Befunde der experimentellen Pharmakologie
Physikalische Stressoren
In vivo wurde die Wirkung einer Ginsenosidverabreichung (Rb+Ro-Gemisch) auf die Superoxiddismutase (SOD)-Freisetzung und den Malondialdehyd (MDA-)Gehalt des ischämischen Rattenherzes untersucht [ 35]. Die Ischämie wurde durch eine Okklusion der Coronararterien hervorgerufen. 48 h nach Setzen des Verschlusses wurden die SOD-Aktivität und der MDA-Gehalt im Myocard der Ginsenosid-Tiergruppe (Rb+Ro-Gemisch, s. o.: 50 mg/kg KG) im Vergleich zur unbehandelten Kontrollgruppe gemessen. In der Versuchstiergruppe wurde ein Anstieg der SOD-Aktivität von 0,38 U/mg Protein (47%, p 0,01) und ein Absinken des MDA-Gehalts um 64,4 nmol/g (77%, p 0,01) im Vergleich zur Kontrollgruppe bestimmt. Da weitere exp. Daten wie Applikationsart und Zeitpunkt der Appl. fehlen, sind die Ergebnisse nicht bewertbar. Bei gesunden Ratten in einer hypobaren und hypoxischen Umgebung (31,25 kPa, 235 nm Hg, 30 min, keine Angaben zum O2 ‑Partialdruck) soll die Verabreichung einer nicht näher definierten Saponinfraktion (100 mg/kg KG i. p.) signifikant das Absinken der Körpertemperatur (Kontrollgruppe: 33,2 °C; Ginseng-Gruppe: 34,2 °C; p 0,001) sowie das Absinken der Herzfrequenz (Kontrollgruppe: 286 Schläge/min; Ginseng-Gruppe: 374 Schläge/min; p 0,001) hemmen [ 38]. Zudem soll sich die Überlebenszeit der behandelten Tiere signifikant (p 0,01) um das Dreifache (30 min) im Vergleich zu den Kontrollen (11 min) verlängern. Für adrenalektomierte Tiere wurden diese Effekte nicht beobachtet. Über den Zeitpunkt der Saponinverabreichung sind keine weiteren Angaben gemacht. Einmalig 3,75 mg/kg KG i. p. einer nicht näher definierten Saponinfraktion soll bei kälteexponierten Ratten (4 °C für 4 h) das Absinken der Körpertemperatur (Kontrollgruppe: –0,65 °C; Ginseng-Gruppe: –0,24 °C) hemmen. Bei adrenalektomierten Ratten war dieser Effekt nicht nachweisbar [39].
Bei Mäusen, die mit Hitze (45 °C über 90 min) oder Elektroschock behandelt wurden, konnte die Verabreichung eines wäßrig-alkoholischen Ginsengextrakts (10 mL Ginsengextrakt entspr. 1500 mg getrockneter Ginsengwurzel) die Tiere vor den Folgen des Stresses schützen. Sowohl bei p. o. Gabe über einen Zeitraum von 16 bis 18 Tagen (180 bis 200 mg/kg KG im Trinkwasser) als auch bei einmaliger i. p. Applikation (250 mg/kg KG) 30 bis 60 min vor Versuchsbeginn wurde ein signifikanter Schutzeffekt beobachtet, der ausgeprägter war als der in der mit Piracetam behandelten Referenzgruppe (80 bis 100 mg/kg KG p. o., 100 mg/kg KG i. p.) [40]. Im Hitze-Streßmodell wurde die Mortalität auf ca. 27%, p 0,01 (Piracetam ca. 35%, p 0,05, unbehandelte Kontrolle ca. 69%) und der Gewichtsverlust auf ca. 2,2 g, p 0,001 (Piracetam ca. 2,8 g, p 0,05%, unbehandelte Kontrolle ca. 3,3 