Reifer Hafer
Wer Schwierigkeiten hat, Getreidesorten zu bestimmen, wird Hafer (Avena sativa) am leichtesten erkennen: Die Pflanze hat eine lockere in alle Richtung verzweigte Rispe (etwa 15–20 cm lang). An zarten Ästchen hängen Ährchen, die aus 2–4 Blüten bestehen. Nach der Fruchtreife hängen die Ährchen herab. Die gebildeten Haferkörner sind vom Spelzen umgeben, mit denen sie aber nicht verwachsen sind. Dadurch unterscheidet sich Hafer von anderen Getreidesorten. Außerdem macht Hafer im Gegensatz zu Roggen, Weizen oder Gerste, deren Körner streng an den Stängeln geordnet sind, einen leichten, büscheligen Eindruck.
Hafer wird Ende August, Anfang September geerntet. Die spindelförmigen Haferkörner müssen durch Dreschen von den Spelzen befreit werden.
Weltweit geht der Haferanbau zurück. Ein Grund hierfür, so Siegfried Harrer, Sprecher der Zentralstelle für Agrardokumentation und ‑information, Bonn, ist der deutlich höhere Ertrag anderer Getreidesorten (vor allem von Wintersorten). Selbst seine Bedeutung als Futtergetreide für Pferde hat Hafer in den letzten Jahren eingebüsst, denn auch hier werden andere Getreidesorten – z. B. hochwertiger Weizen – verfüttert.
Die geringe Bedeutung des Hafers lässt sich an der Anbaufläche ablesen: 2004 waren es nur noch 228.000 Hektar (Vergleich: Weizen 3.112.000 ha, Gerste 1.979.000 ha).
Kulturhistorisch ein junges Getreide
Hafer gehört zur Familie der Süßgrasgewächse (Poaceae). Die Gattung umfasst etwa 35 Arten und wächst in kühlen, gemäßigten Zonen und benötigt eine regelmäßige Wasserversorgung. Hafer ist als Wildgras mit der Gerste aus Vorderasien nach Europa gelangt. Die Kultivierung erfolgte in der Bronzezeit um 2000 vor Christus durch die Germanen und Kelten. Die genauen Abstammungsverhältnisse des Getreides sind nicht sicher geklärt. Wahrscheinlich sind mehrere Wildarten mit festem Spelzen, brüchiger Ährenspindel, darunter das weit verbreitete Wildgras Avena fatua an der Entwicklung der Kulturform beteiligt. Gesicherte Erkenntnisse von der Verwendung des Hafers haben wir durch Ausgrabungen am Bielersee: Die Pfahlbauern nördlich der Alpen bauten den robusten Hafer an. Vielleicht weil er auf den mageren Böden gut wuchs und wahrscheinlich wegen des hohen Nährstoffgehalts des Getreides. Eine schriftliche Dokumentation liefert Plinius der Ältere, römischer Historiker und zeitweiliger Statthalter Galliens: Er berichtete von den Germanen, die als Hauptnahrungsmittel nur Hafer als Brei oder Grütze aßen. Hinter dieser scheinbar belanglosen historischen Beschreibung steckt eine nicht besonders schmeichelhafte Bewertung. Hafer wurde bei den Römern nur als Tierfutter verwandt. Was konnte also von Menschen gehalten werden, die nur Tierfutter aßen? Aus Sicht der Germanen stellte sich der Sachverhalt völlig anders dar: Ihre Pferde, die als heilige Tiere verehrt wurden, fraßen gerne Hafer. Deshalb konnte es sich bei dem Getreide nur um eine “Götterspeise” handeln, die für Menschen mindestens ebenfalls nahrhaft sein musste. Der Hafer gelangte mit den Römern nach Britannien, wo er vielleicht seinen größten Siegeszug erlebte: Die Hafergrütze, auf die viele Briten bis heute schwören, blieb länger im Lande als die Römer. Die Inselbewohner lieben ihr Porridge als nahrhaftes, energiereiches Frühstück. Wenn dieser Brei auch nicht jedem schmeckt, so gibt die Nährstoffanalyse des Hafers den Briten Recht: Hafer ist gesund! 100 Gramm ganzes, entspelztes Haferkorn enthält unter anderem: 2,9 Gramm Mineralstoffe und Spurenelemente (z. B. Kieselsäure, 5,8 mg Eisen, 4,5 mg Zink), Vitamine (z. B. 2,4 mg Niacin, 0,5 mg Vit. B2) und 12 g Eiweiß sowie Aminosäuren, 7,1 g Fett, 6 g Ballaststoffe und 60 g Kohlenhydrate. Hieraus gekochte, gesunde Hafergrütze kann sogar noch getoppt werden: Kombiniert mit frischen Früchten, die einen hohen Vitamin-C-Gehalt haben, wird sie zu einem Frühstück, dass auch den Tagesbedarf an Vitamin‑C schon am Anfang des Tages deckt!
