Von Dr. med. Konrad Grams, 1925, Berlin.
Das Fieber an sich ist keine eigentliche Krankheit, sondern es ist nur als Symptom einer Krankheit aufzufassen. Denn bei vielen Krankheiten, wie bei den fieberhaften Infektionskrankheiten, Masern, Scharlach usw., tritt Fieber auf.
Unter dem Begriff Fieber fassen wir eine Anzahl von Krankheitserscheinungen zusammen, von denen dasjenige Symptom, welches am meisten hervortritt, in einer mehr oder minder starken Steigerung der normalen Temperatur besteht. Es stellen sich weiter ein mit zunehmender Hitze: Trockenheit der Haut, Durst, Ruhelosigkeit, Kopfschmerz usw.
Wenn wir von Steigerung der normalen Temperatur sprechen, so müssen wir erst wissen, was wir unter normaler Temperatur verstehen. Unsere normale Körpertemperatur beträgt, im Mastdarm gemessen. 37,5° C. In der Achselhöhle beträgt die Temperatur etwa ½‑1° weniger. Geringe Abweichungen dieser Temperatur nach oben und unten sind nicht als krankhaft anzusehen, wenn man sich dabei wohl fühlt. Außerdem schwankt die Temperatur auch bei voller Gesundheit je nach der Tageszeit um einige Zehntelgrade. Am niedrigsten ist die Temperatur gewöhnlich am Morgen, der höchste Stand wird gegen Abend erreicht. Personen, die eine andere Zeiteinteilung haben, werden die höchste Temperatur am Ende ihrer Arbeitszeit haben. Verschiedene Ursachen, wie seelische Erregungen, starke körperliche Anstrengungen, Mahlzeiten und erhitzende Getränke, beeinflussen die Temperatur während des Tages und verursachen Schwankungen. Diese Temperaturschwankungen sind, wie schon erwähnt, nicht krankhaft, dagegen sind größere Abweichungen am Tage von mehr als 1° C nicht mehr als normal anzusehen. Wir sprechen bei Erhöhung der Temperatur um 1° schon von Fieber.
Die Höhe und der Verlauf des Fiebers können sehr verschieden sein. Denn es können sehr hohe Temperaturen plötzlich auftreten und in einigen Tagen wieder verschwinden, anderseits können auch geringere Temperaturerhöhungen viele Monate anhalten und das Leben gefährden.
Jeder Arzt hat solche Fälle gesehen. Vor einigen Wochen hatte ich ein Kind, ein Mädchen von sieben Jahren, in Behandlung, welches sehr blaß, nervös und leicht erregbar war, viel Kopfschmerzen hatte und an großer Schlaflosigkeit litt. Dieses Kind hatte fast ständig erhöhte Temperatur ohne irgendeine nachweisbare krankhafte Veränderung. Ich schob die Temperaturerhöhung auf die leichte Erregbarkeit und Nervenschwäche. Meine Behandlung mit dem Nervenmittel gab mir recht. Solche Fälle habe ich mehrfach beobachtet. Anderseits kommt es auch vielfach vor, daß Erwachsene lange Zeit erhöhte Temperatur haben, sich dabei aber ganz wohl führen. Später jedoch wird durch eine eingehende Untersuchung ein manchmal unheilbares Leiden als Ursache dieser Fieber festgestellt. Solche Fälle habe ich ebenfalls mehrfach beobachtet.
Man teilt die Fieber zweckmäßig in verschiedene Grade ein. Von leichtem Fieber spricht man bei Temperaturen bis zu 38,5° C, während man von hohem Fieber bei Temperaturen von 38,5° C bis zu 41° C spricht. Höhere Temperaturen sind sehr selten, aber dann immer sehr gefährlich.
Hier möchte ich einige Fälle erwähnen, wo Kinder bis 40° C Temperatur und darüber hatten, sich dabei aber doch ganz wohl im Bett fühlten. Die Eltern hatten daher auch keinen Arzt zugezogen, denn sämtliche Erscheinungen, wie Kopfschmerzen, Unruhe, Durst, Schlaflosigkeit, fehlten vollständig. Als aber das hohe Fieber nach einer Woche noch bestand und die Lippen trocken und borkig waren, wurde ich geholt. Ich konnte nur einen leichten Luftröhrenkatarrh feststellen, der das hohe Fieber nicht verursacht haben konnte. Nach dem Fiebermittel und leichten Abwaschungen wurde das Fieber bald beseitigt. Da das Kind sehr nervös war und bei jeder Gelegenheit erregt wurde, wobei es stets Fiebererscheinungen zeigte, so dürfte die Hauptursache des Fiebers wohl in starker Nervenüberreizung zu suchen sein. Im übrigen haben viele Fiebererscheinungen der Kinder, wo sich keine Erkrankung feststellen läßt, ihre Ursache im Verdauungskanal, wie verdorbener Magen, Verstopfung usw.
