Arzneipflanzen-Merkblätter des Kaiserlichen Gesundheitsamtes – was ist das?

Titel­blatt

Ber­lin (Juni 2017). Ein 40seitiges Büch­lein über Arz­nei­pflan­zen, 1917 vom Kai­ser­li­chen Gesund­heits­amt her­aus­ge­ge­ben, ist bei Heilpflanzen-Welt.de zu fin­den: Es zeigt his­to­ri­sche Aspek­te und wirft Schlag­lich­ter auf die aktu­el­le Heil­pflan­zen-Situa­ti­on in Deutsch­land sowie das ver­än­der­te Exper­ten-Lai­en-Ver­hält­nis hin­sicht­lich von wert­vol­len Heil­pflan­zen aus der Natur.

Heil­pflan­zen sind wert­voll – frü­her wie heu­te. Das Büch­lein die “Arz­nei­pflan­zen-Merk­blät­ter des Kai­ser­li­chen Gesund­heits­am­tes” wur­de 1917 her­aus­ge­ge­ben. Im ers­ten Welt­krieg (1914–1918) galt die Ein­spa­rung von Devi­sen als ers­te Bür­ger­pflicht, teue­re Impor­te von Arz­nei­pflan­zen und ande­ren Roh­stof­fen für Medi­ka­men­te aus dem Aus­land soll­ten ver­hin­dert wer­den. Die Bevöl­ke­rung wur­de des­halb auf­ge­ru­fen, Arz­nei­pflan­zen zu sam­meln, die – aus minis­te­ri­el­ler Sicht – als wert­voll ein­ge­schätzt wur­den. Neben dem Bezug wert­vol­ler Roh­dro­gen aus dem eige­nen Lan­de, so die Sicht der Ver­ant­wort­li­chen am Kai­ser­li­chen Gesund­heits­amt, eröff­ne­te sich noch ein sinn­vol­ler Neben­ver­dienst, zum Bei­spiel für Men­schen, die nur “beschränkt arbeits­fä­hig” (Kriegs­ver­sehr­te) waren.

Fie­ber­klee

Das 40 Sei­ten umfas­sen­de Büch­lein ist in vie­ler­lei Hin­sicht bemer­kens­wert: Zum einen ist es ein geschicht­li­ches Doku­ment, wel­ches die poli­tisch-natio­na­len Ansich­ten von Ver­ant­wort­li­chen am Kai­ser­li­chen Gesund­heits­amt wider­spie­gelt. Zum ande­ren gibt die Aus­wahl der zu sam­meln­den Heil­pflan­zen Auf­schluss über die gesund­heit­li­che Situa­ti­on und eine Bewer­tung der dama­li­gen Gesund­heits­exper­ten, wel­che Heil­pflan­zen wich­tig für wel­che Indi­ka­tio­nen waren. Ein paar Bei­spie­le: Behand­lung von ent­zünd­li­chen Erkran­kun­gen von ablei­ten­den Harn­we­gen (Bären­trau­be), Gicht (Herbst­zeit­lo­sen­sa­men), Magen-Darm­be­schwer­den (Bit­ter­klee­blät­ter, Löwen­zahn, Kal­mus), Wund­ver­sor­gung und Ent­zün­dun­gen (Arni­ka, Kamil­le), Erkäl­tungs­krank­hei­ten (Huf­lat­tich­blät­ter), Haut­er­kran­kun­gen (Wil­des Stief­müt­ter­chen). Ehren­preis als Mul­ti­funk­ti­ons-Heil­pflan­ze wur­de von den dama­li­gen Exper­ten hoch ein­ge­schätzt: Sie hat­te einen brei­ten Ein­satz­be­reich von Rheu­ma über ner­vö­se Reiz­bar­keit bis hin zur Wund­be­hand­lung oder Fuß­schweiß. Die Ein­schät­zung “moder­ner” Wis­sen­schaft­ler aus dem spä­ten 20. Jahr­hun­dert kann dage­gen nicht unter­schied­li­cher sein. Um beim Ehren­preis zu blei­ben: Die Heil­pflan­ze fiel eben wegen sei­nes “unspe­zi­fi­schen” Ein­sat­zes bei den Wis­sen­schaft­lern der Kom­mis­si­on E des bun­des­deut­schen Bun­des­ge­sund­heits­am­tes in den 1980er Jah­ren durch (Nega­tiv-Mono­gra­phie).