Früchte mit hohem Vitamin C‑Gehalt
(jeweils 100 Gramm decken x Prozent des Tagesbedarfs)
Apfelsine – 66%
frischer Apfelsinensaft – 69%
Erdbeere, roh – 82%
Grapefruit, roh – 54%
Kiwi – 133%
Namensgebung des Hafers
“Avena” war der lateinische Name des Kulturhafers. “Sativus” bedeutet im Lateinischen “gesät, angepflanzt”. Aus “serere = säen” können die deutschen Wörter “säen, Saat, Samen” abgeleitet werden. In den meisten naturheilkundlichen Büchern besteht Einigkeit darin, dass mit “sativus” schon früh kultivierte Hafer-Arten bezeichnet wurden. Der deutsche Name “Hafer” leitet sich vom niederdeutschen “Haver” ab, dass dem altsächsischen “Havaro” entspricht.
Weitere gute Argumente für Haferbrei:
Magen-Darm-Entzündung Wer Haferbrei nicht mag, dem kann eigentlich nicht geholfen werden. Allerdings ist es ausgesprochen ratsam, die Abneigung spätestens bei einer Magen-Darm-Entzündung zu überwinden. Haferschleim ist ein anerkanntes naturheilkundliches Therapiemittel bei Magen-Darm-Entzündungen. Er enthält viele wertvolle Ballaststoffe, also unverdaulichen Nahrungsbestandteile, die eine gelartige Schutzschicht auf entzündeter Magen- und Darmschleimhaut bilden (ähnlich wie beim Marmeladen-Geliermittel). So wird stark reizender, saurer Magensaft ferngehalten, und die Schleimhaut kann in Ruhe ausheilen.
Anwendung bei akuter Magen-Darm-Verstimmung (Bauchweh, Erbrechen, Durchfall): 3 Teller am Tag (Haferflocken mit Wasser aufkochen, eine Prise Salz zum Ausgleich des Mineralstoffverlustes bei Durchfall, wenig Zucker).
Cholesterin-Senkung Spezielle Anteile der Hafer-Schutzschicht im Darm, die Beta-Glukane, halten auch den Fettbestandteil Cholesterin im Darm zurück. Andere, die Steroid-Saponine, binden die von der Leber als Hilfe zur Fettverdauung ausgeschiedenen Gallensäuren. Dies behindert die Aufnahme schädlichen Cholesterins. Und: Hafer-Saponine binden sich sogar im Blut ans Cholesterin, fördern so dessen Ausscheidung. Neueste Studien zeigen, dass Hafer sogar so wirksam sein kann wie moderne Cholesterinsenker (Statine). Alles wirkt Arterienverkalkung, der koronaren Herzkrankheit und Herzinfarkt entgegen, ist wirksamer Bestandteil der Diät-Behandlung.
Anwendung: Senkung des Cholesterinspiegels um 5 Prozent mit 1/2 Tasse Haferkleie oder einer 3/4 Tasse Haferflocken pro Tag, jedoch frühestens nach 3–4 Wochen täglicher Anwendung! Der Hafer kann auch in Brot, als Porridge, Haferflockenbrei oder Müslizusatz verwendet werden.