Bei meiner Tochter ist mir eine Fiebererscheinung aufgefallen, die ich seitdem bei Mädchen in den ersten Schuljahren häufig Gelegenheit hatte zu beobachten. Im Alter von sieben bis acht Jahren bekam meine Tochter häufig abends hohes Fieber, heißen Kopf und Kopfschmerzen, essen mochte sie an einem solchen Abend auch nicht, wo das Fieber kam, trotzdem beim Abendessen noch kein besonderes Anzeichen des Fiebers vorhanden war. Merkwürdigerweise trat das Fieber stets dann ein, wenn viele Schularbeiten zu erledigen waren, wozu viel Zeit gebraucht wurde. Dann war auch nachmittags schon kein Appetit vorhanden. Zweifellos ist das Fieber durch eine starke Gehirnanstrengung und nervöse Magenstörung verursacht worden. Durch vollständige geistige Ruhe, Aufhören mit den Schularbeiten, entsprechende Mittel, speziell Nervenmittel, war das Fieber schon am nächsten Tage wieder fort. Nur ein abgeschlagenes und müdes Gefühl war vorhanden.
Natürlich ist der Fieberverlauf einer Krankheit ganz verschieden, wie schon oben angegeben. Die Art des Fiebers hängt stets von der jeweiligen Fieberkrankheit ab. Denn nach dem typischen Verlaufe eines Fiebers sind wir oft imstande, eine Krankheit zu bestimmen, da bekanntlich jede Infektionskrankheit eine ganz bestimmte Fieberkurve zeigt.
So finden wir z. B. bei Wechselfieber (Malaria) in bestimmten Zwischenräumen ganz kurze hohe Fiebertemperaturen, mit dazwischenliegenden fieberfreien Zeiten, die fast stets eine ganz bestimmte Anzahl von Tagen beträgt. Bei der dreitägigen Form der Malaria tritt das Fieber meist regelmäßig zur selben Stunde jeden dritten Tag auf. Es erfolgt ein schneller Aufstieg der Temperatur auf 40 bis 41° C und darüber unter ein- bis zweistündigem Schüttelfrost. Das Fieber schwindet ebenso schnell unter Schweißausbruch.
Beim Rückfallfieber ist es ähnlich; die Fieberperioden und die fieberfreien Zeiten dauern nur länger.
Bei beginnender Lungenschwindsucht stellt sich ein leichtes unregelmäßiges Fieber ein mit Morgentemperaturen von 30,5° C und Abendtemperaturen von 37,5 bis 38° C. Bei fortgeschrittener Tuberkulose finden wir dagegen ein sogenanntes hektisches Fieber. Dieses zeichnet sich durch große Tagesschwankungen aus, wo Morgentemperaturen von 36,5° und darunter sind und die Abendtemperaturen 30,5° C bis über 40 °C betragen.
Steigt die Körpertemperatur plötzlich sehr hoch, wie bei Malaria, wobei die Wärmeabgabe durch die Haut infolge Kontraktion der Hautgefäße vermindert ist, so hat der Fiebernde das Gefühl großer Kälte. Dieses Kältegefühl äußert sich in unwillkürlichem Zittern, Zähneklappern und Schütteln des Körpers. Wir sprechen dann von Schüttelfrost.
Schüttelfrost kommt im Beginn akuter Infektionskrankheiten (Lungenentzündung, Rose, Scharlach usw.) als einmaliger Anfall vor; bei Malaria dagegen in wiederholten Anfällen in regelmäßigen Zwischenräumen; bei tiefliegenden Abszessen und Eitervergiftung in unregelmäßigen Zwischenräumen.
Bei den akuten fieberhaften Infektionskrankheiten, welche Hautausschläge aufweisen, pflegt man den Verlauf der Krankheit in verschiedene Stadien einzuteilen, und zwar bezeichnet man die Zeit der erfolgten Ansteckung bis zum Beginn der krankhaften Erscheinung als erstes Stadium; die Zeit vom Beginn des Fiebers bis zum Auftreten des Ausschlages als zweites Stadium und die Abschuppungsperiode mit Entfieberung als drittes Stadium.
