Mistelfrüchte
Die bislang erste systematische Tolerabilitäts-Prüfung intravenöser Mistelinfusionen im Rahmen einer Phase I‑Studie ergab für den verwendeten Kiefernmistelextrakt eine sehr gute Verträglichkeit.
Die subkutane Anwendung von Mistelextrakten hat sich für alle Phasen onkologischer Erkrankungen bewährt und zeigt gute Erfolge hinsichtlich einer verbesserten Lebensqualität und der Reduktion krankheits- und therapiebedingter Begleiterscheinungen. Während die subkutane Gabe bei Langzeitbehandlungen im häuslichen Bereich verbreitet ist, werden – meist in stationären Therapiesituationen – auch Mistelinfusionen eingesetzt, wenn eine schnelle Stabilisierung des Organismus notwendig wird. Aufgrund der vielversprechenden Erfahrung in diesem Bereich sollten validierte Untersuchungen klinisch-wissenschaftliche Nachweise für die Verträglichkeit dieser hochdosierten Anwendung erbringen und im weiteren Verlauf Aufschluss darüber geben, inwieweit höhere Wirkstoffdosen auch eine schnellere und stärkere Wirksamkeit erzielen. Dabei gelang es mit der an der Freiburger Universitätsklinik durchgeführten Studie bereits im ersten Schritt, die Sicherheit der Anwendungsform zu bestätigen und somit den Grundstein für die weitere systematische Erforschung dieser Anwendung zu legen.
Ergebnisse
Die von Huber et al. publizierte Phase I‑Studie zeigte, dass die Studienmedikation* selbst dann gut vertragen wird, wenn mit einer hohen Startdosis von bis zu 2.000 mg begonnen und diese bis zu neunmal in Folge verabreicht wird [1]. Zusätzlich wurden die Art und Häufigkeit der Nebenwirkungen erfasst und mit den Nebenwirkungen der subkutanen Anwendung verglichen [4]. Bei keiner der geprüften Dosierungen ergaben sich für die intravenöse Anwendungsform Einschränkungen bezüglich der Arzneimittelsicherheit. Eine erwartete Korrelation zwischen höherer Dosierung und einer Zunahme möglicher Nebenwirkungen hat sich nicht bestätigt. Selbst bei der Maximaldosierung ist das Risiko bekannter Therapiereaktionen (Fieber, Hypersensitivität) nur leicht erhöht und es kam nur bei einem der 21 Studienpatienten zu einer als dosislimitierende Toxizität eingestuften allergischen Reaktion. Demgegenüber zeigten drei Krebspatienten auch ohne weitere konventionelle Krebstherapie eine teilweise länger anhaltende Verbesserung ihrer Tumormarker bzw. eine Stabilisierung ihrer Erkrankung.
Studienaufbau
Mistelzweig
Im Rahmen der GCP-konform durchgeführten prospektiven Dosis-Eskalationsstudie der Phase I wurden insgesamt 21 erwachsene Patienten beiderlei Geschlechts mit fortgeschrittener Krebserkrankung eingeschlossen (zusammen 12 verschiedene Tumorentitäten, am häufigsten Prostata-Ca). Zu den Ausschlusskriterien gehörten u.a. eine aktuell laufende antineoplastische Radio- oder Chemotherapie, schwere Begleiterkrankungen, frühere Misteltherapien oder eine bekannte Allergie auf Mistelpräparate.
Mit Hilfe des “3+3”-Schemas sollten die maximal verträgliche Dosis für das verwendete Mistelpräparat bei intravenöser Infusion sowie die Arzneimittelsicherheit bestimmt werden.
Es wurden fünf Dosierungsgruppen zu je drei Patienten vordefiniert, die das Mistelpräparat als Infusionslösung (wässriger Kiefernmistelextrakt* in physiologischer Kochsalzlösung) in einer Dosierung zwischen 200 mg und maximal 2.000 mg pro Anwendung erhielten. Den Patienten wurden die geplanten wöchentlichen Infusionen über einen Zeitraum von zunächst drei Wochen verabreicht. Nach Erreichen der im Studienplan festgelegten Maximaldosierung erhielten drei weitere Patienten diese Dosis über einen Zeitraum von 9 Wochen.
Verlauf
Im Studienverlauf gab es keinen Studienabbruch. Lediglich in der höchsten Dosisgruppe (2.000 mg) kam es bei einem Patienten zu einer dosislimitierenden Toxizität (allergische Reaktion mit i.v.-Antihistaminikabedarf), so dass zur Sicherstellung der Verträglichkeit weitere drei Patienten mit dieser Dosis über drei Wochen behandelt wurden. Bei diesen traten keine weiteren dosislimitierenden Nebenwirkungen oder Toxizitäten auf. Entsprechend wurden drei weitere Patienten mit 2.000 mg Kiefernmistel-Infusion über 9 Wochen behandelt, um ergänzende Hinweise auf die mittelfristige Sicherheit und Verträglichkeit der Behandlung zu gewinnen.
Sicherheit und Verträglichkeit
Typische Mistel-“Kugel”
Unabhängig von der Dosierung zeigten alle Patienten eine sehr gute Verträglichkeit des eingesetzten Mistelpräparats. Auch die Anwendungsform selbst wurde gut vertragen.
