“Des Arztes höchster und einziger Beruf ist es, kranke Menschen gesund zu machen, was man Heilen nennt”. Arztkritik von Samuel Hahnemann in seinem Organon der Heilkunst, § 1 (1810).
200 Jahre Homöopathie – 200 Jahre Zeit für Mißverständnisse und Vorurteile. Am häufigsten ist zu hören: “Seit einiger Zeit gehe ich zu einem Homöopathen. Wirklich gut! Mein Rücken tut gar nicht mehr weh, wenn der mit seinen Nadel gestochen hat.” Gemeint ist – wie so oft – ein Heilpraktiker, der sich offenbar an der Akupunktur versucht. Das häufigstes Vorurteil auf ärztlicher Seite: “Homöopathie ist doch irgendwas mit Pflanzen und dann so stark verdünnt, daß nichts mehr drin ist!?”
Alle diese Vorurteile enthalten einen wahren Kern: Ja, homöopathische Diagnostik und Therapie wird nicht nur von Ärzten, sondern auch von Heilpraktikern praktiziert. Ja, viele homöopathische Arzneimittel entstammen dem phytotherapeutischen Arsenal unserer Materia medica. Es finden aber genauso tierische, mineralische oder chemisch-synthetische Substanzen Verwendung. Nein, nur wenige Heilpraktiker praktizieren die Lehre von Samuel Hahnemann (1755–1843), dem Begründer der Homöopathie. Der Grund ist der gleiche wie bei Ärzten: Entweder es fehlt der Glaube an die Wirksamkeit oder das Erlernen fällt zu schwer. Nein, wenigstens bis zu einer bestimmten Verdünnungsstufe ist in homöopathischen Heilmitteln durchaus Substanz enthalten. Die Geister scheiden sich an der Frage, ob diese stark verdünnten Therapeutika mehr als nur eine Placebowirkung entfalten oder nicht. Bei der Frage, ob ein Arzneimittel mit einer Verdünnungsstufe oberhalb von D23 (s.u.) – welches anerkanntermaßen keine Wirksubstanz mehr enthält! – noch eine spezifische Wirksamkeit entfaltet, herrscht hingegen Klarheit: Die “Homöopathen” glauben daran, die naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftler und Ärzte nicht.
Wirksam, nur wenn man dran glaubt!?
Die Homöopathie hat in ihrer 200jährigen Geschichte Anfeindungen erfahren, die nur zum Teil rational aus ihrer Gegensätzlichkeit zu den herrschenden Lehrmeinungen erklärbar sind. Das letzte Beispiel solchen Vorgehens wurde von naturwissenschaftlich ausgebildeten Medizinern aus Marburg im Dezember 1992 geliefert: “Der Fachbereich Humanmedizin der Philipps-Universität Marburg verwirft die Homöopathie als eine Irrlehre”. Dieses sog. Marburger Manifest hält die Grundpfeiler der Homöopathie, nämlich die Ähnlichkeitsregel oder das Potenzieren für nicht vereinbar mit dem “vernünftigen Denken”.
Eigene wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema wurden übrigens nicht durchgeführt. Damit stellt sich zum wiederholten Male die Frage, ob die seit 200 Jahren immer wiederkehrenden “Hexenverfolgungen”[2] der Homöopathie nicht eher Defizite der eigenen wissenschaftlichen Methodik aufdecken. Denn: Auch die Ergebnisse einer klinischen Studie z.B. zur “Prävalenzreduktion von Colon-Ca durch Acetylsalicylsäure” lassen sich nicht durch “vernünftiges Denken” vorwegnehmen.
Das weitgehende Fehlen nachvollziehbarer klinischer Studienergebnisse zur Wirksamkeit der Homöopathie wird im wesentlichen in ihrer Methodik begründet (siehe unten: Anmerkungen Prof. Paul Knipschild, Maastricht). Ob die Homöopathie tatsächlich wirksam ist, werden interessierte ÄrztInnen deswegen nur durch vorurteilsfreie Annäherung an die Behandlungsprinzipien der Homöopathie und deren empirische Erfolge in der Praxis beurteilen können (“Wer heilt, hat recht”…). Die hierfür notwendigen – wesentlichen – Pfeiler homöopathischer Diagnostik und Therapie sollen im folgenden kurz dargestellt werden.
Die Grundpfeiler der Homöopathie
Priorität ärztlicher Erfahrung
“Die ärztliche Erfahrung hat in der Homöopathie einen hohen Stellenwert. Jeder Patient ist eine neue Erfahrung und jedes Berufsjahr zählt, während in der Schulmedizin der letzte Wissensstand zählt und ältere Kollegen öfter als auslaufende Modelle gehandelt werden”.
Zitat Dr. med. Konrad Menhard, Celle, 1996 (anläßlich einer 200-Jahresfeier zum Bestehen der Homöopathie).
Ähnlichkeitsregel “Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt” oder “Similia similibus curentur”, heißt es bei Hahnemann. Gemeint ist damit, daß ein Stoff, der am Gesunden ein bestimmtes Symptom erzeugt, einen Erkrankten mit einem ähnlichen Symptom heilen kann (Homöopathie). Die, von Hahnemann so bezeichnete, “Allopathie” setzt hingegen gegensinnig wirkende Substanzen ein. Beispiel: Eine akute Mastitis wurde und wird – nicht nur in vorantibiotischer Zeit – gekühlt (Allopathie). In anderen Kulturkreisen wird sie jedoch mit zusätzlicher Wärme therapiert (Homöopathie).
Auch wenn die “Simileregel” dem kausal-pathogenetischen Denken befremdlich erscheint, ist zu bedenken, daß in der ärztliche Praxis bis heute Krankheitsbilder vorherrschen, die mit einer Fülle von Symptomen, Befindlichkeits- sowie Funktionsstörungen einhergehen, die sich einem mechanistischen Verständnis entziehen. Beispiel: Bei einer primären Psychosomatose dauert es in Deutschland zwischen fünf und sieben Jahren bis eine adäquate Diagnostik und Therapie einsetzt.
