Ein schwarzer Schimmel: „Barfußschuhe“

In der moder­nen Zivi­li­sa­ti­on mit ihrem Über­an­ge­bot an Waren und Dienst­leis­tun­gen ist es manch­mal nicht mehr ganz ein­fach, Sinn und Wahn­sinn zu unter­schei­den, fin­den Sie nicht auch? Jüngst ist mir das wie­der auf­ge­fal­len, als ich in den Medi­en über eine merk­wür­di­ge Pro­dukt­grup­pe stol­per­te: Bar­fuß­schu­he! Bar­fuß­schu­he?? Was ist denn das? Im Bil­dungs­bür­ger-Deutsch heißt so ein Wort „Oxy­mo­ron“ – also ein Begriff, der sich selbst wider­spricht, zum Bei­spiel „schwar­zer Schim­mel“. Ich mei­ne natür­lich das Pferd, nicht die mil­lio­nen­fa­che Fol­ge von Iso­lier­glas­fens­tern! Es scheint, als ob Bar­fuß­schu­he – den Wer­be­be­teue­run­gen der Anbie­ter nach – tat­säch­lich für das Bar­fuß­lau­fen ver­kauft wer­den. Also tat­säch­lich ein Wider­spruch in sich, mit Schu­hen barfußlaufen!

Nicht nur logisch betrach­tet sind Bar­fuß­schu­he völ­li­ger Blöd­sinn, son­dern auch aus natur­heil­kund­li­cher Sicht. Die bekann­tes­ten Was­ser­the­ra­peu­ten Vin­cenz Prieß­nitz (1799–1851) und Sebas­ti­an Kneipp (1821–1897) hat­ten im 19. Jahr­hun­dert tra­di­tio­nel­le The­ra­pien Euro­pas und der Anti­ke auf­ge­grif­fen, bei denen Was­ser­an­wen­dun­gen durch hei­len­de Rei­ze zur Gesun­dung von kran­ken Men­schen bei­tra­gen sol­len – die soge­nann­te Hydro- oder Was­ser­the­ra­pie. Und hier­zu gehört bis heu­te – neben vie­len ande­ren Ver­fah­ren – das Bar­fuß­ge­hen. Zum Bei­spiel in spe­zi­el­len Was­ser­tret-Becken, auf tauf­euch­ten Wie­sen (bzw. dem hei­mi­schen Rasen) oder durch wei­chen Schnee. In vie­len natur­heil­kund­li­chen Kur- und Heil-Ein­ri­chun­gen Mit­tel­eu­ro­pas wird der the­ra­peu­ti­sche Bar­fuß­kon­takt mit dem nas­sen Ele­ment Was­ser immer noch gepflegt. Ein­fach des­we­gen, weil es hoch­wirk­sam Herz- und Kreis­lauf anregt, das Ner­ven­sys­tem sti­mu­liert, Durch­blu­tung und „Ent­schla­ckung“ för­dert, das Wär­me­zen­trum des Men­schen har­mo­ni­siert und vie­les ande­re mehr. Hier­bei „Bar­fuß­schu­he“ anzu­zie­hen, wäre kon­tra­pro­duk­tiv, weil die hei­len­den Rei­ze aus­blei­ben wür­den. Nicht zuletzt, wenn jene Pro­duk­te ver­wen­det wer­den, die mit einer beson­ders was­ser­un­durch­läs­si­gen Gum­mi­soh­le bewor­ben werden.

Zu der natur­heil­kund­li­chen vor­beu­gen­den und hei­len­den Kraft des Bar­fuß­lau­fens kommt – aus heu­ti­ger Sicht – der medi­zi­ni­sche Wahn­sinn jeg­li­chen fuß­ei­nengen­den Schuh­werks. Hier­über haben schon vie­le ande­re berich­tet und gezeigt, dass nahe­zu alle ortho­pä­di­schen Erkran­kun­gen von Füßen und Bei­nen durch kon­se­quen­tes Bar­fuß­lau­fen ver­meid­bar wären. Was in unse­ren Brei­ten­gra­den natür­lich eini­ge Pro­ble­me mit sich bringt, auf die Bar­fuß­schu­he eine Ant­wort zu sein schei­nen. Doch auch die­ses Schuh­werk engt die Füße bereits ein und ver­rin­gert z. B. die natür­li­che Sprei­zung der Zehen. Wie das Dilem­ma zwi­schen Käl­te, Näs­se, Dreck und fuß­un­freund­li­chen Unter­grün­den und medi­zi­nisch wün­schens­wer­tem Bar­fuß­lau­fen in der städ­ti­schen Zivi­li­sa­ti­on der Moder­ne gelöst wer­den kann, weiß ich auch nicht. Bar­fuß­schu­he jeden­falls sind zwar eine net­te Mode­er­fin­dung, aber kei­ne Ant­wort auf die­se Fra­ge. Sie sehen, dass natur­heil­kund­li­ches (Nach-)Denken zwar hel­fen kann, wich­ti­ge Sach­ver­hal­te des Lebens zu ver­ste­hen. Doch ein natur­me­di­zi­ni­sches Rezept­buch, das auf alles fer­ti­ge Ant­wor­ten parat hat, gibt es nicht.

Die­ses Bei­spiel soll ein Prin­zip der Natur­heil­kun­de ver­deut­li­chen, das auch für die Anwen­dung von aus Schüß­ler­sal­zen sinn­voll kom­bi­nier­ten Bicom­plex-Prä­pa­ra­ten gilt: Bar­fuß­lau­fen auf nas­sem Gras tut uns gut, auch wenn es an einem küh­len Mor­gen eini­ges an Über­win­dung kos­ten mag. Mit Bar­fuß­schu­hen kos­tet Tau­tre­ten zwar kei­ne Über­win­dung mehr, aber es funk­tio­niert dann auch nicht. Dies gilt für vie­le Ver­fah­ren der Natur­me­di­zin: Pati­en­ten müs­sen aktiv auf ihre Hei­lungs-Chan­ce „zuge­hen“ und bereit sein, eini­ges für die­se Chan­ce auf sich zu neh­men. Rheu­ma-Pati­en­ten müs­sen sich bei­spiels­wei­se viel bewe­gen, auch wenn dies erst mal weh­tut (beschrie­ben in dem Bei­trag „Rheu­ma: Beweg­lich­keit her­stel­len ist am wich­tigs­ten“). Wer jahr­zehn­te­lang auf­ge­bau­tes, krank­ma­chen­des Über­ge­wicht los­wer­den will, darf nicht allei­ne auf die wohl­tä­ti­ge Wir­kung von Bicom­plex-Prä­pa­ra­ten ver­trau­en. Son­dern er muss erheb­li­che Eigen­leis­tun­gen erbrin­gen, z. B. mit kör­per­li­cher Akti­vie­rung und Inter­vall-Fas­ten (beschrie­ben in dem Bei­trag „Inter­vall-Fas­ten: Die Opti­on für gesun­des Gewicht und lan­ges Leben“).

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Gesund­heits­be­ra­ter, Ber­lin, Mai 2014.