Naturgärten: Ein Eldorado für viele Lebewesen und Pflanzen

Natur­gar­ten-Ein­bli­cke

Nach einem ver­reg­ne­ten, küh­len Som­mer, scheint der Herbst nun alles wie­der gut machen zu wol­len: Ein traum­haf­ter Alt­wei­ber­som­mer mit som­mer­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren von 25 Grad lockt vie­le Ber­li­ner ins “Jrü­ne”. Anfang Okto­ber lädt das Natur­schutz­zen­trum Öko­werk Ber­lin e.V. ein. Es liegt im Gru­ne­wald, einem Nah­erho­lungs­ge­biet im Wes­ten der Stadt. Direkt am Teu­fels­see gele­gen, bie­tet das Öko­werk Raum für ver­schie­de­ne, alter­na­ti­ve Pro­jek­te*. Auch die NABU-Natur­gar­ten­grup­pe (Natur­schutz­bund Deutsch­land e.V.) prä­sen­tiert sich und zeigt, wel­che Vor­tei­le ein natür­lich gestal­te­ter Gar­ten haben kann: Denn der Anbau unter­schied­lichs­ter Nutz‑, Heil- und Wild­pflan­zen steht in kei­nem Wider­spruch zu Insek­ten oder Kleinst­le­be­we­sen, denen sonst ger­ne mit Pes­ti­zi­den zu Lei­be gerückt wird. Im Gegen­teil: Mit geziel­tem Wis­sen lässt sich ein wich­ti­ger Lebens­raum zum Nut­zen Aller gestalten.

Lebens­räu­me für Pflan­zen & Tiere

Gleich vor­weg: Wer sich für Natur­gär­ten inter­es­siert, muss die gän­gi­gen Idea­le eines “ordent­li­chen, sau­be­ren” Gar­tens hin­ter sich las­sen. Denn in einem natür­lich ange­leg­ten Gar­ten sind zum Bei­spiel “nack­te” Böden und Pes­ti­zi­de tabu. Des­halb bie­tet sich beim Ein­tre­ten in den Gar­ten des Öko­werks auch ein beson­ders grü­nes Bild mit einem schein­bar bun­ten Durch­ein­an­der von hoch gewach­se­nen Pflan­zen. Der Gar­ten ist etwa 800 Qua­drat­me­ter groß und wird von brei­ten, Behin­der­ten gerech­ten Wegen durch­zo­gen. Gegen­über des Ein­gangs zieht ein grö­ße­rer Teich vor allem Kin­der in sei­nen Bann: Sie zäh­len die zahl­rei­chen Frö­sche, die auf brei­ten See­ro­sen­blät­ter ein aus­gie­bi­ges Son­nen­bad neh­men und sich vom umge­ben­den Tru­bel nicht stö­ren lassen.

Kräu­ter­schne­cke

Gleich hin­ter dem Teich ist eine Kräu­ter­schne­cke ange­legt. Sie ist über und über mit Heil­kräu­tern bewach­sen wie mit Rin­gel­blu­men, ver­schie­de­ne Min­zen­ar­ten oder Thy­mi­an. Ganz oben haben sich mehr­jäh­ri­ge Sal­bei- und Ros­ma­rin­bü­sche aus­ge­brei­tet, die aro­ma­tisch duf­ten. Ein Weg führt dann wei­ter in den Gar­ten an einem merk­wür­di­gen, etwa zwei Meter hohen Lehm­bau vor­bei. Zu sehen ist, dass feuch­te Lehm­bat­zen über­ein­an­der zu einem “Haus” auf­ge­wor­fen wur­den. In den orga­nisch run­den Flä­chen sind vie­le Löcher zu sehen – es sind die Flug­lö­cher von Wild­bie­nen. Um das unge­brann­te Gebil­de vor Regen zu schüt­zen, haben die Natur­gärt­ner ein Dach auf­ge­stellt. Die­ses ist – wie soll­te es in einem Natur­gar­ten anders sein – eben­falls von Pflan­zen besie­delt: Es sind vor allem Pflan­zen wie Mau­er­pfef­fer oder Berufs­kraut, die mit wenig Näh­stof­fen aus­kom­men können.