Arzneimittelprüfung (AMP) am Gesunden Grundlage der homöopathischen Arzneimitteltherapie ist die Kenntnis von quasi toxikologischen Symptomen, die eine Substanz beim Gesunden auslöst (“Arzneimittel-Krankheit”). Wird ein neues Mittel auf seine homöopathische Tauglichkeit geprüft (derzeit liegen ausführliche Prüfberichte zu mehr als 1.500 Substanzen vor), wird zuerst nach Auffälligkeiten bei bereits bekannten Vergiftungssymptomen (Grobtoxikologie) gesucht. Anschließend wird die Substanz soweit verdünnt, daß keine starken Vergiftungssymptome mehr zu erwarten sind. Dieses Prüf-Präparat wird dann von den Prüflingen über Tage, Wochen oder Monate eingenommen. Alle in diesem Zusammenhang auftretenden Veränderungen und Symptome werden dann zu dem sog. Arzneimittelbild zusammengefaßt.
Ein berüchtigtes Beispiel hierfür ist der Weg des Nitroglycerins in die Medizin: Schon früh waren an den Arbeitern in den Sprengstoffabriken von Alfred Nobel merkwürdige Beschwerden aufgefallen – Migräneanfälle, Flushs und anderes. Dem homöopathischen Arzt Konstantin Hering wurde dies bekannt und er begann verdünntes Nitroglycerin homöopathisch zu prüfen. Ab 1847 wurde es dann Bestandteil der homöopathischen Materia medica. Die Einführung in die Schulmedizin ließ hingegen noch etliche Jahre auf sich warten.
Homöopathie wissenschaftlich nicht haltbar
“Auch wenn man Hahnemann zugute halten muß, ein exzellenter Arzt und Beobachter gewesen zu sein, der zu Recht die Medizin seiner Zeit kritisierte, ist seine ‘Ideologie’ der Homöopathie wissenschaftlich durch nichts haltbar. Die Homöopathie wird den Ansprüchen einer wissenschaftlich fundierten Medizin kaum gerecht”.
Prof. Dr. Karl-Friedrich Sewing, MH Hannover.
Auffassung vieler klassischer Homöopathen ist es bis heute, daß – trotz der enormen Arzneimittelfülle – jeder homöopathische Arzt (in spe) Arzneimittelprüfungen an sich selbst unternehmen sollte. Natürlich nicht mit toxischen Substanzen, sondern entsprechend potenzierten Mitteln. So und nur so könne sich sein Blick für jene symptomatologischen Besonderheiten schärfen, die er später auch bei seinen Patienten entdecken muß.
Potenzierung Für die Verdünnung homöopathischer Substanzen wendete Hahnemann ein besonderes Verfahren an: Die seither als Potenzierung bezeichnete rhythmische und stufenweise Verdünnung. Hierbei wird immer ein Teil Wirkstoff mit neun (999 und mehr) Teilen Lösungsstoff (Alkohol, Wasser, Milchzucker) durch intensives Schütteln oder Verreiben vermischt. Es entsteht die erste Potenz (D1, C1, LM1, etc.). Wird der Vorgang wiederholt, entstehen höhere Verdünnungsstufen oder Potenzen. Ob Hahnemann dieses Verfahren aus methodischen Gründen verwendet hat (um z.B. eine reproduzierbare Verdünnungsstufe ohne besondere technische Voraussetzungen zur erreichen), ob er alten alchemistischen Traditionen folgte oder andere Gründe hatte, konnte nie restlos geklärt werden. Obwohl die Potenzierung aus pharmakologischer Sicht lediglich eine definierte Verdünnung ist, kamen Hahnemann und seine Schüler zu der Ansicht, daß erst das rhythmische Verdünnen die eigentlichen therapeutischen Kräfte einer Substanz entfaltet, sie also dynamisiert und potent macht. Hahnemann hat, im Gegensatz zu vielen seiner Schüler, keine weiteren theoretischen Spekulationen über die Ursachen der Wirksamkeit potenzierter Homöopathika angestellt, er postulierte lediglich deren empirische therapeutische Effizienz.
Zu bedenken ist, daß die Wirksamkeit von potenzierten Arzneimitteln (besonders wenn sie über D23 verdünnt wurden) nicht mit wissenschaftlich anerkannten Nachweisverfahren belegt werden konnte. Auch die bislang vorgelegten Modelle, wie ein Lösungsmittel ohne Wirksubstanz noch arzneilich wirksam sein soll, befriedigten selbst die meisten Homöopathen nicht. Eine der jüngeren Theorien postuliert beispielsweise, daß dem Lösungsmittel Wasser durch die Potenzierung eine stabile, quasikristalline Struktur (H20-Molekülaggregate) aufgezwungen wird, die als Informationsspeicher dienen. Der homöopathische Interessent braucht sich jedoch um diese, teilweise recht esoterische und eifrig geführte Diskussion nicht zu kümmern. Homöopathische Therapie wird seit Hahnemann auch und vor allem mit den sog. Niedrigpotenzen durchgeführt. Und in diesen ist beruhigenderweise immer noch Wirkstoff enthalten.
Naturwissenschaft und Naturheilkunde
“Unsere naturwissenschaftlich geprägte Medizin interpretiert jene nicht individuellen Teilaspekte der Krankheit, die kausalanalytischem Denken zugänglich sind. Sie wird deshalb erst zur Heilkunde, wenn ärztliches Handwerk und philosophisches Nachdenken sie ergänzen. Naturheilkunde versteht das Individuum als offenes, selbstregulierendes System, dessen unendlich viele Mechanismen und Strategien zur Aufrechterhaltung seiner Integrität es zu stützen gilt. In der ärztlichen Praxis müssen beide Konzepte immer gleichzeitig und gleichwertig verfügbar sein, um nicht nur Störungen zu beheben, sondern auch Heilung bewirken zu können.”
Zitat Prof. Dr. med. S. Jenny, Zürich.
