Aude sapere – wage, zu wissen [1] – Homöopathie heute: Kontrovers wie eh und je

Hahnemann
“Des Arz­tes höchs­ter und ein­zi­ger Beruf ist es, kran­ke Men­schen gesund zu machen, was man Hei­len nennt”. Arzt­kri­tik von Samu­el Hah­ne­mann in sei­nem Orga­non der Heil­kunst, § 1 (1810).

200 Jah­re Homöo­pa­thie – 200 Jah­re Zeit für Miß­ver­ständ­nis­se und Vor­ur­tei­le. Am häu­figs­ten ist zu hören: “Seit eini­ger Zeit gehe ich zu einem Homöo­pa­then. Wirk­lich gut! Mein Rücken tut gar nicht mehr weh, wenn der mit sei­nen Nadel gesto­chen hat.” Gemeint ist – wie so oft – ein Heil­prak­ti­ker, der sich offen­bar an der Aku­punk­tur ver­sucht. Das häu­figs­tes Vor­ur­teil auf ärzt­li­cher Sei­te: “Homöo­pa­thie ist doch irgend­was mit Pflan­zen und dann so stark ver­dünnt, daß nichts mehr drin ist!?”

Alle die­se Vor­ur­tei­le ent­hal­ten einen wah­ren Kern: Ja, homöo­pa­thi­sche Dia­gnos­tik und The­ra­pie wird nicht nur von Ärz­ten, son­dern auch von Heil­prak­ti­kern prak­ti­ziert. Ja, vie­le homöo­pa­thi­sche Arz­nei­mit­tel ent­stam­men dem phy­to­the­ra­peu­ti­schen Arse­nal unse­rer Mate­ria medi­ca. Es fin­den aber genau­so tie­ri­sche, mine­ra­li­sche oder che­misch-syn­the­ti­sche Sub­stan­zen Ver­wen­dung. Nein, nur weni­ge Heil­prak­ti­ker prak­ti­zie­ren die Leh­re von Samu­el Hah­ne­mann (1755–1843), dem Begrün­der der Homöo­pa­thie. Der Grund ist der glei­che wie bei Ärz­ten: Ent­we­der es fehlt der Glau­be an die Wirk­sam­keit oder das Erler­nen fällt zu schwer. Nein, wenigs­tens bis zu einer bestimm­ten Ver­dün­nungs­stu­fe ist in homöo­pa­thi­schen Heil­mit­teln durch­aus Sub­stanz ent­hal­ten. Die Geis­ter schei­den sich an der Fra­ge, ob die­se stark ver­dünn­ten The­ra­peu­ti­ka mehr als nur eine Pla­ce­bo­wir­kung ent­fal­ten oder nicht. Bei der Fra­ge, ob ein Arz­nei­mit­tel mit einer Ver­dün­nungs­stu­fe ober­halb von D23 (s.u.) – wel­ches aner­kann­ter­ma­ßen kei­ne Wirk­sub­stanz mehr ent­hält! – noch eine spe­zi­fi­sche Wirk­sam­keit ent­fal­tet, herrscht hin­ge­gen Klar­heit: Die “Homöo­pa­then” glau­ben dar­an, die natur­wis­sen­schaft­lich ori­en­tier­ten Wis­sen­schaft­ler und Ärz­te nicht.

Wirksam, nur wenn man dran glaubt!?

Die Homöo­pa­thie hat in ihrer 200jährigen Geschich­te Anfein­dun­gen erfah­ren, die nur zum Teil ratio­nal aus ihrer Gegen­sätz­lich­keit zu den herr­schen­den Lehr­mei­nun­gen erklär­bar sind. Das letz­te Bei­spiel sol­chen Vor­ge­hens wur­de von natur­wis­sen­schaft­lich aus­ge­bil­de­ten Medi­zi­nern aus Mar­burg im Dezem­ber 1992 gelie­fert: “Der Fach­be­reich Human­me­di­zin der Phil­ipps-Uni­ver­si­tät Mar­burg ver­wirft die Homöo­pa­thie als eine Irr­leh­re”. Die­ses sog. Mar­bur­ger Mani­fest hält die Grund­pfei­ler der Homöo­pa­thie, näm­lich die Ähn­lich­keits­re­gel oder das Poten­zie­ren für nicht ver­ein­bar mit dem “ver­nünf­ti­gen Denken”.

Eige­ne wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chun­gen zu dem The­ma wur­den übri­gens nicht durch­ge­führt. Damit stellt sich zum wie­der­hol­ten Male die Fra­ge, ob die seit 200 Jah­ren immer wie­der­keh­ren­den “Hexen­ver­fol­gun­gen”[2] der Homöo­pa­thie nicht eher Defi­zi­te der eige­nen wis­sen­schaft­li­chen Metho­dik auf­de­cken. Denn: Auch die Ergeb­nis­se einer kli­ni­schen Stu­die z.B. zur “Prä­va­lenz­re­duk­ti­on von Colon-Ca durch Ace­tyl­sa­li­cyl­säu­re” las­sen sich nicht durch “ver­nünf­ti­ges Den­ken” vorwegnehmen.

Das weit­ge­hen­de Feh­len nach­voll­zieh­ba­rer kli­ni­scher Stu­di­en­ergeb­nis­se zur Wirk­sam­keit der Homöo­pa­thie wird im wesent­li­chen in ihrer Metho­dik begrün­det (sie­he unten: Anmer­kun­gen Prof. Paul Knip­schild, Maas­tricht). Ob die Homöo­pa­thie tat­säch­lich wirk­sam ist, wer­den inter­es­sier­te Ärz­tIn­nen des­we­gen nur durch vor­ur­teils­freie Annä­he­rung an die Behand­lungs­prin­zi­pi­en der Homöo­pa­thie und deren empi­ri­sche Erfol­ge in der Pra­xis beur­tei­len kön­nen (“Wer heilt, hat recht”…). Die hier­für not­wen­di­gen – wesent­li­chen – Pfei­ler homöo­pa­thi­scher Dia­gnos­tik und The­ra­pie sol­len im fol­gen­den kurz dar­ge­stellt werden.

Die Grundpfeiler der Homöopathie

Prio­ri­tät ärzt­li­cher Erfahrung

“Die ärzt­li­che Erfah­rung hat in der Homöo­pa­thie einen hohen Stel­len­wert. Jeder Pati­ent ist eine neue Erfah­rung und jedes Berufs­jahr zählt, wäh­rend in der Schul­me­di­zin der letz­te Wis­sens­stand zählt und älte­re Kol­le­gen öfter als aus­lau­fen­de Model­le gehan­delt werden”.

Zitat Dr. med. Kon­rad Men­hard, Cel­le, 1996 (anläß­lich einer 200-Jah­­res­­fei­er zum Bestehen der Homöopathie).

Ähn­lich­keits­re­gel “Ähn­li­ches wird durch Ähn­li­ches geheilt” oder “Simi­lia simi­li­bus curen­tur”, heißt es bei Hah­ne­mann. Gemeint ist damit, daß ein Stoff, der am Gesun­den ein bestimm­tes Sym­ptom erzeugt, einen Erkrank­ten mit einem ähn­li­chen Sym­ptom hei­len kann (Homöo­pa­thie). Die, von Hah­ne­mann so bezeich­ne­te, “All­o­pa­thie” setzt hin­ge­gen gegen­sin­nig wir­ken­de Sub­stan­zen ein. Bei­spiel: Eine aku­te Masti­tis wur­de und wird – nicht nur in vor­an­ti­bio­ti­scher Zeit – gekühlt (All­o­pa­thie). In ande­ren Kul­tur­krei­sen wird sie jedoch mit zusätz­li­cher Wär­me the­ra­piert (Homöo­pa­thie).

Auch wenn die “Simi­le­re­gel” dem kau­sal-patho­ge­ne­ti­schen Den­ken befremd­lich erscheint, ist zu beden­ken, daß in der ärzt­li­che Pra­xis bis heu­te Krank­heits­bil­der vor­herr­schen, die mit einer Fül­le von Sym­pto­men, Befind­lich­keits- sowie Funk­ti­ons­stö­run­gen ein­her­ge­hen, die sich einem mecha­nis­ti­schen Ver­ständ­nis ent­zie­hen. Bei­spiel: Bei einer pri­mä­ren Psy­cho­so­ma­to­se dau­ert es in Deutsch­land zwi­schen fünf und sie­ben Jah­ren bis eine adäqua­te Dia­gnos­tik und The­ra­pie einsetzt.

