Aus Sicht vieler Kritiker sind die Biochemie nach Schüßler und damit verwandte Methoden völliger Nonsense und gehören in den Bereich medizinischer Scharlatanerie. So lernen wir es auch in dem auflagenstarken Werk „Die andere Medizin“ der Stiftung Warentest, das hier in einem kurzen Auszug zitiert wird (-> Zitat, siehe unten).
Was jedoch eine Germanistin und Theaterwissenschaftlerin (Krista Federspiel) und eine Apothekerin (Vera Herbst) in dem Werk zusammenschreiben, ist nicht von schlechten Eltern. Wir kommentieren nur einige wenige Beispiele:
(Die Homöopathie kennt …) durch ihre Verdünnungen eine unüberschaubar große Zahl von Medikamenten“ …
→ Unsinn! Die Homöopathie kennt, Frau Apothekerin, so viele Heilmitteln, weil sie zehntausende von verschiedenen Stoffen geprüft, und einige tausend für die Therapie als tauglich befunden hat. Hier fehlt einfach pharmazeutische Fachkunde… Da wäre sogar plattes Abschreiben bei Prof. Dr. Edzard Ernst besser gewesen – der hatte Homöopathie immerhin gelernt!
… seine (Schüßlers) Zuordnung aller Krankheiten zu drei Entzündungsstadien (ist) unzutreffend.
→ hätte die Germanistin des Autorinnenteams ihre hoffentich vorhandene Fähigkeit zum Frakturlesen eingesetzt, hätte sie keine so absoluten Aussagen bei Schüßler gefunden. Viel wichtiger aber: In den vielen verschiedenen Krankheitskonzepten des 19. Jahrhunderts war die Zuordnung zu den drei genannten Stadien gang und gäbe. Übrigens: Liest man den Begriff „Entzündung“ als „(entzündliche) Krankheitsaktivität“, ist man mitten im 21. Jahrhundert („akute Arthritis“, „chronische Arthritis“, „chronisch-rezidivierende Arthritis mit irreversiblen Gelenkschäden“).
… Bakterien sind zweifellos die Erreger von Infektionskrankheiten.
→ Du meine Güte! Wieder fehlt die Sachkunde. 99,9999 Prozent aller Bakterien oder mehr sind keine Krankheitserreger, leben in Kilogramm-Mengen auf und in uns, tragen tagtäglich zu unserer Ernährung und Gesundheit bei. Unter bestimmten Umständen können sie uns krank machen, das stimmt. Aber diese Umstände liegen in uns, unserer Umwelt, unserem Ernährungszustand oder unserer seelischen Verfassung („Milieu“). Übrigens sind Viren viel häufiger Krankheitserreger als Bakterien …
Wenn dazu geraten wird, die üblichen, ärztlich verordneten Medikamente in ihrer Dosierung erheblich zu verringern oder gar abzusetzen, kann das zu beträchtlichen gesundheitlichen Risiken führen.
→ Der US-Regierungsreport „Irren ist menschlich“ kommt 2000, wie viele andere Experten auch, zu dem Schluss: Fehler in der Arznei-Anwendung – Überdosierung, falsche Dosierung, Arzneimittel-Nebenwirkungen und ‑Wechselwirkungen – kosten jedes Jahr hunderttausenden Menschen – vermeidbar! – das Leben. Frau Pharmazeutin Herbst: Wo sind die Studien, die eine hohe Sterblichkeit von Patienten belegen, die – oft aus gutem Grund – ihre Medikamenten-Einnahme verringert haben (PS: Es gibt sie nicht)? Was Sie an „Patienten-Compliance“ fordern, wird außerhalb des Gesundheitswesen „absatzfördernde Kundenbindung“ genannt. Analysen aus dem Jahre 2017 kommen sogar zu dem Schluß, dass in den USA jöhrlich 400.000 in Krankenhäusern eines vermeidbaren Todes infolge von Behandlungsfehlern pro Jahr sterben. Ganz so „gesund“ ist der mediko-industrielle Komplex denn doch wohl nicht.
… Damit ist die Gefahr groß, dass eine notwendige und hilfreiche konventionelle Behandlung zu spät einsetzt oder gar versäumt wird.