Quelle: Jenny, S.: Heilkunde und Menschenbild – zur Theorie des ärztlichen Auftrags. Schweizerische Rundschau für Medizin 82: 727–30 (1993).Homöopathische Diagnostik Entsprechend der Simileregel gilt es, bei einem kranken Patienten nach der klinischen Untersuchung in ausführlicher Befragung ein vollumfängliches Beschwerdebild zu erfassen, das auch alle besonderen, individuellen Veränderungen der Patienten erfaßt (homöopathische Anamnese). Hierbei spielen nicht nur somatische Beschwerden und Veränderungen (“Durchfall”, “Hautrötungen”, “Juckreiz”, etc.) eine Rolle, sondern auch Symptome im psychomentalen (“Weinerlichkeit”) oder psychosozialen Bereich (“Zurückgezogenheit”). Auch alle Modalitäten können von Belang sein. Hierzu gehören zeitlich regelmäßiges Auftreten von Beschwerden (“Juckreiz am Knie, abends um 10 Uhr”), der Typus von Symptomen (“flach ansteigendes Fieber”) oder Korrelationen zu anderen Ereignissen (“Wetterabhängigkeit”, “Beschwerdeverschlimmerung bei Kontakt mit Menschen”).
Als praktischer Anhaltspunkt und Hilfe für die homöopathische Anamnese stehen Fragebögen zur Verfügung, die 10, 20 oder mehr Seiten umfassen können. Mit zunehmender Erfahrung jedoch, so versichern viele homöopathisch arbeitende Ärzte, schärft sich der diagnostische Blick und die Empathie soweit, daß sich die anfänglich oft langdauernde homöopathische Anamnese (bis zu 1,5 Stunden) deutlich verkürzt. Ein Effekt, der in gleicher Weise auch bei erfahrenen Psychotherapeuten oder Psychosomatikern auftritt.
Wann ist Medizin nicht Religion?
“If patients are to be protected against inferior or ineffectual treatment, modern medical therapy cannot be regarded as a branch of religion; and therapeutic agents must be appraised with methods that are efficient, incisive, and unbiased”.
Prof. Dr. Alan R. Feinstein, Yale University School of Medicine, 1980.
Repertorisation Ist schließlich das gesamte individuelle Beschwerdebild des Patienten mit allen seinen zarten Ausprägungen und Besonderheiten erfaßt, beginnt die Suche nach Arzneimitteln, deren Arzneimittelbild Ähnlichkeiten zu dem Beschwerdebild aufweist. Wie auch in der klinischen Diagnostik ist zuvor die Wertigkeit der Befunde festzulegen. Am bedeutendsten sind die sog. Leitsymptome (“Verlangen nach frischer Luft trotz Frieren”), also ungewöhnliche oder stark dominierende Beschwerden. Lokale Symptome (“Magenschmerzen”) und Allgemeinsymptome (“Fröstelgefühl”) und ihre Modalitäten sind zu berücksichtigen, stehen aber oftmals hinter den Gemüts- und Geistessymptomen zurück. Diese beschreiben die seelische oder geistige Verfassung der Patienten, ihre Wesensart, Einstellung oder auch Träume. Grundsätzlich ist besonders die Gesamtheit der individuellen, eigenheitlichen Veränderungen und Symptome der Kranken relevant und nicht allein die somatischen Veränderungen (“Mucosadefekt der Speiseröhre”) und ihre typischen Konsequenzen (“Sodbrennen”). Dies ist der Grund, warum die Homöopathie zu den ganzheitlichen Methoden der Komplementärmedizin gerechnet wird. An diesem Punkt wird deutlich, daß das Erlernen der Homöopathie nicht allein aus Lehrbüchern stattfinden kann. Immer und immer wieder müssen reale Krankengeschichten mit erfahrenen Tutoren besprochen und eingeschätzt werden.
Es ist klar, daß kein Mensch die Arzneimittelbilder von über 1.500 Pharmaka im Kopf haben kann. Aus diesem Grund stehen umfangreiche Werke zur Verfügung, in denen die Symptome und Beschwerden den jeweiligen Pharmaka zugeordnet sind, die sogenannten Repertorien. Die in Frage kommenden Pharmaka werden mit Hilfe des gedruckten Repertoriums oder eines entsprechenden Computersystems eingegrenzt. Ein weiteres Studium der jeweiligen Arzneimittelbilder (Arzneimittellehre) führt dann zu dem wahrscheinlichsten homöopathischen Heilmittel.
Monotherapie Hahnemann selbst hat die Gabe von Einzelmitteln favorisiert. Dies ist vor dem Hintergrund der zumeist irrationalen Polypragmasie seiner Zeit mehr als verständlich. Auch die moderne Pharmakologie ist in den letzten 20 Jahren diesen Weg von der Therapie mit fixen Kombinationen hin zu einer rationaleren Monotherapie gegangen. Trotzdem finden sich auf dem Markt immer noch viele Kombinationen, sowohl bei den Homöopathika (“Komplexmittel”) als auch bei den anderen Arzneimitteln. Teilweise stehen sogar Kombinationen aus Pharmaka beider Gruppen zur Verfügung.
Viele (“klassische”) Homöopathen verurteilen bis heute die Verwendung von Kombinationspräparaten. Und zwar aus ganz praktischen Gründen: Zum einen sind vielfältige Interaktionen zwischen Homöopathika bekannt, die zu Wirkungsverlusten führen können. Zum anderen bewirken Kombinationspräparate manchmal eine Nachlässigkeit bei der homöopathischen Diagnostik und Arzneimittelfindung (“Schrotschußtherapie”). Schließlich kann, und dies gilt für die gesamte Pharmakologie, ein Kombinations-Arzneimittel niemals so individuell sein, wie ein individuell eingesetztes Monotherapeutikum.
Dosierung Nun gilt es noch die Dosierung des Homöopathikums festzulegen. Das heißt, nicht nur Menge und Dosierungsabstand sondern auch Potenz des Mittels zu bestimmen. Einfache Regeln erleichtern seit Hahnemann die Therapie: Je akuter der Krankheitszustand ist, um so häufiger kann das gewählte Homöopathikum gegeben werden und um so niedriger sollte sein Potenz sein. Entscheidend bei akuten Störungen oder Erkrankungen ist deshalb auch eine rasche Wiedervorstellung der Patienten, um therapeutische Erfolge einzuschätzen und eventuelle Modifikationen der Behandlung vorzunehmen. Bei chronischen Erkrankungen, besonders wenn sie eher dispositionsbedingt (familiär) erscheinen, sind höhere oder hohe Potenzen in teilweise sehr großen Abständen einzunehmen.
