Dr. Gerhard Madaus
(Rezension aus Archiv der Pharmazie, 1938)
Es will als eine gewisse Bescheidenheit des Verfassers anmuten, wenn er seinem mit jahrelanger Mühe und beispiellosem Fleiß geschaffenen umfangreichen Lehrbuch als Leitspruch das Zitat aus Seneca Ep. 64 an die Spitze stellt: “Viel bleibt immer noch am Werk zu tun, und viel wird immer bleiben; und keinem sei die Gelegenheit verwehrt, etwas hinzuzufügen.” Der Verfasser füllt eine Lücke aus, denn es gibt wohl viele auf dem Gebiete der so aktuell gewordenen Heilpflanzenkunde geschaffene Bücher mit historischen Hinweisen, klinischen und praktischen Erfahrungen und eigenen Beobachtungen, und werden bei dem steigenden Interesse für dieses Gebiet immer von neuem geschaffen; aber es gibt bisher noch kein Lehrbuch, welches die an sich so ausgedehnten Gebiete der Botanik, Chemie, Pharmazie, Pharmakologie, Toxikologie und Therapie und vor allen Dingen eine Darstellung der Entwicklung der Pflanzenheilkunde, welche auf ein Jahrtausend zurückgreift, zusammenfaßt. Dieses alles miteinander in Verbindung zu bringen, ist der Leitgedanke des Verfassers bei der Schaffung seines allumfassenden Lehrbuches geworden, dessen Abteilung I, Die Heilpflanzen, vorliegt, und welcher die Abteilungen II, Mineralische Heilmittel, und III, Tierische Heilmittel, folgen sollen.Im allgemeinen Teil wird eine Übersicht über die Entwicklung des für den biologischen Mediziner zum festen Begriff gewordenen neohippokratischen Medizin gegeben in dem Abschnitt: Vom Werden der biologischen Heilkunde, deren Grundlagen und deren Wegbegleitung durch die Homöopathie. Des weiteren befaßt sich der allgemeine Teil mit der Geschichte des Kräuterheilverfahrens und den Kräuterkuren, ferner in dem Abschnitt: Pflanze und Umwelt mit der Erläuterung wichtiger Begriffe, wie Phänotypus, Ökologie, Phänologie, Konstitution, Kondition, Disposition, Prädisposition, Folgekrankheiten, Degeneration, Immunität und Resistenz, mit Pflanzenassoziationen, Pflanze und Boden und Anbau von Arzneipflanzen. Es folgen die wichtigen pflanzlichen Inhaltsstoffarten, 27 an der Zahl, und zum Schluß des allgemeinen Teils Abhandlungen über Arzneizubereitungen aus Pflanzen, Dosierung und über Gewichte und Maße alter und neuer Zeit.
Im speziellen Teil werden 444 der wichtigsten und beliebtesten in- und ausländischen Heilpflanzen in abgeschlossenen Einzelkapiteln besprochen. Maßgebend für die Einordnung in die enzyklopädische Form der Pflanzenkapitel ist der in der Heilkunde allgemein gebrauchte Name für die Heilpflanzen. Z. B. wird Arctostaphyloo uva ursi unter U geführt als Anfangsbuchstaben der hierfür gebräuchlichen Bezeichnung Uva ursi; dem allgemein geltenden lateinischen Namen der Pflanzen sind deren Synonyma und ihre in Deutschland, England, Frankreich, Italien, Dänemark, Litauen, Norwegen, Polen, Rußland, Schweden, Tschechoslowakei und Ungarn üblichen botanischen Namen beigefügt. Für jedes Kapitel ist eine geographische Übersichtskarte beigegeben, welche das Vorkommen und die Verbreitung der Pflanze erkennen läßt. Auch die Etymologie und die volkstümlichen Namen der Pflanzen nach Prof. Dr. Marzell in Hegis illustrierter Flora sind berücksichtigt. Es folgen die Abschnitte “Botanisches” und “Geschichtliches und Allgemeines”. Im Abschnitt Wirkung wird die Anwendungsweise der Pflanze oder ihrer Teile in früheren Zeiten und in der Jetztzeit angegeben, letztere auf Grund der eigenen Erfahrungen, der Literatur und von Rundfragen. Dazu gehört auch die Dosierung in der Allopathie und Homöopathie und am Schluß die Angabe von Rezepten je nach der Krankheitsart.
Der Registerband ist in vier Teile geteilt, und zwar enthalten diese die lateinischen Pflanzen- und Drogennamen, die deutschen Pflanzennamen, die chemischen Stoffe und die therapeutische Anwendung.
Ist durch die enzyklopädische Anordnung des speziellen Teils und durch das vollkommene Register ·schon eine leichte Handhabung des gewaltigen Lehrbuches gewährleistet, so t11agen hierzu noch weiter bei ein Verzeichnis der für den botanischen und geschichtlichen Teil häufiger benutzten Literatur und eine Liste der Werke, aus welchen Angaben über Verwendung von Heilpflanzen in der tschechischen Volksmedizin entnommen sind und als Erläuterung der im Text nur in abgekürzter Form gebrachten Hinweise dienen sollen. Auch eine umfangreiche Zusammenstellung der häufiger verwendeten Abkürzungen und einiger Fachausdrücke befindet sich am Ende der Inhaltsübersicht.
Erst wenn man sich den Genuß verschafft, sich eingehender in diesem Lehrbuch umzusehen, kann man sich einen ungefähren Begriff machen von der Fülle von Mühe und Arbeit, welche dazu gehört hat, sei es durch das Studium der umfangreichen Literatur aller einschlägigen Gebiete, sei es durch Umfragen und Ermittlungen bei Fachleuten fast der ganzen Welt, das Material in dieser ungeheuren Ausdehnung für die erste Abteilung des Werkes herbeizuschaffen. Es wird einem nicht schwer, und es geschieht unwillkürlich, daß man sich bei dem Umsehen in das Stadium des Vertiefens versetzt, um all das Wissenswerte in sich aufzunehmen, was seit einem Jahrtausend bis in die Jetztzeit die Menschheit auf dem Gebiete der Heilkräuterlehre bewegt und ihr genutzt hat. W.
Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Von Dr. med. Gerhard Madaus. Abteilung I: Heilpflanzen. Mit 76 farbigen Kunsttafeln und 1114 Abbildungen. Verlag Georg Thieme, Leipzig 1938. In 3 Bänden, insgesamt 2867 Seiten und einem Registerband von 144 Seiten. Gesamtpreis der 3 Bände br. 92.- RM., geb. 98.- RM.
Quelle
• NN: Bücherschau – Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Archiv der Pharmazie. 1938;276:55–56.
Bildnachweis
G. Madaus, Mitte der 1930er Jahre. Radebeuler Stadtarchiv.