Von Dr. med. Konrad Grams, Arzt in Berlin.
Fast jeden Tag kommen in meine Sprechstunde Patienten, die über viel Blähungen, dicken aufgetriebenen Leib. Herzangst, Druckgefühl im Magen, Übelkeit. Schwindelgefühl, eingenommenen Kopf. Vergesslichkeit usw. klagen. Meist ist bei diesen Patienten kein organisches Leiden festzustellen. Diese Beschwerden werden ganz allgemein für nervös gehalten.
Die Grundursache all dieser Beschwerden liegt aber in der übermäßigen Bildung von Blähungsgasen. Wenn sich Speisen, Fleisch und andere Stoffe zersetzen, so gehen sie in Fäulnis über. Hierbei entwickeln sich übelriechende Gase, wie jeder aus Erfahrung weiß. Diese Gase sind aber giftig. Außerdem nehmen die Gase einen größeren Raum ein. Sie haben das Bestreben, sich auszudehnen. Wenn nun in unserem Körper solche Zersetzungsgase entstehen, so wirken diese ebenfalls giftig und suchen sieh auch im Körper auszubreiten. Emil Drebber (Emil Drebber, Zersetzungsgase und Schwächezustände. Verlag Drebbers Diätschule, Oberkassel-Bonn. Preis 2,– M.) sagt u. a. in seiner sehr lesenswerten Schrift Zersetzungsgase und Schwächezustände: „Die Menschen gleichen unwissenden Lokomotivführern, die keine Ahnung von der Gewalt des Dampfes haben und blindlings in Unglück und Tod rennen. Wer kennt die zerstörenden Kräfte, die im Innern des menschlichen Körpers hausen und die so oft unvorhergesehen großes Leid über uns bringen durch Krankheit, Siechtum, Arbeitsunfähigkeit, Armut und vorzeitigen Tod.
Wie der Dampf aus dem Wasser, so entstehen aus unserer täglichen Nahrung Gase, die wir kennen und beherrschen müssen. Der Dampfkessel platzt, wenn bei starkem Druck das Ventil nicht funktioniert — beim Menschen werden durch Gasansammlungen (Blähungen) innere Organe an der Tätigkeit verhindert, verdrängt oder zerstört, ferner Gehirn- und Nervenleiden sowie Schlaganfälle hervorgerufen.
Das stimmt: ja noch mehr: Diese Oase erdrücken mit elementarer Gewalt die eigene Nervenkraft, sie vergiften das Blut und den ganzen Körper, sie stören die Gehirntätigkeit, sie schwächen den Willen, verändern den Charakter und belästigen den Menschen oft in ungeahnter Weise.
Wenn die Blähungen in solcher Weise auf den Gesundheits- und Geisteszustand eines Menschen einwirken, warum kämpft man nicht dagegen an? Aus Unwissenheit, Nachlässigkeit, Bequemlichkeit und anderen Gründen.
Wenn wir nun den Feind im Lager — die Blähungen — kennen, müsste es doch auch ein leichtes sein, dieses Übel zu verhüten, sollte man meinen. In der Kriegszeit hat wohl jeder unter den Blähungsbeschwerden gelitten, und jetzt ist es bei vielen noch nicht besser geworden. Die Schuld wurde dem schwerverdaulichen Brot beigemessen. Die Hauptschuld haben aber unsere geschwächten Verdauungsorgane.
Unsere Nahrung wird von den Zähnen zermalmt, wird im Magen und Darmkanal durch Einwirkung der Verdauungssäfte aufgeschlossen. Die für den Körper brauchbaren Stoffe werden dann dein Lymph- und Blutgefäßsystem zugeführt, von wo sie dann in alle Körperteile gelangen.
Sie dienen so dem Körper als Ersatz für die verbrauchten und abgenutzten Körperzellen. Dies ist in Kürze und allgemeinverständlicher Form die Physiologie der Ernährung.