Hahnemann Briefmarke

Neue Brief­mar­ke zu Ehren Hah­ne­manns, seit 12.9.1996 erhältlich

Arz­nei­mit­tel­prü­fung (AMP) am Gesun­den Grund­la­ge der homöo­pa­thi­schen Arz­nei­mit­tel­the­ra­pie ist die Kennt­nis von qua­si toxi­ko­lo­gi­schen Sym­pto­men, die eine Sub­stanz beim Gesun­den aus­löst (“Arz­nei­mit­tel-Krank­heit”). Wird ein neu­es Mit­tel auf sei­ne homöo­pa­thi­sche Taug­lich­keit geprüft (der­zeit lie­gen aus­führ­li­che Prüf­be­rich­te zu mehr als 1.500 Sub­stan­zen vor), wird zuerst nach Auf­fäl­lig­kei­ten bei bereits bekann­ten Ver­gif­tungs­sym­pto­men (Grob­to­xi­ko­lo­gie) gesucht. Anschlie­ßend wird die Sub­stanz soweit ver­dünnt, daß kei­ne star­ken Ver­gif­tungs­sym­pto­me mehr zu erwar­ten sind. Die­ses Prüf-Prä­pa­rat wird dann von den Prüf­lin­gen über Tage, Wochen oder Mona­te ein­ge­nom­men. Alle in die­sem Zusam­men­hang auf­tre­ten­den Ver­än­de­run­gen und Sym­pto­me wer­den dann zu dem sog. Arz­nei­mit­tel­bild zusammengefaßt.

Ein berüch­tig­tes Bei­spiel hier­für ist der Weg des Nitro­gly­ce­rins in die Medi­zin: Schon früh waren an den Arbei­tern in den Spreng­stoff­a­bri­ken von Alfred Nobel merk­wür­di­ge Beschwer­den auf­ge­fal­len – Migrä­ne­an­fäl­le, Flushs und ande­res. Dem homöo­pa­thi­schen Arzt Kon­stan­tin Hering wur­de dies bekannt und er begann ver­dünn­tes Nitro­gly­ce­rin homöo­pa­thisch zu prü­fen. Ab 1847 wur­de es dann Bestand­teil der homöo­pa­thi­schen Mate­ria medi­ca. Die Ein­füh­rung in die Schul­me­di­zin ließ hin­ge­gen noch etli­che Jah­re auf sich warten.

Homöo­pa­thie wis­sen­schaft­lich nicht haltbar

“Auch wenn man Hah­ne­mann zugu­te hal­ten muß, ein exzel­len­ter Arzt und Beob­ach­ter gewe­sen zu sein, der zu Recht die Medi­zin sei­ner Zeit kri­ti­sier­te, ist sei­ne ‘Ideo­lo­gie’ der Homöo­pa­thie wis­sen­schaft­lich durch nichts halt­bar. Die Homöo­pa­thie wird den Ansprü­chen einer wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten Medi­zin kaum gerecht”.

Prof. Dr. Karl-Frie­d­rich Sewing, MH Hannover.

Auf­fas­sung vie­ler klas­si­scher Homöo­pa­then ist es bis heu­te, daß – trotz der enor­men Arz­nei­mit­tel­fül­le – jeder homöo­pa­thi­sche Arzt (in spe) Arz­nei­mit­tel­prü­fun­gen an sich selbst unter­neh­men soll­te. Natür­lich nicht mit toxi­schen Sub­stan­zen, son­dern ent­spre­chend poten­zier­ten Mit­teln. So und nur so kön­ne sich sein Blick für jene sym­pto­ma­to­lo­gi­schen Beson­der­hei­ten schär­fen, die er spä­ter auch bei sei­nen Pati­en­ten ent­de­cken muß.

Poten­zie­rung Für die Ver­dün­nung homöo­pa­thi­scher Sub­stan­zen wen­de­te Hah­ne­mann ein beson­de­res Ver­fah­ren an: Die seit­her als Poten­zie­rung bezeich­ne­te rhyth­mi­sche und stu­fen­wei­se Ver­dün­nung. Hier­bei wird immer ein Teil Wirk­stoff mit neun (999 und mehr) Tei­len Lösungs­stoff (Alko­hol, Was­ser, Milch­zu­cker) durch inten­si­ves Schüt­teln oder Ver­rei­ben ver­mischt. Es ent­steht die ers­te Potenz (D1, C1, LM1, etc.). Wird der Vor­gang wie­der­holt, ent­ste­hen höhe­re Ver­dün­nungs­stu­fen oder Poten­zen. Ob Hah­ne­mann die­ses Ver­fah­ren aus metho­di­schen Grün­den ver­wen­det hat (um z.B. eine repro­du­zier­ba­re Ver­dün­nungs­stu­fe ohne beson­de­re tech­ni­sche Vor­aus­set­zun­gen zur errei­chen), ob er alten alche­mis­ti­schen Tra­di­tio­nen folg­te oder ande­re Grün­de hat­te, konn­te nie rest­los geklärt wer­den. Obwohl die Poten­zie­rung aus phar­ma­ko­lo­gi­scher Sicht ledig­lich eine defi­nier­te Ver­dün­nung ist, kamen Hah­ne­mann und sei­ne Schü­ler zu der Ansicht, daß erst das rhyth­mi­sche Ver­dün­nen die eigent­li­chen the­ra­peu­ti­schen Kräf­te einer Sub­stanz ent­fal­tet, sie also dyna­mi­siert und potent macht. Hah­ne­mann hat, im Gegen­satz zu vie­len sei­ner Schü­ler, kei­ne wei­te­ren theo­re­ti­schen Spe­ku­la­tio­nen über die Ursa­chen der Wirk­sam­keit poten­zier­ter Homöo­pa­thi­ka ange­stellt, er pos­tu­lier­te ledig­lich deren empi­ri­sche the­ra­peu­ti­sche Effizienz.

Zu beden­ken ist, daß die Wirk­sam­keit von poten­zier­ten Arz­nei­mit­teln (beson­ders wenn sie über D23 ver­dünnt wur­den) nicht mit wis­sen­schaft­lich aner­kann­ten Nach­weis­ver­fah­ren belegt wer­den konn­te. Auch die bis­lang vor­ge­leg­ten Model­le, wie ein Lösungs­mit­tel ohne Wirk­sub­stanz noch arz­nei­lich wirk­sam sein soll, befrie­dig­ten selbst die meis­ten Homöo­pa­then nicht. Eine der jün­ge­ren Theo­rien pos­tu­liert bei­spiels­wei­se, daß dem Lösungs­mit­tel Was­ser durch die Poten­zie­rung eine sta­bi­le, quas­i­k­ris­tal­li­ne Struk­tur (H20-Mole­kül­ag­gre­ga­te) auf­ge­zwun­gen wird, die als Infor­ma­ti­ons­spei­cher die­nen. Der homöo­pa­thi­sche Inter­es­sent braucht sich jedoch um die­se, teil­wei­se recht eso­te­ri­sche und eif­rig geführ­te Dis­kus­si­on nicht zu küm­mern. Homöo­pa­thi­sche The­ra­pie wird seit Hah­ne­mann auch und vor allem mit den sog. Nied­rig­po­ten­zen durch­ge­führt. Und in die­sen ist beru­hi­gen­der­wei­se immer noch Wirk­stoff enthalten.

Natur­wis­sen­schaft und Naturheilkunde

“Unse­re natur­wis­sen­schaft­lich gepräg­te Medi­zin inter­pre­tiert jene nicht indi­vi­du­el­len Teil­aspek­te der Krank­heit, die kau­sal­ana­ly­ti­schem Den­ken zugäng­lich sind. Sie wird des­halb erst zur Heil­kun­de, wenn ärzt­li­ches Hand­werk und phi­lo­so­phi­sches Nach­den­ken sie ergän­zen. Natur­heil­kun­de ver­steht das Indi­vi­du­um als offe­nes, selbst­re­gu­lie­ren­des Sys­tem, des­sen unend­lich vie­le Mecha­nis­men und Stra­te­gien zur Auf­recht­erhal­tung sei­ner Inte­gri­tät es zu stüt­zen gilt. In der ärzt­li­chen Pra­xis müs­sen bei­de Kon­zep­te immer gleich­zei­tig und gleich­wer­tig ver­füg­bar sein, um nicht nur Stö­run­gen zu behe­ben, son­dern auch Hei­lung bewir­ken zu können.”

