Arzneipflanzen-Merkblätter des Kaiserlichen Gesundheitsamts: Nr. 1, Allgemeine Sammelregeln (1917)

Vie­le Arz­nei­kräu­ter, die in Deutsch­land zu Heil­zwe­cken die­nen, sind in den letz­ten Jah­ren, obwohl sie bei uns wild wach­sen, aus dem Aus­lan­de bezo­gen wor­den. Die­se Abhän­gig­keit vom Aus­lan­de und die Abwan­de­rung nicht uner­heb­li­cher Geld­mit­tel, die für den Ankauf der Ware auf­ge­wen­det wur­den, nach aus­wärts hät­ten sich ver­mei­den las­sen, wenn das Kräu­ter­sam­meln in der Hei­mat, das in frü­he­ren Zei­ten fast all­ge­mein üblich war, nicht sehr nach­ge­las­sen hät­te. Es erscheint gebo­ten und als vater­län­di­sche Pflicht, zur alten Gewohn­heit zurück­zu­keh­ren und das Ein­sam­meln der Arz­nei­pflan­zen in Deutsch­land wie­der aufzunehmen.

Die­sem Zweck will das vor­lie­gen­de Büch­lein die­nen. In ihm sind die vom Kai­ser­li­chen Gesund­heits­amt her­aus­ge­ge­be­nen Arz­nei­pflan­zen-Merk­blät­ter zusam­men­ge­stellt; sie sol­len dazu bei­tra­gen, in den wei­tes­ten Krei­sen des Vol­kes die Kennt­nis der wich­tigs­ten wild wach­sen­den Kräu­ter, denen seit alters­her heil­kräf­ti­ge Wir­kun­gen zuge­schrie­ben wer­den, zu ver­brei­ten. Aus ihnen ist zu erse­hen, wel­che Tei­le der ein­zel­nen Pflan­zen gesam­melt und wie sie zweck­mä­ßig getrock­net werden.

Um zu ver­hü­ten, daß die mit Lust und Fleiß gesam­mel­te und sach­ge­mäß getrock­ne­te Ware schließ­lich nicht Absatz fin­det, bedarf es beson­de­rer Ein­rich­tun­gen. Denn es ist nicht Haupt­zweck der Arz­nei­pflan­zen-Merk­blät­ter, das Sam­meln der Kräu­ter und Wur­zeln für den Gebrauch im eige­nen Haus­halt her­bei­zu­füh­ren, es sol­len viel­mehr die gesam­mel­ten und getrock­ne­ten Pflan­zen­tei­le in ers­ter Linie dem Groß­dro­gen­han­del zugän­gig gemacht wer­den, damit die­ser sei­ne Abneh­mer, die Apo­the­ker und ande­ren Arz­nei­mit­tel­händ­ler mit den not­wen­di­gen Waren ver­se­hen kann und den Über­schuß zur Deckung sons­ti­gen Bedarfs verwendet.

Bevor mit dem Sam­meln begon­nen wird, wird es des­halb nötig sein, daß ein Leh­rer oder Apo­the­ker, oder wer sich sonst mit der Ein­rich­tung einer Ablie­fe­rungs­stel­le für das Sam­mel­gut befas­sen will, mit einer Groß­dro­gen­hand­lung in Ver­bin­dung tritt, um von ihr die Abnah­me der gesam­mel­ten und sach­ge­mäß getrock­ne­ten Pflan­zen­tei­le zuge­si­chert zu erhal­ten; dabei wer­den auch Abma­chun­gen über die abzu­lie­fern­den Men­gen und über die Prei­se, die den Samm­lern in Aus­sicht gestellt wer­den kön­nen, zu tref­fen sein. Denn es ist nicht mehr als recht und bil­lig, daß der Samm­ler von Arz­nei­kräu­tern für sei­ne Mühe auch eine dem Wer­te der Ware ent­spre­chen­de Ver­gü­tung erhält.

Wenn in Gegen­den, wo sich Gele­gen­heit bie­tet, in reich­li­chem Maße Arz­nei­pflan­zen zu sam­meln, eine Rege­lung des Absat­zes der Ware auf die erwähn­te Wei­se nicht erreich­bar ist, dann sind der “Reichs­ver­band der Ver­ei­ni­gun­gen des Dro­gen- und Che­mi­ka­li­en­fa­ches”, Geschäfts­stel­le in Ber­lin C 19, Neue Grün­stra­ße 11, und die “Geschäfts­stel­le der Deut­schen Phar­ma­zeu­ti­schen Gesell­schaft” in Ber­lin-Dah­lem, Köni­gin-Lui­se-Stra­ße 2–4, zur Ver­mitt­lung bereit.