g) reduziert. Im Elektroschock-Streß-Test wurden um ca. 25%, p 0,001 (Piracetam ca. 22%, p 0,001) weniger reflexartige Kampfbewegungen (Reizbarkeit, Drängeln, Springen, Beißen) sowie eine um 60%, p 0,05 (Piracetam ca. 40%, p 0,05), verminderte Krampfhäufigkeit im Vergleich zur Kontrollgruppe beobachtet. Auch die Sterblichkeit in diesem Test wurde signifikant auf ca. 4,5%, p 0,05 (Piracetam ca. 10%, unbehandelte Kontrollgruppe ca. 21%) verringert. Die radioprotektive Wirkung von Saponinfraktionen bzw. Ginsengextrakten wurde von mehreren Arbeitsgruppen untersucht [41-44]. Bei Ganzkörper-Röntgenbestrahlung (720 R) von Mäusen erhöhte die i. p. Injektion von 1,8, 3,4 und 6,8 mg eines über Ammoniumsulfatfällung gereinigten wäßrigen Ginsengextrakts (100 g Pulverdroge extrahiert mit 1 L 0,05 M Tris-HCl-Puffer, pH 7,6) direkt im Anschluß an die Bestrahlung signifikant (p 0,001) die 30-Tage-Überlebensrate auf 45, 75 bzw. 82,5%. Untersucht wurde auch der Einfluß des Zeitpunktes der Ginsengverabreichung. 5,0 mg des Extrakts 24 und 2,5 h vor der Bestrahlung sowie direkt im Anschluß, 2,5 h und 24 h danach i. p. injiziert, erhöhten die 30-Tage-Überlebensrate auf 59% (p 0,001), 40% (p 0,001), 27% (p 0,01), 30% (p 0,01) bzw. 17% (p 0,05) (Kochsalzkontrolle: 2,5%). Bei Injektionen 5 oder 3 Tage vor Bestrahlungsbeginn wurde keine Beeinflussung der Überlebensrate beobachtet [41]. Ginsengextrakt i. p. (5 mg) direkt im Anschluß an die Bestrahlung (550 R) verringerte zum einen den in der Kochsalz-Kontrollgruppe zwischen Tag 1 und 10 beobachteten Milzgewichtsverlust (auf 1/3 des Ausgangsgewichts) um 33% (1. Tag) bis 10% (6. Tag), zum anderen stimulierte er die Gewebsregeneration (Zunahme des Milzgewichts) ab Tag 8, so daß am 10. Tag nach Bestrahlung das Ausgangsgewicht wieder erreicht wurde. In der Kontrollgruppe war erst ab dem 14. Tag eine Zunahme des Milzgewichts mit einer zwischen Tag 18 und 22 überschießenden Vergrößerung der Milz zu beobachten. Am 30. Tag wurde in dieser Gruppe das Milzausgangsgewicht erreicht. Die Thrombocytenzahlen, die 8 Tage nach Bestrahlung in beiden Gruppen auf ca. 8% der Ausgangswerte abgesunken waren sowie die ebenfalls in beiden Gruppen erniedrigten Erythrocytenzahlen (niedrigste Werte: Kontrolle nach 14 Tagen: 39% vom Ausgangswert, Ginsenggruppe nach 8 Tagen: 76%), stiegen in den Versuchsgruppen 14 Tage (Thrombocyten) bzw. 10 Tage (Erythrocyten) nach Ginsengextraktinjektion (5,8 mg i. p., unmittelbar nach Bestrahlung) wieder an und erreichten in beiden Fällen am 22. Tag die Ausgangswerte. In den Kontrollen begann der Zellzahlenanstieg erst am 18. Tag. Der Ausgangswert der Thrombocytenzahl wurde nach 30 Tagen erreicht. Der Ausgangswert der Erythrocytenzahl wurde im aufgezeichneten Untersuchungszeitraum von 30 Tagen nicht erreicht.
