Bei kaum einer anderen Erkrankung der Moderne haben sich Naturmedizin und Schulmedizin neuerdings soweit aufeinander zubewegt wie bei der altersbedingten (“senilen”) Makula-Degeneration (AMD). Die Erkrankungsgruppe unbekannter Ursache führt zu Schäden an der Makula lutea (“gelber Fleck”), einem kleinen Fleck in der Nähe des Netzhautzentrums, der uns das scharfe Sehen ermöglicht. Dadurch kommt es zu zentralen Gesichtsfeldausfällen bis hin zur Erblindung (nach gesetzlicher Definition). Die Erkrankung ist in den Industrieländern die häufigste Ursache für schwere Sehbeeinträchtigungen über 50. Mit zunehmendem Lebensalter steigt die Häufigkeit der AMD an. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten gab es kaum Hoffnung auf Vorbeugung oder gar Therapie, anders als heute.
Schmerzloser Sichtverlust im Sehzentrum
AMD-Sicht
Die AMD verursacht keine Schmerzen. Erste Anzeichen machen sich meist beim Lesen bemerkbar. Fixierte Buchstaben, Worte oder Teile eines Fotos erscheinen verschwommen, verzerrt oder verbogen (“Metamorphopsien”). Worte können wie von einem Schatten überlagert erscheinen, Farben wirken blasser oder dunkler. Mit der Zeit wird dieser zentrale Schatten größer oder die Erkrankten nehmen einen leeren Bereich wahr. Da nur die Netzhautmitte betroffen ist, bleibt die Lichtwahrnehmung und Orientierung über die Randbereiche des Gesichtsfeldes erhalten. So kann zum Beispiel das Gegenüber gesehen, aber das Gesicht nicht mehr erkannt werden. Obwohl die AMD nicht zu völliger Blindheit führt, kann der Verlust der zentralen Sehkraft einfachste Alltagsaktivitäten zunehmend stören. Zum Beispiel Autofahren, Lesen, Schreiben, PC-Nutzung und alltägliche Haushaltstätigkeiten wie Kochen oder Aufräumen.
AMD und die Risikofaktoren
Alter ist ein Haupt-Risikofaktor der AMD, da sie besonders häufig bei Menschen über 50 auftritt. Sie kann aber auch jüngere betreffen. Andere, statistisch abgesicherte Risikofaktoren sind:
* Rauchen – Forschungen zeigen, dass Rauchen das AMD-Risiko verzweifacht.
* Ethnie – AMD ist bei Kaukasiern (“Weisse”) häufiger als zum Beispiel bei Afroamerikanern oder Südamerikanern.
* Vererbung – Menschen, in deren Familie AMD vorkommt, haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko.
Hinweis: Das Risikofaktor-Modell der Medizin ersetzt fehlendes Wissen (zum Beispiel über Krankheitsursachen) durch statistische Hochrechnungen. Und erweckt so den Anschein, irgendein “Risiko” sei die eigentliche Krankheitsursache. Das kann sein, muss aber nicht! Weder “Altern” noch “das Alter” selbst sind zum Beispiel eigenständige Krankheitsursachen.
Prognose
Die Erkrankung ist in den Industrieländern die häufigste Ursache für schwere Sehbeeinträchtigungen über 50. Mit zunehmendem Lebensalter steigt die Häufigkeit der AMD an. Frühstadien der AMD kommen bei jedem fünften 70-Jährigen und bei 30 bis 40 Prozent aller 85-Jährigen vor. Bei manchen Patienten schreitet die Erkrankung nur langsam voran und es kommt für lange Zeit kaum zu Sehstörungen. Bei anderen Patienten geht es sehr viel schneller, und es tritt schon nach wenigen Jahren ein erheblicher Sehverlust eines oder beider Augen auf.
