Die Gesundheitswirtschaft Deutschland ist unser größter Wirtschaftszweig und setzt weit über eine 500 Milliarden Euro im Jahr um. Der größte Teil der Gesundheitsausgaben bei uns wird von den Krankenkassen-Mitgliedern aufgebracht (knapp 200 Milliarden Euro pro Jahr). Nahezu unkontrolliert von Parlament und Regierung entscheidet seit 2004 der Gemeinsame Bundesausschuss (G‑BA) über diese Geldflüsse des gesetzlichen Krankenkassensystems (GKV). Pikant ist, wenn der „unparteiische“ Vorsitzende dieses mächtigsten Supergremiums des Bundesrepublik, der Anwalt und illustre CDU-Politiker Josef Hecken, immer wieder mit merkwürdigen „Einschätzungen“ medizinischer Gesundheits-Aspekte auffällt. Beispielsweise mit seiner Bemerkung, man benötige nicht für jeden Bürger eine Psychotherapie, eine Flasche Bier tue es manchmal auch [1]. Oder mit seiner kürzlich im FAZ-Interview dargelegten Meinung, die Krankenkassen dürften zukünftig keine Therapien wie die Homöopathie mehr bezahlen – auch freiwillig nicht! -, solange keine in Studien belegte „Evidenz“ für die Wirksamkeit vorliege. Darüber hinaus sollte Menschen bei schwerwiegenden Erkrankungen die homöopathische Therapie sogar ganz verboten werden können. Selbst dann, wenn sie die Behandlung aus eigener Tasche bezahlen – „da brauchen wir ganz klare Verbote“ so Hecken [2].
Mit fachlicher „Qualifikation“ haben weder die Interview-Aussagen noch die nachträglichen Rechtfertigungsversuche Heckens zu tun, darin sind sich die meisten Experten einig. Schon die Interview-Verknüpfung eines kürzlich in den Medien berichteten Behandlungsskandals, bei dem drei schwerstkranke Patienten durch Anwendung von Brombrenztraubensäure gestorben sein sollen, mit dem Anwendungsverbot von Homöopathie bei Krebs, zeigt die fehlende Sachkunde deutlich: Der Wirkstoff hat mit Homöopathie nichts zu tun. Auch die späteren Verwechslungen von Komplementär- und Alternativmedizin, Homöopathie („Globuli“) oder anthroposophischer Medizin zeigen die scheinbare medizinische Unwissenheit des mächtigsten Mannes im deutschen Gesundheitswesen.
Man tut Hecken jedoch Unrecht, wenn man ihm einfach nur Unwissenheit unterstellt, seine Abwahl fordert und sich dann wieder zum Alltag zurückwendet, wie dies viele Vertreter des Gesundheitswesens in den letzten Wochen getan haben. Nein, wer sich noch an die medizinischen Zwangsbeglückungs-Versuche der ehemaligen Bundes-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erinnert oder an deren nationalsozialistische Vorläufer, wird im Vorstoß von Hecken mehr erkennen, als nur die monetären Interessen von Großkonzernen. Die Intention der Homöopathie-Skeptiker, derer Hecken sich geschickt bedient, ist die Konstruktion von tödlichen Feindbildern, hinter denen das eigentliche Geschäft um Marktanteile, akademischen Ruhm oder politische Macht in der Gesundheitsindustrie ungestört vorangetrieben werden kann. Mit der Lauterkeit oder staatsmännischen Zurückhaltung seines G‑BA-Vorgänger Rainer Hess haben Heckens Äußerungen deshalb nichts zu tun, sondern nur mit dem üblichen Schachern von Lobbyisten.
Dass gerade die Homöopathie als eines der letzten Bollwerke freiheitlichen Denkens in der Medizin und der freien Wahl von Behandlungsmethoden durch kranke – auch schwerkranke! – Patienten im Fokus von Hecken steht, ist leicht nachvollziehbar. Diese Schule der modernen Medizin hat sich seit 200 Jahren den meisten Anfeindungen ihrer Kritiker widersetzen können und steht den Menschen heute weltweit zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten zur Verfügung. Könnte die Homöopathie verboten werden, wie Hecken vorschlägt, wäre der medizinische Methoden-Pluralismus in Deutschland tot. Und die Patienten müssten sich auf illegalen Wegen ihre Heilmittel im Ausland beschaffen. Die Verwender von Schüßler-Salzen und Schüßler-Kombipräparaten (DHU-Bicomplexe) wären übrigens genauso betroffen! Diese Heilmittel sind bei uns allesamt als homöopathische Arzneimittel zugelassen, und würden bei einem Verbot vom Markt verschwinden. Hiergegen hilft nur dauernde Wachsamkeit, tatkräftige Aufklärung, öffentliche Willensbildung in der Politik oder persönliche Einflussnahme in den Gremien der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen (zum Beispiel bei der Sozialwahl in Ihrer Krankenkasse …).
Autor
• Rainer H. Bubenzer, Gesundheitsberater, Berlin, September 2016.
Quellen
[1] Ballwieser D, Teevs C: Josef Hecken – Funktionär empfiehlt Bier statt Psychotherapie. SpiegelOnline. 2013 Nov 5 (Volltext).
[2] NN (F.A.Z. exklusiv): Heilpraktiker schwer unter Beschuss. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 2016 Aug 26 (Volltext).