Zitat Prof. Dr. med. S. Jen­ny, Zürich.
Quel­le: Jen­ny, S.: Heil­kun­de und Men­schen­bild – zur Theo­rie des ärzt­li­chen Auf­trags. Schwei­ze­ri­sche Rund­schau für Medi­zin 82: 727–30 (1993).
Homöo­pa­thi­sche Dia­gnos­tik Ent­spre­chend der Simi­le­re­gel gilt es, bei einem kran­ken Pati­en­ten nach der kli­ni­schen Unter­su­chung in aus­führ­li­cher Befra­gung ein voll­um­fäng­li­ches Beschwer­de­bild zu erfas­sen, das auch alle beson­de­ren, indi­vi­du­el­len Ver­än­de­run­gen der Pati­en­ten erfaßt (homöo­pa­thi­sche Ana­mne­se). Hier­bei spie­len nicht nur soma­ti­sche Beschwer­den und Ver­än­de­run­gen (“Durch­fall”, “Haut­rö­tun­gen”, “Juck­reiz”, etc.) eine Rol­le, son­dern auch Sym­pto­me im psy­cho­men­ta­len (“Wei­ner­lich­keit”) oder psy­cho­so­zia­len Bereich (“Zurück­ge­zo­gen­heit”). Auch alle Moda­li­tä­ten kön­nen von Belang sein. Hier­zu gehö­ren zeit­lich regel­mä­ßi­ges Auf­tre­ten von Beschwer­den (“Juck­reiz am Knie, abends um 10 Uhr”), der Typus von Sym­pto­men (“flach anstei­gen­des Fie­ber”) oder Kor­re­la­tio­nen zu ande­ren Ereig­nis­sen (“Wet­ter­ab­hän­gig­keit”, “Beschwer­de­ver­schlim­me­rung bei Kon­takt mit Menschen”).

Als prak­ti­scher Anhalts­punkt und Hil­fe für die homöo­pa­thi­sche Ana­mne­se ste­hen Fra­ge­bö­gen zur Ver­fü­gung, die 10, 20 oder mehr Sei­ten umfas­sen kön­nen. Mit zuneh­men­der Erfah­rung jedoch, so ver­si­chern vie­le homöo­pa­thisch arbei­ten­de Ärz­te, schärft sich der dia­gnos­ti­sche Blick und die Empa­thie soweit, daß sich die anfäng­lich oft lang­dau­ern­de homöo­pa­thi­sche Ana­mne­se (bis zu 1,5 Stun­den) deut­lich ver­kürzt. Ein Effekt, der in glei­cher Wei­se auch bei erfah­re­nen Psy­cho­the­ra­peu­ten oder Psy­cho­so­ma­ti­kern auftritt.


Wann ist Medi­zin nicht Religion?

“If pati­ents are to be pro­tec­ted against infe­ri­or or inef­fec­tu­al tre­at­ment, modern medi­cal the­ra­py can­not be regard­ed as a branch of reli­gi­on; and the­ra­peu­tic agents must be app­rai­sed with methods that are effi­ci­ent, incisi­ve, and unbiased”.

Prof. Dr. Alan R. Fein­stein, Yale Uni­ver­si­ty School of Medi­ci­ne, 1980.

Reper­to­ri­sa­ti­on Ist schließ­lich das gesam­te indi­vi­du­el­le Beschwer­de­bild des Pati­en­ten mit allen sei­nen zar­ten Aus­prä­gun­gen und Beson­der­hei­ten erfaßt, beginnt die Suche nach Arz­nei­mit­teln, deren Arz­nei­mit­tel­bild Ähn­lich­kei­ten zu dem Beschwer­de­bild auf­weist. Wie auch in der kli­ni­schen Dia­gnos­tik ist zuvor die Wer­tig­keit der Befun­de fest­zu­le­gen. Am bedeu­tends­ten sind die sog. Leit­sym­pto­me (“Ver­lan­gen nach fri­scher Luft trotz Frie­ren”), also unge­wöhn­li­che oder stark domi­nie­ren­de Beschwer­den. Loka­le Sym­pto­me (“Magen­schmer­zen”) und All­ge­mein­sym­pto­me (“Frös­tel­ge­fühl”) und ihre Moda­li­tä­ten sind zu berück­sich­ti­gen, ste­hen aber oft­mals hin­ter den Gemüts- und Geis­tes­sym­pto­men zurück. Die­se beschrei­ben die see­li­sche oder geis­ti­ge Ver­fas­sung der Pati­en­ten, ihre Wesens­art, Ein­stel­lung oder auch Träu­me. Grund­sätz­lich ist beson­ders die Gesamt­heit der indi­vi­du­el­len, eigen­heit­li­chen Ver­än­de­run­gen und Sym­pto­me der Kran­ken rele­vant und nicht allein die soma­ti­schen Ver­än­de­run­gen (“Muco­sa­de­fekt der Spei­se­röh­re”) und ihre typi­schen Kon­se­quen­zen (“Sod­bren­nen”). Dies ist der Grund, war­um die Homöo­pa­thie zu den ganz­heit­li­chen Metho­den der Kom­ple­men­tär­me­di­zin gerech­net wird. An die­sem Punkt wird deut­lich, daß das Erler­nen der Homöo­pa­thie nicht allein aus Lehr­bü­chern statt­fin­den kann. Immer und immer wie­der müs­sen rea­le Kran­ken­ge­schich­ten mit erfah­re­nen Tuto­ren bespro­chen und ein­ge­schätzt werden.

Es ist klar, daß kein Mensch die Arz­nei­mit­tel­bil­der von über 1.500 Phar­ma­ka im Kopf haben kann. Aus die­sem Grund ste­hen umfang­rei­che Wer­ke zur Ver­fü­gung, in denen die Sym­pto­me und Beschwer­den den jewei­li­gen Phar­ma­ka zuge­ord­net sind, die soge­nann­ten Reper­tori­en. Die in Fra­ge kom­men­den Phar­ma­ka wer­den mit Hil­fe des gedruck­ten Reper­to­ri­ums oder eines ent­spre­chen­den Com­pu­ter­sys­tems ein­ge­grenzt. Ein wei­te­res Stu­di­um der jewei­li­gen Arz­nei­mit­tel­bil­der (Arz­nei­mit­tel­leh­re) führt dann zu dem wahr­schein­lichs­ten homöo­pa­thi­schen Heilmittel.

Mono­the­ra­pie Hah­ne­mann selbst hat die Gabe von Ein­zel­mit­teln favo­ri­siert. Dies ist vor dem Hin­ter­grund der zumeist irra­tio­na­len Poly­prag­ma­sie sei­ner Zeit mehr als ver­ständ­lich. Auch die moder­ne Phar­ma­ko­lo­gie ist in den letz­ten 20 Jah­ren die­sen Weg von der The­ra­pie mit fixen Kom­bi­na­tio­nen hin zu einer ratio­na­le­ren Mono­the­ra­pie gegan­gen. Trotz­dem fin­den sich auf dem Markt immer noch vie­le Kom­bi­na­tio­nen, sowohl bei den Homöo­pa­thi­ka (“Kom­plex­mit­tel”) als auch bei den ande­ren Arz­nei­mit­teln. Teil­wei­se ste­hen sogar Kom­bi­na­tio­nen aus Phar­ma­ka bei­der Grup­pen zur Verfügung.

Vie­le (“klas­si­sche”) Homöo­pa­then ver­ur­tei­len bis heu­te die Ver­wen­dung von Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­ra­ten. Und zwar aus ganz prak­ti­schen Grün­den: Zum einen sind viel­fäl­ti­ge Inter­ak­tio­nen zwi­schen Homöo­pa­thi­ka bekannt, die zu Wir­kungs­ver­lus­ten füh­ren kön­nen. Zum ande­ren bewir­ken Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­ra­te manch­mal eine Nach­läs­sig­keit bei der homöo­pa­thi­schen Dia­gnos­tik und Arz­nei­mit­tel­fin­dung (“Schrot­schuß­the­ra­pie”). Schließ­lich kann, und dies gilt für die gesam­te Phar­ma­ko­lo­gie, ein Kom­bi­na­ti­ons-Arz­nei­mit­tel nie­mals so indi­vi­du­ell sein, wie ein indi­vi­du­ell ein­ge­setz­tes Monotherapeutikum.

Dosie­rung Nun gilt es noch die Dosie­rung des Homöo­pa­thi­kums fest­zu­le­gen. Das heißt, nicht nur Men­ge und Dosie­rungs­ab­stand son­dern auch Potenz des Mit­tels zu bestim­men. Ein­fa­che Regeln erleich­tern seit Hah­ne­mann die The­ra­pie: Je aku­ter der Krank­heits­zu­stand ist, um so häu­fi­ger kann das gewähl­te Homöo­pa­thi­kum gege­ben wer­den und um so nied­ri­ger soll­te sein Potenz sein. Ent­schei­dend bei aku­ten Stö­run­gen oder Erkran­kun­gen ist des­halb auch eine rasche Wie­der­vor­stel­lung der Pati­en­ten, um the­ra­peu­ti­sche Erfol­ge ein­zu­schät­zen und even­tu­el­le Modi­fi­ka­tio­nen der Behand­lung vor­zu­neh­men. Bei chro­ni­schen Erkran­kun­gen, beson­ders wenn sie eher dis­po­si­ti­ons­be­dingt (fami­li­är) erschei­nen, sind höhe­re oder hohe Poten­zen in teil­wei­se sehr gro­ßen Abstän­den einzunehmen.

