Viele Anhänger streng rationaler Wissenschaftlichkeit betrachten alles, was mit dem namen der Alchemie in Verbindung gebracht wird, bestenfalls als harmlosen Aberglauben und schlimmstenfalls als groben Unfug und Beutelschneiderei. Die Alchemie wird allzu häufig als “eine verbreitete und hartnäckige Verirrung der Kulturgeschichte” abgetan, die man längst überwunden glaubt, wobei die zitierte Formulierung von Hermann Kopp stammt, einem Chemiehistoriker aus dem 19. Jahrhundert. Tatsächlich setzen viele Wissenschaftler und andere gebildete Menschen bis heute die Alchemie mit einer ebenso mühsamen wie vergeblichen Goldmacherei in dunklen Laboratorien gleich. Sie denken, daß die moderne Physik mit ihrer Kenntnis vom Aufbau der Materie und der daraus entwickelten Fähigkeit, Elemente umwandeln zu können, die alte Wunschvorstellung der Alchemisten, unedle Metalle wie Blei in edle Stoffe wie Gold zu verwandeln, längst als Phantasmagorie erwiesen habe [1]. Und man ist sicher, daß in unseren Tagen niemand mehr sinnlos seine Zeit mit solchen abstrusen Vorhaben vergeuden wolle.
Was ist Alchemie?
Alchemisten bemühen sich um die Herstellung von unvergänglichem Gold, und als Mittel zu diesem Zweck dient der Stein der Weisen. Der Stein bewirkt die Transmutation. Als Ausgangsmaterial des alchemistischen Prozesses dient das unedle Blei, das dem Saturn zugeordnet ist. Griechisch steht dafür Kronos, der mit der Zeit in Verbindung gebracht wird und also die Vergänglichkeit darstellt. Damit erklärt sich eine andere Definition der Alchemie. Sie findet sich zum Beispiel in der französischen Encyclopedia universalis (Paris 1968), in der es heißt: “Die Alchemie stellt den Menschen die Möglichkeit vor Augen, über die Zeit zu triumphieren, sie ist die Suche nach dem Absoluten. Der Weg dazu ist die Vervollkommnung dessen, was vor dem Menschen geschaffen, aber von der Natur unvollkommen gelassen wurde.” [2]
Ist die Alchemie aber tatsächlich überholt und bestenfalls ein Relikt aus der Mottenkiste der Wissenschaftsgeschichte? Oder sollte man etwas vorsichtiger sein mit “der sehr lächerlichen Selbstüberschätzung, mit der viele auf das Zeitalter der Alchemie zurückblicken?”, wie Justus von Liebig meinte?
Justus von Liebig hat wie kein zweiter die wissenschaftlich werdende Chemie des 19. Jahrhunderts geprägt. Seine Formulierung macht uns darauf aufmerksam, daß die Alchemie womöglich bis heute untergründig betriebene Forschung prägt, auch wenn sie selbst keine anerkannte Wissenschaft ist.
Es lohnt sich tatsächlich, die Alchemie genauer zu betrachten und ihre Wirksamkeit bzw. Wirklichkeit nicht daran zu messen, ob sich ihre Vorgehensweise einer rein rational definierten Form von Wissenschaftlichkeit einfügt – etwa im Sinne einer Logik der Forschung, die von reproduzierbaren Versuchen und den Schlüssen handelt, die man aus ihnen ziehen kann. Genauso wenig wie die Wirklichkeit selbst logisch ist, muss ein menschliches Tun logisch sein, um wirksam zu werden und etwas Wirkliches zu ergeben.