Blutzucker-Normalisierung Viele Menschen haben zuviel Zucker im Blut – nicht so ausgeprägt wie bei Diabetikern, aber trotzdem bedenklich. Denn damit erhöht sich die Gefahr von Herzinfarkt und Schlaganfall. Der Grund: Das Steuerhormon Insulin reagiert zu wenig auf den vielen Zucker, der kurz nach dem Essen vom Darm ins Blut übertritt. Deshalb steigen dann die Blutzuckerwerte unerwünscht stark an. Die Hafer-Schutzschicht auf der Darmschleimhaut verlangsamt die Aufnahme des Nahrungszuckers in den Körper. Ein übermäßig hoher Blutzuckeranstieg bleibt deshalb aus.
Anwendung: Dies erreichen Sie schon mit einem täglichen Teller Porridge in Milch gekocht zum Frühstück.
Neu! Hafervollkorn- oder ‑flocken-Ernährung, die natürlicherweise reich an löslichen Ballaststoffen ist, verringert den Bedarf an blutdrucksenkenden Medikamenten und trägt so zur Verbesserung der Blutdruckkontrolle bei.
Was steckt eigentlich hinter “dich hat wohl der Hafer gestochen”? Hafer war früher ein wichtiges Futtermittel für Pferde. Wenn diese manchmal ungedroschenen Hafer zu fressen bekamen, hatten die Tiere Schmerzen beim “äppeln”. Die Spelzen, die als unverdaulicher Ballaststoff wieder ausgeschieden wurde, pieksten. Das peinigte die Pferde manchmal so sehr, das sie unruhig wurden oder wie kopflos über die Koppeln jagten. Der Volksmund verwendet das Bild der Unruhe für Menschen, die mit ihrer Rastlosigkeit auf andere ansteckend wirken können.
Avena sativa in der Homöopathie
Hafer (Avena sativa)
Volksweisheiten in Redensarten verpackt, enthalten manchmal altes Wissen und jahrzehntelange Erfahrung. Die Beobachtung, dass der Genuss von Hafer – vielleicht auch ohne Spelzen – nervös macht, lässt auf die Wirkung des Getreides auf das Nervensystem schließen. Und tatsächlich empfehlen naturheilkundliche Ärzte beispielsweise ratlosen Eltern, deren Kinder einfach nicht aus dem Bett kommen wollen oder die in ihrer gesamten Konstitution eine eher lethargische Grundhaltung haben, zur Aufmunterung morgendlichen Haferbrei. Das Getreide macht wach. Auch in der Homöopathie ist Avena sativa ein wichtiges Mittel zur Nervenstärkung. Das homöopathische Medikament “Avena sativa D12” zeigt eine zweiseitige, harmonisierende Wirkung auf das Nervensystem:
Nervöse Erschöpfung Zum einen hilft es Menschen, die unter nervösen Erschöpfungszuständen leiden oder von Sorgen und Ängsten geplagt werden. Zum anderen wird das Mittel auch bei Schlafstörungen eingesetzt, Z. B. bei Menschen, die zeitweise so großem beruflichen Stress ausgesetzt sind, dass sogar ihr nächtlicher Schlaf beeinträchtigt ist. Anwendung bei Stress: Avena sativa D12, 3x tägl. 5 Tropfen. Bei Schlaflosigkeit 15 Tropfen jeweils 3 Stunden und direkt vorm Schlafengehen. Bleibt eine Besserung auch nach 4 Wochen aus, sollte ein Arzt aufgesucht werden!
Zur Entgiftung und als Tee
Vom Hafer lässt lassen sich jedoch nicht nur die Samen bzw. die Körner verwenden. Das Haferstroh (Stramentum avenae) besteht aus getrockneten, gedroschenen Laubblättern und Stängeln. Abkochungen von Haferstroh enthalten Pektinstoffe, reichlich Kieselsäure und Vitamin A, die alle zusammen heilsame Wirkungen auf die Haut haben.
Juckende Hauterkrankung Viele Patienten quält starker Juckreiz bei verschiedenen entzündlichen Hauterkrankungen. Hier helfen Bäder mit Haferstroh, besonders bei stark fettender Haut (Seborrhoe).