So brauchen die Masern etwa zehn Tage als Vorläuferstadium (erstes Stadium) mit Husten, Schnupfen und Erscheinungen vom Magen her, bis sich das zweite Stadium unter Schüttelfrost und hohem Fieber einstellt. Dann stellt sich der bekannte Masernausschlag ein. Etwa am sechsten bis siebenten Tage nach dem Schüttelfrost fällt das Fieber entweder plötzlich oder auch langsam bei gleichzeitigem Nachlassen des Ausschlages und Abschuppung. Die Abschuppung dauert etwa 14 Tage. Diese Zeit von dem Fallen des Fiebers bis zur beendeten Abschuppung wäre das dritte Stadium. Natürlich sind diese drei Stadien nicht immer so scharf getrennt, wie ich hier angebe, sondern die Übergänge sind in vielen Fällen ganz unmerklich, und in besonders leichten Fällen findet man überhaupt nur geringe Zeichen, die auf diese Krankheit hindeuten.
Der Fieberabfall kann sehr schnell, oft in wenigen Stunden, bis auf die Normaltemperatur oder unter dieselbe fallen. Die Krisis wird oft durch Sinken der Pulsschläge und starken, besonders riechenden Schweißausbruch angekündigt. Der Volksglaube legt dem Schweißausbruch bei schweren fieberhaften Krankheiten einen großen Wert bei. Wenn eine Krankheit sich durchaus nicht zum Bessern wenden will und es kommt dann ein großer Schweißausbruch, dann atmet die ganze Familie auf. Gott sei Dank, er hat geschwitzt! Jetzt ist die Krankheit gebrochen! Jetzt wirst du wieder gesund! Das Volksempfinden hat instinktiv aus der Erfahrung den Umschwung der Krankheit nach dem Schwitzen erkannt. Und tatsächlich wird der Körper durch das Schwitzen gereinigt, weil hierdurch viele schädliche Fieberstoffe entfernt werden. Selbst wenn durch das Schwitzen eine Reinigung des Körpers nicht eintreten würde, so würde doch der feste Glaube, die Suggestion, daß das Schwitzen die Krankheit bricht und die Gesundheit bringt, eine günstige Wirkung auf den Kranken ausüben, lieber die Macht der Suggestion bei Nervösen, Nervenkrankheiten, Erziehungsfehlern und zur wirksamen Unterstützung der Behandlung aller Krankheiten sind die Aufsätze in Nr. 1 dieser Zeitschrift nachzulesen.
Neben der Krisis gibt es auch eine falsche Krisis oder Pseudokrisis, die sich durch ein rasch wieder vorübergehendes Sinken und bald darauf wieder Steigen der Temperatur kenntlich macht. Erst später erfolgt dann plötzliches oder allmähliches Sinken der Temperatur.
Außer dem plötzlichen Abfall der Temperatur gibt es noch, wie schon mehrfach erwähnt, ein langsames, sich über mehrere Tage erstreckendes Abfallen der Temperatur. Man nennt diesen Vorgang die Lösung des Fiebers oder die Lysis. Um die Höhe des Fiebers auch ohne Fieberthermometer einigermaßen richtig zu bestimmen, läßt sich die Pulsfrequenz hierzu verwerten. Heute ist die Verwertung der Erscheinungen des Pulses, welche früher eine gute diagnostische Kunst der alten Ärzte war, ziemlich in Vergessenheit geraten. Sehr viel kann man aus dem Puls herauslesen.
Die Anzahl der Pulsschläge beträgt bei der Normaltemperatur von 37° C 72 bis 80 in der Minute. Nimmt man 80 Pulschläge in der Minute als Norm an, so soll eine Temperaturerhöhung von 1° C eine Vermehrung der Pulsschläge von 8 bis 10 Schlägen entsprechen. Hiernach läßt sich ungefähr die Höhe des Fiebers bestimmen. Dies stimmt jedoch nicht in allen Fällen. Denn bei Gehirnhautentzündung ist der Puls im Anfang häufig verlangsamt, ebenso bei Unterleibstyphus, dagegen bei Scharlach ungewöhnlich hoch.
Außerdem ist der Fieberpuls meistens auffallend weich; man kann ihn daher leicht mit dem tastenden Finger unterdrücken.
Auch die Atmung pflegt bei Fiebernden beschleunigt zu sein. Während der Gesunde etwa 18 Atemzüge in der Minute macht, macht der Fiebernde je nach der Höhe bis 40 und mehr Atemzüge in der Minute. Der Durst ist infolge der Hitze und des Schwitzens oft stark vermehrt, dagegen pflegt der Fiebernde in der Regel keinen Appetit zu haben. Die Absonderung des Urins ist gering, dafür ist aber die Urinmenge konzentriert und dunkelgelb bis rötlich gefärbt.
