seit Neuestem werden die Abfälle der Industrieprodukte von einigen Firmen rund um die Tequlia‑, Sirup‑, und Inulin-Produktion auch zu Biogas verarbeitet. Geplant ist auch eine zukünftige Verarbeitung zu Bioethanol also Biokraftstoff [10].
Botanisches:
Die blaue Agave (Agave tequilana Weber var. Azul) gehört zur Familie der Spargelgewächse (Asparagales) und zur Gattung der Agaven (Agavaeae). Die Art Agave tequilana Weber var. Azul wurde 1902 von Frédéric Albert Constantin Weber erstmals beschrieben [11]. Die blaue Agave gehört, wie ihre Verwandten, zur Gruppe der Sukkulenten (sukkulent=flüssigkeitsreiches Gewebe. Pflanzen, die in besonders trockenen Regionen die Fähigkeit entwickelt haben Feuchtigkeit zu speichern, um zu überleben). Sie wächst am besten in Höhenlagen von 1.200 bis 2.400 Metern.
Die blauen Agaven haben einen sehr kurzen Stamm, darauf bildet sich eine strahlenförmige Rosette, die einen Durchmesser von zwei Metern erreichen kann. Die Blätter sind dick und fleischig, starr von der Rosette ausgehend. Sie sind unten dicker, laufen immer dünner werdend aus und enden mit einem spitzen “Dorn”. Einmal in ihrem Leben entwickelt jede Pflanze eine Blüte. Bei der Austreibung der Blüte wird deutlich, warum diese Agavenart zu den Spargelgewächsen gehört: Sie sieht genauso aus wie ein riesiger Spargel. Am oberen Ende bilden sich dann röhrenförmige Blüten aus. Nach der Blüte stirbt die Pflanze.
Autorin
• Marion Kaden, MultiMedVision Berliner Medizinredaktion (2015).
Quellen
[1] Richter I: Die Gattung Agave. Geschichte, Systematik, Kultur. Ausgabe “Associatione Italiana Amatori delle piante Succulente”. Rom, 2011.
[2] Schwedt G: Zuckersüße Chemie. Wiley-VCH Verlag, Weinheim, 2010.
[Parnell] Parnell JA, Reimer RA: Weight loss during oligofructose supplementaion is associated with dereased ghrelin and increased peptide YY in overweigth an obese adults. Am J Clin Nutr. 2009 Jun;89(6):1751–9.
[3] Koula-Jenik H, Kraft M, Miko M, Schulz R‑J: Leitfaden Ernährungsmedizin. Urban & Fischer, München, 2006.
[4] Hänsel R, Sticher O: Pharmakognosie, Phytopharmazie. Springer Verlag (9. Auflage), Heidelberg, 2010.
[5] Bubenzer RH, Hirschler M: Abnehmen mit iFasten. multiMEDvision Verlag, Berlin, 2015.
[6] https://www.was-esse-ich.de/uploads/media/NVSII_Abschlussbericht_Teil_2.pdf
[7] Archer BJ, Johnson SK, Devereux HM, Baxter AL: Effect of fat replacement by inulin or lupin-kernel fibre on sausage patty acceptability, post-meal perceptions of satiety and food intake in men. Br J Nutr. 2004 Apr;91(4):591–9.
[8] Parnell JA, Reimer RA: Weight loss during oligofructose supplementation is associated with decreased ghrelin and increased peptide YY in overweight and obese adults. Am J Clin Nutr. 2009 Jun;89(6):1751–9.
[9] Dewulf EM et al: Insight into the prebiotic concept: lessons from an exploratory, double blind intervention study with inulin-type fructans in obese women. Gut. 2013 Aug;62(8):1112–21.
[10] Zahlen und Fakten: Erhalten von Dr. Remigio Madrigal Lugo, Profesor Investigador, Universidad Autónoma Chapingo, Mexiko, 2015.
[11] Weber, Frederic Albert Constantin: Bulletin du Muséum d’Histoire Naturelle,1902, 8(3): 220–223.
weitere Infos
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