Botanisches:
Der Rote Fingerhut ist eine zweijährige ansehnliche Staude, die bis zu 1,50 m hoch wird. Während im ersten Jahre sich nur eine Rosette großer, oberseits flaumiger, unterseits angedrückt graufilziger Blätter entwickelt, streckt sich im zweiten Jahre die Achse. Sie ist dicht beblättert von eilanzettlichen, runzligen, gekerbten Blättern, die oberseits weichhaarig, unterseits fast filzig behaart sind. An der Spitze des Stengels sitzen in 30 bis 100 cm langer, einseitswendiger Traube die purpurroten, großen Blüten. Diese besitzen einen fünfzipfeligen, bleibenden Kelch. Die glockige Krone ist rachenförmig, schwach-zweilippig. Die Innenseite der Blüte trägt dunkelrote, weißumrandete Flecken und lange weiße Haare. Zwei lange und zwei kurze Staubgefäße liegen unter der Oberlippe. Auf dem Fruchtknoten sitzt der fadenförmige Griffel mit einer zweilappigen Narbe. Die Blüten sind vorstäubend, bleiben sechs Tage in Vollblüte und werden hauptsächlich von Hummeln besucht. Die zweifächrige Kapselfrucht enthält zahlreiche sehr kleine Samen. Blütezeit: Juni bis Juli.
Der Rote Fingerhut bildet im Sommer einen Schmuck von Lichtungen und Schlägen im Fichtenwald, wo er dann in großen Beständen auftritt.
Die mit Harz getränkte oberste 5‑cm-Schicht des Fichtenwaldbodens fördert, wie eigene Versuche zeigten, das Wachstum des Fingerhutes am stärksten.
Digitalis purpurea gehört zu den Kalkflüchtern, während Digitalis lutea kalkhold ist. Der Boden muß unter 1% Kalk haben, aber kalireich sein. Dagegen bevorzugt sie manganhaltigen Boden, die Asche enthält durchschnittlich 9,02% Mangan.
In Sandkulturen bewirkt ein steigender Manganzusatz Erntevermehrung und Zunahme der physiologischen Wirksamkeit. Bei natürlichem Boden ließen sich nach Dafert und Löwy1 Einflüsse zwischen Mangangehalt und Ernteertrag nicht feststellen. Auf Grund meiner Anbauversuche scheinen Digitalisblätter von auf Fichtennadelboden gewachsenen Pflanzen einige Monate länger voll wirksam zu bleiben als von Pflanzen, die auf gewöhnlichem Boden (Lauberde usw.) angebaut sind.
Geschichtliches und Allgemeines:
Nach den eingehenden Untersuchungen des Finnen Stenius kann es als erwiesen gelten, daß der Fingerhut den alten Griechen und Römern nicht bekannt gewesen ist, wofür auch das Hauptverbreitungsgebiet der Pflanze im westlichen Europa spricht. In der irländischen Medizin ist er dagegen unter dem Namen “sion” als uraltes Volksmittel gegen puerperale Eklampsie und den bösen Blick schon im 5. Jahrhundert im Gebrauch. Nach dem berühmten Arzneibuche “Meddygon Myddfai” (13. Jahrhundert) aus Süd-Wales wurde er als äußerliches Mittel bei Geschwülsten des Unterleibes, Abszessen, Kopfschmerzen usw. gebraucht. L. Fuchs, der der Pflanze den wissenschaftlichen Namen Digitalis gab, bringt als erster in den deutschen Kräuterbüchern eine genaue Beschreibung und Abbildung. Auch war ihm die Anwendung des Fingerhutes bei Wassersucht als Brech- und Purgiermittel bekannt. Die Anwendung zu Heilzwecken blieb jedoch in Deutschland zunächst noch sehr beschränkt. So weiß H. Bock davon nur zu sagen, daß der Fingerhut “zur artzney mit anderen gewächsen zu den dingen so erwörmens / zertheilens und reinigen bedörffen / genommen und gebraucht werden möcht.” Außer diesen und einigen anderen spärlichen Angaben findet man in der deutschen medizinisch-botanischen Literatur des 16. Jahrhunderts die Pflanze kaum erwähnt, während in England ihr doch etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. So beschrieben sie Gerarde (1597) und Parkinson (1640) als Emetikum und Expektorans, und Salmon empfahl sie um 1700 als Mittel gegen Schwindsucht, machte jedoch dabei gleichzeitig auf ihre “abstergierende, brechenerregende und abführende Eigenschaft” aufmerksam. 