Eine AMD im Frühstadium entwickelt sich meistens nicht zu der späten, symptomatischen Form weiter. Beispiel: Nur 5% der Menschen mit früher einseitiger AMD leiden nach 10 Jahren unter eine späten AMD. Bei Menschen mit früher beidseitiger AMD sind 14%, bei denen nach 10 Jahren eine späte AMD aufgetreten ist. Diese Erkenntnis betont, wie wichtig eine rechtzeitige Diagnose ist, um Erblindungs-Risiken durch eine späte AMD zu verringern.
Gesunder Lebensstil schützt vor AMD
Korb mit getrocknetem Knoblauch
Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte legen mit hoher Wahrscheinlichkeit nahe, dass AMD und Lebensstil eng zusammenhängen. Dies ist entscheidend für nicht-medizinische Empfehlungen zur Vorbeugung oder um therapiebegleitend das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. So haben Rauchstopp, regelmäßige körperliche Aktivitäten, Erhalt normaler Blutdruck- und Blutfettwerte und eine gesunde Ernährung, die reich an grünem Blattgemüse und Fisch ist, signifikant vorteilhafte Effekte auf die AMD. Diese Erkenntnisse unterstützen die naturmedizinische Vorstellung, AMD sei eine moderne Zivilisationskrankheit.
AMD und die Augenheilkunde
Veränderungen in der Netzhautmitte können Augenärzte oft schon erkennen, bevor die Betroffenen Seheinschränkungen bemerken. Neben ausführlicher Patienten-Befragung gibt es genaue Sehtests, um die Sehschärfe beurteilen und Sehstörungen zu erkennen. Auch mit der einfachen Augenspiegelung und der Spaltlampen-Untersuchung werden krankhafte Veränderungen im Auge erkennbar. Mit Fluoreszein-Angiographie und anderen Spezialuntersuchungen sind weiterführende Befunde zu erheben (zum Beispiel, welche AMD-Form in welchem Stadium vorliegt). Grundsätzlich gilt: Je frühzeitiger die AMD erkannt wird, desto erfolgreicher kann sie behandelt werden.Die Augenheilkunde unterscheidet neben den Früh- und Spätformen der AMD zwei Verlaufsformen: Bei der “trockenen” Makula-Degeneration, an der etwa 80 Prozent der AMD-Patienten erkranken, kommt es zur Zerstörung von lichtempfindlichen Zellen der Netzhaut. Im Augenhintergrund sind dabei kleine gelbliche Ablagerungen unter der Netzhaut (“Drusen”), Ablagerungen von Stoffwechsel-Endprodukten oder eine gestörte Aderhaut-Durchblutung zu diagnostizieren. Das Sehen ist oft nur geringfügig beeinträchtigt und die Erkrankung schreitet nur langsam voran. Dadurch können die Patienten ihren Alltag mit Sehhilfen meist noch bis ins hohe Alter bewältigen. Aus einer trockenen Form kann sich allerdings die “feuchte” Verlaufsform entwickeln. An dieser Form der Makula-Degeneration erkranken etwa 20 Prozent der Patienten. Sie ist oft mit einer rasch zunehmenden Sehverschlechterung verbunden. Bei der feuchten AMD wachsen krankhaft veränderte Blutgefäße unter der Netzhaut (wo es sonst keine Gefäße gibt). Durch Schäden der Adern tritt Gewebsflüssigkeit oder Blut in die Netzhaut aus, wodurch die Retina anschwillt und sich allmählich Netzhautnarben ausbilden.
Tipp
Patienten sollten die Augenarzttermine immer intensiv nutzen, um sich über die genaue Diagnose, die Behandlungsoptionen, die aktuellen und zukünftigen Sehbeeinträchtigungen und den späteren Krankheitsverlauf sowie notwendige Lebensstiländerungen zu informieren.