→ Positive Schätzungen nehmen an, dass die Schulmedizin zu maximal vier Prozent zur derzeitigen Lebensdauer und Lebensqualität beiträgt (15,5% Kassenbeitrag ist dafür ganz schön viel!). Viel wichtiger sind Ernährung, Verkürzung der Arbeitszeit usw. Wann bitte ist also eine konventionelle Behandlung notwendig und hilfreich? Wer beurteilt das individuell? Bitte lassen Sie uns an Ihrer germanistisch-pharmazeutischen Erleuchtung teilhaben!
Resümee Der Zustand der Medizin war im 19. Jahrhundert katastrophal und hatte mit „Wissenschaftlichkeit“ kaum etwas zu tun. Beispiele: Onanie war aus medizinischer Sicht eine wesentliche Krankheitsursache (Hirnschwund, Tabes dorsalis), Homosexualität eine Krankheit (wurde bis 1992! in der internationalen Krankheitsklassifikation ICD als solche erfasst), viele Gesetze regelten im Kaiserreich die Aktivitäten von Apothekern und Ärzten, um die Patienten wenigstens teilweise vor kriminellen Vertretern der Halbgötter in Weiß zu schützen. Die Damen Federspiel und Herbst machen uns weis, im 21. Jahrhundert sei nun alles besser. Lieber Leserinnen und Leser, bilden Sie sich selbst ein Urteil!
Zitat aus „Die Andere Medizin“
(Federspiel K, Herbst V: Die Andere Medizin – „Alternative“ Heilmethoden für Sie bewertet, 5. Aufl. Stiftung Warentest, Berlin, 2005.)
Biochemie nach Schüßler
Die Biochemie nach Schüßler sieht Krankheiten als Ausdruck eines Mineralstoffmangels. Die Gabe von Salzen, die nach homöopathischer Verfahrensweise hergestellt worden sind, soll diesen Mangel ausgleichen.
Geschichte und Entwicklung
Der Arzt Wilhelm Schüßler (1821–1898) entwarf 1874 eine aus der Homöopathie (-> Seite 159) hervorgegangene Behandlungsform. Im Gegensatz zu jener, die durch ihre Verdünnungen eine unüberschaubar große Zahl von Medikamenten kennt, kam Schüßler mit zwölf Mitteln aus. Seine Nachfolger haben die Produktpalette um zwölf weitere Mittel ergänzt.
Nach dem Tode Schüßlers gründete sich der Biochemische Bund Deutschlands, der nach dem zweiten Weltkrieg jedoch zerschlagen wurde. Heute vertritt ein neu gegründeter Biochemischer Bund etwa 2 000 Mitglieder.
Die Behandlung mit Schüßler-Salzen ist in Deutschland ähnlich weit verbreitet wie die Homöopathie.
Konzept
Die Biochemie nach Schüßler erklärt Krankheiten nicht auf die gleiche Weise wie die konventionelle Medizin. So sieht sie beispielsweise in Bakterien nicht die Ursache von Infektionen, sondern nimmt Infektionskrankheiten als Zeichen dafür, dass es dem Körper an Lebenssalzen mangelt.
Für Schüßler war ein Mensch gesund, wenn seine Zellen ausreichend mit Mineralstoffen versorgt sind und sich deren Moleküle ungehindert bewegen können. Seiner Definition zufolge erkrankt ein Mensch, wenn seine Zellen bei ihrem Bemühen, krankmachende Reize abzuwehren, Mineralstoffe verlieren und sich die verbliebenen Moleküle aufgrund dieses Mangels nicht mehr richtig bewegen können.
Zur Therapie dienen insgesamt 24 so genannte Funktionsmittel. Sie heißen so, weil jedes von ihnen bestimmte Organfunktionen beeinflussen soll. Schüßler ging davon aus, dass sich die Mineralstoffmoleküle in den erkrankten Zellen bewegen und dadurch ihnen gleiche Moleküle aus dem umliegenden Gewebe in das kranke Gebiet hineinziehen. Auf diese Weise soll die Zelle geheilt werden. Dass er die Mineralstoffe in einer so geringen Konzentration verwendet, begründete Schüßler damit, dass in den natürlichen Prozessen auch nur Atome, Atomgruppen und Moleküle reagieren.