Die Ursache des Fiebers ist stets durch giftige und körperfremde Substanzen bedingt. Diese können als Bakterien in den Körper eingedrungen sein, oder es können sich sogenannte Selbstgifte im Körper entwickeln, wie bei Verdauungsstörungen. Durch Bakterien sind bekanntlich die Infektionskrankheiten bedingt. Die Temperaturerhöhung erklärt sich aus dem Kampf des Körpers gegen die körperfeindlichen Giftstoffe. Solange im Blute die giftigen Stoffe kreisen, tritt keine Entfieberung ein. Daher können wir auch sagen wie Hippokrates schon vor 2400 Jahren, daß das Fieber eine Abwehrmaßregel des Körpers gegen die Krankheit darstellt. Demnach stellt das Fieber ein Heilbestreben des Körpers und eine Vernichtung der giftigen Stoffe dar. Wir würden daher unklug handeln, wenn wir jedes Fieber mit starken fieberwidrigen Mitteln (Antipyrin usw.) sofort unterdrücken. Hierdurch würden wir uns ja einer guten Hilfe im Kampfe gegen die Krankheit berauben.
Nach dieser Auffassung darf das unmittelbare Ziel der Behandlung nicht darin bestehen, so schnell wie möglich die Temperatur auf die Norm zurückzubringen, sondern das Hauptziel muß sein, die giftigen Stoffwechselprodukte zur Ausscheidung zu bringen. Da mit dem Schweiß viele giftige Substanzen, ja sogar Mikroorganismen (Brunner, Gärtner, Tizzoni) aus dem Körper ausgeschieden werden, so erklärt sich auch der Fieberabfall nach reichlichem Schwitzen. Hierauf basiert der Glaube des Volkes, daß nach reichlichem Schweißausbruch bei einer schweren fieberhaften Krankheit Gesundung eintritt.
Dauern hohe Temperaturen (40 bis 41° C) lange an, so wirken sie schädlich auf den Herzmuskel, die Blutgefäße und Nieren ein. Man muß deshalb dafür sorgen, daß diese hohe Temperatur gemäßigt wird.
Dies wird erreicht, wenn wir dem Fiebernden nicht nur das Gesicht und die Hände mit kühlem Wasser waschen, sondern auch den ganzen Körper. Eine solche Abwaschung erfrischt und belebt den überhitzten Körper, öffnet die Hautporen und regt die Schweißabsonderung an. Die Schweißabsonderung trägt ja aber, wie ich vorhin gesagt habe, bedeutend zur Entgiftung des Körpers und dadurch zur Herabsetzung des Fiebers bei.
Wenn die Fiebersteigerung vom Darin herrührt durch Bildung giftiger Fäulnisprodukte bei Verstopfungen, so wird ein Einlauf von warmem Wasser die Kotballen und die Zersetzungsgase bald herausbefördern, den Darm reinigen und den Fieberherd beseitigen. Nicht nur in diesem Falle, sondern bei jeder fieberhaften Krankheit wird ein Einlauf günstig das Fieber beeinflussen.
Zur Milderung des Durstes und als Ersatz der durch das Schwitzen verloren gegangenen Flüssigkeiten sind die verschiedenen kühlenden Getränke angezeigt.
Das Hauptmittel bei allen fieberhaften Krankheiten ist das Fiebermittel. Außerdem müssen je nach Art und Ursache der Krankheit die anderen entsprechenden biochemischen Komplexmittel angewandt werden. Man muß die Mittel so wählen, daß sie die giftigen Stoffe (Toxine) so zur Ausscheidung bringen oder unschädlich machen, wie die betreffende Krankheit es selbst macht, und zwar bei den mit Ausschlag einhergehenden Krankheiten durch die Haut, bei Krankheiten, die sich vorzugsweise in der Lunge abspielen, durch die Bronchialschleimhaut, bei Darmkrankheiten durch den Darm usw.
Im übrigen erfolgt die Heilung des Fiebers stets dann von selbst, wenn die giftigen Substanzen ausgeschieden sind und der Stoffwechsel geregelt ist. Dieses Ziel muß auch die komplexbiochemische Behandlung verfolgen.
Autor
• Konrad Grams, 1925, Berlin (Begründer Bicomplex-Therapie).
Literatur
• Grams K: Das Fieber, seine Bedeutung und Behandlung. Die Komplex-Biochemie. 1925 Mar 1;5(3):33–6.