Erstverschlimmerung Eine Beobachtung machen homöopathisch praktizierende Ärzte immer wieder (und andere Komplementärmediziner übrigens auch): Wurde ein richtiges Arzneimittel gefunden und appliziert, können sich die Beschwerden anfänglich verschlechtern. Wird bei fehlendem medizinischen Einwand die anfängliche Therapie fortgesetzt, sollen sich dann aber bald die erwünschten Besserungen einstellen. Erstverschlimmerung wird also als prognostisch günstiges Zeichen gewertet. Besonders bei chronischen Erkrankungen befindet sich der homöopathische Arzt hier gelegentlich auf einem schmalen Grat zwischen Therapieabbruch- oder Fortsetzung. In jedem Fall aber sollte dann die übliche “schulmedizinische” Diagnostik verstärkt eingesetzt werden, um vielleicht noch unerkannte Ursachen für Exazerbationen zu finden und diese gegebenenfalls symptomatisch zu lindern.
Indikationen für die Homöopathie
Alle Krankheiten, die der Selbstregulation des Organismus zugänglich sind, besonders
- funktionelle Erkrankungen (z.B. Colon irritabile)
- psychosomatische Erkrankungen (z.B. Migräne)
- psychische Erkrankungen (z.B. Neurose)
- Infektionskrankheiten (z.B. Masern)
- chronisch-entzündliche und degenerative Erkrankungen (z.B. Colitis)
- bei vielen organisch manifesten Erkrankungen mit irreversiblen Schäden (z.B. Arthrose) noch zur symptomatischen Linderung
absolute Kontraindikationen
- Allergie gegen eingesetzte Homöopathika in niedriger Potenz (z.B. Bienengift = Apis mell.). Ab der D12-Potenz gefahrlos.
relative Kontraindikationen (Auswahl)
- Erkrankungen mit notwendiger Substitution (z.B. IDDM)
- akute Erkrankungen mit Notwendigkeit zu sofortiger suffizienter Therapie (z.B. AMI, Status asthmaticus)
- Krankheiten mit Bedarf einer Suppressionstherapie (z.B. allergischer Schock, therapierefraktärer, schwerer rheumatischer Schub)
- infauste organische Erkrankung (z.B. Malignome)
- bei fehlender Eigenregulationsmöglichkeit, auf die Homöopathika einwirken können
nach: Augustin, M. et al.: Praxisleitfaden Naturheilkunde. Jungjohann, Neckarsulm 1992.
Brückenbau zwischen Homöopathie und naturwissenschaftlicher Medizin
Für moderne Ärzte besteht eine Kluft zwischen der symptomenbezogenen homöopathischen und der pathogenetisch-indikationsbezogenen modernen Medizin. Besonders in Deutschland wurde deswegen schon seit langem der Versuch unternommen, diese Kluft zu überbrücken. Vor allem aber seitdem sich die Homöopathie in den 30iger Jahren unerwarteter staatlicher Aufmerksamkeit und Förderung erfreuen durfte (Heinrich Himmler). Nicht erst seit dieser Zeit gibt es zwei Schulen: Die klassische Homöopathie, deren Schüler dem Rat Hahnemanns folgen. “Macht’s nach, aber macht’s genau nach”! Und die “kritisch-naturwissenschaftliche” Homöopathie (Alfons Stiegele, Karl Stauffer, Julius Mezger u.a.), nach deren Beobachtung homöopathische Arzneimittel – vorzugsweise niedrig dosiert – auch indikationsbezogen eingesetzt werden können. Hierzu werden Homöopathika eingesetzt, häufig auch als Kombinationspräparate zusammengefaßt, die sich nach homöopathischer Empirie besonders häufig bei Erkrankungen bestimmter Organsysteme erfolgreich zeigen. Gerade diese Richtung hat in den vergangenen Jahrzehnten eine besondere Entwicklung erfahren, zumal sie bei Ärzten und Patienten wegen ihrer (postulierten) Nebenwirkungsarmut beliebt ist. Der Einsatz solcher Mittel verringert zudem bei einigen Ärzten die Einstiegsschwelle in die klassische, die “richtige” Homöopathie. Allerdings ist nach Ansicht der klassischen Homöopathen festzuhalten, daß in der eigentlichen Domäne der klassischen Homöopathie – nämlich den chronischen Erkrankungen – mit homöopathischen Kombinationspräparaten oder indikationsbezogenen Mitteln nur selten echte Erfolge zu erzielen sind.
Impulsgeber Homöopathie
Keine medizinische Schule der Neuzeit hat sich solange halten können wie die Homöopathie (lediglich die durchgängige Verwendung von Phytopharmaka kann auf eine längere Geschichte zurückblicken). In dieser Zeit hat es zahlreiche, zumeist vergessene Impulse der Homöopathie auf die sich entwickelnde naturwissenschaftliche Medizin gegeben. Deren wichtigste sind die streng empirische Methodologie, die Monotherapie, die Prüfung von Arzneimitteln auch an Gesunden sowie zahllose Arzneimittel, die über fleißige homöopathische Prüfer auch in die Materia medica der “Schulmedizin” gelangten. Besonders bemerkenswert ist die Hyposensibilisierungs-Therapie, die neuere homöopathische Behandlungsprinzipien in die Allergiebehandlung einführte [3]. Der wichtigste Impuls, den die orthodoxe Medizin gegeben hat, ist die Qualifikation der homöopathischen Therapeuten in allen üblichen ärztlichen Disziplinen. Ein Manko vieler Homöopathen des vergangenen Jahrhunderts war nämlich ihre oft mangelhafte Ausbildung und ärztliche Qualifikation. Seither hat sich gezeigt, daß orthodoxe ärztliche Ausbildung und homöopathische Praxis kein Gegensatz sein brauchen, sondern sich vielmehr sinnvoll ergänzen können. Dies spiegelt sich auch in den Verordnungsgewohnheiten in nahezu allen Ländern der westlichen Welt, in Südamerika und in Indien wider: Homöopathische Produkte werden nicht nur häufig, sondern auch gerne eingesetzt. Dies liegt nicht allein an der vermuteten Nebenwirkungsarmut, ihrem hohen Beliebtheitsgrad bei vielen Patienten oder dem äußerst geringen Preis, sondern – und darauf deutet die 200jähre Beständigkeit der Homöopathie hin – vielleicht doch an der therapeutischen Wirksamkeit dieser besonderen Therapierichtung.