Alle Erkrankungen gliederte Schüßler nach drei Gruppen, die verschiedenen Stadien einer Entzündung entsprechen. Das erste nannte er das Sol-Stadium, bei dem das entzündete Gewebe flüssiges Sekret absondert. Im zweiten, dem Gel-Stadium, ist das Sekret fester; im Durus-Stadium verhärtet das Gewebe. So ordnet Schüßler beispielsweise typische „Alterskrankheiten“, wie Arteriosklerose, den Durus-Krankheiten zu und verabreicht seine Salze, um die Verhärtung zu lockern.
Als Beispiel dafür, wie nach Schüßlers Überzeugung Erkrankungen und Salze verknüpft sind, sei die Charakteristik für Calcium fluoratum (die pharmazeutische Bezeichnung für Kalziumfluorid) angeführt. Kalziumfluorid entlastet nach Schüßler den Blutkreislauf, kräftigt die kleinen Gefäße und fördert die Resorption von Gefäßverhärtungen. Darum eignet es sich, um Hämorrhoiden, Krampfadern, Arterienverkalkung, Knochen- und Zahnerkrankungen, Gelenkbeschwerden, Rachitis, Gewebe- und Drüsenverhärtungen, Haltungsschwäche und frühes Altern der Haut zu behandeln. Ferner wird diskutiert, ob es zur unterstützenden Behandlung bei Geschwulstkrankheiten nützlich sein kann.
Plausibilität des Konzepts
Gemäß der naturwissenschaftlichen Biochemie beruhen alle Lebensvorgänge auf den Reaktionen chemisch definierter Stoffe, zu denen auch Mineralsalze gehören. Mineralsalze sind nachgewiesenermaßen wichtig für die Abläufe im Organismus. Wo sie fehlen, müssen sie ergänzt werden. Doch Mineralsalze sind nicht „alles“, wie Schüßler es sah.
Die chemischen und medizinischen Kenntnisse seiner Zeit interpretierte Schüßler höchst eigenwillig. Die Schlüsse, die er zog, entbehren der naturwissenschaftlichen Logik. So ist zum Beispiel seine Zuordnung aller Krankheiten zu drei Entzündungsstadien unzutreffend. Darüber hinaus lassen sich nicht alle Erkrankungen auf Entzündungsvorgänge zurückführen, und Bakterien sind zweifellos die Erreger von Infektionskrankheiten.
Was an den Mitteln der Homöopathie (-> Seite 159) kritisiert wird, gilt auch für die Schüßler-Salze.
Mittel
Die jeweils zwölf „Haupt-“ und „Ergänzungsmittel“ sind anorganische Salze, die nach dem Verfahren der Homöopathie zu D 3, D 6 und D 12 potenziert werden und als Tabletten im Handel sind. Außerdem gibt es von elf Funktionsmitteln Salben in D 6. Näheres zur Potenzierung von homöopathischen Mitteln lesen Sie unter „Mittel“ im Abschnitt „Homöopathie“ (-> Seite 163).
Durchführung
Diagnose Die Biochemie nach Schüßler macht eine spezielle Diagnostik notwendig, bei der die Erkrankung den Entzündungsstadien zugeordnet wird. Außerdem wird, um das geeignete Mittel zu finden, die Konstitution des Patienten bestimmt.
Behandlung Die Funktionsmittel sind zwar homöopathische Verreibungen, sie werden aber nicht im Sinne der homöopathischen Ähnlichkeitsregel (siehe unter „Homöopathie“ -> Seite 159), sondern nach Schüßlers eigenen Regeln eingesetzt. Damit die Behandelnden die dem Beschwerdebild entsprechenden Salze finden können, hat Schüßler eine Liste erstellt. Dem erfahrenen Anwender traut er jedoch zu, dem Gesichtsausdruck seines Patienten entnehmen zu können, welches Mittel er für dessen Krankheit braucht. Für diese Antlitzdiagnostik gibt es keine Anleitung, sondern nur das ständige Lernen durch Versuch und Irrtum.