Behandlungsziele: Krankheit aufhalten, Fortschreiten verlangsamen
Junges Gingkoblatt
Eine Behandlung der frühen, beschwerdelosen AMD gibt es bislang nicht. Anders sieht dies heute bei der fortgeschrittenen AMD aus. Große US-Studien zeigen, dass die tägliche Einnahme ausgewählter hoch dosierter Vitamine und Mineralstoffe das Fortschreiten der Erkrankung deutlich verlangsamen kann (Age-Related Eye Disease Studies – AREDS & AREDS 2). Je nach Zusammensetzung enthalten entsprechende Präparate Vitamin C, Vitamin E, Zink, Kupfer und Betacarotin (nicht bei Rauchern!) oder besser Lutein und Zeaxanthin. Hinweis: Übliche Multivitaminpräparate enthalten nicht die in den ARED-Studien geprüften erhöhten Dosierungen. Bei fortgeschrittener feuchter AMD versucht die Schulmedizin, das Einwachsen von Blutgefäßen unter die Netzhaut zu verhindern. Die derzeit häufigste Medikation sind Hemmstoffe des Gefäßwachstums, die direkt in den Glaskörper des Auges gespritzt werden. Sie können die Verschlechterung der Sehkraft verlangsamen oder sogar ganz aufhalten. Die wiederholte Behandlung wird ambulant durchgeführt. Andere wirksame (z. B. photodynamische Therapie, Netzhaut-Lasertherapie) oder unwirksame Therapie (z. B. Plasmapherese, verschiedene Strahlentherapien) werden nur noch selten angewandt. Alle Behandlungen sind in jedem Fall – nach Bedarf – durch individuell geeignete Sehhilfen, Orthopiker-Betreuung oder Reha-Maßnahmen für Sehbehinderte ergänzt.
Viele Eigenschaften der AMD passen genau zu Vorstellungen der KAM. So gibt es am Ort des Geschehens fraglos “Schlacken”-Ablagerungen, oxidative Schäden, verschlechterte Durchblutung oder reduzierte Nähstoffversorgung. Deshalb sind in Einzelfällen naturmedizinische Verfahren erfolgreich, die solche Probleme zu beheben versuchen: Homöopathie, Phytotherapie, Neuraltherapie, Spagyrik, Ausleitungsverfahren, Lasertherapie, Biochemie, hämatogene Oxidationstherapie, Blutegel oder Akupunktur [2] KAM-Verfahren werden jedoch nur von wenigen Patienten genutzt. US-Nutzungsanalysen bei immerhin 100.000 Menschen (National Health Interview Survey – NHIS) zeigen, dass gerade mal 0,3% aller Befragten KAM-Verfahren bei Augenerkrankungen einsetzen (vor allem bei AMD) [3]. Vielleicht belegt diese “Abstimmung mit den Füßen” am besten die bei großen Patientengruppen fehlende Wirksamkeit. Begrenzt ist auch die Zahl der mit KAM durchgeführten Studien. Am häufigsten mit Pflanzenextrakten asiatischer Herkunft (z. B. Gingko biloba) und Akupunktur. Überzeugende Effekte in großen Studien konnten nicht gezeigt werden [4,5].
Übergewicht und AMD
Was wirklich überzeugt, ist die schon erwähnte Schnittstelle von naturheilkundlicher Ernährungsmedizin (Vitalstoff-Supplementation) und Ordnungstherapie (Lebensstil-Änderungen) mit den aufwendigen und teuren Forschungen der Schulmedizin (z. B. ARED-Studien). Trotz tränentreibender Ereignisse, wie zum Beispiel dem von der Pharmafirma Novartis angezettelten “Lucentis-Skandal” [6] bewegen sich Schulmedizin und Naturmedizin weiter aufeinander zu. Und teilen auch andere Ideen zur Optimierung der AMD-Vorbeugung/-Therapie (z. B. bei den immunologischen Effekten der Eigenblutbehandlung (KAM) und spezieller Immuntherapie (z. B. Anti-Amyloid-Antikörper) [7].