“Die Homöopathie hat weder die gewünschte Wirksamkeit noch überhaupt eine stoffliche Wirkung”
Auszug aus “Alternative arzneitherapeutische Verfahren”. Ein Memorandum der Deutschen Gesellschaft für Pharmakologie und Toxikologie. Niedersächs. Ärzteblatt 66 (2): 18–20 (1993).
Die Homöopathie wurde von dem erfolgreichen Arzt Samuel Hahnemann (1755–1843) begründet. Sie beruht auf fünf Grundsätzen, die vor 180 Jahren mit den damaligen wissenschaftlichen Kenntnissen vereinbar waren, sich später aber als unzutreffend herausgestellt haben:
Vitalismus (= Krankheit und Heilung sind immaterielle Prozesse). Diese historische Anschauung, daß Lebensvorgänge transzendentaler Natur seien und sich nach anderen Gesetzen verhalten, als die unbelebte Natur kam bereits 1831 durch Wöhlers Harnstoffsynthese ins Wanken. Heute ist klar, daß Leben, Krankheiten und Heilung, ja sogar psychosomatische Vorgänge, an biochemisch-materielle Prozesse gebunden sind. “Geistige” Arzneimittelwirkungen gibt es nicht.
Krankheitsbild (= der Symptomenkomplex bestimmt die Arzneimittelwahl). Zu Hahnemanns Zeiten waren die Ursachen selbst von Infektionskrankheiten nicht bekannt, eine klare Unterscheidung zwischen Krankheit und Symptom nicht möglich. Erst nach seinem Tode wurden die Zusammenhänge zwischen Pathogenese, pathologischen Veränderungen und Symptomen erkannt, die Möglichkeiten kausaler statt symptomatischer Therapie eröffnet. Eine Behandlung von Symptomen ist heute unzulässig, wenn Möglichkeiten einer kausalen Therapie gegeben sind.
Simile-Regel […] Heute wissen wir aber, daß dieses Prinzip nur in wenigen Fällen (z.B. Digitalis, Methamphetamin) und auch da nur vordergründig zutrifft. Bei praktisch allen Arzneimitteln mit belegter Wirksamkeit trifft das Ähnlichkeitsprinzip bei therapeutischer Dosierung nicht zu. Zudem haben Nachprüfungen an Gesunden ergeben, daß Homöopathika vielfach nicht die ihnen zugeschriebenen Wirkungen (Arzneibilder) zeigen.
Potenzierung (= Arzneiverdünnung bewirkt Wirkungssverstärkung). Der junge Hahnemann wollte durch möglichst niedrige Dosierung die zu seiner Zeit häufigen Arzneimittelintoxikationen vermeiden. Später verselbständigte sich bei ihm die Idee der Verdünnung (“Potenzierung”) durch Schütteln, Verreiben zum eigenständigen therapeutischen Prinzip mit der Vorstellung, daß der Wirkstoff dabei dynamisiert und verstärkt würde. Man kann Hahnemann zugute halten, daß das Atom und damit die begrenzte Teilbarkeit von Stoffen erst 1803 durch Dalton verstärkt in die Diskussion eingebracht wurde und die Loschmidsche Zahl, die angibt, nach wievielen Verdünnungsschritten kein Wirkstoff mehr vorhanden ist, erst 1865 ermittelt wurde. Anhänger des Potenzierungsprinzips setzen sich darüber hinweg, daß hochpotenzierte Homöopathika keinen Wirkstoff mehr enthalten und ignorieren das in den letzten 100 Jahren erarbeitete Wissen über Rezeptoraffinität und richtige Dosisfindung, in der Annahme einer imaginären, “dynamischen” Wirkung auf das Trägermedium (Wasser, Milchzucker, etc.).
Monotherapie (= nur mit einem Stoff behandeln). Hahnemann wollte durch Therapie mit nur einem Mineralstoff oder einer Heilpflanze die Behandlung transparent halten, konnte jedoch noch nicht wissen, daß Pflanzenextrakte meist mehr als nur einen Wirkstoff enthalten. Die klassische Homöopathie stand mit der Forderung nach einer Monotherapie der modernen Pharmakologie näher, als der modernen Homöopathie mit ihren unübersichtlichen Kombinationspräparaten.
Zusammenfassend muß man sagen, daß die Grundlagen der Homöopathie dem Kenntnisstand des ausgehenden 18. Jahrhunderts entsprechen. Die daraus entwickelten Grundsätze sind nach heutigem Kenntnisstand überholt. Die Mittel der klassischen Homöopathie sind aus heutiger Sicht nach falschen Grundsätzen (Similie-Prinzip) ausgesucht und werden zudem falsch (also zu niedrig) dosiert. Damit haben sie weder die gewünschte Wirksamkeit noch überhaupt eine stoffliche Wirkung.”
Metaanalyse: Wirksamkeits-Hinweise und Forderung nach anerkannten Studienstandards
Maastricht. In einer großangelegten Metaanalyse untersuchten Wissenschaftler der Abteilung Epidemology and Health Care Research der Universität Limburg, Holland, 107 bestehende klinische Studien zur Wirksamkeit der Homöopathie (auch andere komplementärmedizinische Verfahren wurden der Arbeitsgruppe um Prof. Paul Knipschild im Laufe der Jahre äußerst kritisch unter die Lupe genommen – und versagten dabei überwiegend).
Knipschild et al. kommen zu dem zu erwartenden Schluß, daß es zwar gewisse Hinweise auf die Wirksamkeit auch klassischer Homöopathie gäbe, diese aber nicht ausreichen, um Konsequenzen (für die klinische Praxis) daraus zu ziehen. Ursache: Die meisten Studien haben eine zu geringe methodische Qualität. Dennoch rechtfertigen die vorliegenden derzeitigen Ergebnisse sehr wohl, so die holländische Arbeitsgruppe 1991, weitere Studien. Diese sollten jedoch allen modernen Anforderungen an klinische Studien genügen. Bei der weiten Verbreitung der Homöopathie nicht nur in Europa, sondern auch in zahllosen anderen Ländern, seien solche Untersuchungen auch mehr als berechtigt.