Hat sich der Absatz für die Ware sichern las­sen, dann muß für aus­rei­chen­de Tro­cken­ge­le­gen­heit gesorgt wer­den (sie­he Merk­blatt 1); erst wenn auch die­se Vor­be­din­gung erfüllt ist, emp­fiehlt es sich, mit dem Sam­meln zu begin­nen. Es wird sich bald Her­aus­stel­len, daß in der einen Gegend nur das Sam­meln die­ser oder jener Arz­nei­kräu­ter, in einer ande­ren wie­der­um nur das Sam­meln ande­rer Arz­nei­kräu­ter loh­nend ist. Es soll­ten jeweils nur sol­che Arz­nei­pflan­zen gesam­melt wer­den, die reich­lich in der betref­fen­den Gegend Vor­kom­men und für die ein loh­nen­der Absatz in siche­rer Aus­sicht steht. Wo Arz­nei­pflan­zen nur ver­ein­zelt anzu­tref­fen sind, macht das Sam­meln kei­ne Freu­de; man soll dort die Flu­ren und Wäl­der nicht ihres Schmu­ckes durch die­se weni­gen Pflan­zen berau­ben. Stets und über­all muß strengs­tens dar­auf geach­tet wer­den, Fel­der und Wäl­der, Äcker und Wie­sen beim Suchen nach Arz­nei­pflan­zen zu scho­nen. Der wirt­schaft­li­che Scha­den, der dort durch Zer­stö­run­gen ange­rich­tet wird, wür­de grö­ßer sein als der Nut­zen, den man der All­ge­mein­heit durch das Sam­meln der Arz­nei­pflan­zen brin­gen will.

Die Auf­mun­te­rung zum Sam­meln von Arz­nei­pflan­zen ergeht zwar jetzt in Kriegs­zei­ten; es soll aber die­se Sam­mel­tä­tig­keit nicht bloß als eine Kriegs­maß­re­gel ange­se­hen wer­den, viel­mehr wäre es zu begrü­ßen, wenn sie wie­der zu einer dau­ern­den und loh­nen­den Beschäf­ti­gung für wei­te­re Krei­se der Bevöl­ke­rung wür­de. Ins­be­son­de­re erscheint sie für sol­che Per­so­nen geeig­net, die nur beschränkt arbeits­fä­hig sind und einen Neben­ver­dienst suchen.Die Abbil­dun­gen der Arz­nei­pflan­zen-Merk­blät­ter Nr. 3, 5, 7, 13 sind dem “Lehr­buch der Bota­nik von Stras­bur­ger-Jost-Schenck-Kars­ten (Ver­lag von Gus­tav Fischer in Jena)” entnommen.

Das Sammeln von Arzneipflanzen

Wer Arz­nei­pflan­zen sam­melt, hat zu beach­ten, daß die zu den Arz­nei­zu­be­rei­tun­gen die­nen­den Pflan­zen­tei­le den Heil­stoff so reich­lich und wirk­sam wie nur mög­lich ent­hal­ten sollen.

Bei jeder Pflan­ze kommt es daher dar­auf an, die güns­tigs­te Jah­res- und Tages­zeit zum Ein­sam­meln zu benüt­zen, den geeig­ne­ten Wachs­tums­zu­stand zu wäh­len und Art und Wei­se der Ern­te rich­tig zu tref­fen. Auch von dem Trock­nungs­ver­fah­ren hängt die Güte der Ware ab.Hinsichtlich der Jah­res­zeit des Sam­melns gilt im all­ge­mei­nen, daß die Ern­te dann erfol­gen soll, wenn die Pflan­ze die auf­ge­spei­cher­ten Stof­fe zur Erzeu­gung von neu­en Trie­ben, Blät­tern, Blü­ten, Früch­ten und Samen noch nicht wie­der ver­braucht hat. Man wird daher Wur­zeln und Wur­zel­stö­cke im Herbst oder Früh­jahr gra­ben. Kräu­ter – man ver­steht im arz­nei­li­chen Sin­ne dar­un­ter die gan­ze ober­ir­di­sche Pflan­ze – sam­melt man im all­ge­mei­nen, wenn die Pflan­ze anfängt zu blü­hen, Blät­ter meist von den blü­hen­den Pflan­zen. Von man­chen Arz­nei­pflan­zen sind nur die Sten­gel, von andern nur die Zweig­spit­zen ver­wend­bar. Blü­ten sol­len noch in jugend­li­chem, aber auf­ge­bläh­tem Zustan­de, stark rie­chen­de zur Zeit der eben auf­sprin­gen­den Knos­pe gesam­melt wer­den. Früch­te und Samen soll man im Zustan­de der Rei­fe ern­ten. In den Merk­blät­tern fin­den sich für jede ein­zel­ne Pflan­ze die ent­spre­chen­den Angaben.

