Ger­hard Mad­aus: Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heil­mit­tel. Ver­lag Georg Thie­me, Leip­zig, 1938
(Ori­gi­nal, voll­stän­dig erhal­ten) – bei eBay zu ver­kau­fenRezen­si­on 1938, Archiv der Pharmazie

Digitalis purpurea – Seite 2 von 3 – Monographie Madaus

Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heilmittel
Mono­gra­phie Digi­ta­lis pur­pu­rea (Sei­te 2 von 3)
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Botanisches:

Der Rote Fin­ger­hut ist eine zwei­jäh­ri­ge ansehn­li­che Stau­de, die bis zu 1,50 m hoch wird. Wäh­rend im ers­ten Jah­re sich nur eine Rosette gro­ßer, ober­seits flau­mi­ger, unter­seits ange­drückt grau­fil­zi­ger Blät­ter ent­wi­ckelt, streckt sich im zwei­ten Jah­re die Ach­se. Sie ist dicht beblät­tert von eil­an­zett­li­chen, runz­li­gen, gekerb­ten Blät­tern, die ober­seits weich­haa­rig, unter­seits fast fil­zig behaart sind. An der Spit­ze des Sten­gels sit­zen in 30 bis 100 cm lan­ger, ein­seits­wen­di­ger Trau­be die pur­pur­ro­ten, gro­ßen Blü­ten. Die­se besit­zen einen fünf­zip­fel­i­gen, blei­ben­den Kelch. Die glo­cki­ge Kro­ne ist rachen­för­mig, schwach-zwei­lip­pig. Die Innen­sei­te der Blü­te trägt dun­kel­ro­te, weiß­um­ran­de­te Fle­cken und lan­ge wei­ße Haa­re. Zwei lan­ge und zwei kur­ze Staub­ge­fä­ße lie­gen unter der Ober­lip­pe. Auf dem Frucht­kno­ten sitzt der faden­för­mi­ge Grif­fel mit einer zwei­lap­pi­gen Nar­be. Die Blü­ten sind vor­stäu­bend, blei­ben sechs Tage in Voll­blü­te und wer­den haupt­säch­lich von Hum­meln besucht. Die zwei­fäch­ri­ge Kap­sel­frucht ent­hält zahl­rei­che sehr klei­ne Samen. Blü­te­zeit: Juni bis Juli.

Roter Fin­ger­hut
(etwa ½ nat. Gr.)
Digi­ta­lis pur­pu­rea L.
Scro­phul­a­riaceae
Der Rote Fin­ger­hut bil­det im Som­mer einen Schmuck von Lich­tun­gen und Schlä­gen im Fich­ten­wald, wo er dann in gro­ßen Bestän­den auftritt.
Die mit Harz getränk­te obers­te 5‑cm-Schicht des Fich­ten­wald­bo­dens för­dert, wie eige­ne Ver­su­che zeig­ten, das Wachs­tum des Fin­ger­hu­tes am stärksten.
Digi­ta­lis pur­pu­rea gehört zu den Kalk­flüch­tern, wäh­rend Digi­ta­lis lutea kalk­hold ist. Der Boden muß unter 1% Kalk haben, aber kali­reich sein. Dage­gen bevor­zugt sie man­gan­hal­ti­gen Boden, die Asche ent­hält durch­schnitt­lich 9,02% Mangan.
In Sand­kul­tu­ren bewirkt ein stei­gen­der Mangan­zu­satz Ern­te­ver­meh­rung und Zunah­me der phy­sio­lo­gi­schen Wirk­sam­keit. Bei natür­li­chem Boden lie­ßen sich nach Dafert und Löwy1 Ein­flüs­se zwi­schen Man­gan­ge­halt und Ern­te­er­trag nicht fest­stel­len. Auf Grund mei­ner Anbau­ver­su­che schei­nen Digi­ta­lis­blät­ter von auf Fich­ten­na­del­bo­den gewach­se­nen Pflan­zen eini­ge Mona­te län­ger voll wirk­sam zu blei­ben als von Pflan­zen, die auf gewöhn­li­chem Boden (Laub­er­de usw.) ange­baut sind.