Toll­kir­sche

Ein wei­te­res Bei­spiel: Gegen die Samm­lung ver­schie­de­ner sehr gif­ti­ger Heil­pflan­zen durch Lai­en wie Eisen­hut, Toll­kir­sche, Bil­sen­kraut, Stech­ap­fel hat­ten die dama­li­gen Gesund­heits­exper­ten nichts ein­zu­wen­den. Lai­en soll­ten unter Berück­sich­ti­gung von Vor­sichts­maß­nah­men die Heil­pflan­zen trotz­dem sam­meln und für die Ver­wen­dung trock­nen. Heu­ti­ge Fach­leu­te wür­den ob sol­cher Ansich­ten die Hän­de über dem Kopf zusam­men­schla­gen. Für sie gehö­ren Eisen­hut und Co. wegen der hohen Gif­tig­keit nur in die Hän­de von Experten.

Bil­sen­kraut

Die indus­trie­freund­li­che Ten­denz in der moder­nen Phar­ma­ko­lo­gie und Toxi­ko­lo­gie ist: Lai­en soll­ten sich nach Mög­lich­keit über­haupt nicht mit der Samm­lung von Heil­pflan­zen befas­sen, son­dern lie­ber nur Fer­tig­arz­nei­mit­tel kau­fen. Denn die­se sei­en “sicher”, zudem wür­den sie stren­gen gesetz­li­chen Rege­lun­gen unter­lie­gen. Bei­spiels­wei­se hin­sicht­lich der Genau­ig­keit bei der bota­ni­schen Bestim­mung, der Qua­li­tät und Rein­heit des Sam­mel­guts, der hygie­ni­schen Ver­ar­bei­tung oder der Extrakt-Stan­dar­di­sie­rung auf bestimm­te Inhalts­stof­fe hin. Fazit, so heu­ti­ge Ver­brau­cher­schüt­zer: Lai­en sei­en nur als Kon­su­men­ten von phy­to­the­ra­peu­ti­schen Indus­trie­pro­duk­ten gewünscht und nur bei deren Anwen­dung wirk­lich auf der siche­ren Sei­te. Die­se bevor­mun­den­de Sicht­wei­se gab es, so zei­gen die hier publi­zier­ten Arz­nei­pflan­zen­blät­ter, vor rund 100 Jah­ren noch nicht.

Sand­stroh­blu­me

Das Büch­lein, jetzt bei Heil­pflan­zen-Welt digi­tal ver­öf­fent­licht, ist auch in ande­rer Hin­sicht lesens­wert, denn die damals auf­ge­stell­ten all­ge­mei­nen Sam­mel­re­geln gel­ten heu­te noch. Auch die Hin­wei­se auf den Schutz von Pflan­zen sind hoch­ak­tu­ell. Doch ein Aspekt ist beson­ders her­vor­zu­he­ben: Die Autoren des Kai­ser­li­chen Gesund­heits­am­tes beschrei­ben Heil­pflan­zen, die zu Beginn des Jahr­hun­derts noch mas­sen­wei­se in deut­schen Lan­den wuch­sen. Bei­spiels­wei­se an allen Feld‑, Wiesen‑, Wald- oder Stra­ßen­rän­dern, deren dama­li­ge Pflan­zen- und Tier-Viel­falt heu­te einer oft erschre­cken­den Arten­ver­ar­mung gewi­chen ist (bedingt durch das brei­te Spek­trum an Pes­ti­zi­den und ein­sei­ti­ge Über­dün­gung). Um einen Ver­gleich zur aktu­el­len Pflan­zen-Lage zu ermög­li­chen, wur­de eine Gegen­über­stel­lung mit der gegen­wär­ti­gen “Roten Lis­te gefähr­de­ter Pflan­zen Deutsch­lands” (Lud­wig & Schnitt­ler, 1996) vor­ge­nom­men. Die­se zeigt: 10 der 31 vom Kai­ser­li­chen Gesund­heits­amt auf­ge­führ­ten Arz­nei­pflan­zen sind heu­te ent­we­der gefähr­det (3), stark gefähr­det (2) oder ste­hen auf einer soge­nann­ten Vor­warn­lis­te (V). Das bedeu­tet: Die Bestän­de die­se Heil­pflan­zen sind stark rückläufig.

Bären­trau­be

Die gera­de im Mai 2017 her­aus­ge­ge­be­ne “Rote Lis­te der gefähr­de­ten Bio­top­ty­pen Deutsch­lands” bestä­tigt die­se Ten­denz: “Für knapp zwei Drit­tel der 863 in Deutsch­land vor­kom­men­den Bio­top­ty­pe besteht dem­nach eine ange­spann­te Gefähr­dungs­la­ge”, so heißt es in einer Pres­se­mel­dung des Bun­des­am­tes für Natur­schutz (BfN) im Juni 2017 [1]. Eine neue rote Lis­te der bedroh­ten Pflan­zen Deutsch­lands ist, so die Aus­kunft von Dr. Det­lev Met­zing, vom Bun­des­amt für Natur­schutz gegen­über Heilpflanzen-Welt.de, gera­de in Arbeit und wird vor­aus­sicht­lich gegen Ende des Jah­res 2017 her­aus­kom­men. Laut vor­sich­ti­ger Aus­sa­ge Met­zings besteht eine Ten­denz, dass noch mehr Pflan­zen als 1996 einen gefähr­de­ten Sta­tus erreichen.

