Viele Arzneikräuter, die in Deutschland zu Heilzwecken dienen, sind in den letzten Jahren, obwohl sie bei uns wild wachsen, aus dem Auslande bezogen worden. Diese Abhängigkeit vom Auslande und die Abwanderung nicht unerheblicher Geldmittel, die für den Ankauf der Ware aufgewendet wurden, nach auswärts hätten sich vermeiden lassen, wenn das Kräutersammeln in der Heimat, das in früheren Zeiten fast allgemein üblich war, nicht sehr nachgelassen hätte. Es erscheint geboten und als vaterländische Pflicht, zur alten Gewohnheit zurückzukehren und das Einsammeln der Arzneipflanzen in Deutschland wieder aufzunehmen.
Diesem Zweck will das vorliegende Büchlein dienen. In ihm sind die vom Kaiserlichen Gesundheitsamt herausgegebenen Arzneipflanzen-Merkblätter zusammengestellt; sie sollen dazu beitragen, in den weitesten Kreisen des Volkes die Kenntnis der wichtigsten wild wachsenden Kräuter, denen seit altersher heilkräftige Wirkungen zugeschrieben werden, zu verbreiten. Aus ihnen ist zu ersehen, welche Teile der einzelnen Pflanzen gesammelt und wie sie zweckmäßig getrocknet werden.
Um zu verhüten, daß die mit Lust und Fleiß gesammelte und sachgemäß getrocknete Ware schließlich nicht Absatz findet, bedarf es besonderer Einrichtungen. Denn es ist nicht Hauptzweck der Arzneipflanzen-Merkblätter, das Sammeln der Kräuter und Wurzeln für den Gebrauch im eigenen Haushalt herbeizuführen, es sollen vielmehr die gesammelten und getrockneten Pflanzenteile in erster Linie dem Großdrogenhandel zugängig gemacht werden, damit dieser seine Abnehmer, die Apotheker und anderen Arzneimittelhändler mit den notwendigen Waren versehen kann und den Überschuß zur Deckung sonstigen Bedarfs verwendet.
Bevor mit dem Sammeln begonnen wird, wird es deshalb nötig sein, daß ein Lehrer oder Apotheker, oder wer sich sonst mit der Einrichtung einer Ablieferungsstelle für das Sammelgut befassen will, mit einer Großdrogenhandlung in Verbindung tritt, um von ihr die Abnahme der gesammelten und sachgemäß getrockneten Pflanzenteile zugesichert zu erhalten; dabei werden auch Abmachungen über die abzuliefernden Mengen und über die Preise, die den Sammlern in Aussicht gestellt werden können, zu treffen sein. Denn es ist nicht mehr als recht und billig, daß der Sammler von Arzneikräutern für seine Mühe auch eine dem Werte der Ware entsprechende Vergütung erhält.
Wenn in Gegenden, wo sich Gelegenheit bietet, in reichlichem Maße Arzneipflanzen zu sammeln, eine Regelung des Absatzes der Ware auf die erwähnte Weise nicht erreichbar ist, dann sind der “Reichsverband der Vereinigungen des Drogen- und Chemikalienfaches”, Geschäftsstelle in Berlin C 19, Neue Grünstraße 11, und die “Geschäftsstelle der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft” in Berlin-Dahlem, Königin-Luise-Straße 2–4, zur Vermittlung bereit.
Hat sich der Absatz für die Ware sichern lassen, dann muß für ausreichende Trockengelegenheit gesorgt werden (siehe Merkblatt 1); erst wenn auch diese Vorbedingung erfüllt ist, empfiehlt es sich, mit dem Sammeln zu beginnen. Es wird sich bald Herausstellen, daß in der einen Gegend nur das Sammeln dieser oder jener Arzneikräuter, in einer anderen wiederum nur das Sammeln anderer Arzneikräuter lohnend ist. Es sollten jeweils nur solche Arzneipflanzen gesammelt werden, die reichlich in der betreffenden Gegend Vorkommen und für die ein lohnender Absatz in sicherer Aussicht steht. Wo Arzneipflanzen nur vereinzelt anzutreffen sind, macht das Sammeln keine Freude; man soll dort die Fluren und Wälder nicht ihres Schmuckes durch diese wenigen Pflanzen berauben. Stets und überall muß strengstens darauf geachtet werden, Felder und Wälder, Äcker und Wiesen beim Suchen nach Arzneipflanzen zu schonen. Der wirtschaftliche Schaden, der dort durch Zerstörungen angerichtet wird, würde größer sein als der Nutzen, den man der Allgemeinheit durch das Sammeln der Arzneipflanzen bringen will.