Da aber die meisten Menschen heute nicht mehr gesunde Verdauungsorgane haben, so verzögert sich der ganze Verdauungsprozess. Die Speisen werden schon im Munde nicht so zerkleinert, wie es sich gehört. Der Magen hat daher mehr Arbeit, er erschlafft mit der Zeit. Dann bleiben die Speisereste im Darmkanal längere Zeit liegen. Sie zersetzen sich hier, und es entwickeln sich dabei mehr oder minder übelriechende Gase. Diese Gase – Blähungen – entweichen auf dem natürlichen Wege – dem After – als Winde, oft mit lautem Geräusch. Gar oft klagen mir Patienten, dass sie sich wegen dieser lauten und stark riechenden Oase nicht in Gesellschaft sehen lassen können.
In anormaler Weise entweichen auch die Gase nach oben durch Aufstoßen oder Rülpsen. Manchmal ist das Aufstoßen so stark, dass Speisereste mit hochgebracht werden.
Da aber nicht alle Fäulnisgase entweichen, so bleibt ein großer Teil davon im Darmkanal zurück. Diese Gase üben nun ihre krankmachende Wirkung aus. Sie dehnen die Darmwandungen aus. In schweren und sehr seltenen Fällen kommt es dann zur Bläh- und Trommelsucht. Außerdem treten diese giftigen Oase ins Blut über, machen den Menschen unlustig zu jeder Beschäftigung und nervenkrank.
Größere lokale Schädigungen verursachen die Blähungen jedoch im Mastdarm. Ich habe in letzter Zeit viele Patienten gehabt, die an Afterjucken, Wundheitsgefühl im Mastdarm und Ausfluss von Schleim aus dem Mastdarm klagten. Eingehende Untersuchung des Mastdarms ergab meist keine Hämorrhoiden, dagegen war die Schleimhaut des Mastdarms geschwollen, entzündet, tief dunkelrot verfärbt, mit Schleim bedeckt sowie bei Berührung leicht blutend. Alle Patienten klagten über sehr starke und quälende Blähungen, die sie schon mehrere Jahre hatten.
Hier haben offenbar die Blähungen nicht nur mechanisch durch Dehnung des Mastdarms, sondern hauptsächlich wohl durch die giftigen Eigenschaften der Gase die Mastdarmschleimhaut in diesen stark entzündeten Zustand versetzt.
Es war also eine chronische Mastdarmentzündung oder Proktitis mit allen beschwerlichen Begleiterscheinungen eingetreten. Das Jucken im Darm wurde dann noch mechanisch durch den Reiz des Kotes sehr vermehrt, so dass es oft, besondere abends, unerträglich wurde.
Von Heilmaßnahmen sind reinigende warme Klistiere sowie von unseren biochemischen Komplexmitteln das Darmmittel und Schleimhautmittel und je nach den Begleitumständen auch andere Mittel angezeigt. Hauptsache ist aber, den Verdauungskanal zu kräftigen, damit die Speisen in angemessener Zeit richtig verdaut und dem Körper auch zugeführt werden. Dazu ist aber gutes Kauen unbedingt nötig. Außerdem ist eine leicht verdauliche Kost notwendig. Der Diätreformer Drebber empfiehlt besonders Nüsse und Nusspräparate, mit oder ohne Milchprodukte. Ferner Eier mit Karotten, Tomaten‑, Gurken- oder Kopfsalat als Eiweißnahrung. An Kohlenhydraten empfiehlt er: Haferzwieback, Honig, süße Nähr- und Dörrfrüchte, Kastanien, Nussbrot. Ferner Körnerfrüchte, roh oder gekocht, sowie die bekannten Wurzeln und Knollen in mancherlei Weise zubereitet. Obst ist selbstverständlich nicht zu vergessen.
Um den Magen zu kräftigen und die Bildung der Gase zu vermindern, ist das regelmäßige Einnehmen von Magenmittel II und Darmmittel angezeigt.
Dass außerdem noch zur Kräftigung und Heilung eine mäßige Lebensweise, Atemgymnastik, hygienische Körperpflege nötig ist, braucht nicht besonders erwähnt zu werden.
Wenn alles befolgt wird, wird sich der Darm wieder ausheilen und kräftigen, die Blähungen hören auf, und zunehmendes Wohlbefinden wird Lust und Kraft zu neuem Schaffen geben.
Literatur
Grams K: Blähungen. Die Komplex-Biochemie. 1925 Feb 1;5(2):21–2.