Rote Liste der gefährdeten Pflanzen Deutschlands (Ludwig & Schnittler 1996) [2]

Wis­sen­schaft­li­che Bezeichnung Deut­scher Name Schutz­grad [3]
Arc­tosta­phy­los uva-ursi (L.) Spreng. Ech­te Bärentraube 2
Arni­ca mon­ta­na L. Arni­ka, Berg-Wohlverleih 3
Cen­tau­ri­um ery­thraea Rafn. Tau­send­gül­den­kraut V
Cetra­ria islan­di­ca (L.) Ach. Islän­disch Moos 3
Helich­ry­sum are­na­ri­um (L.) Moench Sand­stroh­blu­me 3
Hyos­cya­mus niger L. Schwar­zes Bilsenkraut V
Juni­pe­rus com­mu­nis ssp. com­mu­nis Gewöhn­li­cher Wachholder V
Lyco­po­di­um clava­tum L. Keu­len-Bär­lapp 3
Men­yan­thes trif­o­li­a­ta L. Fie­ber­klee 3
Thy­mus ser­pyl­lum L. Sand-Thy­mi­an V

Arni­ka

Wie in der obi­gen Lis­te erkenn­bar, hat die belieb­te Arni­ka den strengs­ten Schutz­grad (3) nach § 1 Absatz 2 der Bun­des­ar­ten­schutz­ver­ord­nung. Die­se Heil­pflan­ze ist bei uns so sel­ten, dass sie unter stren­gem Schutz steht: Sie darf nie­mals gepflückt wer­den. Damit ent­fällt Deutsch­land als Roh­stoff­lie­fe­rant aus Wild­samm­lung. Gegen­wär­tig wer­den die Arni­ka-Roh­stof­fe wer­den aus land­wirt­schaft­li­chen Kul­tu­ren oder Wild­blü­ten­samm­lun­gen aus dem Aus­land bezo­gen. Auch die Wild­blü­ten­samm­lun­gen im Aus­land ste­hen häu­fi­ger in die Kri­tik. Denn die Res­sour­cen ande­rer Län­der wer­den oft­mals scho­nungs­los aus­ge­beu­tet und auch dadurch Arten gefährdet. 

Ein klei­ner Bei­trag für die Arni­ka könn­te sein, sich mit der Heil­pflan­ze zu beschäf­ti­gen und ihr z.B. im Gar­ten einen Platz zu geben. Es gibt Samen zu kau­fen. Aller­dings ist der Anbau von Arni­ka nicht leicht: Gera­de im Anfangs­sta­di­um benö­tigt sie sau­ren Boden. Außer­dem ist sie eine Berg­pflan­ze, die an Hän­gen wächst und viel Licht mag. Wer also geschafft hat, Arni­ka groß zu zie­hen, wird sich sicher ger­ne auch mit ihrer Ver­ar­bei­tung aus­ein­an­der set­zen: Die Wirk­stof­fe der Arni­ka­b­lü­ten leis­ten als Sal­be oder Tink­tur äußer­lich ange­wandt z.B. bei Prel­lun­gen, Quet­schun­gen, Blut­ergüs­sen und ande­ren Trau­men her­vor­ra­gen­de Diens­te. Und damit schließt sich der Kreis: Lai­en küm­mern sich um Heil­pflan­zen, ihrer Ver­ar­bei­tung und wer­den damit zu Wis­sen­den und behal­ten nicht den Sta­tus des “unwis­sen­den” Kon­su­men­ten. Wer sich um Heil­pflan­zen bemüht – nicht nur um die Arni­ka – wird garan­tiert ein ande­res Ver­hält­nis zur Natur auf­bau­en kön­nen. Das Wis­sen und lie­be­vol­le Ver­hält­nis zu Heil­pflan­zen könn­te uns hel­fen, freund­li­cher, nach­hal­ti­ger mit den uns zur Ver­fü­gung gestell­ten Natur-Res­sour­cen zu ver­schaf­fen. Außer­dem wäre es auch ein Bei­trag für die nach­fol­gen­den Generationen.

ARZNEIPFLANZEN-MERKBLÄTTER DES KAISERLICHEN GESUNDHEITSAMTES

Autorin
• Mari­on Kaden, Heil­pflan­­zen-Welt (2017)
Quel­len
[1] Pres­se­text BfN
[2] www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/RoteListePflanzen.pdf (Rote Lis­te der gefähr­de­ten Pflan­zen Deutschlands)
[3] www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bartschv_2005/gesamt.pdf (Bun­des­ar­ten­schutz­ver­ord­nung)
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