Erst­ver­schlim­me­rung Eine Beob­ach­tung machen homöo­pa­thisch prak­ti­zie­ren­de Ärz­te immer wie­der (und ande­re Kom­ple­men­tär­me­di­zi­ner übri­gens auch): Wur­de ein rich­ti­ges Arz­nei­mit­tel gefun­den und appli­ziert, kön­nen sich die Beschwer­den anfäng­lich ver­schlech­tern. Wird bei feh­len­dem medi­zi­ni­schen Ein­wand die anfäng­li­che The­ra­pie fort­ge­setzt, sol­len sich dann aber bald die erwünsch­ten Bes­se­run­gen ein­stel­len. Erst­ver­schlim­me­rung wird also als pro­gnos­tisch güns­ti­ges Zei­chen gewer­tet. Beson­ders bei chro­ni­schen Erkran­kun­gen befin­det sich der homöo­pa­thi­sche Arzt hier gele­gent­lich auf einem schma­len Grat zwi­schen The­ra­pie­ab­bruch- oder Fort­set­zung. In jedem Fall aber soll­te dann die übli­che “schul­me­di­zi­ni­sche” Dia­gnos­tik ver­stärkt ein­ge­setzt wer­den, um viel­leicht noch uner­kann­te Ursa­chen für Exazer­ba­tio­nen zu fin­den und die­se gege­be­nen­falls sym­pto­ma­tisch zu lindern.


Indikationen für die Homöopathie

Alle Krankheiten, die der Selbstregulation des Organismus zugänglich sind, besonders

  • funk­tio­nel­le Erkran­kun­gen (z.B. Colon irritabile)
  • psy­cho­so­ma­ti­sche Erkran­kun­gen (z.B. Migräne)
  • psy­chi­sche Erkran­kun­gen (z.B. Neurose)
  • Infek­ti­ons­krank­hei­ten (z.B. Masern)
  • chro­­nisch-ent­­zün­d­­li­che und dege­ne­ra­ti­ve Erkran­kun­gen (z.B. Colitis)
  • bei vie­len orga­nisch mani­fes­ten Erkran­kun­gen mit irrever­si­blen Schä­den (z.B. Arthro­se) noch zur sym­pto­ma­ti­schen Linderung

absolute Kontraindikationen

  • All­er­gie gegen ein­ge­setz­te Homöo­pa­thi­ka in nied­ri­ger Potenz (z.B. Bie­nen­gift = Apis mell.). Ab der D12-Potenz gefahrlos.

relative Kontraindikationen (Auswahl)

  • Erkran­kun­gen mit not­wen­di­ger Sub­sti­tu­ti­on (z.B. IDDM)
  • aku­te Erkran­kun­gen mit Not­wen­dig­keit zu sofor­ti­ger suf­fi­zi­en­ter The­ra­pie (z.B. AMI, Sta­tus asthmaticus)
  • Krank­hei­ten mit Bedarf einer Sup­pres­si­ons­the­ra­pie (z.B. all­er­gi­scher Schock, the­ra­pie­re­frak­tä­rer, schwe­rer rheu­ma­ti­scher Schub)
  • infaus­te orga­ni­sche Erkran­kung (z.B. Malignome)
  • bei feh­len­der Eigen­re­gu­la­ti­ons­mög­lich­keit, auf die Homöo­pa­thi­ka ein­wir­ken können

nach: Augus­tin, M. et al.: Pra­xis­leit­fa­den Natur­heil­kun­de. Jung­jo­hann, Neckar­sulm 1992.

Brückenbau zwischen Homöopathie und naturwissenschaftlicher Medizin

Für moder­ne Ärz­te besteht eine Kluft zwi­schen der sym­pto­men­be­zo­ge­nen homöo­pa­thi­schen und der patho­ge­ne­tisch-indi­ka­ti­ons­be­zo­ge­nen moder­nen Medi­zin. Beson­ders in Deutsch­land wur­de des­we­gen schon seit lan­gem der Ver­such unter­nom­men, die­se Kluft zu über­brü­cken. Vor allem aber seit­dem sich die Homöo­pa­thie in den 30iger Jah­ren uner­war­te­ter staat­li­cher Auf­merk­sam­keit und För­de­rung erfreu­en durf­te (Hein­rich Himm­ler). Nicht erst seit die­ser Zeit gibt es zwei Schu­len: Die klas­si­sche Homöo­pa­thie, deren Schü­ler dem Rat Hah­ne­manns fol­gen. “Macht’s nach, aber macht’s genau nach”! Und die “kri­tisch-natur­wis­sen­schaft­li­che” Homöo­pa­thie (Alfons Stie­ge­le, Karl Stauf­fer, Juli­us Mez­ger u.a.), nach deren Beob­ach­tung homöo­pa­thi­sche Arz­nei­mit­tel – vor­zugs­wei­se nied­rig dosiert – auch indi­ka­ti­ons­be­zo­gen ein­ge­setzt wer­den kön­nen. Hier­zu wer­den Homöo­pa­thi­ka ein­ge­setzt, häu­fig auch als Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­ra­te zusam­men­ge­faßt, die sich nach homöo­pa­thi­scher Empi­rie beson­ders häu­fig bei Erkran­kun­gen bestimm­ter Organ­sys­te­me erfolg­reich zei­gen. Gera­de die­se Rich­tung hat in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten eine beson­de­re Ent­wick­lung erfah­ren, zumal sie bei Ärz­ten und Pati­en­ten wegen ihrer (pos­tu­lier­ten) Neben­wir­kungs­ar­mut beliebt ist. Der Ein­satz sol­cher Mit­tel ver­rin­gert zudem bei eini­gen Ärz­ten die Ein­stiegs­schwel­le in die klas­si­sche, die “rich­ti­ge” Homöo­pa­thie. Aller­dings ist nach Ansicht der klas­si­schen Homöo­pa­then fest­zu­hal­ten, daß in der eigent­li­chen Domä­ne der klas­si­schen Homöo­pa­thie – näm­lich den chro­ni­schen Erkran­kun­gen – mit homöo­pa­thi­schen Kom­bi­na­ti­ons­prä­pa­ra­ten oder indi­ka­ti­ons­be­zo­ge­nen Mit­teln nur sel­ten ech­te Erfol­ge zu erzie­len sind.

Impulsgeber Homöopathie

Kei­ne medi­zi­ni­sche Schu­le der Neu­zeit hat sich solan­ge hal­ten kön­nen wie die Homöo­pa­thie (ledig­lich die durch­gän­gi­ge Ver­wen­dung von Phy­to­phar­ma­ka kann auf eine län­ge­re Geschich­te zurück­bli­cken). In die­ser Zeit hat es zahl­rei­che, zumeist ver­ges­se­ne Impul­se der Homöo­pa­thie auf die sich ent­wi­ckeln­de natur­wis­sen­schaft­li­che Medi­zin gege­ben. Deren wich­tigs­te sind die streng empi­ri­sche Metho­do­lo­gie, die Mono­the­ra­pie, die Prü­fung von Arz­nei­mit­teln auch an Gesun­den sowie zahl­lo­se Arz­nei­mit­tel, die über flei­ßi­ge homöo­pa­thi­sche Prü­fer auch in die Mate­ria medi­ca der “Schul­me­di­zin” gelang­ten. Beson­ders bemer­kens­wert ist die Hypo­sen­si­bi­li­sie­rungs-The­ra­pie, die neue­re homöo­pa­thi­sche Behand­lungs­prin­zi­pi­en in die All­er­gie­be­hand­lung ein­führ­te [3]. Der wich­tigs­te Impuls, den die ortho­do­xe Medi­zin gege­ben hat, ist die Qua­li­fi­ka­ti­on der homöo­pa­thi­schen The­ra­peu­ten in allen übli­chen ärzt­li­chen Dis­zi­pli­nen. Ein Man­ko vie­ler Homöo­pa­then des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts war näm­lich ihre oft man­gel­haf­te Aus­bil­dung und ärzt­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on. Seit­her hat sich gezeigt, daß ortho­do­xe ärzt­li­che Aus­bil­dung und homöo­pa­thi­sche Pra­xis kein Gegen­satz sein brau­chen, son­dern sich viel­mehr sinn­voll ergän­zen kön­nen. Dies spie­gelt sich auch in den Ver­ord­nungs­ge­wohn­hei­ten in nahe­zu allen Län­dern der west­li­chen Welt, in Süd­ame­ri­ka und in Indi­en wider: Homöo­pa­thi­sche Pro­duk­te wer­den nicht nur häu­fig, son­dern auch ger­ne ein­ge­setzt. Dies liegt nicht allein an der ver­mu­te­ten Neben­wir­kungs­ar­mut, ihrem hohen Beliebt­heits­grad bei vie­len Pati­en­ten oder dem äußerst gerin­gen Preis, son­dern – und dar­auf deu­tet die 200jähre Bestän­dig­keit der Homöo­pa­thie hin – viel­leicht doch an der the­ra­peu­ti­schen Wirk­sam­keit die­ser beson­de­ren Therapierichtung.