Die gebräuchliche Potenz ist D 6. Eine andere Stärke soll jedoch nicht schaden, denn es gibt keine „falschen“ Potenzen.
Die Tabletten sollen nicht geschluckt werden, sondern sich langsam im Mund auflösen und in der Mundhöhle ins Blut übertreten, da sie Schüßler zufolge sonst den Körper durch den Verdauungskanal ungenutzt verlassen. Von dieser Regel ist nur Magnesium phosphoricum ausgenommen, das in heißem Wasser gelöst und schluckweise getrunken werden soll.
Selbstbehandlung
Sowohl Broschüren einer Herstellerfirma biochemischer Mittel als auch Laienratgeber leiten zur Selbstbehandlung an.
In vielen Apotheken werden Schüßler-Salze zur Selbstbehandlung empfohlen.
Anwender und ihre Ausbildung
Biochemie nach Schüßler wird von homöopathisch orientierten Ärzten und Heilpraktikern betrieben. Eine über die homöopathische Ausbildung hinausgehende Befähigung ist nicht erforderlich.
Anwendungsbereiche
Schüßler meinte, dass „die biochemischen Mittel, nach richtiger Wahl angewendet, zur Heilung aller durch innerliche Mittel heilbaren Krankheiten genügen“. Auch Erkrankungen wie Diphtherie, Tuberkulose und Leukämie nahm er davon nicht aus.
Heute sieht sich die Biochemie nach Schüßler vor allem als ergänzende Maßnahme zur konventionellen Behandlung.
Ein Lehrbuch von 2002 nennt folgende Indikationen: Abszesse, Bindegewebeschwäche, Bindehautentzündung, Blutarmut, Drüsenschwellungen, Erkrankungen der Haare und Nägel, Erschöpfungszustände, Fettleibigkeit, Furunkel, Gelenkbeschwerden, Gicht, Hämorrhoiden, Hautausschläge, Ischiasbeschwerden, Karbunkel, Knochen- und Zahnerkrankungen, Koliken, Krämpfe aller Art, Leberleiden, Migräne, Nervenschwäche, Neuralgien, Rheuma, chronische Schleimhautentzündung, Schmerzen, Venenleiden sowie Wunden.
Belege für die Wirksamkeit
Wissenschaftliche Beweise über die Wirksamkeit der Behandlung liegen nicht vor, nur einzelne Fallberichte.
Achtung
Schüßler und seine Anhänger legten sich hinsichtlich der Anwendungsbereiche kaum Beschränkungen auf. Noch in einer Darstellung der Methode von 1992 findet sich der Satz: „Der Gebrauch von Antibiotika ist bei gekonnter Therapie mit den von Schüßler erarbeiteten Lebenssalzen weitgehend zu vermeiden.“ Damit ist die Gefahr groß, dass eine notwendige und hilfreiche konventionelle Behandlung zu spät einsetzt oder gar versäumt wird.
Wenn dazu geraten wird, die üblichen, ärztlich verordneten Medikamente in ihrer Dosierung erheblich zu verringern oder gar abzusetzen, kann das zu beträchtlichen gesundheitlichen Risiken führen.
> Gegenanzeigen
Für die Schüßler-Salze gelten generell die gleichen Gegenanzeigen wie für die Mineralsalze an sich.
> Wechselwirkungen
Zwischen den Schüßler-Salzen in der D 3‑Stärke und den üblichen Medikamenten können generell die gleichen Wechselwirkungen auftreten wie bei den Mineralsalzen an sich.
Risiken und unerwünschte Wirkungen
Durch unsachgemäße Anwendung
Bei Menschen mit einer unzureichenden Nierenfunktion kann die Ausscheidung von Kalium und Kalzium verringert sein. Eine Langzeitbehandlung mit diesen Mineralsalzen kann diese Personen gefährden.
Bewertung
Der Nutzen dieser Therapie ist nicht belegt; ihr Risiko ist eher gering. Die Abwägung von Nutzen und Risiko fällt negativ aus.
Biochemie nach Schüßler ist zur Behandlung von Krankheiten nicht geeignet.
Autor
• Rainer H. Bubenzer, Gesundheitsberater, Bicomplexe.Heilpflanzen-Welt.de