Eine Abfuhr erteilt Knipschild jenen Befürwortern der Homöopathie, die die akzeptierten methodischen und statistischen Standards klinischer Studien für zu unangemessen halten, um die Wirksamkeit homöopathischer Therapien signifikant zu belegen. Nach Ansicht des Experten für die Methodik klinischer Studien, Prof. Knipschild, ist es sehr wohl möglich, Untersuchungswege zu beschreiten, die sowohl wissenschaftlichen Anforderungen Genüge tun als auch den Interessen “enthusiastischer Homöopathen” entgegenkommen. “Allerdings”, so bedauerte Knipschild im Interview, “müssen wir feststellen, daß unsere Kompetenz von Komplementärmedizinern wenig in Anspruch genommen wird. Dabei wäre es äußerst sinnvoll, daß es schon in der ersten Planungsphase zu Kontakten käme”.
Quelle: Kleijnen, J. et al.: Clinical trials of homoeopathy. British Medical Journal 302: 316–23 (1991).
Bücher (Einführung, Grundlagen, Theorie)
- Braun, A.: Methodik der Homöopath. Verlagsbuchhandlung Sonntag, Regensburg, 1975.
- Eichelberger, O.: Klassische Homöopathie. Haug, Heidelberg, 1982.
- Hahnemann, S.: Organon der Heilkunst. Hippokrates-Verlag, Stuttgart, 1955.
- Hahnemann, S.: Heilkunde der Erfahrung. Haug, Ulm, 1962.
- Kent, J.T.: Zur Theorie der Homöopathie. Grundlagen und Praxis, Leer 1973.
- Fritsche, H.: Samuel Hahnemann – Idee und Wirklichkeit der Homöopathie. Burgdorf 1994.
- Vorstand und wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer: Arzneibehandlung im Rahmen “besonderer Therapieeinrichtungen”. Deut. Ärzteverlag, Köln, 1993.
Zeitschriften-Titel (sehr kleine Auswahl)
- Allgemeine Homöopathische Zeitung (Dies ist übrigens der älteste Titel aller ärztlichen Zeitschriften in Deutschland – seit 1832)
- Deutsches Journal fur Homöopathie
- Zeitschrift für Klassische Homöopathie
Internet (Einführungen, Addressen, Mailing-Listen, etc.)
- Homöopathie-Arbeitskreis an der Uni-München
- Quak, T.: Homöopath. Literatur inkl. Abstracts
- Ruf, T., Uni Kaiserslautern
- Homöopathie-online, Berlin
Hier finden sich auch Informationen zur Ausstellung “Homöopathie 1796–1996. Eine Heilkunde und ihre Geschichte” vom 17.5.1996 bis zum 20.10.1996 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden - Schendel, V., niedersächs. Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr: Naturheilkunde als Skandal in der Politik
- Homeopathic Internet Resources List, Holland
- Homeopathy Online, USA (neue 2‑Monats-Onlinezeitschrift, auch mit Beiträgen aus Deutschland)
- Homeopathy Home Page, Cambridge, UK
Wissenschaftliche Studien (Auszug)
- Chirila, M. et al.: Effects of Ocimum basilicum 5x in workers chronically exposed to chlorine. British Homoeopathic Journal 83: 92–3 (1994).
- Eid, P. et al.: Applicability of homoeopathic Caulophyllum thalicotroides during labour. British Homoeopathic Journal (82): 245–248 (1993).
- Endler, P.C. et al.: The effect of highly diluted agitated thyroxine on the climbing activity of frogs. Vet. Hum. Toxicol. 36: 56–9 (1994).
- Milewska, G. et al.: Homoeopathic treatment of alcohol withdrawal. British Homoeopathic Journal 82: 249–251 (1993).
- Oberbaum, M. et al.: Wound healing by homeopathic silica dilutions in mice. Harefuah 123:79–82 (1992).
- Rastogi, D.P.: Evaluation of homoeopathic therapy in 129 asymptomatic HIV carriers. British Homoeopathic Journal, Vol. 82: pp. 4 – 8 (1993).
- Walach, H.: Does a highly diluted homoeopathic drug act as a placebo in healthy volunteers? Experimental study of Belladonna 30C in double-blind crossover design – a pilot study. Journal of Psychosomatic Research 37 (8): 851–60 (1993)
Anschriften (Ausschnitt)
- Deutscher Zentralverein Homöopathischer Ärzte e.V., Alte Steige, 72213 Altensteig. T 07453–3300.
- Verein zur Förderung der Homöopathie, Linkenheimer Landstr. 113, 76149 Karlsruhe. T 0721–753754.
- Niedersächsische Akademie für Homöopathie und Naturheilverfahren, Blumläger Kirchweg 1, 29221 Celle. T 05141/23336.
- Fortbildungsaddressen bezgl. Zusatzbezeichnung “Homöopathie” auch über regionale Ärztekammern.
Interview
“Ärztliches Interesse und Anteilnahme am Patienten sind bei der Homöopathie quasi systemimmanent”
Homöopathie wird in Deutschland vor allem in den Praxen von Niedergelassenen ausgeübt. Das folgende Gespräch mit dem erfahrenen homöopathischen Arzt Dr. Konrad Menhard, Celle, soll einige Einblicke in das höchst farbige Verhältnis von “Arzt und Homöopathie” erlauben.
? Viele Wege zur Homöopathie verlaufen höchst individuell. Wie war das bei Ihnen, Dr. Menhard?
! Nach Problemen im Umfeld der Geburt meiner Tochter suchte ich einen vertrauenswürdigen Kinderarzt. Ich fand einen homöopathisch praktizierenden Kinderarzt, der mir dann auch – damals studierte ich noch – den Ratschlag gab, mich näher mit der Homöopathie zu beschäftigen. Anfänglich habe ich einige der homöopathischen Grundlagenwerke gelesen und später Fortbildungskurse in Wien besucht (damals war das Kursangebot noch nicht so reichhaltig wie heute). Die weitere und wesentliche Ausbildung in Homöopathie erfolgte später im Rahmen einer dreijährigen ärztlichen Tätigkeit an dem renommierten Athener Zentrum für Homöopathie in Griechenland.
? Wie sieht Ihre homöopathische Fortbildung heute aus?
! Unsere Gemeinschaftspraxis ist gleichzeitig auch eine homöopathische Lehrpraxis. Das bedeutet unter anderem, daß wir uns täglich mit den Kollegen zusammensetzen, um Fälle zu besprechen und Fortbildung zu betreiben. Daneben besuche ich immer wieder Weiterbildungsseminare. Teilweise in unseren hochwertigen Fortbildungseinrichtungen hier in Celle (die immer wieder mit renommierten Referenten aus dem In- und Ausland besetzt sind), teilweise auch anderwo.