Die Tages­zeit des Sam­melns spielt bei unter­ir­di­schen Pflan­zen­tei­len kei­ne Rol­le, sie ist dage­gen bei ober­ir­di­schen von größ­ter Wich­tig­keit. Kei­nes­falls dür­fen Arz­nei­pflan­zen in feuch­tem Zustan­de, also mit Reif, Tau oder Regen­trop­fen benetzt, gesam­melt wer­den, weil sie sonst bei dem dar­auf­fol­gen­den Trock­nen ver­der­ben. Im all­ge­mei­nen gilt die Regel, das Sam­meln stets an trock­nen, wenn mög­lich an son­ni­gen Tagen vor­zu­neh­men. Man­che Blü­ten las­sen sich am bes­ten am frü­hen Mor­gen, vor der Ent­fal­tung der Blu­men­blät­ter abpflücken.

In jedem Fal­le sol­len aus­schließ­lich die­je­ni­gen Tei­le der Pflan­ze gesam­melt wer­den, wel­che die wirk­sa­men Bestand­tei­le in größ­ter Men­ge ent­hal­ten; wenn dies nur die Wur­zeln oder nur die Blät­ter oder nur die Blü­ten sind, so sam­melt man also nur die­se Tei­le, unter mög­lichs­ter Ver­mei­dung des Mit­neh­mens von ande­ren Tei­len z. B. von Sten­gel­res­ten, da die­se nur als Ver­un­rei­ni­gung gel­ten und den Wert der Ware ver­schlech­tern. Nach die­sen Grund­sät­zen regelt sich auch die Art der Ern­te. Wur­zeln wer­den gegra­ben, mit dem Mes­ser von Sten­gel­res­ten und durch schnel­les Abwa­schen – mög­lichst in flie­ßen­dem Was­ser – von der anhaf­ten­den Erde befreit.

Gan­ze Pflan­zen schnei­det man mit Mes­ser, Sichel oder Sen­se und befreit sie mit Hand von den Unkräu­tern. Blät­ter müs­sen mit der Hand gepflückt oder vom Sten­gel befreit, gan­ze Blü­ten­stän­de mit mit dem Mes­ser, Schaf­sche­re oder Hecken­sche­re geschnit­ten wer­den. Ein­zel­blü­ten pflückt man mit der Hand oder mit einem Bee­ren­kamm. Bee­ren streift man mit dem Bee­ren­kam­me oder mit den Fin­gern ab. Über das Sam­meln ande­rer Früch­te oder Samen kön­nen all­ge­mei­ne Regeln nicht aus­ge­stellt werden.