Wie sehr die altersbedingte Makula-Degeneration eine Zivilisationskrankheit ist, wird erst seit kurzem deutlich: Die AMD scheint stark mit der wichtigsten – und von den meisten Menschen willentlich beeinflussbaren – Zivilisationskrankheit gekoppelt zu sein – dem Übergewicht [8]. Körperliche “herzgesunde” Aktivität und Gewichtsreduktion könnten demzufolge die AMD schon im Keim ersticken, wird gerade wissenschaftlich erarbeitet [9]. Dies dürfte nicht nur für viele Betroffene schwer zu schlucken sein, sondern auch für viele rezeptverliebte Vertreter von Natur- oder Schulmedizin.
Was ist die Makula lutea?
Der gelbe Fleck ist eine nur wenige Quadratmillimeter kleine Fläche der Netzhaut (“Retina”). Die Netzhaut wandelt Licht in elektrische Signale um und sendet diese durch den Sehnerven ins Gehirn, wo daraus Bilder entstehen. Auf der Makula wird das Motiv scharf abgebildet, welches vom Auge gerade fixiert wird. An dieser Stelle befinden sich Millionen lichtempfindlicher Zellen. Dadurch ist der gelbe Fleck der Punkt mit der höchsten Sehschärfe. Die übrige Netzhaut nimmt nur Umrisse und Hell-Dunkel-Kontraste wahr. Unsere Augen erfassen zwar ein großes Gesichtsfeld, können aber nur in einem relativ kleinen Ausschnitt in der Mitte scharf sehen.
Autorin
• Marion Kaden, Heilpflanzen-Welt (2014).
Quellen
[1] Age-Related Eye Disease Study 2 (AREDS2) Research Group, Chew EY, Clemons TE, Sangiovanni JP, Danis RP, Ferris FL 3rd, Elman MJ, Antoszyk AN, Ruby AJ, Orth D, Bressler SB, Fish GE, Hubbard GB, Klein ML, Chandra SR, Blodi BA, Domalpally A, Friberg T, Wong WT, Rosenfeld PJ, Agrón E, Toth CA, Bernstein PS, Sperduto RD: Secondary analyses of the effects of lutein/zeaxanthin on age-related macular degeneration progression: AREDS2 report No. 3. JAMA Ophthalmol. 2014 Feb;132(2):142–9.
[2] Bierbach E, Herzog M (Hrsg.): Handbuch Naturheilpraxis – Methoden und Therapiekonzepte. Urban & Fischer / Elsevier, München, 2011.
[3] Bromfield SG1, McGwin G Jr: Use of complementary and alternative medicine for eye-related diseases and conditions. Curr Eye Res. 2013 Dec;38(12):1283–7.
[4] Wilkinson JT, Fraunfelder FW: Use of herbal medicines and nutritional supplements in ocular disorders: an evidence-based review. Drugs. 2011 Dec 24;71(18):2421–34.
[5] Evans JR: Ginkgo biloba extract for age-related macular degeneration. Cochrane Database Syst Rev. 2013 Jan 31;1:CD001775.
[6] Bartens W: Überteuerte Medikamente – Dreiste Augenwischerei. Süddeutsche Zeitung, München, 19.5.2010.
[7] Leung E, Landa G: Update on current and future novel therapies for dry age-related macular degeneration. Expert Rev Clin Pharmacol. 2013 Sep;6(5):565–79.
[8] Erke MG, Bertelsen G, Peto T, Sjølie AK, Lindekleiv H, Njølstad I: Cardiovascular risk factors associated with age-related macular degeneration: the Tromsø Study. Acta Ophthalmol. 2014 Jan 25.
[9] Munch IC, Linneberg A, Larsen M: Precursors of age-related macular degeneration: associations with physical activity, obesity, and serum lipids in the inter99 eye study. Invest Ophthalmol Vis Sci. 2013 Jun 6;54(6):3932–40.
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