Bri­git­te Brodhun

Am unte­ren Ende des Gar­tens, der durch die tief ste­hen­de Herbst­son­ne schon im Schat­ten liegt, hat Bri­git­te Brod­hun ein klei­nes Holz­tisch­chen auf­ge­stellt. Dar­auf ste­hen klei­ne Töp­fe mit Pflan­zen-Able­gern oder lie­gen Samen­tü­ten zum Ver­kauf bereit. Brod­hun ist ver­ant­wort­lich für den Nutz­gar­ten-Teil des Natur­gar­tens und erklärt sich zu einer klei­nen Extra­füh­rung bereit. Die 71-jäh­ri­ge arbei­tet seit elf Jah­ren in den Gär­ten des Öko­werks mit. “Ich woll­te schon als jun­ges Mäd­chen Gärt­ne­rin wer­den”, erzählt sie lächelnd, “doch die Groß­el­tern woll­ten mir die schwe­re Arbeit nicht zumu­ten. Denn damals war das Gärt­nern noch mit har­ter, kör­per­li­cher Arbeit ver­bun­den”. Bis zur Ver­wirk­li­chung ihres Trau­mes vom Gärt­nern muss­te Brod­hun bis zur Pen­sio­nie­rung war­ten. Nun steckt sie aller­dings einen gro­ßen Teil ihrer Frei­zeit in die ehren­amt­li­che Tätig­keit und ist bei jedem Wet­ter in “ihrem” Garten.

Beinwell – mehr als eine Heilpflanze

Das Wild­bie­nen-Haus

Gleich hin­ter dem auf­ge­stell­ten Tisch­chen wächst Bein­well in Hül­le und Fül­le. “Bein­well ent­hält Allan­to­in. Das ist der Wirk­stoff, der Kno­chen­brü­che gut ver­hei­len lässt”, erklärt Brod­hun, “sowohl Wur­zeln als auch Blät­ter las­sen sich medi­zi­nisch ver­wen­den (medi­zi­ni­sche Anwen­dun­gen Bein­well)”.

Doch Bein­well ist nicht nur eine Heil­pflan­ze, son­dern auch außer­or­dent­lich nütz­lich für den Gar­ten. So ent­hal­ten die Blät­ter Kali und sind zur Dün­gung geeig­net. “Toma­ten, wie alle Frucht­pflan­zen kön­nen Kali gebrau­chen”, so Brod­hun. “Beim Toma­ten­pflan­zen set­zen im Früh­jahr machen wir es bei­spiels­wei­se so, dass zwei Spa­ten tie­fe Löcher gegra­ben wer­den. In ein Loch wer­den jeweils zwei Hän­de vol­ler fri­scher Bein­well­blät­ter hin­ein geben und zuletzt die jun­gen Toma­ten­pflan­zen ein­ge­setzt”, erklärt Brod­hun. “Die Blät­ter sind dann ver­rot­tet, wenn die Wur­zeln der Toma­ten dort ange­lan­gen. Sie kön­nen dann die Nähr­stof­fe auf­neh­men”. Die Toma­ten wer­den dadurch wesent­lich kräf­ti­ger, auch haben sie weni­ger brau­ne Fle­cken, berich­tet die Rent­ne­rin von ihren Erfah­run­gen. Bein­well­blät­ter wer­den in die­sem Natur­gar­ten auch zum Mul­chen in den Zwi­schen­räu­men der ange­leg­ten Kar­tof­fel­rei­hen verwendet.

Kat­zen­min­ze

Die Früch­te vie­ler Pflan­zen sind im Gar­ten schon abge­ern­tet. Ver­ein­zelnd ste­hen noch Por­ree oder Kohl­ar­ten da. Brod­hun bleibt an einem Beet ste­hen, “wir ver­wen­den grund­sätz­lich kei­ne Pes­ti­zi­de in unse­rem Gar­ten”, sagt sie. “Durch sinn­vol­le Pflan­zen­kom­bi­na­tio­nen kön­nen zum Bei­spiel Schmet­ter­lin­ge dar­an gehin­dert wer­den, dass sie ihre Eier an Nutz­pflan­zen anle­gen”, erzählt sie. Schmet­ter­lin­ge wer­den bei­spiels­wei­se durch den Duft stark aro­ma­ti­scher Pflan­zen wie Sal­bei, Ysop oder Kat­zen­min­ze irri­tiert. Die­se Pflan­zen wer­den folg­lich als Bett­um­ran­dun­gen ange­pflanzt, um Nutz­pflan­zen vor der Eier­ab­la­ge der Schmet­ter­lin­ge zu schützen.