Die Aufmunterung zum Sammeln von Arzneipflanzen ergeht zwar jetzt in Kriegszeiten; es soll aber diese Sammeltätigkeit nicht bloß als eine Kriegsmaßregel angesehen werden, vielmehr wäre es zu begrüßen, wenn sie wieder zu einer dauernden und lohnenden Beschäftigung für weitere Kreise der Bevölkerung würde. Insbesondere erscheint sie für solche Personen geeignet, die nur beschränkt arbeitsfähig sind und einen Nebenverdienst suchen.Die Abbildungen der Arzneipflanzen-Merkblätter Nr. 3, 5, 7, 13 sind dem “Lehrbuch der Botanik von Strasburger-Jost-Schenck-Karsten (Verlag von Gustav Fischer in Jena)” entnommen.
Das Sammeln von Arzneipflanzen
Wer Arzneipflanzen sammelt, hat zu beachten, daß die zu den Arzneizubereitungen dienenden Pflanzenteile den Heilstoff so reichlich und wirksam wie nur möglich enthalten sollen.
Bei jeder Pflanze kommt es daher darauf an, die günstigste Jahres- und Tageszeit zum Einsammeln zu benützen, den geeigneten Wachstumszustand zu wählen und Art und Weise der Ernte richtig zu treffen. Auch von dem Trocknungsverfahren hängt die Güte der Ware ab.Hinsichtlich der Jahreszeit des Sammelns gilt im allgemeinen, daß die Ernte dann erfolgen soll, wenn die Pflanze die aufgespeicherten Stoffe zur Erzeugung von neuen Trieben, Blättern, Blüten, Früchten und Samen noch nicht wieder verbraucht hat. Man wird daher Wurzeln und Wurzelstöcke im Herbst oder Frühjahr graben. Kräuter – man versteht im arzneilichen Sinne darunter die ganze oberirdische Pflanze – sammelt man im allgemeinen, wenn die Pflanze anfängt zu blühen, Blätter meist von den blühenden Pflanzen. Von manchen Arzneipflanzen sind nur die Stengel, von andern nur die Zweigspitzen verwendbar. Blüten sollen noch in jugendlichem, aber aufgeblähtem Zustande, stark riechende zur Zeit der eben aufspringenden Knospe gesammelt werden. Früchte und Samen soll man im Zustande der Reife ernten. In den Merkblättern finden sich für jede einzelne Pflanze die entsprechenden Angaben.
Die Tageszeit des Sammelns spielt bei unterirdischen Pflanzenteilen keine Rolle, sie ist dagegen bei oberirdischen von größter Wichtigkeit. Keinesfalls dürfen Arzneipflanzen in feuchtem Zustande, also mit Reif, Tau oder Regentropfen benetzt, gesammelt werden, weil sie sonst bei dem darauffolgenden Trocknen verderben. Im allgemeinen gilt die Regel, das Sammeln stets an trocknen, wenn möglich an sonnigen Tagen vorzunehmen. Manche Blüten lassen sich am besten am frühen Morgen, vor der Entfaltung der Blumenblätter abpflücken.
In jedem Falle sollen ausschließlich diejenigen Teile der Pflanze gesammelt werden, welche die wirksamen Bestandteile in größter Menge enthalten; wenn dies nur die Wurzeln oder nur die Blätter oder nur die Blüten sind, so sammelt man also nur diese Teile, unter möglichster Vermeidung des Mitnehmens von anderen Teilen z. B. von Stengelresten, da diese nur als Verunreinigung gelten und den Wert der Ware verschlechtern. Nach diesen Grundsätzen regelt sich auch die Art der Ernte. Wurzeln werden gegraben, mit dem Messer von Stengelresten und durch schnelles Abwaschen – möglichst in fließendem Wasser – von der anhaftenden Erde befreit.