“Die Homöopathie hat weder die gewünschte Wirksamkeit noch überhaupt eine stoffliche Wirkung”

Aus­zug aus “Alter­na­ti­ve arz­nei­the­ra­peu­ti­sche Ver­fah­ren”. Ein Memo­ran­dum der Deut­schen Gesell­schaft für Phar­ma­ko­lo­gie und Toxi­ko­lo­gie. Nie­der­sächs. Ärz­te­blatt 66 (2): 18–20 (1993).

Die Homöo­pa­thie wur­de von dem erfolg­rei­chen Arzt Samu­el Hah­ne­mann (1755–1843) begrün­det. Sie beruht auf fünf Grund­sät­zen, die vor 180 Jah­ren mit den dama­li­gen wis­sen­schaft­li­chen Kennt­nis­sen ver­ein­bar waren, sich spä­ter aber als unzu­tref­fend her­aus­ge­stellt haben:

Vita­lis­mus (= Krank­heit und Hei­lung sind imma­te­ri­el­le Pro­zes­se). Die­se his­to­ri­sche Anschau­ung, daß Lebens­vor­gän­ge tran­szen­den­ta­ler Natur sei­en und sich nach ande­ren Geset­zen ver­hal­ten, als die unbe­leb­te Natur kam bereits 1831 durch Wöh­lers Harn­stoff­syn­the­se ins Wan­ken. Heu­te ist klar, daß Leben, Krank­hei­ten und Hei­lung, ja sogar psy­cho­so­ma­ti­sche Vor­gän­ge, an bio­­che­­misch-mate­­ri­el­­le Pro­zes­se gebun­den sind. “Geis­ti­ge” Arz­nei­mit­tel­wir­kun­gen gibt es nicht.

Krank­heits­bild (= der Sym­pto­men­kom­plex bestimmt die Arz­nei­mit­tel­wahl). Zu Hah­ne­manns Zei­ten waren die Ursa­chen selbst von Infek­ti­ons­krank­hei­ten nicht bekannt, eine kla­re Unter­schei­dung zwi­schen Krank­heit und Sym­ptom nicht mög­lich. Erst nach sei­nem Tode wur­den die Zusam­men­hän­ge zwi­schen Patho­ge­ne­se, patho­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen und Sym­pto­men erkannt, die Mög­lich­kei­ten kau­sa­ler statt sym­pto­ma­ti­scher The­ra­pie eröff­net. Eine Behand­lung von Sym­pto­men ist heu­te unzu­läs­sig, wenn Mög­lich­kei­ten einer kau­sa­len The­ra­pie gege­ben sind.

Simi­­le-Regel […] Heu­te wis­sen wir aber, daß die­ses Prin­zip nur in weni­gen Fäl­len (z.B. Digi­ta­lis, Metham­phet­amin) und auch da nur vor­der­grün­dig zutrifft. Bei prak­tisch allen Arz­nei­mit­teln mit beleg­ter Wirk­sam­keit trifft das Ähn­lich­keits­prin­zip bei the­ra­peu­ti­scher Dosie­rung nicht zu. Zudem haben Nach­prü­fun­gen an Gesun­den erge­ben, daß Homöo­pa­thi­ka viel­fach nicht die ihnen zuge­schrie­be­nen Wir­kun­gen (Arz­nei­bil­der) zeigen.

Poten­zie­rung (= Arz­nei­ver­dün­nung bewirkt Wir­kungs­s­ver­stär­kung). Der jun­ge Hah­ne­mann woll­te durch mög­lichst nied­ri­ge Dosie­rung die zu sei­ner Zeit häu­fi­gen Arz­nei­mit­tel­in­to­xi­ka­tio­nen ver­mei­den. Spä­ter ver­selb­stän­dig­te sich bei ihm die Idee der Ver­dün­nung (“Poten­zie­rung”) durch Schüt­teln, Ver­rei­ben zum eigen­stän­di­gen the­ra­peu­ti­schen Prin­zip mit der Vor­stel­lung, daß der Wirk­stoff dabei dyna­mi­siert und ver­stärkt wür­de. Man kann Hah­ne­mann zugu­te hal­ten, daß das Atom und damit die begrenz­te Teil­bar­keit von Stof­fen erst 1803 durch Dal­ton ver­stärkt in die Dis­kus­si­on ein­ge­bracht wur­de und die Losch­mid­sche Zahl, die angibt, nach wie­vie­len Ver­dün­nungs­schrit­ten kein Wirk­stoff mehr vor­han­den ist, erst 1865 ermit­telt wur­de. Anhän­ger des Poten­zie­rungs­prin­zips set­zen sich dar­über hin­weg, daß hoch­po­ten­zier­te Homöo­pa­thi­ka kei­nen Wirk­stoff mehr ent­hal­ten und igno­rie­ren das in den letz­ten 100 Jah­ren erar­bei­te­te Wis­sen über Rezep­to­r­af­fi­ni­tät und rich­ti­ge Dosis­fin­dung, in der Annah­me einer ima­gi­nä­ren, “dyna­mi­schen” Wir­kung auf das Trä­ger­me­di­um (Was­ser, Milch­zu­cker, etc.).

Mono­the­ra­pie (= nur mit einem Stoff behan­deln). Hah­ne­mann woll­te durch The­ra­pie mit nur einem Mine­ral­stoff oder einer Heil­pflan­ze die Behand­lung trans­pa­rent hal­ten, konn­te jedoch noch nicht wis­sen, daß Pflan­zen­ex­trak­te meist mehr als nur einen Wirk­stoff ent­hal­ten. Die klas­si­sche Homöo­pa­thie stand mit der For­de­rung nach einer Mono­the­ra­pie der moder­nen Phar­ma­ko­lo­gie näher, als der moder­nen Homöo­pa­thie mit ihren unüber­sicht­li­chen Kombinationspräparaten.

Zusam­men­fas­send muß man sagen, daß die Grund­la­gen der Homöo­pa­thie dem Kennt­nis­stand des aus­ge­hen­den 18. Jahr­hun­derts ent­spre­chen. Die dar­aus ent­wi­ckel­ten Grund­sät­ze sind nach heu­ti­gem Kennt­nis­stand über­holt. Die Mit­tel der klas­si­schen Homöo­pa­thie sind aus heu­ti­ger Sicht nach fal­schen Grund­sät­zen (Simi­­lie-Prin­­zip) aus­ge­sucht und wer­den zudem falsch (also zu nied­rig) dosiert. Damit haben sie weder die gewünsch­te Wirk­sam­keit noch über­haupt eine stoff­li­che Wirkung.”


Metaanalyse: Wirksamkeits-Hinweise und Forderung nach anerkannten Studienstandards

Maas­tricht. In einer groß­an­ge­leg­ten Meta­ana­ly­se unter­such­ten Wis­sen­schaft­ler der Abtei­lung Epi­de­mo­lo­gy and Health Care Rese­arch der Uni­ver­si­tät Lim­burg, Hol­land, 107 bestehen­de kli­ni­sche Stu­di­en zur Wirk­sam­keit der Homöo­pa­thie (auch ande­re kom­ple­men­tär­me­di­zi­ni­sche Ver­fah­ren wur­den der Arbeits­grup­pe um Prof. Paul Knip­schild im Lau­fe der Jah­re äußerst kri­tisch unter die Lupe genom­men – und ver­sag­ten dabei überwiegend).

Knip­schild et al. kom­men zu dem zu erwar­ten­den Schluß, daß es zwar gewis­se Hin­wei­se auf die Wirk­sam­keit auch klas­si­scher Homöo­pa­thie gäbe, die­se aber nicht aus­rei­chen, um Kon­se­quen­zen (für die kli­ni­sche Pra­xis) dar­aus zu zie­hen. Ursa­che: Die meis­ten Stu­di­en haben eine zu gerin­ge metho­di­sche Qua­li­tät. Den­noch recht­fer­ti­gen die vor­lie­gen­den der­zei­ti­gen Ergeb­nis­se sehr wohl, so die hol­län­di­sche Arbeits­grup­pe 1991, wei­te­re Stu­di­en. Die­se soll­ten jedoch allen moder­nen Anfor­de­run­gen an kli­ni­sche Stu­di­en genü­gen. Bei der wei­ten Ver­brei­tung der Homöo­pa­thie nicht nur in Euro­pa, son­dern auch in zahl­lo­sen ande­ren Län­dern, sei­en sol­che Unter­su­chun­gen auch mehr als berechtigt.

