Ger­hard Mad­aus: Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heil­mit­tel. Ver­lag Georg Thie­me, Leip­zig, 1938
(Ori­gi­nal, voll­stän­dig erhal­ten) – bei eBay zu ver­kau­fenRezen­si­on 1938, Archiv der Pharmazie

Gelsemium – Seite 2 von 4 – Monographie Madaus

Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heilmittel
Mono­gra­phie Gel­se­mi­um (Sei­te 2 von 4)
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Botanisches:

Der in den süd­li­chen Staa­ten des atlan­ti­schen Ame­ri­kas vor­kom­men­de Schlings­trauch trägt lan­zett­li­che Blät­ter und zeich­net sich durch gro­ße, blatt­ach­sel­stän­di­ge, trich­ter­för­mi­ge, leuch­tend gel­be, wohl­rie­chen­de Blü­ten aus. Die­se bestehen aus einem fünf­spal­ti­gen Kelch, einer trich­te­ri­chen, sehr wei­ten fünf­spal­ti­gen Kro­ne und fünf Staub­ge­fä­ßen. Sei­ne läng­li­che Frucht zer­fällt in zwei an der Spit­ze zwei­klap­pi­ge Teil­früch­te mit vie­len geflü­gel­ten Samen.

Wil­der Jasmin
(etwa 3/​4 nat. Gr.)
Gel­se­mi­um sem­per­vi­rens Ait.
Loganiaceae

Geschichtliches und Allgemeines:

In der Hei­mat der Pflan­ze wird der Wur­zel­stock seit lan­gem vom Vol­ke als beru­hi­gen­des und schmerz­lin­dern­des Mit­tel geschätzt. Erst 1852 wur­de auch die Auf­merk­sam­keit der Ärz­te­schaft auf das Mit­tel gelenkt durch eine Ver­öf­fent­li­chung von Prae­ter, der es gegen Gesichts­neur­al­gi­en lob­te. Rhiz. Gel­se­mii wur­de nun häu­fig emp­foh­len, so z. B. von Juras­sy gegen Neur­al­gi­en, von Gray und Hall gegen Hus­ten, von Gub­ler gegen fie­ber­haf­ten Rheu­ma­tis­mus und Dys­me­nor­rhöe, von ande­ren Autoren gegen Fie­ber, Wund­starr­krampf, Hus­ten, Star­re des Gebär­mut­ter­hal­ses und Über­emp­find­lich­keit der Harn­bla­se. Wie Leclerc berich­tet, ver­dankt die Pflan­ze ihren Bei­na­men “elek­tri­sches Fie­ber­mit­tel” fol­gen­der Geschich­te: “Ein Kran­ker, der an sehr hef­ti­gem Gal­len­fie­ber litt, erhielt irr­tüm­li­cher­wei­se einen Gel­se­mi­um­wur­zel­stock­auf­guß. Er wur­de gelähmt und ver­lor das Bewußt­sein. Als aber das Koma schwand, erhob er sich und war gründ­lich geheilt.”
Aber nicht alle Ver­öf­fent­li­chun­gen ent­hiel­ten ein posi­ti­ves Urteil über Gel­se­mi­um. Eine gro­ße Anzahl von Ärz­ten sah in ihm nur ein star­kes Gift, das schwe­re Schä­di­gun­gen, ja selbst den Tod her­bei­füh­ren kön­ne, und lehn­te den the­ra­peu­ti­schen Gebrauch voll­stän­dig ab. Erst ein­ge­hen­de che­mi­sche und phar­ma­ko­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen, die zur genaue­ren Fest­le­gung der Dosie­rung führ­ten, ver­hal­fen die­sem Heil­mit­tel wie­der zu grö­ße­rem Anse­hen in der medi­zi­ni­schen Welt.
Ver­gif­tung durch Gel­se­mi­um hat oft bei Erwach­se­nen, noch häu­fi­ger bei Kin­dern, durch Läh­mung der Respi­ra­ti­ons­or­ga­ne zum Tode geführt. Nähe­res über Ver­gif­tun­gen mit Gel­se­mi­um berich­tet Prof. Reko in sei­nem Buche “Magi­sche Gif­te”. Danach erstar­ren die Ver­gif­te­ten bei voll­kom­men erhal­te­nem Bewußt­sein mit offe­nen Augen, kön­nen sich nicht rüh­ren und erfas­sen doch voll­kom­men klar alle Vor­gän­ge in ihrer Umge­bung. Die­ser kurz vor dem Tode auf­tre­ten­de typi­sche Gel­se­mi­umt­e­ta­nus hat bei den Otho­mi-India­nern zur Bezeich­nung der Gel­se­mi­um­wur­zel mit Bé‑í (d. h. Auf­hö­ren aller Bewe­gung) und des aus ihr her­ge­stell­ten Gift­tran­kes selbst mit Bebo-sito (d. h. glä­ser­ner Sarg) geführt. Bei den India­nern der Süd­staa­ten der USA. soll auch heu­te noch die­ser Gift­trank zu Got­tes­ur­tei­len und Rache­ak­ten Ver­wen­dung fin­den. Sehr häu­fig sind auch Ver­gif­tun­gen infol­ge von Ver­set­zen von Schnaps mit Gel­se­mi­um­wur­zeln vor­ge­kom­men. So trat z. B. 1932 in Topo­lo­bam­po, Staat Sina­loa, nach dem Genuß eines sol­chen Schnap­ses eine Mas­sen­ver­gif­tung ein, in derem Ver­lau­fe 32 Leu­te star­ben und etwa 100 wochen­lang schwer krank waren. Die Wur­zel soll auch als Fisch­gift ver­wen­det wer­den. Die Gif­tig­keit für Fische ist ein Test zur Qua­li­täts­be­stim­mung der Tink­tu­ren und Auszüge.