Dicksäfte

Hahnemanns Apothekerlexikon
vorheriges KapitelZurückInhaltsverzeichnisWeiternächstes Kapitel

Dick­säf­te (suc­ci her­barum ins­pis­sa­ti, extra­c­ta her­barum e suc­co), hat man unei­gent­lich Extrak­te genannt, da doch letz­te­re nur durch Aus­zie­hung der wirk­sa­men Thei­le mit­telst and­rer Flüs­sig­kei­ten (Wein, Wein­geist, Brannt­wein, Was­ser) erhal­ten wer­den, die Dick­säf­te aber blos der aus­ge­preß­te und ein­ge­trock­ne­te Saft fri­scher Pflan­zen sind. Die Absicht bei Berei­tung der meis­ten Dick­säf­te geht nicht sowohl auf die Kon­zen­tri­rung der wirk­sa­men Pflan­zent­hei­le in eine klei­ne Gabe (denn von so stark wir­ken­den Pflan­zen als der Stech­ap­fel, der Schier­ling u.s.w. ist, thut schon eine klei­ne Men­ge des wohl auf­be­hal­te­nen trock­nen Krau­tes eine ansehn­li­che Wir­kung), als viel­mehr dar­auf, die wirk­sa­men Thei­le der­sel­ben zu jeder Zeit des Jah­res auch in flüs­si­ger, ver­dünn­ter Form inner­lich, und äus­ser­lich bequem als topi­sches Mit­tel anwen­den zu können.

Man hat bei Berei­tung der Dick­säf­te aus Bel­la­donn­schlaf­bee­re, aus Fle­cken­schier­ling, Gift­wüt­he­rich, Napell­sturm­hut, Gift­sturm­hut, Tolls­tech­ap­fel, Metels­tech­ap­fel, Pur­pur­fin­ger­hut, Schwarz­bil­sen u.s.w. weni­ge Regeln zu beob­ach­ten; so wenig ihrer aber sind, so wich­tig sind sie auch.

Gewöhn­lich gleich vor Aus­bruch der Blü­t­he die­ser Pflan­zen wer­den sie (am bes­ten noch vor der Son­nen­hit­ze) gesam­melt, unmit­tel­bar dar­auf (nach Abschnei­dung der ver­dorr­ten oder ver­faul­ten Thei­le) gewa­schen, also­gleich in einem stei­ner­nen, eiser­nen, am bes­ten aber höl­zer­nen Mör­sel zum wei­chen Breie gestampft, und in Lein­wand­sä­cken aus­ge­preßt, der Saft aber nach zwei­stün­di­ger Ruhe von dem aus Fasern bestehen­den Boden­sat­ze rein abge­gos­sen und unver­züg­lich ein­ge­dickt. Daß die­se Arbei­ten dicht auf ein­an­der fol­gen müs­sen, ist eine unnach­läs­si­ge Bedin­gung, theils weil ver­welk­te Pflan­zen weni­ger Saft geben, theils weil benetz­te Pflan­zen bald einen Anfang zum Modern und Erhit­zen machen, theils weil ein aus­ge­preß­ter unein­ge­dick­ter Saft schon bin­nen weni­gen Stun­den in anfan­gen­de Gäh­rung tritt, und an den beab­sich­te­ten Kräf­ten verliert.

Die Ein­di­ckung sol­cher Säf­te, wie die­se, deren Tugend blos in flüch­ti­gen, bei der Sie­de­hit­ze des Was­sers davon gehen­den Thei­len liegt, ver­langt, wie man aus unzwei­deu­ti­gen Erfah­run­gen sieht, durch­aus einen Wär­me­grad bei der Abdamp­fung, wel­cher unter dem Sie­de­punk­te ist. Da nun die behut­sams­ten Apo­the­ker­bü­cher aus­drück­lich ver­ord­nen, daß man sol­chen Säf­ten nur ein so mäßi­ges Feu­er bei der Abdamp­fung geben sol­le, daß sie nie ins Kochen gera­then, so hat man bei Befol­gung die­ser Vor­sicht im Sand­ba­de (denn Apo­the­ker, die sie im Was­ser­ba­de abdamp­fen, sind äus­serst sel­ten) geglaubt, die Dick­säf­te müß­ten nun alle erwünsch­te Kräf­te in sich ent­hal­ten, wenn der Saft nicht ins Kochen gera­then wäre. Die Erfah­rung lehrt aber das Gegen­t­heil, nichts ist in den meis­ten sonst recht guten Apo­the­ken unkräf­ti­ger, als die Extrak­te die­ser Pflan­zen, und dieß geht so weit, daß die Aerz­te zu zwei­feln ange­fan­gen haben, ob ein Sturmhut‑, Schier­lings- oder Bil­sen­ex­trakt über­haupt eini­ge Kräf­te besä­ßen, oder ob sie nicht viel­mehr ein­ge­bil­det wären. Ich habe Quent­chen und Unzen käuf­li­chen Schier­lings­ex­trakts von Kran­ken wie Brod ver­schluk­ken sehen, ohne die min­des­te Aen­de­rung an ihnen zu spü­ren, da doch eini­ge weni­ge Gran eines recht berei­te­ten Dick­safts die­ser Pflan­ze eben die­sel­ben Kran­ken in die hef­tigs­ten, bedenk­lichs­ten Zufäl­le ver­setz­ten. (Dieß rühr­te daher, daß man den Sie­de­punkt des Was­sers nicht von dem Sie­de­punk­te sich ver­di­ckern­der Säf­te unterschied.)