Eine Abfuhr erteilt Knip­schild jenen Befür­wor­tern der Homöo­pa­thie, die die akzep­tier­ten metho­di­schen und sta­tis­ti­schen Stan­dards kli­ni­scher Stu­di­en für zu unan­ge­mes­sen hal­ten, um die Wirk­sam­keit homöo­pa­thi­scher The­ra­pien signi­fi­kant zu bele­gen. Nach Ansicht des Exper­ten für die Metho­dik kli­ni­scher Stu­di­en, Prof. Knip­schild, ist es sehr wohl mög­lich, Unter­su­chungs­we­ge zu beschrei­ten, die sowohl wis­sen­schaft­li­chen Anfor­de­run­gen Genü­ge tun als auch den Inter­es­sen “enthu­si­as­ti­scher Homöo­pa­then” ent­ge­gen­kom­men. “Aller­dings”, so bedau­er­te Knip­schild im Inter­view, “müs­sen wir fest­stel­len, daß unse­re Kom­pe­tenz von Kom­ple­men­tär­me­di­zi­nern wenig in Anspruch genom­men wird. Dabei wäre es äußerst sinn­voll, daß es schon in der ers­ten Pla­nungs­pha­se zu Kon­tak­ten käme”.

Quel­le: Klei­j­nen, J. et al.: Cli­ni­cal tri­als of homoeo­pa­thy. Bri­tish Medi­cal Jour­nal 302: 316–23 (1991).

Bücher (Einführung, Grundlagen, Theorie)

  • Braun, A.: Metho­dik der Homöo­path. Ver­lags­buch­hand­lung Sonn­tag, Regens­burg, 1975.
  • Eichel­ber­ger, O.: Klas­si­sche Homöo­pa­thie. Haug, Hei­del­berg, 1982.
  • Hah­ne­mann, S.: Orga­non der Heil­kunst. Hip­po­kra­tes-Ver­lag, Stutt­gart, 1955.
  • Hah­ne­mann, S.: Heil­kun­de der Erfah­rung. Haug, Ulm, 1962.
  • Kent, J.T.: Zur Theo­rie der Homöo­pa­thie. Grund­la­gen und Pra­xis, Leer 1973.
  • Frit­sche, H.: Samu­el Hah­ne­mann – Idee und Wirk­lich­keit der Homöo­pa­thie. Burg­dorf 1994.
  • Vor­stand und wis­sen­schaft­li­cher Bei­rat der Bun­des­ärz­te­kam­mer: Arz­nei­be­hand­lung im Rah­men “beson­de­rer The­ra­pie­ein­rich­tun­gen”. Deut. Ärz­te­ver­lag, Köln, 1993.

Zeitschriften-Titel (sehr kleine Auswahl)

  • All­ge­mei­ne Homöo­pa­thi­sche Zei­tung (Dies ist übri­gens der ältes­te Titel aller ärzt­li­chen Zeit­schrif­ten in Deutsch­land – seit 1832)
  • Deut­sches Jour­nal fur Homöopathie
  • Zeit­schrift für Klas­si­sche Homöopathie

Internet (Einführungen, Addressen, Mailing-Listen, etc.)

Wissenschaftliche Studien (Auszug)

  • Chi­ri­la, M. et al.: Effects of Oci­mum basi­li­cum 5x in workers chro­ni­cal­ly expo­sed to chlo­ri­ne. Bri­tish Homoeo­pa­thic Jour­nal 83: 92–3 (1994).
  • Eid, P. et al.: Appli­ca­bi­li­ty of homoeo­pa­thic Caul­ophyl­lum tha­li­co­tro­ides during labour. Bri­tish Homoeo­pa­thic Jour­nal (82): 245–248 (1993).
  • End­ler, P.C. et al.: The effect of high­ly diluted agi­ta­ted thy­ro­xi­ne on the clim­bing acti­vi­ty of frogs. Vet. Hum. Toxi­col. 36: 56–9 (1994).
  • Milews­ka, G. et al.: Homoeo­pa­thic tre­at­ment of alco­hol with­dra­wal. Bri­tish Homoeo­pa­thic Jour­nal 82: 249–251 (1993).
  • Ober­baum, M. et al.: Wound heal­ing by home­opa­thic sili­ca dilu­ti­ons in mice. Hare­fuah 123:79–82 (1992).
  • Rasto­gi, D.P.: Eva­lua­ti­on of homoeo­pa­thic the­ra­py in 129 asym­pto­ma­tic HIV car­ri­ers. Bri­tish Homoeo­pa­thic Jour­nal, Vol. 82: pp. 4 – 8 (1993).
  • Wala­ch, H.: Does a high­ly diluted homoeo­pa­thic drug act as a pla­ce­bo in healt­hy vol­un­teers? Expe­ri­men­tal stu­dy of Bel­la­don­na 30C in dou­ble-blind cross­over design – a pilot stu­dy. Jour­nal of Psy­cho­so­ma­tic Rese­arch 37 (8): 851–60 (1993)

Anschriften (Ausschnitt)

  • Deut­scher Zen­tral­ver­ein Homöo­pa­thi­scher Ärz­te e.V., Alte Stei­ge, 72213 Alten­steig. T 07453–3300.
  • Ver­ein zur För­de­rung der Homöo­pa­thie, Lin­ken­hei­mer Land­str. 113, 76149 Karls­ru­he. T 0721–753754.
  • Nie­der­säch­si­sche Aka­de­mie für Homöo­pa­thie und Natur­heil­ver­fah­ren, Blum­lä­ger Kirch­weg 1, 29221 Cel­le. T 05141/​23336.
  • Fort­bil­dungs­ad­dres­sen bezgl. Zusatz­be­zeich­nung “Homöo­pa­thie” auch über regio­na­le Ärz­te­kam­mern.


Interview
“Ärztliches Interesse und Anteilnahme am Patienten sind bei der Homöopathie quasi systemimmanent”

Homöo­pa­thie wird in Deutsch­land vor allem in den Pra­xen von Nie­der­ge­las­se­nen aus­ge­übt. Das fol­gen­de Gespräch mit dem erfah­re­nen homöo­pa­thi­schen Arzt Dr. Kon­rad Men­hard, Cel­le, soll eini­ge Ein­bli­cke in das höchst far­bi­ge Ver­hält­nis von “Arzt und Homöo­pa­thie” erlauben.

? Vie­le Wege zur Homöo­pa­thie ver­lau­fen höchst indi­vi­du­ell. Wie war das bei Ihnen, Dr. Menhard?

! Nach Pro­ble­men im Umfeld der Geburt mei­ner Toch­ter such­te ich einen ver­trau­ens­wür­di­gen Kin­der­arzt. Ich fand einen homöo­pa­thisch prak­ti­zie­ren­den Kin­der­arzt, der mir dann auch – damals stu­dier­te ich noch – den Rat­schlag gab, mich näher mit der Homöo­pa­thie zu beschäf­ti­gen. Anfäng­lich habe ich eini­ge der homöo­pa­thi­schen Grund­la­gen­wer­ke gele­sen und spä­ter Fort­bil­dungs­kur­se in Wien besucht (damals war das Kurs­an­ge­bot noch nicht so reich­hal­tig wie heu­te). Die wei­te­re und wesent­li­che Aus­bil­dung in Homöo­pa­thie erfolg­te spä­ter im Rah­men einer drei­jäh­ri­gen ärzt­li­chen Tätig­keit an dem renom­mier­ten Athe­ner Zen­trum für Homöo­pa­thie in Griechenland.

? Wie sieht Ihre homöo­pa­thi­sche Fort­bil­dung heu­te aus?

! Unse­re Gemein­schafts­pra­xis ist gleich­zei­tig auch eine homöo­pa­thi­sche Lehr­pra­xis. Das bedeu­tet unter ande­rem, daß wir uns täg­lich mit den Kol­le­gen zusam­men­set­zen, um Fäl­le zu bespre­chen und Fort­bil­dung zu betrei­ben. Dane­ben besu­che ich immer wie­der Wei­ter­bil­dungs­se­mi­na­re. Teil­wei­se in unse­ren hoch­wer­ti­gen Fort­bil­dungs­ein­rich­tun­gen hier in Cel­le (die immer wie­der mit renom­mier­ten Refe­ren­ten aus dem In- und Aus­land besetzt sind), teil­wei­se auch anderwo.

? Auf das Lesen zur Fort­bil­dung ist wahr­schein­lich nicht zu verzichten?

