Arzneipflanzen-Merkblätter des Kaiserlichen Gesundheitsamts: Nr. 22, Tollkirschenblätter (1917)

Toll­kir­schen­blät­ter

Die Toll­kir­sche, Atro­pa bel­la­don­na L., ist eine aus­dau­ern­de Stau­de mit kräf­ti­ger Pfahl­wur­zel, die eine Län­ge bis über 40 cm erreicht und senk­recht den Boden durch­zieht. Von der Wur­zel lau­fen ein bis meh­re­re Sten­gel aus; die­se sind 1–2 m hoch, am Grun­de 1–2 cm dick, rund und grün; unten sind die Sten­gel ein­fach, nach oben zu mehr­fach wie eine Gabel geteilt. Die Blät­ter haben 1–2 cm lan­ge Stie­le; sie sind eiför­mig, 7–15 cm lang, 4–8 cm breit. Die Blät­ter sind zuge­spitzt, am Grun­de sind sie in den Blatt­stiel ver­schmä­lert, ihr Rand ist ganz; auf der obe­ren Sei­te sind die Blät­ter dun­kel­grün und kahl, auf der unte­ren Sei­te hell­grün und schwach mit fei­nen Haa­ren besetzt; am unte­ren Teil des Sten­gels ste­hen die Blät­ter nicht ein­an­der gegen­über, am obe­ren steht regel­mä­ßig ein grö­ße­res Blatt neben einem klei­ne­ren. Die Blü­ten ste­hen in den Ach­seln der obe­ren Blät­ter stets ein­zeln; sie besit­zen einen etwa 2 cm lan­gen Blü­ten­stiel, einen aus fünf Blät­tern bestehen­den, grü­nen Kelch und eine 2,5–3 cm lan­ge, glo­cken­för­mi­ge Blu­men­kro­ne. Die­se ist am Grun­de weiß­gelb, nach oben zu von schmut­zig röt­lich-bräun­li­cher Far­be und pur­pur­rot geadert; sie hat fünf Zip­fel und ist nicht auf­ge­rich­tet. Die Frucht ist eine 1–1,5 cm gro­ße, glän­zend schwar­ze, kuge­li­ge, wei­che, mit vio­lett­blau­em Saft erfüll­te Bee­re; am Grun­de ist sie von dem Kelch umge­ben. Die Bee­re der Toll­kir­sche ist sehr stark giftig.

Die Toll­kir­sche wächst in Laub­wäl­dern, auf Wald­lich­tun­gen, an Wald­we­gen über­all in Mit­tel- und Süd­deutsch­land zer­streut, ist aber nur in den Vor­ge­birgs­wäl­dern Süd­deutsch­lands häu­fig, wo sie stel­len­wei­se fast allein den Boden bedeckt. Als Rest von frü­he­ren Anpflan­zun­gen kommt sie jetzt auch hier und da in der Nähe von Städ­ten und Dör­fern ver­wil­dert vor.

Die Blät­ter der sehr gif­ti­gen Pflan­ze wer­den zur Blü­te­zeit im Juni und Juli vor­sich­tig gesam­melt und auf war­men, gut gelüf­te­ten Böden getrock­net. Sie rie­chen wider­lich und schwach betäu­bend. Um Unglücks­fäl­le zu ver­mei­den, muß das Sam­meln, Trock­nen und Auf­be­wah­ren mit aller Sorg­falt und Vor­sicht geschehen.

Da die Blät­ter von der blü­hen­den und dann gut kennt­li­chen Pflan­ze gesam­melt wer­den sol­len, ist eine Ver­wechs­lung nicht mög­lich. Das Sam­meln darf nur von Erwach­se­nen aus­ge­führt wer­den, deren Hän­de durch Hand­schu­he geschützt sind.

Beach­tet beim Sam­meln die in einem beson­de­ren Merk­blatt zusam­men­ge­stell­ten all­ge­mei­nen Regeln. Schont beim Sam­meln die Fel­der und Äcker. Geht nicht beim Sam­meln in die Fel­der hin­ein, sam­melt nur, was am Ran­de steht, reißt nicht die gan­zen Pflan­zen aus, wenn ihr nur die Blü­ten oder Blät­ter zu sam­meln braucht. Beschä­digt die Bäu­me nicht und reißt von ihnen kei­ne Äste ab. Sam­melt nur, wo die Pflan­zen zahl­reich vor­kom­men, laßt ver­ein­zel­te ste­hen, rot­tet sie nicht aus.

Quel­len
Arz­n­ei­pflan­­zen-Mer­k­­blä­t­­ter des Kai­ser­li­chen Gesund­heits­amts /​​ Bearb. in Gemein­schaft mit d. Arz­n­ei­pflan­­zen-Aus­­­schuß d. Deut­schen Phar­ma­zeut. Gesell­schaft Ber­­lin-Dah­­lem. Sprin­ger, Ber­lin, 1917.

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