Geschichtliches und Allgemeines:

Nach den ein­ge­hen­den Unter­su­chun­gen des Fin­nen Ste­ni­us kann es als erwie­sen gel­ten, daß der Fin­ger­hut den alten Grie­chen und Römern nicht bekannt gewe­sen ist, wofür auch das Haupt­ver­brei­tungs­ge­biet der Pflan­ze im west­li­chen Euro­pa spricht. In der irlän­di­schen Medi­zin ist er dage­gen unter dem Namen “sion” als uraltes Volks­mit­tel gegen puer­per­a­le Eklamp­sie und den bösen Blick schon im 5. Jahr­hun­dert im Gebrauch. Nach dem berühm­ten Arz­nei­bu­che “Med­dy­gon Myddfai” (13. Jahr­hun­dert) aus Süd-Wales wur­de er als äußer­li­ches Mit­tel bei Geschwüls­ten des Unter­lei­bes, Abs­zes­sen, Kopf­schmer­zen usw. gebraucht. L. Fuchs, der der Pflan­ze den wis­sen­schaft­li­chen Namen Digi­ta­lis gab, bringt als ers­ter in den deut­schen Kräu­ter­bü­chern eine genaue Beschrei­bung und Abbil­dung. Auch war ihm die Anwen­dung des Fin­ger­hu­tes bei Was­ser­sucht als Brech- und Pur­gier­mit­tel bekannt. Die Anwen­dung zu Heil­zwe­cken blieb jedoch in Deutsch­land zunächst noch sehr beschränkt. So weiß H. Bock davon nur zu sagen, daß der Fin­ger­hut “zur artz­ney mit ande­ren gewäch­sen zu den din­gen so erwör­mens /​ zert­hei­lens und rei­ni­gen bedörf­fen /​ genom­men und gebraucht wer­den möcht.” Außer die­sen und eini­gen ande­ren spär­li­chen Anga­ben fin­det man in der deut­schen medi­zi­nisch-bota­ni­schen Lite­ra­tur des 16. Jahr­hun­derts die Pflan­ze kaum erwähnt, wäh­rend in Eng­land ihr doch etwas mehr Auf­merk­sam­keit geschenkt wur­de. So beschrie­ben sie Gerar­de (1597) und Par­kin­son (1640) als Eme­ti­kum und Expek­tor­ans, und Sal­mon emp­fahl sie um 1700 als Mit­tel gegen Schwind­sucht, mach­te jedoch dabei gleich­zei­tig auf ihre “abstergie­ren­de, bre­chen­er­re­gen­de und abfüh­ren­de Eigen­schaft” auf­merk­sam. 1748 gab Saler­ne, wie Weese berich­tet, in Paris vor der Aca­dé­mie fran­çai­se einen auf­se­hen­er­re­gen­den Bericht über die ers­ten Digi­ta­lis­expe­ri­men­te. Nach Ver­füt­te­rung einer Anzahl von Digi­ta­lis­blät­tern an Trut­häh­ne zeig­ten die­se Erschei­nun­gen von Trun­ken­heit und Zuckun­gen. Sie gin­gen nach anhal­ten­den Aus­lee­run­gen schließ­lich ein. “Beim Öff­nen fan­den wir das Herz, die Lun­gen, die Leber und die Gal­len­bla­se geschrumpft und aus­ge­trock­net, der Magen war ganz leer, aber nicht sei­ner rau­hen Haut beraubt.” Nach die­ser Ver­öf­fent­li­chung über die unzwei­fel­haf­te Gif­tig­keit der Digi­ta­lis wur­de auch die eng­li­sche Ärz­te­schaft wie­der sehr zurück­hal­tend in ihrem Gebrauch, und noch 1776 nann­te Mur­ray den Fin­ger­hut ein zwei­deu­ti­ges Mit­tel. Eine fes­te Stel­le in den Offi­zi­nen erhielt er erst durch