Natürliche Mückenabwehr

Als Schne­cken­ab­wehr bie­tet sich zudem die Mög­lich­keit an, rote Arten von Nutz­pflan­zen für den Anbau aus­zu­wäh­len: “Roten Salat oder roten Grün­kohl mögen Schne­cken gar nicht. Das sind Fein­schme­cker und roter Salat ist ihnen zu bit­ter”, so Brod­hun. Sie geht wei­ter und zeigt auf ein Beet, dass in einer Kom­bi­na­ti­on mit Kohl und Mut­ter­kraut bepflanzt ist. Sie fin­det den Anbau von Heil­pflan­zen in einem Nutz­gar­ten sinn­voll. Denn damit eröff­net sich die Chan­ce, Heil­pflan­zen völ­lig ohne Schad­stof­fe zu ern­ten. Mit ent­spre­chen­dem Wis­sen oder Übung kann dann ein­fach eine Heil­pflan­zen-Tink­tur oder ‑Sal­be für den Eigen­ge­brauch selbst her­ge­stellt wer­den. Das in Ver­ges­sen­heit gera­te­ne Mut­ter­kraut ist lei­der nur noch sel­ten in Gär­ten zu fin­den. Doch sein Anbau im Gar­ten ist nütz­lich, denn es ver­hin­dert die Aus­brei­tung von Nema­to­den (Faden­wür­mer). “Die­se Kat­zen­min­ze wur­de eigent­lich nur zur Zier­de gepflanzt, doch in die­sem Som­mer habe ich ent­deckt, dass es gegen Mücken hilft”, sagt Brod­hun und zupft von der üppi­gen Bett­um­ran­dung eini­ge Sti­le ab. Zur Demons­tra­ti­on streift sie damit über ihre Arme, “Mücken mögen offen­sicht­lich den Geruch nicht”, sagt sie. Das Pro­be-Rie­chen an der Kat­zen­min­ze führt zu kei­nen sen­sa­tio­nel­len Wohl­ge­rü­chen in der Nase. Doch ist der Geruch wesent­lich ange­neh­mer als die stin­ken­den, che­mi­schen und käuf­li­chen Mücken-Abwehrkeulen.

Wild­kohl mag Salzwasser

“Wir bemü­hen uns auch sel­te­ne oder ver­ges­se­ne Nutz­pflan­zen in unse­rem Gar­ten zu zei­gen”, sagt Brod­hun und bleibt beim nächs­ten Beet ste­hen. Sie zeigt auf meh­re­re präch­ti­ge Kohl­pflan­zen: “Dies ist zum Bei­spiel Wild­kohl, der noch bei Hel­go­land wächst”, erklärt sie. Der Wild­kohl gedeiht übri­gens beson­ders gut, wenn ihm auf eine Gieß­kan­ne Was­ser noch ein Tee­löf­fel Salz hin­zu­ge­ge­ben wird – als klei­ne Erin­ne­rung an sei­ne ursprüng­li­che Hei­mat. Vie­le Pflan­zen in den Bee­ten haben durch­lö­cher­te Blät­ter. “Natür­lich müs­sen Insek­ten etwas zum Fres­sen haben”, sagt Brod­hun. Schlimm fin­det sie gezüch­te­te Blu­men mit rie­si­gen Köp­fen, die zwar schön aus­se­hen, aber weder Duft ver­strö­men noch Nek­tar pro­du­zie­ren. “Eine Pflan­ze an der nichts frisst, nützt nichts, sagt unser Bio­lo­ge Chris­toph Bay­er immer ger­ne”, zitiert Brodhun.