Die i. p. Verabreichung einer thermostabilen Fraktion des oben genannten Ginsengextrakts (46 mg lyophilisierter Extrakt/mL Kochsalzlösung, 15 min erhitzt) 3 min nach Ganzkörperröntgenbestrahlung erhöhte bei Mäusen (720 R; 2 mg/30 g KG) und Ratten (825 R; 6 mg/100 g KG) die 30-Tage-Überlebensrate signifikant (jeweils p 0,001) (Mäuse: Ginsenggruppe: 71%, Kontrollgruppe: 20%; Ratten: Ginsenggruppe: 80%, Kontrollgruppe: 30%) [42]. Die Thrombocytenzahlen bestrahlter Mäuse (550 R) erreichten nach i. p. Injektion (2 mg/30 g KG) den Ausgangswert nach 22 Tagen, wohingegen in der Kontrollgruppe nach 30 Tagen der Ausgangswert noch nicht wieder erreicht wurde. Die Erythrocytenzahlen der Ginsenggruppe sanken bis zum 14. Tag auf 70% des Ausgangswertes (Kontrollgruppe: 62%) und stiegen bis zum 22. Tag auf 92% des Ausgangswertes (Kontrollgruppe: 72%). Nach 30 Tagen lagen in beiden Gruppen die Erythrocytenzahlen bei 92% des Ausgangswertes. Auf die Erholung der Leukocytenzahlen bestrahlter Mäuse hatte die Ginsengverabreichung keinen Einfluß. Bei ganzkörperbestrahlten Ratten (630 R) wurden nach Injektion der genannten Fraktion (6 mg/100 g KG i. p.) die niedrigsten Thrombocytenzahlen nach 8 Tagen (9% des Ausgangswertes) bestimmt, in der Kontrollgruppe nach 10 bis 14 Tagen (4% des Ausgangswertes). Die Zellzahlen in der Ginsenggruppe stiegen ab dem 8. Tag, in der Kontrollgruppe erst ab dem 14. Tag, wieder an. Die Ausgangswerte in der Ginsenggruppe wurden nach 18 Tagen (Kontrollgruppe nach 22 Tagen) erreicht. Die Erythrocytenzahlen der bestrahlten Ratten fielen in der Ginsenggruppe zunächst bis zum 10. Tag auf 34% des Ausgangswertes, in der Kontrollgruppe bis zum 18. Tag auf 23% des Ausgangswertes und stiegen anschließend in beiden Gruppen bis zum 30. Tag auf 75%.
Die Leukocytenzahlen beider Gruppen fielen signifikant am 1. Tag nach Bestrahlung und erreichten Minimalwerte (Kontrolle: 6% des Ausgangswertes, Ginsenggruppe: 9% des Ausgangswertes) zwischen Tag 6 und 10. In der Ginsenggruppe stiegen die Leukocytenzahlen bis zum 14. Tag auf ca. 50% und erreichten am 22. Tag nach einer überschießenden Zellvermehrung (200%) am 18. Tag ihren Ausgangswert. In der Kontrollgruppe begann der Zellzahlanstieg ab dem 14. Tag und erreichte nach einer überschießenden Zellvermehrung am 22. Tag (170%) den Ausgangswert am 30. Tag.
Bei Meerschweinchen, denen nach Ganzkörperröntgenbestrahlung (325 R) die genannte thermostabile Ginsengextraktfraktion i. p. injiziert worden war (80 mg/300 g KG), wurde eine signifikante Erhöhung der 30-Tage-Überlebensrate gezeigt (Männchen: p 0,001; Weibchen: p 0,01) [42]. Die Wirkung der Ginsengverabreichung auf die Erholung der Blutbestandteile (Thrombocyten‑, Erythrocyten- und Leukocytenzahl) wurde ebenfalls untersucht. Die Ergebnisse sind mit den im Maus- und Rattenmodell (→ s. o.) gezeigten vergleichbar, s. Lit. [42].
Die Wirkung der i. p. Injektion (6,7 mg/100 g KG, unmittelbar nach Bestrahlung) einer thermostabilen Ginsengextraktfraktion [42] (→ s. o.) auf die Zahl blutzellenbildender Stammzellen und Megakaryocyten des Knochenmarks wurde bei Mäusen im Anschluß an eine Ganzkörperröntgenbestrahlung untersucht [43]. In der Ginsenggruppe sowie in der Kontrollgruppe fielen die Werte am 3. Tag nach Bestrahlung (525 R) auf 0,065% des Ausgangswertes. Ab dem 3. Tag bis zum 10. Tag konnte in der Ginsenggruppe eine beschleunigte Regeneration der blutzellbildenden Stammzellen im Vergleich zur Kontrollgruppe gezeigt werden (Ginsenggruppe: 6. Tag: 0,11%, 10. Tag: 0,27%; Kontrollgruppe: 6. Tag: 0,08%, 10. Tag: 0,12%). Die Megakaryocytenzahlen sanken in beiden Gruppen ab dem 2. Tag bis zum 10. Tag nach Bestrahlung (550 R) auf ca. 3% des Ausgangswertes. Ab dem 10. Tag stiegen die Megakaryocytenzahlen in der Ginsenggruppe signifikant stärker als in der Kontrollgruppe (Ginsenggruppe: 14. Tag: 36%, 22. Tag 85%, 30. Tag: 97%; Kontrollgruppe: 14. Tag: 15%, 22. Tag: 47%, 30. Tag: 77%). Hämorrhagische Effekte, die über das Auftreten von okkultem Blut in den täglich abgesetzten Faeces von bestrahlten Mäusen (650 R) beobachtet wurden (bestrahlte Kontrollgruppe: Tag 11 bis 15: 80 bis 117 μg/40 mg Faeces, unbestrahlte Kontrollgruppe: ca. 5 μg/40 mg Faeces) waren in der Ginsenggruppe auf das Maß der unbestrahlten Kontrollen reduziert [43.