1748 gab Salerne, wie Weese berichtet, in Paris vor der Académie française einen aufsehenerregenden Bericht über die ersten Digitalisexperimente. Nach Verfütterung einer Anzahl von Digitalisblättern an Truthähne zeigten diese Erscheinungen von Trunkenheit und Zuckungen. Sie gingen nach anhaltenden Ausleerungen schließlich ein. “Beim Öffnen fanden wir das Herz, die Lungen, die Leber und die Gallenblase geschrumpft und ausgetrocknet, der Magen war ganz leer, aber nicht seiner rauhen Haut beraubt.” Nach dieser Veröffentlichung über die unzweifelhafte Giftigkeit der Digitalis wurde auch die englische Ärzteschaft wieder sehr zurückhaltend in ihrem Gebrauch, und noch 1776 nannte Murray den Fingerhut ein zweideutiges Mittel. Eine feste Stelle in den Offizinen erhielt er erst durch den englischen Arzt Withering, der 1775 anfing, ihn gegen Wassersucht zu verordnen. Withering hatte von den großen Erfolgen eines Kräuterweibes bei Wassersucht mit einer neuen Heilpflanze gehört. Da die Frau ihm den Namen der Pflanze nicht verraten wollte, ließ er sie heimlich beim Sammeln der Blätter beobachten und stellte so fest, daß es sich um den Fingerhut handelte. Im Jahre 1776 veröffentlichte er eine erste kleine Abhandlung über die Heilkräfte der Droge und machte noch im gleichen Jahre anläßlich eines Konsiliums neben anderen Ärzten und Freunden auch Erasmus Darwin auf sie aufmerksam. Letzterer befaßte sich daraufhin eingehender mit ihr und veröffentlichte 1780 eine Studie über die Heilkräfte des Fingerhutes. Im Jahre 1785 erschien dann Witherings berühmte Abhandlung “An Account of the Foxglove and of its Medical Uses”, wodurch dann die Digitalis-Anwendung überall bekannt wurde. Jedoch nicht allzu lange nach Witherings Veröffentlichung kam die Entwicklung der Digitalistherapie zu einem Stillstand. Es wurden eine Unzahl von neuen Indikationen für die neue Droge aufgestellt, was zu teilweisen Mißerfolgen führte, die Withering schen Thesen gerieten in Vergessenheit und eine Anzahl berühmter Ärzte jener Zeit lehnten die Droge überhaupt ab. Zu diesen gehörte u. a. auch der Leibarzt Napoleons Corvisart (gest. 1821) und sein Schüler, der große Kliniker Laennec (gest. 1826). Auch von seiten der homöopathischen Schule wurde die Digitalis abgelehnt, so schrieb Hahnemann:
“Der anhaltende Gebrauch der Digitalis purpurea verursacht eine wahre Freßgierde. Der Fingerhut macht eine schwierige Verstimmung, die nicht leicht zu erkennen ist, da sie sich nicht durch unvernünftige Worte äußert, eine Art von Widerspenstigkeit, Hartnäckigkeit, hinterlistige Unfolgsamkeit, Trieb zu entfliehen, welches seinen fortgesetzten Gebrauch oft hindert.”
Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts konnte sich die Digitalistherapie allgemein durchsetzen und in Bambergers “Lehrbuch der Herzkrankheiten” von 1858 ist sie als souveränes Mittel anerkannt. Fahrenkamp2 nimmt auf Grund von Injektions- und anderen Versuchen mit Digitalisglykosiden, insbesondere auch mit denen 2. Ordnung (Convallaria), eine konservierende Wirkung auf Obst und Gemüse an. Die Reaktion des menschlichen Organismus auf pharmakologische Reize ist auch sehr vom Wetter abhängig. So wird nach Macht die Digitaliswirkung durch Zyklonendurchgänge verstärkt3.