Um also ein Extrakt von letz­te­rer Art mit Ehre zu berei­ten, muß man sich erin­nern, daß ein bis zur Hälf­te abge­dampf­ter Pflan­zen­saft schon weit über den Sie­de­punkt des Was­sers erhitzt seyn kann, ohne auf­zu­wal­len, selbst ohne Spu­ren vom Sie­den zu zei­gen, und daß wenn er voll­ends bis zum vier­ten, bis zum ach­ten Thei­le ver­dickt ist, er ohne ins Sie­den zu kom­men, auf 300° bis 400° Fahr. ver­tra­gen kann. Nun macht aber nicht das Sie­den an und vor sich die Dick­säf­te die­ser Art unkräf­tig, son­dern blos der ange­wen­de­te Hitz­grad. Wenn dann schon bei 212° Fahr. bin­nen kur­zer Zeit alles Kräf­ti­ge aus die­sen Pflan­zen ver­fliegt, wie soll es nicht bei 300° und 400° Fahr. geschehen?

Eine sol­che Art Dick­säf­te zu berei­ten, selbst wenn alles Auf­wal­len sorg­fäl­tig ver­mie­den wird, ist dem­nach, wie die täg­li­che Erfah­rung lehrt, eine bei aller Müh­sam­keit nutz­lo­se Arbeit. Ange­brann­tes Hol­lun­der­mus, und auf gemei­ne Art ver­fer­tig­tes Schier­lings­ex­trakt sind von glei­chem Werthe.

Hie­zu kömmt, daß im Sand­ba­de ohne hin­ein­ge­stell­ten Ther­mo­me­ter (mit dem uns­re Apo­the­ker nicht geläu­fig umzu­ge­hen wis­sen,) fast unmög­lich eine Auf­wal­lung, am wenigs­ten die Erhit­zung des Pflan­zen­saf­tes über 212° Fahr. ver­mie­den wer­den kann; der Arbei­ter müß­te denn eine zweck­mä­si­ge Anstalt zu einer anhal­ten­den Diges­ti­ons­wär­me tref­fen. Hie­zu braucht ein erfahr­ner Mann, wenigs­tens hier, kei­ne Vor­schrif­ten, nur muß ich erin­nern, daß auch bei die­ser so fla­che Geschir­re als mög­lich ange­wen­det wer­den mögen, weil kei­ne Ein­di­ckung eines Pflan­zen­saf­tes über 48 Stun­den anhal­ten darf, wenn letz­te­rer nicht eini­ge Zer­set­zung sei­ner Bestandt­hei­le erlei­den soll.

Das­sel­be ist der Fall bei der Ein­di­ckung durch die blo­se freie Luft. Hie­zu muß ein Ort aus­ge­sucht wer­den, wo eine bestän­di­ge Zug­luft über die ganz fla­chen Tel­ler u.s.w. strei­chen kann, wel­ches auf einem recht luf­ti­gen, blos an den zwei ent­fern­tes­ten, ent­ge­gen gesetz­ten Sei­ten eröf­ne­ten Tro­cken­bo­den der Fall ist. Der Saft darf aber doch nicht über einen hal­ben Zoll hoch in den Scha­len ste­hen, und es muß kei­ne feuch­te Luft wehen, sonst braucht er all­zu lan­ge Zeit zum Ein­di­cken, und geht indeß in Gäh­rung. Die größ­ten Schwarz­blech­ta­feln, deren vier Rän­der drei Vier­tel­zoll hoch kas­ten­för­mig auf­ge­bo­gen sind, sind schick­li­che wohl­fei­le Abdampf­ge­fä­se bei einer Diges­ti­ons­ab­damp­fung und bei der Ver­duns­tung an frei­er Luft. Letz­te­re hat den Vor­zug, daß die Dick­säf­te bis zur brech­li­chen Kon­sis­tenz, das ist, zur völ­li­gen Tro­cken­heit bei trock­nem Wet­ter gebracht wer­den kön­nen, so daß man sie, wenn die Ble­che polirt waren, in fei­nen Blätt­chen abson­dern kann. Dann aber müs­sen sie in wohl ver­stopf­ten vor­her erwärm­ten Fla­schen vor feuch­ter Luft ver­wahrt wer­den. Treibt man die Ein­trock­nung an frei­er Luft nicht so weit, so muß doch wenigs­tens die Kon­sis­tenz eines Cerats in den an der Luft ver­dick­ten Extrak­ten ent­ste­hen, sonst gehen sie bald in Gäh­rung über, weit eher als die über Feu­er bereiteten.