Anwendung: 100 g ausgedroschenes Haferstroh mit 3 Liter Wasser 20 Min. kochen. Die Abkochung durch ein Sieb direkt in angenehm warm temperiertes Badewasser gießen. Nicht länger als 15 Min. baden, höchstens 2x wöchentlich (sonst kann der Körper überanstrengt werden).
Harnsäure-Entgiftung Wer viel Fleisch isst oder Alkohol trinkt, bildet vermehrt Harnsäure als Stoffwechsel-Endprodukt. Diese kann sich in den Gelenken ablagern und diese verdicken (Gicht), was u. a. unangenehme Schmerzen beim Bewegen bereitet. Organische Kieselsäureverbindungen des grünem Hafertees können Linderung schaffen: Sie senken den Harnsäurespiegel im Blut und steigern die Ausscheidung über die Nieren.
Anwendung: Im Rahmen einer 4‑wöchigen Kur (max. 4x jährlich) jeweils 3 Tassen grüner Hafertee pro Tag, frisch aufgebrüht.
Zu guter Letzt
Russland, Kanada, USA, Finnland und Polen sind weltweit die größten Haferproduzenten. Ihre Produktion ist rückläufig und damit hat Hafer immer weniger wirtschaftliche Bedeutung. Es wird noch Vieh- und Pferdefutter eingesetzt. Grüner Hafer wird als Futtermittel entweder zum Heumachen oder zur Herstellung von Silage genutzt. Haferstroh eignet sich auch hervorragend als Streu für das Vieh. In der Nahrungsmittelindustrie haben Haferprodukte zur Weiterverarbeitung keinen besonders hohen Stellenwert: Hafermehl wird noch gerne bei fetthaltigen Nahrungsmittel verwendet, weil es Antioxidanzien enthält, die das Ranzigwerden des Fetts verhindern. Hafermehl wird außerdem in Erdnussbutter, Schokolade oder Margarine verarbeitet. Bei der Eiskrem-Produktion dient es als Fettstabilisator.
Neuere Erkenntnisse
Hafer reinigt den Körper von Schwermetallen, sollen russische Wissenschaftler der Staatlichen Universität in Moskau herausgefunden haben, berichtete ‚Bild der Wissenschaft‘. Die Getreidesorte enthalte angeblich besonders viele Stoffe, die giftiges Blei, Cadmium oder Chrom binden und so aus dem Körper heraustransportieren. Weil in der russischen Volksmedizin Hafermehl als Heilmittel bei Bleivergiftungen gilt, untersuchten die Forscher verschiedene Getreidesorten auf ihre Effekte bei Schwermetall-Vergiftungen. Es zeigte sich, dass etliche Getreide-Inhaltsstoffe Metalle “einfangen” und binden können, um dann mit den im Getreide enthaltenen Ballaststoffen ausgeschieden zu werden. Hafermehl besitze, so das Wissenschaftsblatt, unter den Getreidesorten die größte reinigende Wirkung, gefolgt von Weizen, Buchweizen, Reis, Hirse und Perlgraupen.
Autorin
• Marion Kaden, Heilpflanzen-Welt (2006).
Quellen
Jenkins DJ, Kendall CW, Marchie A, Faulkner DA, Wong JM, de Souza R, Emam A, Parker TL, Vidgen E, Trautwein EA, Lapsley KG, Josse RG, Leiter LA, Singer W, Connelly PW: Direct comparison of a dietary portfolio of cholesterol-lowering foods with a statin in hypercholesterolemic participants. Am J Clin Nutr. 2005 Feb;81(2):380–7 (Medline).
Pins JJ, Geleva D, Keenan JM, Frazel C, O’Connor PJ, Cherney LM: Do whole-grain oat cereals reduce the need for antihypertensive medications and improve blood pressure control? J Fam Pract. 2002 Apr;51(4):353–9 (Medline).
Bild der Wissenschaft: Hafer befördert Schwermetalle aus dem Körper , 21.03.2001
www.destatis.de/basis/d/forst/forsttab7.php
weitere Infos
• Monographie Haferfrüchte
• Teerezept