den eng­li­schen Arzt Withe­ring, der 1775 anfing, ihn gegen Was­ser­sucht zu ver­ord­nen. Withe­ring hat­te von den gro­ßen Erfol­gen eines Kräu­ter­wei­bes bei Was­ser­sucht mit einer neu­en Heil­pflan­ze gehört. Da die Frau ihm den Namen der Pflan­ze nicht ver­ra­ten woll­te, ließ er sie heim­lich beim Sam­meln der Blät­ter beob­ach­ten und stell­te so fest, daß es sich um den Fin­ger­hut han­del­te. Im Jah­re 1776 ver­öf­fent­lich­te er eine ers­te klei­ne Abhand­lung über die Heil­kräf­te der Dro­ge und mach­te noch im glei­chen Jah­re anläß­lich eines Kon­si­li­ums neben ande­ren Ärz­ten und Freun­den auch Eras­mus Dar­win auf sie auf­merk­sam. Letz­te­rer befaß­te sich dar­auf­hin ein­ge­hen­der mit ihr und ver­öf­fent­lich­te 1780 eine Stu­die über die Heil­kräf­te des Fin­ger­hu­tes. Im Jah­re 1785 erschien dann Withe­rings berühm­te Abhand­lung “An Account of the Fox­glove and of its Medi­cal Uses”, wodurch dann die Digi­ta­lis-Anwen­dung über­all bekannt wur­de. Jedoch nicht all­zu lan­ge nach Withe­rings Ver­öf­fent­li­chung kam die Ent­wick­lung der Digi­ta­lis­the­ra­pie zu einem Still­stand. Es wur­den eine Unzahl von neu­en Indi­ka­tio­nen für die neue Dro­ge auf­ge­stellt, was zu teil­wei­sen Mißer­fol­gen führ­te, die Withe­ring schen The­sen gerie­ten in Ver­ges­sen­heit und eine Anzahl berühm­ter Ärz­te jener Zeit lehn­ten die Dro­ge über­haupt ab. Zu die­sen gehör­te u. a. auch der Leib­arzt Napo­le­ons Cor­vi­sa­rt (gest. 1821) und sein Schü­ler, der gro­ße Kli­ni­ker Laennec (gest. 1826). Auch von sei­ten der homöo­pa­thi­schen Schu­le wur­de die Digi­ta­lis abge­lehnt, so schrieb Hah­ne­mann:
“Der anhal­ten­de Gebrauch der Digi­ta­lis pur­pu­rea ver­ur­sacht eine wah­re Freß­gier­de. Der Fin­ger­hut macht eine schwie­ri­ge Ver­stim­mung, die nicht leicht zu erken­nen ist, da sie sich nicht durch unver­nünf­ti­ge Wor­te äußert, eine Art von Wider­spens­tig­keit, Hart­nä­ckig­keit, hin­ter­lis­ti­ge Unfolg­sam­keit, Trieb zu ent­flie­hen, wel­ches sei­nen fort­ge­setz­ten Gebrauch oft hindert.”
Erst ab Mit­te des 19. Jahr­hun­derts konn­te sich die Digi­ta­lis­the­ra­pie all­ge­mein durch­set­zen und in Bam­ber­gers “Lehr­buch der Herz­krank­hei­ten” von 1858 ist sie als sou­ve­rä­nes Mit­tel aner­kannt. Fah­ren­kamp2 nimmt auf Grund von Injek­ti­ons- und ande­ren Ver­su­chen mit Digi­ta­lis­gly­ko­si­den, ins­be­son­de­re auch mit denen 2. Ord­nung (Con­vall­aria), eine kon­ser­vie­ren­de Wir­kung auf Obst und Gemü­se an. Die Reak­ti­on des mensch­li­chen Orga­nis­mus auf phar­ma­ko­lo­gi­sche Rei­ze ist auch sehr vom Wet­ter abhän­gig. So wird nach Macht die Digi­ta­lis­wir­kung durch Zyklo­nen­durch­gän­ge ver­stärkt3.