! Ja, wir alle müs­sen natür­lich immer und immer wie­der unse­re homöo­pa­thi­schen Mate­riae medi­cae, also die Arz­nei­mit­tel­leh­ren ver­schie­dens­ter Autoren, lesen und stu­die­ren. Wich­tig sind auch die ver­schie­de­nen homöo­pa­thi­schen und ande­ren medi­zi­ni­schen Fach­zeit­schrif­ten. Homöo­pa­thi­sches Arbei­ten ohne stän­di­ge Fort­bil­dung ist eigent­lich gar­nicht möglich.

? Wie wich­tig ist die ärzt­li­che Aus­bil­dung in der Pra­xis der Homöopathie?

! Der kli­ni­sche Hin­ter­grund, die kli­ni­sche Erfah­rung ist auch für die homöo­pa­thi­sche Arbeit sehr wich­tig. Ich wer­de z.B. ganz skep­tisch, wenn ein jun­ger Kol­le­ge zu uns kommt und gleich nach dem Stu­di­um bei uns arbei­ten möch­te – ohne daß er umfäng­li­che kli­ni­sche Erfah­run­gen und Aus­bil­dung hat.

? Wor­aus besteht Unter­schied im Arzt-Pati­en­­ten-Ver­­häl­t­­nis zwi­schen Homöo­pa­thie und ortho­do­xer ärzt­li­cher Tätigkeit?

! Die Homöo­pa­thie macht den The­ra­peu­ten – gera­de auch vor dem der Hin­ter­grund der Arz­nei­mit­tel­bil­der – neu­gie­rig auf sei­ne Pati­en­ten. Er fragt sich z.B., was steckt eigent­lich für eine kör­per­li­che, see­li­sche und geis­ti­ge Dyna­mik hin­ter der Erkran­kung, hin­ter dem Pati­en­ten. In der Schul­me­di­zin geht es hin­ge­gen um die Dia­gno­se und nach­her um die vor­zugs­wei­se sche­ma­ti­sier­te The­ra­pie. Wenn sich der schul­me­di­zi­ni­sche Kol­le­ge also für sei­nen Pati­en­ten inter­es­siert, dann muß er sich eigent­lich außer­halb sei­nes Sys­tems stel­len. Bei homöo­pa­thi­schen Ärz­ten sind das Inter­es­se und die Anteil­nah­me für den Pati­en­ten hin­ge­gen qua­si systemimmanent.

? Was sind die wich­tigs­ten Erkran­kungs­grup­pen einer homöo­pa­thi­schen Privatpraxis?

! Vie­le Pati­en­ten kom­men zu uns, weil die bis­he­ri­ge Behand­lung unbe­frie­di­gend oder ganz ohne Ergeb­nis ver­lau­fen ist, bzw. auch lang­fris­ti­ge Neben­wir­kun­gen auf­ge­tre­ten sind. Häu­fig z.B. in Fol­ge einer Anti­­bio­­­ti­­ka- oder Cor­ti­co­id­the­ra­pie, oft auch nach Impfungen.

Wich­tig sind chro­­nisch-rezi­­di­­ver­­en­­de Infek­tio­nen, aku­te Infek­tio­nen wie Cys­ti­tis oder Bron­chi­tis und natür­lich die Kin­der­krank­hei­ten. Chro­­nisch-dege­­ne­ra­­ti­­ve Erkran­kun­gen wie Rheu­ma, Asth­ma, All­er­gien sowie chro­ni­sche Schmer­zen sind eben­falls häu­fi­ge Indikationen.

? Wie sieht es mit psy­chi­schen oder psy­cho­so­ma­ti­schen Stö­run­gen in der Homöo­pa­thie aus?

! Schon Hah­ne­mann hat die See­le und die see­li­schen Vor­gän­ge als ganz wesent­lich für die Gesund­heit des Men­schen ange­se­hen; und übri­gens schon 1791 Reform­vor­schlä­ge zur dama­li­gen Psych­ia­trie gemacht. Wir sehen und behan­deln häu­fig Pati­en­ten mit Angst­er­kran­kun­gen, aber auch viel­fäl­ti­gen psy­cho­so­ma­ti­schen Funktionsstörungen.

? Wel­che Rol­le spielt die Homöo­pa­thie als adju­van­te Behandlungsmaßnahme?

! Auch bei Erkran­kun­gen, bei denen die schul­me­di­zi­ni­sche Medi­ka­ti­on belas­sen wird, z.B. Dia­be­tes, Mali­gno­men, Epi­lep­sie und ande­ren, kann die homöo­pa­thi­sche The­ra­pie noch wir­kungs­voll sein. Wenn auch nicht hei­lend, so doch zumin­dest pal­lia­tiv. Häu­fi­ge Bei­spie­le sind Durch­blu­tungs­stö­run­gen und Poly­neu­ro­pa­thien bei Dia­be­tes oder Schmer­zen und Schlaf­stö­run­gen bei Krebs. Sol­che Pati­en­ten machen immer­hin etwa 20% unse­res Kli­en­tels aus.

? Wie hoch ist der Zeit­auf­wand einer durch­schnitt­li­chen homöo­pa­thi­schen Konsultation?

! Für die Erst­ana­mne­se ist mit 1,5 bis 3 Stun­den zu rech­nen, nor­ma­le Fol­ge­be­su­che lie­gen zwi­schen 20 und 50 Minu­ten. Selbst akut not­wen­dig wer­den­de Kon­sul­ta­tio­nen, z.B. wegen Exazer­ba­tio­nen von Beschwer­den oder akut auf­ge­tre­te­nen ande­ren Erkran­kun­gen, brau­chen zwi­schen 10 und 30 Minuten.

? Ist dies – also die Aus­übung der klas­si­schen Homöo­pa­thie – über­haupt noch in einer kas­sen­ärzt­li­chen Pra­xis möglich?

! Es war in den letz­ten Jah­ren etli­chen Kol­le­gen noch schlecht und recht mög­lich. Seit Inkraft­tre­ten des EBM ’96 kann kaum noch ein Kol­le­ge kos­ten­de­ckend arbei­ten; vie­le suchen ver­zwei­felt nach Aus­we­gen. Und dies, obwohl Unter­su­chun­gen der letz­ten Jah­re gezeigt haben, daß z.B. die Arz­nei­mit­tel­kos­ten einer homöo­pa­thi­schen Pra­xis nur ein 1/​​3 und weni­ger einer nor­ma­len Kas­sen­pra­xis betra­gen. Auch Krank­schrei­bun­gen oder Kur­auf­ent­hal­te sind bei einem homöo­pa­thisch behan­del­ten Kli­en­tel deut­lich seltener.

? Gibt es Erstat­tungs­pro­ble­me bei Privatliquidation?

! Da wir weni­ge, für uns ver­wend­ba­re Zif­fern haben, müs­sen wir die mög­li­chen Stei­ge­rungs­sät­zen auch aus­schöp­fen. Wäh­rend die meis­ten pri­va­ten Kran­ken­ver­si­che­rer kaum Pro­ble­me damit haben, stel­len wir häu­fig fest, daß sich Bei­hil­fe­stel­len quer stel­len. Dies scheint sich ins­be­son­de­re gegen homöo­pa­thi­sche Leis­tungs­er­brin­ger zu richten.

? Abschlie­ßend noch die Fra­ge nach der Wirk­sam­keit von homöo­pa­thi­schen Kom­bi­na­ti­ons­mit­teln sowie deren indi­ka­ti­ons­be­zo­ge­nen Anwendung?

! Nach unse­rer Erfah­rung sind die­se Prä­pa­ra­te nicht wir­kungs­los. Selbst bei indi­ka­ti­ons­be­zo­ge­ner Anwen­dung, z.B. aku­ter Grip­pe. Das Haupt­pro­blem bei ihrem Ein­satz liegt jedoch ganz woan­ders: Wer­den die­se Prä­pa­ra­te ent­spre­chend kli­ni­scher, soma­ti­scher Indi­ka­tio­nen ange­wen­det, besteht die Gefahr, daß nicht wei­ter nach­ge­fragt wird, bzw. daß der Pati­ent nicht rich­tig ange­schaut wird. Dies aber gehört zum Wesen der Homöo­pa­thie. Bei die­ser Art der Homöo­pa­thie lernt der Arzt weder sei­ne Pati­en­ten noch sei­ne Arz­nei­mit­tel wirk­lich ken­nen – die Gefahr des “Ste­hen­blei­bens” ist dann sehr groß. Selbst wenn es also kli­ni­sche Indi­ka­tio­nen für bestimm­te homöo­pa­thi­sche Mit­tel geben mag, soll­te der Anspruch erfüllt wer­den, so spe­zi­fisch wie nur mög­lich nach den Regeln Hah­ne­manns zu the­ra­pie­ren. Wie sich aber das Ver­hält­nis der ver­schie­de­nen Rea­li­sa­tio­nen der Homöo­pa­thie unter­ein­an­der und gegen­über der Schul­me­di­zin ent­wi­ckeln wird, ist unab­seh­bar. Nach mei­ner Ansicht beginnt die 200 Jah­re alte Homöo­pa­thie gera­de erst, ihren Kin­der­schu­hen zu entwachsen.