? Auf das Lesen zur Fortbildung ist wahrscheinlich nicht zu verzichten?
! Ja, wir alle müssen natürlich immer und immer wieder unsere homöopathischen Materiae medicae, also die Arzneimittellehren verschiedenster Autoren, lesen und studieren. Wichtig sind auch die verschiedenen homöopathischen und anderen medizinischen Fachzeitschriften. Homöopathisches Arbeiten ohne ständige Fortbildung ist eigentlich garnicht möglich.
? Wie wichtig ist die ärztliche Ausbildung in der Praxis der Homöopathie?
! Der klinische Hintergrund, die klinische Erfahrung ist auch für die homöopathische Arbeit sehr wichtig. Ich werde z.B. ganz skeptisch, wenn ein junger Kollege zu uns kommt und gleich nach dem Studium bei uns arbeiten möchte – ohne daß er umfängliche klinische Erfahrungen und Ausbildung hat.
? Woraus besteht Unterschied im Arzt-Patienten-Verhältnis zwischen Homöopathie und orthodoxer ärztlicher Tätigkeit?
! Die Homöopathie macht den Therapeuten – gerade auch vor dem der Hintergrund der Arzneimittelbilder – neugierig auf seine Patienten. Er fragt sich z.B., was steckt eigentlich für eine körperliche, seelische und geistige Dynamik hinter der Erkrankung, hinter dem Patienten. In der Schulmedizin geht es hingegen um die Diagnose und nachher um die vorzugsweise schematisierte Therapie. Wenn sich der schulmedizinische Kollege also für seinen Patienten interessiert, dann muß er sich eigentlich außerhalb seines Systems stellen. Bei homöopathischen Ärzten sind das Interesse und die Anteilnahme für den Patienten hingegen quasi systemimmanent.
? Was sind die wichtigsten Erkrankungsgruppen einer homöopathischen Privatpraxis?
! Viele Patienten kommen zu uns, weil die bisherige Behandlung unbefriedigend oder ganz ohne Ergebnis verlaufen ist, bzw. auch langfristige Nebenwirkungen aufgetreten sind. Häufig z.B. in Folge einer Antibiotika- oder Corticoidtherapie, oft auch nach Impfungen.
Wichtig sind chronisch-rezidiverende Infektionen, akute Infektionen wie Cystitis oder Bronchitis und natürlich die Kinderkrankheiten. Chronisch-degenerative Erkrankungen wie Rheuma, Asthma, Allergien sowie chronische Schmerzen sind ebenfalls häufige Indikationen.
? Wie sieht es mit psychischen oder psychosomatischen Störungen in der Homöopathie aus?
! Schon Hahnemann hat die Seele und die seelischen Vorgänge als ganz wesentlich für die Gesundheit des Menschen angesehen; und übrigens schon 1791 Reformvorschläge zur damaligen Psychiatrie gemacht. Wir sehen und behandeln häufig Patienten mit Angsterkrankungen, aber auch vielfältigen psychosomatischen Funktionsstörungen.
? Welche Rolle spielt die Homöopathie als adjuvante Behandlungsmaßnahme?
! Auch bei Erkrankungen, bei denen die schulmedizinische Medikation belassen wird, z.B. Diabetes, Malignomen, Epilepsie und anderen, kann die homöopathische Therapie noch wirkungsvoll sein. Wenn auch nicht heilend, so doch zumindest palliativ. Häufige Beispiele sind Durchblutungsstörungen und Polyneuropathien bei Diabetes oder Schmerzen und Schlafstörungen bei Krebs. Solche Patienten machen immerhin etwa 20% unseres Klientels aus.
? Wie hoch ist der Zeitaufwand einer durchschnittlichen homöopathischen Konsultation?
! Für die Erstanamnese ist mit 1,5 bis 3 Stunden zu rechnen, normale Folgebesuche liegen zwischen 20 und 50 Minuten. Selbst akut notwendig werdende Konsultationen, z.B. wegen Exazerbationen von Beschwerden oder akut aufgetretenen anderen Erkrankungen, brauchen zwischen 10 und 30 Minuten.
? Ist dies – also die Ausübung der klassischen Homöopathie – überhaupt noch in einer kassenärztlichen Praxis möglich?
! Es war in den letzten Jahren etlichen Kollegen noch schlecht und recht möglich. Seit Inkrafttreten des EBM ’96 kann kaum noch ein Kollege kostendeckend arbeiten; viele suchen verzweifelt nach Auswegen. Und dies, obwohl Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt haben, daß z.B. die Arzneimittelkosten einer homöopathischen Praxis nur ein 1/3 und weniger einer normalen Kassenpraxis betragen. Auch Krankschreibungen oder Kuraufenthalte sind bei einem homöopathisch behandelten Klientel deutlich seltener.
? Gibt es Erstattungsprobleme bei Privatliquidation?
! Da wir wenige, für uns verwendbare Ziffern haben, müssen wir die möglichen Steigerungssätzen auch ausschöpfen. Während die meisten privaten Krankenversicherer kaum Probleme damit haben, stellen wir häufig fest, daß sich Beihilfestellen quer stellen. Dies scheint sich insbesondere gegen homöopathische Leistungserbringer zu richten.
? Abschließend noch die Frage nach der Wirksamkeit von homöopathischen Kombinationsmitteln sowie deren indikationsbezogenen Anwendung?
! Nach unserer Erfahrung sind diese Präparate nicht wirkungslos. Selbst bei indikationsbezogener Anwendung, z.B. akuter Grippe. Das Hauptproblem bei ihrem Einsatz liegt jedoch ganz woanders: Werden diese Präparate entsprechend klinischer, somatischer Indikationen angewendet, besteht die Gefahr, daß nicht weiter nachgefragt wird, bzw. daß der Patient nicht richtig angeschaut wird. Dies aber gehört zum Wesen der Homöopathie. Bei dieser Art der Homöopathie lernt der Arzt weder seine Patienten noch seine Arzneimittel wirklich kennen – die Gefahr des “Stehenbleibens” ist dann sehr groß. Selbst wenn es also klinische Indikationen für bestimmte homöopathische Mittel geben mag, sollte der Anspruch erfüllt werden, so spezifisch wie nur möglich nach den Regeln Hahnemanns zu therapieren. Wie sich aber das Verhältnis der verschiedenen Realisationen der Homöopathie untereinander und gegenüber der Schulmedizin entwickeln wird, ist unabsehbar. Nach meiner Ansicht beginnt die 200 Jahre alte Homöopathie gerade erst, ihren Kinderschuhen zu entwachsen.