Ganze Pflanzen schneidet man mit Messer, Sichel oder Sense und befreit sie mit Hand von den Unkräutern. Blätter müssen mit der Hand gepflückt oder vom Stengel befreit, ganze Blütenstände mit mit dem Messer, Schafschere oder Heckenschere geschnitten werden. Einzelblüten pflückt man mit der Hand oder mit einem Beerenkamm. Beeren streift man mit dem Beerenkamme oder mit den Fingern ab. Über das Sammeln anderer Früchte oder Samen können allgemeine Regeln nicht ausgestellt werden.
Man soll nie mit dem Sammeln anfangen, bevor man für ausreichende und zweckmäßige Gelegenheit zum Trocknen gesorgt hat. Die natürliche Farbe der Pflanzen bleibt beim Trocknen selten in ihrer ursprünglichen Frische erhalten; je sorgfältiger das Trocknen vorgenommen wurde, desto natürlicher bleibt die Farbe des Trockenguts. Bei nasser Witterung geerntete Pflanzen liefern eine schlechte Trockenware. Ebenso nachteilig wirkt ein zu hohes Aufeinanderschichten der frischen, ungetrockneten Pflanzenteile, da in beiden Fällen die wirksamen Bestandteile durch Gärungsvorgänge zerstört werden. Die Art des Trocknens richtet sich nach der Beschaffenheit der geernteten Pflanzenteile. Wurzeln und Wurzelstöcke hängt man zweckmäßig an Schnüren auf. Dicke Wurzeln müssen vorher gespalten werden. Auch manche Kräuter hängt man mit zusammengebundenen Stengeln in Büscheln zum Trocknen auf. Blätter und Blüten, Rinden, Früchte und Samen breitet man in möglichst dünner Schicht auf gut gereinigten und mit Papier bedeckten Böden aus. Bei größeren Mengen benutzt man auch Schul- und Kirchenböden (Speicher). Bessre Erfolge erzielt man bei der Anwendung von Trockenhorden, die mit Papier oder Leinewand überzogen sind und über dem Fußboden etwas schräg aufgestellt werden, so daß auch von unten die Luft durchstreichen kann. In jedem Falle ist für ausreichende Lüftung des Trockenraumes zu sorgen, da die Ware um so schöner ausfällt, je schneller die Trocknung beendet ist. In Gegenden, in denen die Nächte kühl und feucht sind, müssen die Trockenräume verschließbare Fenster oder Luken haben, damit die tagsüber getrockneten Kräuter nicht des Nachts wieder Feuchtigkeit anziehen. Das Trocknen unmittelbar an der Sonne ist im allgemeinen nicht ratsam. Dagegen haben sich gut bewährt auch Trockenvorrichtungen mit künstlich erzeugter Wärme, so beispielsweise Backöfen oder Dörröfen. Besondere Vorsicht ist beim Sammeln von Giftpflanzen geboten. Diese dürfen nur von Erwachsenen und nicht mit anderen Pflanzen zusammen gesammelt werden. Man hüte sich davor, die Hände mit Mund, Nase und Augen in Berührung zu bringen und wasche die Hände vor dem Essen. Zu den Trockenräumen für Giftpflanzen dürfen Kinder und Haustiere keinen Zutritt haben
Die Ausbeute der frisch geernteten Pflanzen an lufttrockener Ware ist sehr verschieden. Es werden durchschnittlich gewonnen an trockener Ware von Wurzeln und Wurzelstöcken 25–40 Teile, von Rinden 40–50 Teile, von Blättern 15–30 Teile, von ganzen Kräutern 20–35 Teile, von Blüten 20–25 Teile der frischen Ware.
Bei der Aufbewahrung der getrockneten Pflanzen hat man zu berücksichtigen, daß sie einerseits unter dem Einflüsse von Feuchtigkeit und von unmittelbarem Tageslicht mit der Zeit ihre wirksamen Bestandteile verlieren, andererseits aber unter vollkommenem Luftabschluß, falls sie nicht durchaus lufttrocken sind, dumpfig werden. Man wird daher im allgemeinen gut tun, die getrockneten Arzneipflanzen in Säcken oder in mit Papier ausgelegten Fässern oder Kisten zu verwahren und für baldige Ablieferung an die Abnahmestellen zu sorgen.
Quellen
Arzneipflanzen-Merkblätter des Kaiserlichen Gesundheitsamts / Bearb. in Gemeinschaft mit d. Arzneipflanzen-Ausschuß d. Deutschen Pharmazeut. Gesellschaft Berlin-Dahlem. Springer, Berlin, 1917.