Man soll nie mit dem Sam­meln anfan­gen, bevor man für aus­rei­chen­de und zweck­mä­ßi­ge Gele­gen­heit zum Trock­nen gesorgt hat. Die natür­li­che Far­be der Pflan­zen bleibt beim Trock­nen sel­ten in ihrer ursprüng­li­chen Fri­sche erhal­ten; je sorg­fäl­ti­ger das Trock­nen vor­ge­nom­men wur­de, des­to natür­li­cher bleibt die Far­be des Tro­cken­guts. Bei nas­ser Wit­te­rung geern­te­te Pflan­zen lie­fern eine schlech­te Tro­cken­wa­re. Eben­so nach­tei­lig wirkt ein zu hohes Auf­ein­an­der­schich­ten der fri­schen, unge­trock­ne­ten Pflan­zen­tei­le, da in bei­den Fäl­len die wirk­sa­men Bestand­tei­le durch Gärungs­vor­gän­ge zer­stört wer­den. Die Art des Trock­nens rich­tet sich nach der Beschaf­fen­heit der geern­te­ten Pflan­zen­tei­le. Wur­zeln und Wur­zel­stö­cke hängt man zweck­mä­ßig an Schnü­ren auf. Dicke Wur­zeln müs­sen vor­her gespal­ten wer­den. Auch man­che Kräu­ter hängt man mit zusam­men­ge­bun­de­nen Sten­geln in Büscheln zum Trock­nen auf. Blät­ter und Blü­ten, Rin­den, Früch­te und Samen brei­tet man in mög­lichst dün­ner Schicht auf gut gerei­nig­ten und mit Papier bedeck­ten Böden aus. Bei grö­ße­ren Men­gen benutzt man auch Schul- und Kir­chen­bö­den (Spei­cher). Bess­re Erfol­ge erzielt man bei der Anwen­dung von Tro­cken­hor­den, die mit Papier oder Lei­ne­wand über­zo­gen sind und über dem Fuß­bo­den etwas schräg auf­ge­stellt wer­den, so daß auch von unten die Luft durch­strei­chen kann. In jedem Fal­le ist für aus­rei­chen­de Lüf­tung des Tro­cken­rau­mes zu sor­gen, da die Ware um so schö­ner aus­fällt, je schnel­ler die Trock­nung been­det ist. In Gegen­den, in denen die Näch­te kühl und feucht sind, müs­sen die Tro­cken­räu­me ver­schließ­ba­re Fens­ter oder Luken haben, damit die tags­über getrock­ne­ten Kräu­ter nicht des Nachts wie­der Feuch­tig­keit anzie­hen. Das Trock­nen unmit­tel­bar an der Son­ne ist im all­ge­mei­nen nicht rat­sam. Dage­gen haben sich gut bewährt auch Tro­cken­vor­rich­tun­gen mit künst­lich erzeug­ter Wär­me, so bei­spiels­wei­se Back­öfen oder Dörr­öfen. Beson­de­re Vor­sicht ist beim Sam­meln von Gift­pflan­zen gebo­ten. Die­se dür­fen nur von Erwach­se­nen und nicht mit ande­ren Pflan­zen zusam­men gesam­melt wer­den. Man hüte sich davor, die Hän­de mit Mund, Nase und Augen in Berüh­rung zu brin­gen und wasche die Hän­de vor dem Essen. Zu den Tro­cken­räu­men für Gift­pflan­zen dür­fen Kin­der und Haus­tie­re kei­nen Zutritt haben

Die Aus­beu­te der frisch geern­te­ten Pflan­zen an luft­tro­cke­ner Ware ist sehr ver­schie­den. Es wer­den durch­schnitt­lich gewon­nen an tro­cke­ner Ware von Wur­zeln und Wur­zel­stö­cken 25–40 Tei­le, von Rin­den 40–50 Tei­le, von Blät­tern 15–30 Tei­le, von gan­zen Kräu­tern 20–35 Tei­le, von Blü­ten 20–25 Tei­le der fri­schen Ware.

Bei der Auf­be­wah­rung der getrock­ne­ten Pflan­zen hat man zu berück­sich­ti­gen, daß sie einer­seits unter dem Ein­flüs­se von Feuch­tig­keit und von unmit­tel­ba­rem Tages­licht mit der Zeit ihre wirk­sa­men Bestand­tei­le ver­lie­ren, ande­rer­seits aber unter voll­kom­me­nem Luft­ab­schluß, falls sie nicht durch­aus luft­tro­cken sind, dump­fig wer­den. Man wird daher im all­ge­mei­nen gut tun, die getrock­ne­ten Arz­nei­pflan­zen in Säcken oder in mit Papier aus­ge­leg­ten Fäs­sern oder Kis­ten zu ver­wah­ren und für bal­di­ge Ablie­fe­rung an die Abnah­me­stel­len zu sorgen.

Quel­len
Arz­n­ei­pflan­­zen-Mer­k­­blä­t­­ter des Kai­ser­li­chen Gesund­heits­amts /​​ Bearb. in Gemein­schaft mit d. Arz­n­ei­pflan­­zen-Aus­­­schuß d. Deut­schen Phar­ma­zeut. Gesell­schaft Ber­­lin-Dah­­lem. Sprin­ger, Ber­lin, 1917.

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