! Vielen Dank, Dr. Menhard, für dieses Gespräch!
Kurze Geschichte der Homöopathie
1796 erschien in einer der renommiertesten deutschen Medizinzeitschriften ein Aufsatz des sächsischen Arztes Samuel Hahnemann (1755–1843) unter dem Titel “Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen nebst einigen Blicken auf die bisherigen”. Hahnemann, der sich als Arzt und Pharmazeut bereits einen Namen gemacht hatte, entwickelte in diesem Aufsatz die Grundzüge der Ähnlichkeitsregel “Similia Similibus Curentur”.
Als Samuel Hahnemann am Ende des 18. Jahrhunderts die Homöopathie entwickelte, war die Medizin von ihrem heutigen Wissensstand noch weit entfernt. Ohne viel von den Ursachen der Krankheiten zu verstehen, quälten die Ärzte ihre Patienten mit Aderlassen, Klistieren und gewaltigen Mengen häufig giftiger Medikamente. Bevor Hahnemann das Simile-Prinzip entdeckte, zeigten ihm seine ersten praktischen Erfahrungen als junger Arzt, wie wenig er mit der herkömmlichen Medizin ausrichten konnte. Enttäuscht zog er sich zunächst aus der Praxis zurück und führte mit seiner Frau Henriette und seinen 11 Kindern ein unruhiges Wanderleben.
Durch seine zahlreichen Publikationen und Übersetzungen wissenschaftlicher Werke gewann Hahnemann Anerkennung in medizinischen Fachkreisen. In den folgenden Jahrzehnten erforschte und dokumentierte er akribisch die Wirkungen der Arzneimittel. Bei diesen Arzneimittelprüfungen wurde Hahnemann von seiner Familie und seinen Schülern unterstützt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren die Grundlage für sein zuerst 1810 veröffentlichtes “Organon der rationalen Heilkunde”, das ein Standardwerk für homöopathische Ärzte geblieben ist. Bei seinen Forschungen erkannte Hahnemann später, daß kleinste Arzneigaben oftmals eine viel stärkere Wirkung besaßen als große. Aus diesen Beobachtungen entwickelte er das Prinzip der potenzierten, durch Verdünnung wirksamen Heilmittel, das bis heute in der homöopathischen Therapie angewandt wird.
Als im Jahre 1831 die erste große Cholera-Epidemie über Europa hereinbrach, standen die Ärzte dieser Katastrophe machtlos gegenüber. Die herkömmlichen Therapien mit Aderlassen und Abführmitteln gefährdeten die Patienten mehr als sie ihnen halfen. Die homöopathische Cholera-Behandlung dagegen erzielte beachtliche Erfolge; dies verschaffte der neuen Heilkunde Ansehen in der Bevölkerung und half ihr bei der Überwindung bürokratischer Hindernisse und Verbote
1835 heiratete der Witwer Samuel Hahnemann die 45 Jahre jüngere Französin Melanie d’Hervilly und gründete mit ihr in Paris eine international geschätzte Praxis, die viele berühmte Künstler und Mitglieder europäischer Adelshäuser aufsuchten. Am 2.Juli 1843 starb Samuel Hahnemann in Paris.
Die Homöopathie wurde im 19. Jahrhundert schnell bekannt und durch Hahnemanns Schüler zunächst in Europa und bald auch weltweit verbreitet. Berühmte Patienten wie Beethoven, Goethe, Fürst Schwarzenberg oder Paganini trugen zu ihrer Popularität ebenso bei wie eine aktive homöopathische Laienbewegung. Von Beginn an war die Homöopathie aber auch scharfen Angriffen von Seiten der “Schulmedizin” ausgesetzt. Deren Kritik zielt bis heute darauf, daß sich die Wirkmechanismen homöopathischer, d. h. potenzierter, Medikamente naturwissenschaftlich nicht erklären lassen. Die offensichtlichen therapeutischen Erfolge der Homöopathie und eine wachsende Skepsis gegenüber der konventionellen Medizin haben in den letzten Jahren aber dazu geführt, daß sich weltweit mehr und mehr Patienten dieser 200jährigen Heilkunde anvertrauen.
(nach Angaben des Deutschen Hygiene-Museums, Dresden)
Autor
• Rainer H. Bubenzer, 7.10.2016.
Quellen
• Motto von Hahnemanns Hauptwerk “Organon der Heilkunst”, 1. Auflage 1810. [zurück]
• Nicht weltanschauliche Gründe haben am häufigsten Dissens zwischen Homöopathen und anderen hervorgerufen, sondern ökonomische: Schon zu Hahnemann’s Zeiten brach beispielsweise ein Streit über ein uraltes Recht der Ärzte hervor, das die Apotheker schon der damaligen Zeit nicht mehr akzeptieren wollten – nämlich das Selbstdispensierrecht. Dieses Recht erwies sich in den Anfängen der Homöopathie als besonders wichtig, da nur wenigen Apothekern zugetraut wurde, die aufwendigen Herstellungsvorschriften homöopathischer Arzneien auch wirklich zu befolgen. Mit der Einführung des Homöopathischen Arzneimittelbuches (HAB) und der steigenden Qualität pharmazeutischer Produktion schwächte sich dieses Problem ab, ohne jedoch völlig zu verschwinden. [zurück]
• Ausgehend von diesem Ansatz konnte in den 80iger Jahren ein bemerkenswerter Befund erhoben werden: Die Arbeitsgruppe um Reilly wies signifikante Wirkungen potenzierter, d.h. nicht nur verdünnter Graspollen bei Heuschnupfen nach – obwohl die Simileregel nicht beachtet wurde. [zurück]
• Reilly, D.T. et al.: Is homoeopathy a placebo response? Controlled trial of homoeopathic potency, with pollen in hayfever as model. The Lancet ii: 881–6, 1986.