Bei Ganzkörperbestrahlung von Mäusen mit γ-Strahlen (0,47 Gy/min) erhöhte die i. p. Gabe von 0,3 mg eines 2%igen wäßrigen Ginsengextrakts 24 h vor Bestrahlungsbeginn die 30-Tage-Überlebensrate der Tiere (Kontrollgruppe: 42%, Ginsenggruppe: 85%) [ 44]. Die LD50 wurde in der mit Ginsengextrakt (0,3 mg, i. p.) behandelten Mäusegruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe um 1,49 Gy erhöht. Die i. p. Applikation (0,12 mg) der aus diesem Extrakt hergestellten Saponinfraktion zeigte hingegen keine Wirkung. Für die Kohlenhydratfraktion (0,012 mg, i. p.) und die Proteinfraktion (0,12 mg, i. p.) des Extrakts wurde eine Erhöhung der LD50 um max. 0,65 Gy bestimmt. Eine statistische Auswertung der Ergebnisse wurde nicht vorgenommen.
Bei Mäusen, die Immobilisationsstreß (30 bis 60 min pro Tag) ausgesetzt worden waren, reduzierte die p. o. Verabreichung eines wäßrigen Ginsengextrakts (500 mg/kg KG) sowie die p. o. Applikation des Ginsenosids Rg1 (50 mg/kg KG) die streßbedingte Abnahme des Sexualtriebs (Häufigkeit des Leckens, des Besteigens und der Penetration) und die Verschlechterung des Lernverhaltens (“Passive avoidance response”) [45]. Verabreicht wurde die jeweils zu untersuchende Substanz unmittelbar nach Beendigung des Hängestresses. Die Untersuchungen des Sexual- und Lernverhaltens fanden ca. 20 h später statt. Die p. o. Gabe des Ginsenosids Rb1 (50 mg/kg KG) verstärkte die Reduktion des Sexualtriebs, verhinderte aber eine Verschlechterung des Lernverhaltens deutlicher als der Ginsengextrakt oder Rg1.
Die Anti-Streß-Wirkung eines Ginsengwurzelextrakts (15% Saponingehalt; Rg 1:Rb1 = 1:2, keine weiterenAngaben) wurde an Mäusen im Hängestreßtest untersucht [46]. Bestimmt wurde die Zeit bis zum Einsetzen der ersten Unbeweglichkeitsphase sowie die Gesamtdauer der Immobilitätsphasen nach p. o. Verabreichung des Ginsengextrakts über 7 Wochen (33 und 100 mg/kg KG, entspr. 5 und 15 mg Saponine/kg KG/Tag). 100 mg Ginsengextrakt/kg KG führten zu einer signifikanten Verkürzung der Unbeweglichkeitsphase (39%, p 0,05) und einem Herausschieben der ersten Immobilitätsphase (“Behavioural-despair”-Phase) von 2,9 ± 0,5 min in der unbehandelten Kontrollgruppe auf 4,1 ± 0,8 min. Ähnliche Zeiten wurden für die mit dem Antidepressivum Imipramin behandelte Kontrollgruppe (Positivkontrolle: 10 mL Kochsalzlösung/kg KG/Tag p. o.; 4 mg Imipramin/kg KG i. p., 30 min vor Versuchsbeginn) bestimmt. Das Verhalten der Tiere bei niedrigerer Dosierung entsprach in etwa dem der unbehandelten Kontrollgruppe.
Monographie Panax Ginseng radix Teil 0: Panax, Teil 1: Panax ginseng C.A. MEY., Teil 2: Ginseng radix (Ginsengwurzel), Teil 3: Adaptogene Effekte, Teil 4: Physikalische Stressoren, Teil 5: Chemische Stressoren, Teil 6: Biologische Stressoren, Teil 7: Anti-Ermüdungswirkung / Leistungssteigerung, Teil 8: Literatur