Es gab sechs schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (SUE) ohne Zusammenhang mit der Studienmedikation und ohne notwendige Unterbrechung der Mistelbehandlung. Somit traten auch keine unerwarteten schwerwiegenden Nebenwirkungen (SUSAR) im Studienverlauf auf.
Nicht-schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (UE) wurden insgesamt 155-mal registriert, deren Häufigkeit jedoch ebenfalls in keinem Zusammenhang mit der Dosierung des Mistelpräparates stand. Als weitere UE mit möglichem Kausalzusammenhang zur Studienmedikation neben der erwähnten allergische Reaktion traten Fieber Grad 1 (38–39 °C, n=4), Schwäche am Tag nach der Infusion (n=3), Eosinophilie (n=2) und eine leichte und nur kurz anhaltende Erhöhung der Alanin-Aminotransferase (n=2) auf. Außer bei der allergischen Reaktion musste bei keinem dieser Patienten die Verabreichung der Studienmedikation beendet oder modifiziert werden.
Klinische Beobachtungen
Bei zwei Patienten (Pankreas-Ca mit Lungenmetastasen bzw. medulläres Schilddrüsenkarzinom) wurde unter der Studientherapie und für weitere Wochen danach sogar eine zeitlich begrenzte Verbesserung bzw. Stabilisierung des Tumormarkerverlaufs festgestellt (Carbohydrat-Antigen 19–9 für fünf Wochen bzw. Calcitonin für zwei Monate inkl. deutlicher Fatigue-Verbesserung). Die Mistelbehandlung wurde bei diesen Patienten auch nach Beendigung der Studienteilnahme “off label” bis zum Wiederanstieg der Tumormarker weiter fortgesetzt. Eine sonstige Krebstherapie in den Wochen vor oder nach der Studienteilnahme fand nicht statt. Bei einer weiteren Patientin (Colon-Ca mit Metastasierung und Peritonealkarzinose) mit Tumorprogression unter Panitumumab vor Einschluss in die Studie kam es unter der regelmäßig fortgesetzten “off label”-Mistelbehandlung zu einer über 9 Monate anhaltenden Tumor-Stabilisierung.
Schlussfolgerung
Wöchentliche intravenöse Infusionen eines Kiefernmistelpräparates (Helixor® P) wurden bis zur geprüften Maximaldosierung von 2.000 mg sehr gut vertragen. Hinweise auf neue potenzielle Nebenwirkungen der intravenösen Infusion im Vergleich zur üblichen subkutanen Anwendung gab es nicht. Einzelne Patienten zeigten unter den Mistelinfusionen unerwartete Verbesserungen von Tumormarkern bzw. eine Stabilisierung der Erkrankung.
Weiterführende Erkenntnisse und Informationen vor allem zur Wirksamkeit der intravenösen Anwendungsform der Misteltherapie sollen nun im Rahmen weiterer Studien gewonnen werden.
*Studienmedikation: Helixor® P: Wässriger Auszug aus Viscum album subspecies austriacum ex herba recente (Kiefernmistel). ATC-Code: L01CH01 Mistelkraut. Hersteller: Helixor Heilmittel GmbH, Rosenfeld.
Das klassische “3 + 3 Design” der Phase I‑Studie
Eine Kohorte von zunächst 3 Patienten wird mit einer Startdosis des Prüfpräparats behandelt, die als sicher anzusehen ist. Tritt bei diesen Patienten keine “Dosis-limitierende Toxizität” (DLT) auf, werden weitere Kohorten zu je 3 Patienten mit immer höheren vordefinierten Dosierungen des Prüfpräparats behandelt. Wurde eine DLT beobachtet, werden weitere 3 Patienten mit derselben Dosis geprüft. Treten bei den ersten 3 Patienten oder innerhalb der 6 Patienten mindestens 2 DLTs auf, wird diese Dosis als “toxische Dosierung” definiert. In folgenden Phase II Studien dürfen nur Dosen verabreicht werden, die niedriger als diese Grenzdosis sind (Storer, BE Design and analysis of phase I clinical trials. Biometrics, 1989;45(3):925–937)
Autor
• Rainer H. Bubenzer, (2018).
Quellen
[1] Huber R, Schlodder D, Effertz C, Rieger S, Tröger W: Safety of intravenously applied mistletoe extract – results from a phase I dose escalation study in patients with advanced cancer. BMC Complement Altern Med. 2017 Sep 18;17(1):465 (DOI: 10.1186/s12906-017‑1971‑1 | PMID: 28923036).
[2] NN: Misteltherapie gegen Krebs. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrum, Heidelberg, 2016.
[3] Horneber M, Bueschel G, Dennert G, Less D, Ritter E, Zwahlen M: How many cancer patients use complementary and alternative medicine: a systematic review and metaanalysis. Integr Cancer Ther. 2012 Sep;11(3):187–203 (DOI: 10.1177/1534735411423920 | PMID: 22019489).
[4] Steele ML, Axtner J, Happe A, Kröz M, Matthes H, Schad F: Adverse Drug Reactions and Expected Effects to Therapy with Subcutaneous Mistletoe Extracts (Viscum album L.) in Cancer Patients. Evid Based Complement Alternat Med. 2014;2014:724258 (DOI: 10.1155/2014/724258 | PMID: 24672577).
weitere Infos
• Komplementäre Tumortherapie mit Mistelextrakten
• Anthroposophische Medizin
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