Wenn die Umstän­de kei­ne die­ser bei­den zweck­mä-sigen Arten der Ein­di­ckung erlau­ben, so bleibt kei­ne and­re als die im Was­ser­ba­de übrig, wel­ches ziem­lich eben so kräf­ti­ge Dick­säf­te und Extrak­te giebt.

Man setzt über die Oef­nung eines im Sie­den und mit Was­ser ange­füllt erhal­te­nen Kes­sels eine Pfan­ne aus Eisen­blech getrie­ben, mit hori­zon­ta­lem Ran­de der­ge­stalt, daß der Rand des Kes­sels vom Ran­de der Pfan­ne ver­deckt, der fla­che Bauch der­sel­ben aber in das sie­den­de Was­ser tau­che. In die­ser Pfan­ne läßt man den frisch aus­ge­preß­ten Saft, unter flei­ßi­gem Umrüh­ren, ohne Furcht einer Kraft­lo­sig­keit des Extrak­tes, bis zur gehö­ri­gen Dicke abdamp­fen, und es ist nichts daher zu beob­ach­ten, aus­ser 1) daß man gegen das Ende der Arbeit, wenn man die Feue­rung und die Zeit spa­ren will, oft genug umrüh­re, und 2) daß man das Feu­er unter dem Kes­sel mäßig erhal­te, damit das Was­ser dar­in nicht unter der Pfan­ne her­vor­spru­de­le, wel­ches jedoch kei­nen andern Nacht­heil als die Ver­der­bung des Her­des und eine öfte­re Not­hwen-dig­keit nach sich zieht, das ver­lor­ne Was­ser im Kes­sel zu ersetzen.

Die gehö­ri­ge Kon­sis­tenz eines in Diges­ti­ons­wär­me und im Was­ser­ba­de berei­te­ten Dick­safts ist unstrei­tig die eines Sirups, und zwar aus der dop­pel­ten wich­ti­gen Ursa­che, um ihn 1) vor der nacht­hei­li­gen Ein­wir­kung der Luft in glä­ser­nen ver­kork­ten Fla­schen auf­be­wah­ren zu kön­nen (und dann hält er sich meh­re­re Jah­re unver­sehrt), 2) um die Zeit und die Feue­rung zu erspa­ren, indem zur Abdüns­tung der Sirups­kon­sis­tenz bis zur Tro­cken­heit weit mehr Zeit erfor­dert wird, als zur Abdüns­tung des rohen Saf­tes bis zur Sirups­di­cke. Hier­un­ter ver­ste­he ich aber, daß der fer­ti­ge Dick­saft bis zur Milch­lau­heit (100° Fahr.) abge­kühlt, schon wie kal­ter Sirup (nur lang­sam und in einem dicken Strah­le) flie­ßen muß. Wird er in die­ser Ver­fas­sung in eine erwärm­te Fla­sche gefüllt, so erhält er sich ohne Schim­mel, und wenn man etwas aus­fül­len will, darf man die Fla­sche nur vor­her eini­ge Minu­ten in war­mes Was­ser stellen.

Aus­ser die­sen drei ein­zig zweck­mä­si­gen Ein­di­ckungs­ar­ten fri­scher Säf­te von jenen heroi­schen Pflan­zen sey kei­ne fort­an unter gewis­sen­haf­ten, Ehre lie­ben­den Apo­the­kern erlaubt.

Die Diges­ti­ons­wär­me kann zu die­ser Abdamp­fung sehr gleich­för­mig mit­telst einer nicht all­zu gros­sen unter die fla­che Abdampf­scha­le gestell­ten Baum­öl­lam­pe unter­hal­ten wer­den, mit sehr mäsi­gen Kosten.

Auch erin­ne­re ich, daß Ein Gran völ­lig dür­ren, an der Luft abge­dampf­ten Extrak­tes so viel Kraft besitzt, als zwei Gran des bei Wär­me zur Sirups­di­cke abge­dampf­ten Dick­saf­tes, wor­nach man sich bei der Rezep­tur zu rich­ten hat.

© Abdamp­fen der Dick­säf­te im Wasserbade.