Vom sandigen- zum Humusboden

Unter­schlupf für Kleinst­tie­re und Insekten

Sie blickt über den Gar­ten und erin­nert sich an sei­ne Ent­ste­hungs­zeit: “Wir hat­ten hier den übli­chen san­di­gen Boden der Mark Bran­den­burg”, sagt Brod­hun, “nun haben wir Humus­bo­den”. Sie bückt sich und fasst demons­tra­tiv in die dunk­le, feuch­te Erde. Um die­ses Ergeb­nis zu erhal­ten war aller­dings jah­re­lan­ge, gedul­di­ge Arbeit nötig. So wur­de bei­spiels­wei­se im Herbst Pfer­de­mist beschafft und in einem Ecken des Gar­tens gela­gert. Erst im Früh­jahr wur­de er auf die Erde aus­ge­bracht. “Der Pfer­de­mist wird nicht umge­gra­ben, son­dern zer­setzt sich lang­sam auf den Bee­ten durch die Wit­te­rung. Die Nähr­stof­fe gelan­gen mit dem Regen an die Wur­zeln der Pflan­zen”, so die Rent­ne­rin. “Irgend­wann ent­deck­ten wir zufäl­lig, dass der Pfer­de­mist-Hau­fen auch von Rin­gel­nat­tern geschätzt wird. Weil sich in sei­nem Inne­ren durch die Zer­set­zung gleich­mä­ßi­ge Wär­me ent­wi­ckelt, wird er nun als siche­re Kin­der­stu­be der nütz­li­chen und völ­lig harm­lo­sen Schlan­gen genutzt”.

Intakter Naturkreislauf

“Die Grü­ne Hölle”

Zuletzt zeigt Brod­hun noch die “grü­ne Höl­le der Natur­gärt­ner”. In einem abge­trenn­ten Teil, der für unge­üb­te Augen völ­lig ver­un­krau­tet aus­sieht, wur­den Kar­tof­feln und Kür­bis­se gepflanzt. Die Kar­tof­feln wur­den schon geern­tet. Doch auch hier ist kei­ne nack­te Erde zu sehen. Denn zu den Herbst­ar­bei­ten gehört, die abge­ern­te­ten Flä­chen wie­der mit Mul­chen oder Gründün­gungs­saa­ten zu bede­cken. “Die Boden­le­be­we­sen bedan­ken sich mit einer ver­bes­ser­ten Boden­frucht­bar­keit”, so Brod­hun. Ihr Weg führt durch Brenn­nes­seln, die selbst­ver­ständ­lich ste­hen gelas­sen wer­den. “Vie­le Wild­pflan­zen sind über­le­bens­wich­tig für sel­ten gewor­de­ne Schmet­ter­lin­ge oder Insek­ten”, sagt Brod­hun. Weil sie häu­fi­ger allei­ne im Gar­ten ist, konn­te sie schon vie­le Tie­re beob­ach­ten. In die­sem Gar­ten ist der natür­li­che Kreis­lauf intakt. Die Insek­ten und Kleinst­le­be­we­sen zie­hen vie­le Tie­re an: Igel, Fle­der­mäu­se, zahl­rei­che Vogel­ar­ten oder Mar­der fin­den genü­gend Nah­rung und auch Unter­schlupf für ihren Nach­wuchs, denn in den stil­len Ecken des Gar­tens sind auch Laub- und Rei­sig­hau­fen auf­ge­schich­tet. So konn­te Brod­hun im Lau­fe der vie­len Jah­res­zei­ten, die sie schon dabei ist, zahl­lo­se Tier­ar­ten beob­ach­ten. Das Mit­wir­ken und Erle­ben der Natur ist für sie etwas Beson­de­res. Sie emp­fin­det es als Glück, nicht zuletzt, weil nun ein Lebens­traum in Erfül­lung gegan­gen ist.

* Das Natur­schutz­zen­trum Öko­werk Ber­lin e.V ist im ältes­ten Was­ser­werk Ber­lins unter­ge­bracht. Dort zei­gen ver­schie­de­ne Pro­jek­te ihre Arbei­ten. So zum Bei­spiel WASSERLEBEN bie­tet zahl­rei­che Model­le rund um das Was­ser an. Ver­schie­de­ne The­men­gär­ten bie­ten unge­wohn­te Ein­bli­cke in natur­na­hes Gärt­nern; ein Obst­gar­ten, die Mög­lich­keit, alte Sor­ten ken­nen zu ler­nen. Das Natur­schutz­zen­trum bie­tet u.a. Ange­bo­te zu indi­vi­du­el­len Umwelt­be­ra­tun­gen, Semi­na­re zu spe­zi­el­len Fra­ge­stel­lun­gen (auch für Schul­klas­sen) oder ander­wei­ti­ge Schu­lun­gen an. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen unter www.oekowerk.de.

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (Okto­ber 2011).

Bitte Ihre Frage, Anmerkung, Kommentar im folgenden Feld eingeben