! Vie­len Dank, Dr. Men­hard, für die­ses Gespräch!

Kurze Geschichte der Homöopathie

Hahnemann

Neue Brief­mar­ke zu Ehren Hah­ne­manns, seit 12.9.1996 erhältlich

1796 erschien in einer der renom­mier­tes­ten deut­schen Medi­zin­zeit­schrif­ten ein Auf­satz des säch­si­schen Arz­tes Samu­el Hah­ne­mann (1755–1843) unter dem Titel “Ver­such über ein neu­es Prin­zip zur Auf­fin­dung der Heil­kräf­te der Arz­nei­sub­stan­zen nebst eini­gen Bli­cken auf die bis­he­ri­gen”. Hah­ne­mann, der sich als Arzt und Phar­ma­zeut bereits einen Namen gemacht hat­te, ent­wi­ckel­te in die­sem Auf­satz die Grund­zü­ge der Ähn­lich­keits­re­gel “Simi­lia Simi­li­bus Curentur”.

Als Samu­el Hah­ne­mann am Ende des 18. Jahr­hun­derts die Homöo­pa­thie ent­wi­ckel­te, war die Medi­zin von ihrem heu­ti­gen Wis­sens­stand noch weit ent­fernt. Ohne viel von den Ursa­chen der Krank­hei­ten zu ver­ste­hen, quäl­ten die Ärz­te ihre Pati­en­ten mit Ader­las­sen, Klis­tie­ren und gewal­ti­gen Men­gen häu­fig gif­ti­ger Medi­ka­men­te. Bevor Hah­ne­mann das Simi­le-Prin­zip ent­deck­te, zeig­ten ihm sei­ne ers­ten prak­ti­schen Erfah­run­gen als jun­ger Arzt, wie wenig er mit der her­kömm­li­chen Medi­zin aus­rich­ten konn­te. Ent­täuscht zog er sich zunächst aus der Pra­xis zurück und führ­te mit sei­ner Frau Hen­ri­et­te und sei­nen 11 Kin­dern ein unru­hi­ges Wanderleben.

Durch sei­ne zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen und Über­set­zun­gen wis­sen­schaft­li­cher Wer­ke gewann Hah­ne­mann Aner­ken­nung in medi­zi­ni­schen Fach­krei­sen. In den fol­gen­den Jahr­zehn­ten erforsch­te und doku­men­tier­te er akri­bisch die Wir­kun­gen der Arz­nei­mit­tel. Bei die­sen Arz­nei­mit­tel­prü­fun­gen wur­de Hah­ne­mann von sei­ner Fami­lie und sei­nen Schü­lern unter­stützt. Die Ergeb­nis­se die­ser Unter­su­chun­gen waren die Grund­la­ge für sein zuerst 1810 ver­öf­fent­lich­tes “Orga­non der ratio­na­len Heil­kun­de”, das ein Stan­dard­werk für homöo­pa­thi­sche Ärz­te geblie­ben ist. Bei sei­nen For­schun­gen erkann­te Hah­ne­mann spä­ter, daß kleins­te Arz­nei­ga­ben oft­mals eine viel stär­ke­re Wir­kung besa­ßen als gro­ße. Aus die­sen Beob­ach­tun­gen ent­wi­ckel­te er das Prin­zip der poten­zier­ten, durch Ver­dün­nung wirk­sa­men Heil­mit­tel, das bis heu­te in der homöo­pa­thi­schen The­ra­pie ange­wandt wird.

Als im Jah­re 1831 die ers­te gro­ße Cho­le­ra-Epi­de­mie über Euro­pa her­ein­brach, stan­den die Ärz­te die­ser Kata­stro­phe macht­los gegen­über. Die her­kömm­li­chen The­ra­pien mit Ader­las­sen und Abführ­mit­teln gefähr­de­ten die Pati­en­ten mehr als sie ihnen hal­fen. Die homöo­pa­thi­sche Cho­le­ra-Behand­lung dage­gen erziel­te beacht­li­che Erfol­ge; dies ver­schaff­te der neu­en Heil­kun­de Anse­hen in der Bevöl­ke­rung und half ihr bei der Über­win­dung büro­kra­ti­scher Hin­der­nis­se und Verbote

1835 hei­ra­te­te der Wit­wer Samu­el Hah­ne­mann die 45 Jah­re jün­ge­re Fran­zö­sin Mela­nie d’Her­vil­ly und grün­de­te mit ihr in Paris eine inter­na­tio­nal geschätz­te Pra­xis, die vie­le berühm­te Künst­ler und Mit­glie­der euro­päi­scher Adels­häu­ser auf­such­ten. Am 2.Juli 1843 starb Samu­el Hah­ne­mann in Paris.

Die Homöo­pa­thie wur­de im 19. Jahr­hun­dert schnell bekannt und durch Hah­ne­manns Schü­ler zunächst in Euro­pa und bald auch welt­weit ver­brei­tet. Berühm­te Pati­en­ten wie Beet­ho­ven, Goe­the, Fürst Schwar­zen­berg oder Paga­ni­ni tru­gen zu ihrer Popu­la­ri­tät eben­so bei wie eine akti­ve homöo­pa­thi­sche Lai­en­be­we­gung. Von Beginn an war die Homöo­pa­thie aber auch schar­fen Angrif­fen von Sei­ten der “Schul­me­di­zin” aus­ge­setzt. Deren Kri­tik zielt bis heu­te dar­auf, daß sich die Wirk­me­cha­nis­men homöo­pa­thi­scher, d. h. poten­zier­ter, Medi­ka­men­te natur­wis­sen­schaft­lich nicht erklä­ren las­sen. Die offen­sicht­li­chen the­ra­peu­ti­schen Erfol­ge der Homöo­pa­thie und eine wach­sen­de Skep­sis gegen­über der kon­ven­tio­nel­len Medi­zin haben in den letz­ten Jah­ren aber dazu geführt, daß sich welt­weit mehr und mehr Pati­en­ten die­ser 200jährigen Heil­kun­de anvertrauen.

(nach Anga­ben des Deut­schen Hygie­ne-Muse­ums, Dresden)


Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, 7.10.2016.
Quel­len
• Mot­to von Hah­ne­manns Haupt­werk “Orga­non der Heil­kunst”, 1. Auf­la­ge 1810. [zurück]
• Nicht welt­an­schau­li­che Grün­de haben am häu­figs­ten Dis­sens zwi­schen Homöo­pa­then und ande­ren her­vor­ge­ru­fen, son­dern öko­no­mi­sche: Schon zu Hahnemann’s Zei­ten brach bei­spiels­wei­se ein Streit über ein uraltes Recht der Ärz­te her­vor, das die Apo­the­ker schon der dama­li­gen Zeit nicht mehr akzep­tie­ren woll­ten – näm­lich das Selbst­dis­pen­sier­recht. Die­ses Recht erwies sich in den Anfän­gen der Homöo­pa­thie als beson­ders wich­tig, da nur weni­gen Apo­the­kern zuge­traut wur­de, die auf­wen­di­gen Her­stel­lungs­vor­schrif­ten homöo­pa­thi­scher Arz­nei­en auch wirk­lich zu befol­gen. Mit der Ein­füh­rung des Homöo­pa­thi­schen Arz­nei­mit­tel­bu­ches (HAB) und der stei­gen­den Qua­li­tät phar­ma­zeu­ti­scher Pro­duk­ti­on schwäch­te sich die­ses Pro­blem ab, ohne jedoch völ­lig zu ver­schwin­den. [zurück]
• Aus­ge­hend von die­sem Ansatz konn­te in den 80iger Jah­ren ein bemer­kens­wer­ter Befund erho­ben wer­den: Die Arbeits­grup­pe um Reil­ly wies signi­fi­kan­te Wir­kun­gen poten­zier­ter, d.h. nicht nur ver­dünn­ter Gras­pol­len bei Heu­schnup­fen nach – obwohl die Simi­le­re­gel nicht beach­tet wur­de. [zurück]
• Reil­ly, D.T. et al.: Is homoeo­pa­thy a pla­ce­bo respon­se? Con­trol­led tri­al of homoeo­pa­thic poten­cy, with pol­len in hay­fe­ver as model. The Lan­cet ii: 881–6, 1986.

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